Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 115 IB 269



115 Ib 269

38. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung
vom 28. September 1989 i.S. Eidgenössische Steuerverwaltung
gegen D. AG und Verwaltungsrekurskommission des Kantons St. Gallen
(Verwaltungsgerichtsbeschwerde) Regeste

    Art. 49 Abs. 1 lit. a und b, 58 Abs. 1 und 2 BdBSt; steuerliche
Qualifikation von Forderungsverzichten durch Aktionäre im Zusammenhang
mit Sanierungen von Aktiengesellschaften.

    Entgegen der in der Lehre vorherrschenden Auffassung
sind Sanierungsleistungen von Aktionären, insbesondere auch
Forderungsverzichte, bundessteuerrechtlich in der Regel nicht Eigenkapital-
oder Fremdkapitaleinlagen, sondern Ertrag (E. 4b). Ausnahmen von diesem
Prinzip sind nur zurückhaltend zuzulassen (E. 4c). Im vorliegenden Fall ist
nicht dargetan, dass das Darlehen einem Dritten nicht zugestanden worden
wäre und wirtschaftlich betrachtet eine Kapitaleinlage gewesen sei (E. 4d).

Sachverhalt

    A.- Im Rahmen der im Jahre 1978 erfolgten Sanierung der H. AG
verzichtete die S. AG, Alleinaktionärin der H. AG, auf eine Forderung
im Betrage von Fr. 945'461.65 gegenüber ihrer Tochtergesellschaft. Der
ausgewiesene Buchgewinn wurde mit aufgelaufenen Verlusten verrechnet
und der verbleibende Reingewinn von Fr. 4'698.14 auf neue Rechnung
vorgetragen. Bei den Veranlagungen der 20. bis 22. Periode der Wehrsteuer
ergaben sich zufolge der Verrechnung der in den Jahren 1971-1977
(ausgenommen 1973) erlittenen Verluste keine steuerbaren Erträge. Die
H. AG fusionierte am 30. September 1985 mit der D. AG.

    Für die direkte Bundessteuer 1985/86 wurde die H. AG mit einem
steuerbaren Ertrag von Fr. 93'000.-- und mit einem steuerbaren Kapital
von Fr. 1'016'000.-- veranlagt. Die Einschätzung wurde auch der D. AG
eröffnet. Diese erhob Einsprache mit der Begründung, der durchschnittliche
Reinertrag der Bemessungsperiode 1983/84, massgebend für die direkte
Bundessteuer 1985/86, sei um den noch nicht zur Verrechnung gebrachten und
noch verrechenbaren Verlust von Fr. 249'287.-- aus den Bemessungsjahren
1977/78 zu kürzen. Die kantonale Verwaltung für die direkte Bundessteuer
wies die Einsprache ab, während die Verwaltungsrekurskommission des
Kantons St. Gallen die dagegen eingereichte Beschwerde guthiess.

    Gegen das Urteil der Verwaltungsrekurskommission
reicht die Eidgenössische Steuerverwaltung beim Bundesgericht
Verwaltungsgerichtsbeschwerde ein. Sie vertritt die Auffassung, dass
der im Rahmen der Sanierung der H. AG erfolgte Forderungsverzicht der
Alleinaktionärin S. AG in der Höhe von Fr. 945'461.65 steuerlich als
echter, erfolgswirksamer Sanierungsgewinn zu qualifizieren sei und nicht
als erfolgsneutraler Vermögenszugang, wie dies die Vorinstanz getan
habe. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Nachdem die Aktiven und Passiven der H. AG per 30.  September 1985
auf die D. AG übergegangen sind und die H. AG damit als Steuersubjekt
untergegangen ist, sind die von ihr für die laufende Veranlagungsperiode
geschuldeten Steuern von der D. AG zu entrichten (Art. 12 Abs. 2
BdBSt). Dementsprechend war die Veranlagung der H. AG betreffend
die Steuerperiode 1985/86 - wie dies auch geschehen ist - der D. AG
zuzustellen, die auch zur Erhebung von Rechtsmitteln legitimiert war.

Erwägung 3

    3.- a) Gemäss Art. 49 Abs. 1 lit. a und b BdBSt fallen für die
Berechnung des steuerbaren Ertrages in Betracht:

    "der Saldo der Gewinn- und Verlustrechnung unter Berücksichtigung des

    Saldovortrages aus dem Vorjahre" (lit. a) und

    "alle vor Berechnung des Saldos der Gewinn- und Verlustrechnung
   ausgeschiedenen Teile des Geschäftsergebnisses, die nicht zur Deckung
   geschäftsmässig begründeter Kosten verwendet werden (z.B. Aufwendungen
   für Anschaffung und Verbesserung von Vermögensobjekten, Einzahlungen
   auf das Gesellschaftskapital, freiwillige Zuwendungen an Dritte,
   vorbehältlich Abs. 2) (lit. b)."

    b) Nach Art. 58 Abs. 1 BdBSt bilden die der Veranlagungsperiode
vorangegangenen zwei Jahre die Berechnungsperiode. Als steuerbarer
Reinertrag gilt der Durchschnitt der Ergebnisse der in die
Berechnungsperiode fallenden Jahre. Weist eines dieser Jahre einen
Verlust auf, so kann dieser vom Reinertrag des anderen Jahres abgezogen
werden. Vom durchschnittlichen Reinertrag der Berechnungsperiode kann
die Summe der durchschnittlichen Verluste aus drei vorangegangenen
Berechnungsperioden abgezogen werden, sofern diese Verluste noch nie mit
Reinerträgen verrechnet werden konnten (Art. 58 Abs. 2 BdBSt).

    c) Einzige Streitfrage bildet im vorliegenden Fall die
steuerliche Qualifikation des im Rahmen der Sanierung der H. AG
erfolgten Forderungsverzichts der Alleinaktionärin S. AG in der Höhe von
Fr. 945'461.65. Liegt darin ein echter, erfolgswirksamer Sanierungsgewinn,
so wurden alle in den Vorjahren erlittenen Verluste der H. AG, soweit sie
im Hinblick auf die Art. 58 Abs. 2 BdBSt getroffene zeitliche Beschränkung
verrechenbar waren, zur Verrechnung gebracht; stellt der Forderungsverzicht
hingegen einen erfolgsneutralen Vermögenszugang dar, so kann - wie dies
die Vorinstanz festgestellt hat - noch ein Verlust von durchschnittlich
Fr. 249'287.-- bei der Veranlagung der direkten Bundessteuer 1985/86
berücksichtigt werden.

Erwägung 4

    4.- a) Die H. AG hat in den Jahren 1971 bis 1977 Verluste erlitten;
einzig im Jahre 1973 wurde gemäss Gewinn- und Verlustrechnung ein
Gewinn von Fr. 95'694.-- ausgewiesen und nach Abzug einer Zuwendung für
Personalfürsorge ein Reinertrag von Fr. 80'694.-- deklariert. Im Jahre
1978 erfolgte die Sanierung. Die ausgewiesenen Zahlen belegen, dass
die H. AG sanierungsbedürftig war, was auch von keiner Seite in Frage
gestellt wurde. Die Vorinstanz ging in zutreffender Weise davon aus, dass
die im Jahre 1978 erfolgten Massnahmen (Herabsetzung des Aktienkapitals
von Fr. 1'000'000.-- auf Fr. 750'000.-- und Forderungsverzicht seitens der
Muttergesellschaft im Betrage von Fr. 945'461.65) im Rahmen der Sanierung
der H. AG getroffen wurden.

    b) Forderungsverzichte seitens der Gläubiger erhöhen den Saldo der
Gewinn- und Verlustrechnung (Art. 49 Abs. 1 lit. a BdBSt). Sie werden auch
nach Steuerlehre und Praxis als erfolgswirksam betrachtet, wenn es sich um
Leistungen unbeteiligter Dritter handelt. Sie sind dem steuerbaren Ertrag
zuzurechnen (KÄNZIG, Wehrsteuer, 1. A., N. 94 zu Art. 49 Abs. 1 lit. b;
MASSHARDT, Kommentar zur direkten Bundessteuer, 2. A., 1985, N. 11 zu
Art. 49 Abs. Ia; H. SOMMER, Die steuerliche Behandlung von Sanierungen,
ASA 36 460 f.; CAGIANUT/HÖHN, Unternehmungssteuerrecht, N. 26 zu § 12,
S. 381; REIMANN/ZUPPINGER/SCHÄRRER, Kommentar zum Zürcher Steuergesetz,
N. 373 zu § 19 lit. b StG sowie N. 161 zu § 45 StG).

    Sanierungsleistungen von Aktionären hingegen, insbesondere auch
Forderungsverzichte, sollen nach der in der Lehre vorherrschenden
Auffassung nicht Ertrag, sondern Eigenkapital- oder Fremdkapitaleinlagen
sein, die nicht in die Erfolgsrechnung gehörten; für den Entscheid über
deren Ertragswirksamkeit bzw. -unwirksamkeit könne es nicht auf die äussere
Form der Leistung ankommen (MASSHARDT, aaO, N. 11 zu Art. 49 Abs. 1a; HÖHN,
Steuerrecht, 6. A., N. 16 zu § 24, S. 365; REIMANN/ZUPPINGER/ SCHÄRRER,
aaO, N. 160 zu § 45 StG; ZUPPINGER/SCHÄRRER/ FESSLER/REICH, Kommentar
zum Zürcher Steuergesetz, Ergänzungsband, 2. A., N. 160 zu § 45 StG;
KAUFMANN, Die Behandlung des Schulderlasses, Bern 1986, S. 211; M. DUSS,
Forderungsverzicht durch Aktionäre von Aktiengesellschaften, ASA 50 273).

    Dem steht die Auffassung der Eidgenössischen Steuerverwaltung
gegenüber, die auch der langjährigen Praxis zur Wehrsteuer entspricht,
wonach Forderungsverzichte, gleichgültig ob der Verzicht von einem
Aktionär oder einem nichtbeteiligten Gläubiger ausgesprochen wurde, in der
Regel erfolgswirksam sind. An dieser Auffassung hat die Eidgenössische
Steuerverwaltung auch im Kreisschreiben Nr. 14 vom 1. Juli 1981 (ASA
50 63) dem Grundsatze nach festgehalten. Im Sinne einer Ausnahme werden
Forderungsverzichte von Beteiligten nur dann dem Ertrag nicht zugerechnet,
wenn und soweit es sich entweder um eine Darlehensforderung handelt, die
vor der Sanierung steuerlich als verdecktes Eigenkapital behandelt wurde,
oder um Aktionärsdarlehen, die erstmalig oder zusätzlich im Hinblick auf
den schlechten Geschäftsgang gewährt wurden und die unter den gleichen
Umständen von unabhängigen Dritten nicht zugestanden worden wären
(Kreisschreiben, Ziff. 3 lit. b).

    c) Davon ausgehend, dass auf Sanierungsleistungen zurückgehende
Buchgewinne zum steuerbaren Ertrag gehören, sind Ausnahmen von diesem
Prinzip nur zurückhaltend zuzulassen. Die in der Steuerlehre vorherrschend
vertretene Auffassung, es sei jede Sanierungsleistung eines Beteiligten
ohne Rücksicht auf die Form (Kapitaleinzahlung oder Forderungsverzicht)
als erfolgsneutraler Wertzugang zu behandeln, ausschlaggebend sei einzig,
dass die Sanierungsleistung vom Anteilsinhaber in seiner Eigenschaft
als Beteiligter erbracht worden sei (für viele: CAGIANUT/HÖHN, aaO, § 12
N. 28, S. 382), kann nicht geteilt werden. Sie schiesst übers Ziel hinaus,
sowohl hinsichtlich der Regelung des Verlustabzugs in Art. 58 Abs. 2
BdBSt, wie auch im Blick auf eine Ertragsbesteuerung nach den wirklichen
wirtschaftlichen Verhältnissen bei der Sanierung der Gesellschaft durch
Beteiligte. Sie grenzt zu wenig genau die erfolgsneutralen Kapitaleinlagen
von den erfolgswirksamen Sanierungsleistungen ab, die auch ein Beteiligter
- wie ein Dritter - erbringen kann. Mit der Tatsache allein, dass
ein Aktionär auf eine ihm gegenüber der Aktiengesellschaft zustehende
Forderung verzichtet hat, auch wenn die Forderung aus Darlehensgewährung
stammt, ist nicht dargetan, dass der Aktionär eine Leistung erbracht hat,
die steuerlich als Kapitaleinlage zu behandeln wäre; dies besonders dann
nicht, wenn die Forderung - wie im vorliegenden Fall (nebst der Bezahlung
von Gründungskosten) - auf Warenlieferung zurückzuführen ist.

    d) Die Forderung, auf welche die S. AG in der im Jahre 1978
erfolgten Sanierung verzichtet hat, ist nur zum Teil auf die Gewährung
eines Darlehens zurückzuführen. Abgesehen davon hat die H. AG bzw. die
D. AG in keiner Weise dargetan, dass das Darlehen einem Dritten nicht
zugestanden worden wäre und wirtschaftlich betrachtet eine Kapitaleinlage
gewesen sei. Aufgrund dieser Tatsachen steht fest, dass der strittige
Forderungsverzicht der S. AG eine erfolgswirksame Sanierungsleistung
darstellt, und der entstandene (echte) Sanierungsgewinn dementsprechend
steuerlich erfolgswirksam zu behandeln ist. Mit dieser Qualifikation
ist auch die Frage der Verrechnung in dem Sinne entschieden, dass bei
der Veranlagung der Bundessteuer 1985/86 die geltend gemachten früheren
Verluste von Fr. 249'287.-- nicht zur Verrechnung gebracht werden
können. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist damit gutzuheissen.