Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 115 IB 373



115 Ib 373

50. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 6.
Dezember 1989 i.S. X. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich
(Verwaltungsgerichtsbeschwerde) Regeste

    Internationale Rechtshilfe in Strafsachen; Übermassverbot,
Spezialitätsvorbehalt.

    1. Die schweizerische Behörde darf nicht über die im Rechtshilfegesuch
ausdrücklich gestellten Begehren hinausgehen, da einerseits das EÜR den
ersuchten Staat nicht verpflichtet, vom ersuchenden Staat nicht verlangte
Massnahmen zu treffen, und da anderseits das IRSG bei verfassungskonformer
Auslegung - in Berücksichtigung des Verhältnismässigkeitsgrundsatzes -
es der ersuchten Behörde verbietet, vom ersuchenden Staat nicht verlangte
Massnahmen zu treffen (E. 7).

    2. Auch im Falle der Rechtshilfe wegen Abgabebetruges dürfen die in
der Schweiz gewonnenen Erkenntnisse durch den ersuchenden Staat nicht
für durch ihn geführte repressive Steuerverfahren und damit namentlich
auch nicht für Steuerveranlagungsverfahren verwendet werden (E. 8).

Sachverhalt

    A.- Die Staatsanwaltschaft Düsseldorf, Bundesrepublik Deutschland
(BRD), führt gegen B. und mehrere Mitbeteiligte, darunter auch X.,
ein Strafverfahren wegen Steuerdelikten (Hinterziehung, Steuerbetrug)
und Urkundenfälschung. Den Beschuldigten wird vor allem zur Last
gelegt, sie hätten im Zeitraum von ungefähr 1972 bis 1986 im Rahmen der
Geschäftsführung der Firma B. & Cie durch Nichtverbuchen von Honoraren
für Depotberatungen sowie durch das Verbuchen fiktiver Aufwendungen
und vorgetäuschter Darlehen betrügerisch Steuern in Millionenhöhe
hinterzogen. X. sei dabei von mindestens 1980 bis 1985 Geschäftsführer
der Firma M. GmbH gewesen, welche in die strafbaren Handlungen involviert
sei. Rechnungen der Firma B. & Cie an die Firma M. GmbH hätten dazu
gedient, u.a. X. in die Lage zu versetzen, den Kaufpreis von mehreren
Millionen DM für den Erwerb von B.-Anteilen durch seine Ehefrau aus
Mitteln der Firma M. GmbH zu begleichen.

    Am 10. Juni 1988 ersuchte der Leitende Oberstaatsanwalt von Düsseldorf
das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) um Rechtshilfe
in dieser Sache. Das Bundesamt für Polizeiwesen (BAP) überwies die
Angelegenheit an die Bezirksanwaltschaft Zürich zur Ausführung. Das
Rechtshilfeersuchen wurde durch direkte Eingaben der Oberstaatsanwaltschaft
Düsseldorf vom 9. Januar und 27. Februar 1989 ergänzt.

    Am 6. Februar 1989 entsprach die Bezirksanwaltschaft Zürich dem
Rechtshilfeersuchen grundsätzlich. Sie forderte u.a. die Bank Z. in Zürich
auf, für die Zeit vom 1. Januar 1972 bis 30. September 1988

    "a) schriftlich darüber Auskunft zu erteilen, ob bzw. welche

    Bankbeziehungen (Konten, Depots, Safes) die Beschuldigten/Betroffenen

    1-16 (darunter X.) unterhalten haben, ...

    b) alle sachbezüglichen Unterlagen (...) in gut leserlicher Photokopie
   herauszugeben, ...

    c) allfällig bestehende Safes, unter Angabe des Mieters, zu sperren,
   wobei deren Inhalte als Beweismittel beschlagnahmt werden, ..."

    X. erhob hiergegen am 16. Februar 1989 Rekurs an die Staatsanwaltschaft
des Kantons Zürich. Er beantragte die Aufhebung der Rechtshilfeverfügung;
die bereits vorgenommenen Untersuchungshandlungen seien rückgängig zu
machen, insbesondere seien die schon erhobenen Unterlagen an die Bank
zurückzugeben und die erstellten Zeugenprotokolle zu vernichten. Die
Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich wies den Rekurs am 15. Juni 1989 ab.

    Gegen den Entscheid der Staatsanwaltschaft gelangte X. mit
Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht. Er beantragt
(soweit hier wesentlich), der Entscheid sei aufzuheben und die Sache zur
Neubeurteilung zurückzuweisen; eventuell sei die Rechtshilfeleistung an
den ersuchenden Staat mit Bezug auf den Beschwerdeführer zu verweigern
unter Hinweis auf das Verwertungsverbot der bereits erlangten Kenntnisse
aus den in Zürich erfolgten Rechtshilfemassnahmen; subeventuell sei
die Weiterleitung der bereits beschlagnahmten Akten betreffend den
Beschwerdeführer zu verweigern.

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 7

    7.- Die schweizerischen Behörden dürfen nicht über die im
Rechtshilfegesuch ausdrücklich gestellten Begehren hinausgehen
(Übermassverbot, BGE 111 Ib 131 E. 4); dies geht - in Präzisierung der dem
soeben zitierten Urteil zugrundeliegenden Erwägungen - daraus hervor, dass
einerseits das EÜR den ersuchten Staat nicht verpflichtet, vom ersuchenden
Staat nicht verlangte Massnahmen zu treffen, und dass anderseits das
IRSG bei verfassungskonformer Auslegung - in Berücksichtigung des auch
im Rechtshilfeverkehr zu beachtenden Verhältnismässigkeitsgrundsatzes
(s. in diesem Zusammenhang auch Art. 4 und 63 IRSG; BGE 113 Ib 164
ff. E. 5a, 112 Ib 462 E. 2b, 110 Ib 184 E. 7, 109 Ib 230 f. E. 3f) - es
der ersuchten Behörde verbietet, vom ersuchenden Staat nicht verlangte
Massnahmen zu treffen. Die Überprüfung des vorliegenden Ersuchens ergibt
in dieser Hinsicht, dass mit ihm nur die Beschlagnahmung von Unterlagen
verlangt wird, welche B. und seine Ehefrau betreffen. Aus der Verfügung
der Bezirksanwaltschaft Zürich ergibt sich aber, dass die Bank Z. auch
mit Bezug auf den vorliegenden Beschwerdeführer angewiesen wurde,
sämtliche sachbezüglichen Bankunterlagen herauszugeben und allfällige
ihn betreffende Safes zu sperren. Insofern der angefochtene Entscheid
stillschweigend auch diese Massnahmen mit Bezug auf den Beschwerdeführer
betraf, ist er in teilweiser Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde
aufzuheben. Es wird Sache der kantonalen Instanzen sein, über das Schicksal
der bereits beschlagnahmten Unterlagen des Kontos des Beschwerdeführers bei
der betreffenden Bank eine neue Verfügung zu treffen, wobei kurzfristig
eine allfällige Erweiterung des Rechtshilfeersuchens in dieser Hinsicht
abgewartet werden kann (vgl. BGE 111 Ib 131 am Ende und 252, mit weiteren
Hinweisen).

Erwägung 8

    8.- Die Zürcher Behörden haben der die Rechtshilfe bewilligenden
Verfügung gestützt auf die Angaben des BAP den in einem Fall wie dem
vorliegenden an sich üblichen Spezialitätsvorbehalt beigefügt, diesen aber
in ihren der Verfügung zugrundeliegenden Erwägungen wie folgt präzisiert:

    "Falls es im Strafverfahren zu einem Schuldspruch für diese Taten
   (Abgabebetrug) kommt, können diese Ergebnisse (der Rechtshilfe) auch im

    Veranlagungsverfahren wegen der umstrittenen Steuerforderungen
verwendet
   werden, bei einem Freispruch oder einer Einstellung des Verfahrens
   ist dies ausgeschlossen."

    Eine dahingehend lautende Bewilligung hatte das BAP den deutschen
Behörden bereits in früheren Fällen erteilt, namentlich auch in der
Gegenstand des Bundesgerichtsurteils vom 6. Dezember 1988 i.S. C. AG
bildenden Angelegenheit, in der sich das BAP - wie den Beilageakten
des vorliegenden Verfahrens entnommen werden kann - sogar über den
gemäss den damaligen Erwägungen anzubringenden Spezialitätsvorbehalt
hinweggesetzt hatte (s. auch nicht publ. Urteil vom 2. November 1989
i.S. K.). Eine solche Bewilligung der Verwendung der Beweismittel auch
für das Steuerveranlagungsverfahren widerspricht klar der ständigen
bundesgerichtlichen Rechtsprechung (s. BGE 107 Ib 264 ff., insb. 270/271),
wonach das Verwendungsverbot ausdrücklich auch für nicht repressive
Steuerverfahren und namentlich auch für die Steuereinschätzung gilt
(s. auch nicht publizierte E. 9 von BGE 115 Ib 68 ff. und E. 10 des
genannten Urteils vom 6. Dezember 1988); die Rechtshilfe in Strafsachen
soll der Verbrechensbekämpfung dienen und nicht der ersuchenden Behörde
ermöglichen, ihre fiskalischen Interessen wahrzunehmen (BGE 107 Ib
270). So wird denn auch mit Bezug auf die Fiskaldelikte einzig im Falle
von Abgabebetrug Rechtshilfe gewährt, weil dieses Delikt ebenso schwer
wie andere gemeinrechtliche Delikte wiegt, einem gemeinrechtlichen
Betrug gleichkommt (s. BGE 111 Ib 245 ff.). Die Rechtshilfe soll auch
bei Abgabebetrug general- und spezialpräventiv wirkende strafrechtliche
Sanktionen ermöglichen, falls die Voraussetzungen hiefür erfüllt
sind. Etwas anderes kann sie aber auch in einem solchen Falle nicht
bezwecken. Andernfalls müsste aus Konsequenzgründen auch in Fällen
von bloss in irgendeinem Zusammenhang mit Steuerdelikten stehenden
gemeinrechtlichen Delikten die Verwendung der im Rechtshilfeverfahren
gewonnenen Erkenntnisse auch für Steuerveranlagungsverfahren bewilligt
werden, was aber - wie ausgeführt - nicht der Sinn der zwischenstaatlichen
Rechtshilfe in Strafsachen sein kann.

    Es rechtfertigt sich, diese Feststellungen zuhanden der Zürcher
Behörden (und des BAP) anzubringen, auch wenn der Beschwerdeführer eine
entsprechende Rüge nicht erhoben hat.

    Somit ist der anzubringende Spezialitätsvorbehalt dahingehend zu
präzisieren, dass die in der Schweiz gewonnenen Erkenntnisse nur für die
Strafuntersuchung wegen Steuer- bzw. Abgabebetruges und wegen der in diesem
Zusammenhang in Frage stehenden Urkundendelikte, jedoch insbesondere (auch)
nicht für reine Steuerhinterziehungsverfahren oder nach schweizerischer
Auffassung rein administrative Steuerveranlagungsverfahren benützt werden
dürfen. Die Einhaltung des Spezialitätsgrundsatzes durch Staaten, die mit
der Schweiz durch einen Rechtshilfevertrag verbunden sind, wird nach dem
völkerrechtlichen Vertrauensprinzip als selbstverständlich vorausgesetzt,
ohne dass die Einholung einer ausdrücklichen Zusicherung notwendig wäre
(BGE 107 Ib 271/272). Im übrigen hat die ersuchende Behörde ausdrücklich
versichert, dass sie den mit der Bewilligung der Rechtshilfe verbundenen
Spezialitätsvorbehalt einhalten werde.

    Dass demgemäss eine Präzisierung des Spezialitätsvorbehaltes
vorzunehmen ist, vermag nicht auch aus diesem Grunde Gutheissung der
Beschwerde nach sich zu ziehen, da der Beschwerdeführer - wie erwähnt
- eine entsprechende Rüge nicht erhoben hat. Doch ist die Beschwerde
ausdrücklich im Sinne der vorstehenden Erwägungen abzuweisen, soweit
sie nicht aus dem bereits genannten Grunde (teilweise) gutzuheissen ist
(vorstehende E. 7).