Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 115 IB 342



115 Ib 342

45. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 6.
September 1989 i.S. X. AG gegen Gemeinde Spreitenbach sowie Baudepartement
und Verwaltungsgericht des Kantons Aargau (Verwaltungsgerichtsbeschwerde)
Regeste

    Art. 9 USG; Umweltverträglichkeitsprüfung für ein Parkhaus.

    1. Obwohl es beim Entscheid, es sei für ein Bauprojekt eine UVP
durchzuführen, primär um eine Verfahrensfrage geht, kommt ihm der Charakter
eines Teilentscheides zu (E. 1).

    2. Die in Art. 9 Abs. 2 USG und Art. 10 UVPV erwähnten Richtlinien
der Umweltschutzfachstellen brauchen nicht in Erlassform (z.B. in eine
Verordnung) gekleidet zu sein; es können auch generelle oder auf den
Einzelfall bezogene Weisungen sein (E. 2b).

    3. Für die Beantwortung der Frage, ob die Pflicht zur Prüfung der
Umweltverträglichkeit zu bejahen sei, ist belanglos, ob die Anlage
gleichzeitig eine Verbesserung der heutigen Umweltsituation bringe (E. 2c).

    4. Das kantonale Verwaltungsgericht muss nicht selber, erstinstanzlich,
den Inhalt des Umweltverträglichkeitsberichts festlegen; es obliegt
der kantonalen Fachstelle oder allenfalls der für den Entscheid über
das Baugesuch zuständigen Behörde, gegebenenfalls nähere Präzisierungen
vorzunehmen (E. 3).

Sachverhalt

    A.- Am 16. Dezember 1985 hiess der Gemeinderat Spreitenbach
vorentscheidweise ein Vorprojekt der X. AG für zwei überdachte Parkebenen
mit 624 Abstellplätzen (inklusive Erdgeschoss sind 956 Abstellplätze
vorhanden) gut. Die zwei Parkebenen sollen 607 offene Parkplätze im Sektor
E, südwestlich der Gebäulichkeiten der X. AG, ersetzen. Am 26. Oktober
1987 beschloss der Gemeinderat, es sei eine Umweltverträglichkeitsprüfung
gemäss Art. 9 des Bundesgesetzes über den Umweltschutz vom 7. Oktober
1983 (Umweltschutzgesetz, USG) durchzuführen, und er forderte die
Baugesuchstellerin auf, einen Umweltverträglichkeitsbericht ausarbeiten
zu lassen.

    Gegen diesen Entscheid erhob die X. AG Beschwerde beim Baudepartement
des Kantons Aargau, welches das Rechtsmittel am 18. April 1988 abwies. Die
gegen diesen Entscheid erhobene Beschwerde beim Verwaltungsgericht des
Kantons Aargau wurde von diesem am 9. November 1988 ebenfalls abgewiesen.

    Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde vom 21. Dezember 1988 verlangt die
X. AG vom Bundesgericht die Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids,
evtl. die Rückweisung der Sache zur Neubeurteilung. Das Bundesgericht
weist die Beschwerde ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                  Auszug aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Das Verwaltungsgericht hat als letzte kantonale Instanz in
Anwendung öffentlichen Rechts des Bundes (Art. 9 USG) entschieden, dass für
das Bauprojekt der Beschwerdeführerin eine Umweltverträglichkeitsprüfung
(UVP) durchzuführen sei. Diesem Entscheid kommt, obwohl es primär um eine
Verfahrensfrage geht, der Charakter eine Teilentscheids zu (BGE 107 Ib
343 E. 1; FRITZ GYGI, Bundesverwaltungsrechtspflege, 2. Aufl. 1983,
S. 140), der gemäss Art. 97 i.V.m. Art. 5 VwVG und 98 lit. g OG der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht unterliegt (BGE 114 Ib
216 E. 1b; 113 Ib 397/398 E. 1b, je mit Hinweisen). Auf die rechtzeitig
eingereichte Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist somit einzutreten.

Erwägung 2

    2.- Die Beschwerdeführerin bestreitet, dass eine genügende gesetzliche
Grundlage für die Anordnung einer UVP vorhanden sei, einmal weil das
ausführende Verordnungsrecht zu Art. 9 USG noch nicht vollständig erlassen
worden sei bzw. klare Richtlinien darüber noch nicht beständen, welchen
Anforderungen die UVP zu genügen habe, zum andern weil das zur Diskussion
stehende Projekt im Vergleich zum gegenwärtigen Zustand keine zusätzlichen
Parkplätze mit sich bringe und die bestehende Situation bezüglich des
Umweltschutzes verbessere (saniere).

    a) (Ausführungen darüber, dass die gesetzliche Grundlage für die
Anordnung der UVP in Art. 9 USG und neu zusätzlich in Art. 24 der
Verordnung über die UVP vom 19. Oktober 1988 [UVPV] gegeben ist.)

    b) Daran ändert der Einwand nichts, es fehlten noch die in
Art. 9 Abs. 2 USG und Art. 10 UVPV erwähnten Richtlinien der
Umweltschutzfachstellen, so dass die Kriterien, welche für die
Fragestellung an die Experten wesentlich sind, noch gar nicht bekannt
seien. Anders als die Beschwerdeführerin offenbar meint, brauchen solche
Richtlinien nicht in Erlassform (z.B. in eine Verordnung) gekleidet
zu sein; es können auch generelle oder auf den Einzelfall bezogene
Weisungen sein, welche nach den zitierten Bestimmungen des USG und
der UVPV ausdrücklich nicht von den politischen Behörden, sondern von
Fachstellen erlassen werden. Im vorliegenden Fall hat das Baudepartement
des Kantons Aargau seiner Vernehmlassung an das Bundesgericht einen
achtseitigen "Anforderungskatalog" für den Umweltverträglichkeitsbericht
für Parkhäuser vom 8. September 1988 beigelegt. Dieser Katalog erfüllt
durchaus die Funktion solcher Richtlinien. Er wurde von der Abteilung
Umweltschutz aufgestellt und sagt im Detail, welche Anforderungen ein
Umweltverträglichkeitsbericht für Parkhäuser erfüllen muss, soweit dies
nicht schon aus der UVPV hervorgeht. Allfällige Unklarheiten könnten von
der Beschwerdeführerin mit der zuständigen Fachstelle noch bereinigt
werden. Von ungenügenden Ausführungsgrundlagen kann jedenfalls keine
Rede sein.

    c) Die Beschwerdeführerin bestreitet schliesslich die Pflicht zur
formellen Umweltverträglichkeitsprüfung mit dem Argument, das Bauvorhaben
bringe eine Verbesserung der heutigen Parkplatzverhältnisse und es werde
kein einziger zusätzlicher Parkplatz geschaffen.

    Anhang 1 Ziff. 11.4 der UVPV unterstellt Parkhäuser und -plätze
der UVP, sofern sie für mehr als 300 Motorwagen bestimmt sind. Es
ist unbestritten, dass diese Zahl beim Projekt der Beschwerdeführerin
bei weitem überschritten wird. Dass gleichzeitig eine gleich grosse
Zahl von offenen Parkplätzen aufgehoben wird, spielt - zumindest
im vorliegenden Fall - keine Rolle. Wie das Verwaltungsgericht
zutreffend ausführt, ist für den Entscheid darüber, ob eine geplante
Anlage der UVP unterliegt, grundsätzlich die Immissionsträchtigkeit
der betreffenden Anlage für sich allein, ohne Berücksichtigung eines
allfälligen Entlastungseffekts, massgebend. Andernfalls würde ein Teil
der materiellen Umweltverträglichkeitsprüfung vorweggenommen (in diesem
Sinne auch BGE vom 20. April 1988 i.S. Kanton Solothurn und EG Önsingen,
auszugsweise publiziert in Umweltrecht in der Praxis (URP), 1988, Nr. 9
S. 208/209 E. 5b).

    Das Bundesgericht hat denn auch im das Parkhaus Herrenacker in
Schaffhausen betreffenden Fall (vgl. dazu URP 1987 S. 52 ff.) die
Betrachtungsweise des Regierungsrats des Kantons Schaffhausen ausdrücklich
verworfen, wonach bei der Beurteilung des Projekts unter dem Gesichtswinkel
von Art. 9 USG berücksichtigt werden dürfe, dass nach dem Bau der 496
unterirdischen Abstellplätze die bestehenden 200 oberirdischen Parkplätze
aufgehoben würden und für ein Parkhaus mit netto nur 296 neuen Parkplätzen
eine UVP nicht erforderlich sei. Das Bundesgericht hat erwogen, für die
Beantwortung der Frage, ob eine neue Anlage im Sinne von Art. 9 Abs. 1 USG
die Umwelt "erheblich belasten könne", sei nicht von Bedeutung, ob schon
von anderen Anlagen Einwirkungen ausgegangen seien und wie sich diese in
Zukunft entwickeln würden: Die Vorbelastung der Umwelt und die nach dem
Bau der neuen Anlage voraussichtlich verbleibende Belastung seien im Rahmen
der UVP selbst abzuklären bzw. abzuschätzen (BGE 114 Ib 353 ff. E. 5a).

    Gerade der vorliegende Fall, wo dass Parkhaus nordöstlich der
Gebäulichkeiten der X. AG erstellt werden soll und 607 der aufzuhebenden
offenen Parkplätze sich auf der gegenüberliegenden, südwestlichen Seite
befinden, zeigt, dass nicht nach dem sogenannten Nettoprinzip vorgegangen
werden kann; denn die Auswirkungen der auf einer einzigen Seite der
Gebäulichkeiten konzentrierten 956 Abstellplätze auf Verkehr, Nachbarschaft
und Umwelt im allgemeinen können erheblich anders sein als die Auswirkungen
von auf zwei verschiedene Standorte aufgeteilten Parkfeldern gleicher
Anzahl. Bei der geplanten Neuanlage eines Parkhauses an einer Stelle,
an der sich bisher bloss ein kleinerer Teil der durch das Parkhaus zu
kompensierenden offenen Parkplätze befand, kann auch klarerweise nicht von
einer blossen Sanierung einer Anlage gesprochen werden, die im Gegensatz
zu Neubauten, wesentlichen Umbauten, Erweiterungen und Betriebsänderungen
(Art. 1 und 2 UVPV) allenfalls nicht einer UVP unterliegen würde (so die
Vorinstanz mit Hinweis auf GEORG ISELIN, Fragen zum intertemporalen Recht
am Beispiel der UVP, in URP 1987 S. 33 ff.).

    Es spielt deshalb auch keine Rolle, dass der Anstoss für die
Verlegung der bisher nur provisorisch bewilligten Parkplätze und den
Bau eines Parkhauses primär aus Gründen der Zonenkonformität und des
Ortsbildschutzes von der Gemeinde Spreitenbach ausging, und es ist
unwesentlich, ob die Gebäulichkeiten durch das Parkhaus an Attraktivität
gewinnen oder nicht. Eine formelle Umweltverträglichkeitsprüfung ist so
oder so durchzuführen.

Erwägung 3

    3.- Die Beschwerdeführerin stellt den Eventualantrag, der angefochtene
Entscheid sei aufzuheben und die Vorinstanz zu verhalten, die bei der
Einholung der Umweltverträglichkeitsprüfung (gemeint ist wohl: des
Umweltverträglichkeitsberichts gemäss Art. 9 Abs. 2 USG und Art. 7
und 9 UVPV) abzuklärenden Fragen genau zu definieren, um damit die
Verpflichtung der Beschwerdeführerin auch zu konkretisieren. Wie indessen
das Verwaltungsgericht im angefochtenen Entscheid zutreffend ausgeführt
hat, kann es nicht seine Sache sein, erstinstanzlich den Inhalt des
Umweltverträglichkeitsberichts näher festzulegen. Soweit dies nicht schon
aus Art. 9 USG und Art. 9 UVPV sowie dem Anforderungskatalog der Abteilung
Umweltschutz im Baudepartement des Kantons Aargau vom 8. September 1988
hervorgeht, ist es Sache dieser Fachstelle oder allenfalls der für den
Entscheid über das Baugesuch zuständigen Behörde, nähere Präzisierungen
vorzunehmen.

    Was schliesslich der Gemeinderat Spreitenbach unter einem abgekürzten
Verfahren versteht, ist nicht ganz klar. Soweit er eine bloss beschränkte
materielle Prüfung ohne formellen Umweltverträglichkeitsbericht meint
(wie das etwa im erwähnten Fall Lommiswil als angebracht erschien, BGE
113 Ib 236 E. 3d), so wurde bereits weiter oben ausgeführt, dass die
Voraussetzungen dazu im vorliegenden Fall nicht erfüllt sind. Soweit im
übrigen eine Straffung des Verfahrens im Einzelfall überhaupt möglich ist
(z.B. nach durchgeführter Voruntersuchung im Sinne von Art. 8 UVPV), ist
es Sache der zuständigen kantonalen Verwaltungsbehörden, erstinstanzlich
darüber zu entscheiden.