Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 115 IB 209



115 Ib 209

30. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 29.
September 1989 i.S. Alois Giger gegen Verwaltungsrekurskommission des
Kantons St. Gallen (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) Regeste

    Entlassung von Grundstücken aus der Unterstellung unter das LEG
(Art. 1, 4, 84 ff. LEG; Art. 1 Verordnung zum LEG).

    1. Der kantonale Rekursentscheid über die neu einzuführende,
aufrechtzuerhaltende oder aufzuhebende Unterstellung einer Liegenschaft
unter das Entschuldungsgesetz beruht auf Bundesrecht. Gegen Entscheide
der kantonalen Rekursbehörden nach Art. 3 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 LEG
ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ans Bundesgericht zulässig (E. 1a).

    2. Die Zugehörigkeit zu einem landwirtschaftlichen Betrieb ist ein
selbständiges Charakterisierungselement einer landwirtschaftlichen
Liegenschaft im Sinne von Art. 1 Abs. 2 der Verordnung über die
Entschuldung landwirtschaftlicher Heimwesen (E. 2b). Sie ist nach
objektiven Kriterien, nötigenfalls mit Hilfe hypothetischer Annahmen,
zu beurteilen. Als erhebliche, d.h. eine Aufhebung begründende,
wirtschaftliche Änderungen im Sinne von Art. 4 Abs. 1 LEG können nur solche
verstanden werden, die - unabhängig von Dispositionen des Eigentümers -
den landwirtschaftlichen Charakter eines Grundstücks dahinfallen lassen
(E. 3b).

Sachverhalt

    A.- Alois Giger ist Eigentümer eines landwirtschaftlichen Heimwesens
in Altwies, Kaltbrunn/SG, mit einer Fläche von insgesamt rund 264 000 m2
(= 26,4 ha). Seit 1951 untersteht das Heimwesen dem Bundesgesetz über
die Entschuldung landwirtschaftlicher Heimwesen vom 12. Dezember 1940
(Entschuldungsgesetz, LEG; SR 211.412.12). Die Unterstellung ist im
Grundbuch angemerkt.

    Am 10. Dezember 1987 beantragte Alois Giger dem Grundbuchamt
Kaltbrunn, die Grundstücke Nrn. 884 (mit dem Haus Nr. 147) und 890 (mit
dem Haus Nr. 150) aus der Unterstellung unter das Entschuldungsgesetz
zu entlassen. Aufgrund der Stellungnahmen des Präsidenten der
landwirtschaftlichen Schätzungskommission und des landwirtschaftlichen
Betriebsberaters lehnte das Grundbuchamt das Gesuch ab, weil einerseits
für einen Betrieb der vorliegenden Grösse neben einem Bauernhaus auch
ein Stöckli notwendig sei und sich anderseits die Verhältnisse seit der
Unterstellung nicht wesentlich geändert hätten.

    Alois Giger erhob hiegegen Beschwerde an die
Verwaltungsrekurskommission des Kantons St. Gallen. Nach einem Augenschein
hiess die Verwaltungsrekurskommission die Beschwerde teilweise gut, indem
sie das Grundstück Nr. 884 mit dem Wohnhaus Nr. 147 aus der Unterstellung
unter das Entschuldungsgesetz entliess.

    Alois Giger führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Rechtsbegehren,
das Grundstück Nr. 890 mit dem Wohnhaus Nr. 150 sei ebenfalls aus
der Unterstellung unter das Entschuldungsgesetz zu entlassen und der
in diesem Punkt gegenteilige Entscheid der Verwaltungsrekurskommission
insoweit aufzuheben; eventualiter sei die Sache zu neuer Entscheidung an
die Vorinstanz zurückzuweisen.

    Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- a) Im Kanton St. Gallen ist das Grundbuchamt erstinstanzliche
Unterstellungsbehörde (Art. 1 Abs. 1 der kantonalen Vollzugsverordnung über
die Verhütung der Überschuldung landwirtschaftlicher Liegenschaften vom
10. Januar 1947 [Vollzugsverordnung; sGS 611.51]). Gegen seine Verfügungen
ist die Rekursmöglichkeit an die kantonale Verwaltungsrekurskommission
gegeben (Art. 2 der erwähnten Vollzugsverordnung in Verbindung mit
Art. 3 Abs. 1 LEG). Angefochten ist ein Beschwerdeentscheid der
Verwaltungsrekurskommission des Kantons St. Gallen.

    Obwohl nach Art. 3 Abs. 1 LEG die kantonale Rekursinstanz endgültig
entscheidet, hat das Bundesgericht in BGE 107 Ib 286 ff. die Zulässigkeit
der Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen Entscheide der kantonalen
Rekursbehörden nach Art. 3 Abs. 1 LEG (betreffend Unterstellung) und Art. 7
Abs. 1 LEG (betreffend Schätzung) bejaht, und zwar gestützt auf die 1968
revidierten Bestimmungen der Art. 97 ff. OG (BGE 107 Ib 287 E. 1a). Daran
ist festzuhalten; ebenso daran, dass der kantonale Rekursentscheid über die
neu einzuführende, aufrechtzuerhaltende oder aufzuhebende Unterstellung
einer Liegenschaft unter das Entschuldungsgesetz auf Bundesrecht beruht
(BGE 107 Ib 288 E. 1b).

    Sind somit die sachliche und funktionelle Zuständigkeit des
Bundesgerichts wie auch die übrigen Prozessvoraussetzungen, insbesondere
die Legitimation im Sinne von Art. 103 lit. a OG (BGE 114 V 96 E. 2b, mit
Hinweisen), gegeben, ist auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde einzutreten.

Erwägung 2

    2.- a) In rechtlicher Hinsicht hat die Verwaltungsrekurskommission
die Sache unter dem Gesichtspunkt von Art. 1 Abs. 2 der Verordnung über
die Entschuldung landwirtschaftlicher Heimwesen vom 16. November 1945
(Verhüt-Verordnung; SR 211.412.120) geprüft. Auch der Beschwerdeführer
geht von dieser Betrachtungsweise aus.

    b) Nach Art. 1 Abs. 2 Verhüt-Verordnung ist landwirtschaftliche
Liegenschaft jede Bodenfläche,

    - die durch Bewirtschaftung und Ausnützung der natürlichen Kräfte
des Bodens den ihr eigenen Wert erhält,

    - oder zu einem Betrieb gehört, der in der Hauptsache der Gewinnung
und Verwertung organischer Stoffe des Bodens dient.

    Nach Abs. 3 gelten als landwirtschaftliche Liegenschaften namentlich
Grundstücke, die dem Acker-, Wiesen-, Wein-, Mais-, Tabak-, Obst-,
Feldgemüse- und Saatgutbau oder der Alpwirtschaft dienen.

    Nach Auffassung von OTTO K. KAUFMANN (Das neue ländliche Bodenrecht
der Schweiz, 1946), liegt in Anlehnung an die Definition in Art. 1
Verhüt-Verordnung ein landwirtschaftliches Grundstück vor, wenn drei
Voraussetzungen gegeben sind:

    - landwirtschaftliche Bewirtschaftung;

    - Bewertung im freien Grundstückverkehr ausschliesslich nach Massgabe
des jährlichen Bodenertrages;

    - Zugehörigkeit zu einem landwirtschaftlichen Betrieb.

    Sei keine dieser drei Voraussetzungen gegeben, so handle es sich
nicht um ein landwirtschaftliches Grundstück. Schwierigkeiten würden sich
ergeben, wenn nur einzelne von den drei Elementen vorliegen (KAUFMANN,
aaO, S. 97). Die Vorschriften des Entschuldungsgesetzes würden nach der
angeführten Definition auf alle Grundstücke Anwendung finden, die zu
einem landwirtschaftlichen Betrieb gehören oder bei denen die beiden
andern Elemente (landwirtschaftliche Benutzung und Bewertung nach dem
Bodenertrag) gegeben seien (KAUFMANN, aaO, S. 99). Die Zugehörigkeit zu
einem landwirtschaftlichen Betrieb als den landwirtschaftlichen Charakter
des Grundstücks begründendes Moment wird zum Teil auch in der weiteren
Literatur zutreffend als selbständiges Charakterisierungselement einer
landwirtschaftlichen Liegenschaft hervorgehoben (FRANZ BÄCHTIGER, Der
Begriff des landwirtschaftlichen Heimwesens und der landwirtschaftlichen
Liegenschaft, in: Das neue landwirtschaftliche Bodenrecht der
Schweiz, Referate des 76. schweizerischen Verwaltungskurses an der
Handels-Hochschule St. Gallen, 1954, S. 19).

    Nicht entscheidend, weil in Art. 1 Abs. 2 und 3 Verhüt-Verordnung nicht
erwähnt, ist hingegen, ob die Liegenschaft in einer landwirtschaftlichen
Gegend liegt (vgl. BLAISE KNAPP, Les immeubles affectés à l'agriculture et
leur assujettissement à la loi fédérale sur le désendettement de domaines
agricoles, 2. Aufl., Neuchâtel 1943, S. 19 ff., allerdings vor Erscheinen
der Verhüt-Verordnung).

Erwägung 3

    3.- a) Im Streit liegt die Entlassung des Grundstücks Nr. 890 mit dem
Haus Nr. 150 aus der LEG-Unterstellung. Gemäss Feststellung der Vorinstanz,
welche einen Augenschein durchgeführt hat, besteht diese Liegenschaft aus
1863 m2 Gebäudegrundfläche, Hofraum und Wiese. Weil das Wohnhaus Nr. 150
unbestrittenerweise seit langem an einen Nichtlandwirt vermietet ist und
weil die Grundstücksfläche mit 1863 m2, wovon erst noch nur ein Teil für
Hofraum und Wiese verbleibt, im Vergleich zur gesamten Fläche des Anwesens
von rund 26,4 ha verschwindend klein ist, kann weder gesagt werden, das
Grundstück Nr. 890 diene der landwirtschaftlichen Bewirtschaftung, noch
erhalte es dadurch bzw. durch die Ausnützung seiner natürlichen Kräfte
den ihm eigenen Wert. Das ist zwischen Vorinstanz und Beschwerdeführer
unbestritten. Fraglich ist einzig, ob das Grundstück Nr. 890 im Sinne
der weiteren Voraussetzung von Art. 1 Abs. 2 Verhüt-Verordnung zu einem
landwirtschaftlichen Betrieb gehört.

    b) Vorinstanz wie Beschwerdeführer gehen nicht von einer
zivilrechtlichen Zugehörigkeit aus (die vorliegend offensichtlich zu
bejahen wäre), sondern von einer wirtschaftlichen Zugehörigkeit, indem
ihre Auseinandersetzung zur Hauptsache dahin geht, ob das Wohnhaus
Nr. 150 zur Deckung des Wohnraumbedarfs des landwirtschaftlichen
Heimwesens erforderlich ist. Ferner nehmen Verwaltungsrekurskommission und
Beschwerdeführer übereinstimmend an, bei der Ermittlung des objektiven
Wohnraumbedarfs sei nicht von der gegenwärtigen, auf die Sömmerung von
Vieh beschränkten Bewirtschaftung auszugehen; vielmehr sei zu fragen,
welchen Wohnraum das landwirtschaftliche Heimwesen insgesamt erfordern
würde, wenn darauf eine Familie voll erwerbstätig wäre.

    Anders als im Bereich von Art. 19 des Bundesgesetzes über die Erhaltung
des bäuerlichen Grundbesitzes vom 12. Juni 1951 (Erhaltungsgesetz, EGG; SR
211.412.11), wo die bloss wirtschaftliche Zugehörigkeit nicht genügt (BGE
82 I 264 ff. E. 1), hängt die Zugehörigkeit einer Liegenschaft im Sinne
von Art. 1 Abs. 2 Verhüt-Verordnung davon ab, ob das konkrete einzelne
Grundstück einem bäuerlichen Betrieb dient (KAUFMANN, aaO, S. 102). Ob
der Betrieb, dem ein Grundstück als Bestandteil zuzurechnen ist, eine
ausreichende landwirtschaftliche Existenz darstellt, ist allerdings für
die Unterstellungsfrage nicht ausschlaggebend. Insoweit ist gegen die
vorinstanzliche Beurteilung nichts einzuwenden. Fraglich ist aber, ob die
Vorinstanz zu Recht die wirtschaftlich zudienende Funktion des Grundstücks
Nr. 890 mit dem Wohnhaus Nr. 150 für den landwirtschaftlichen Betrieb des
Beschwerdeführers nicht im Lichte der gegenwärtigen aktuellen Verhältnisse,
sondern vielmehr aufgrund hypothetischer Annahmen geprüft hat, wie es
sich verhielte, wenn der Beschwerdeführer (oder sonst ein Eigentümer)
das Anwesen als Familienbetrieb voll bewirtschaftete. Dies trifft ja
unbestrittenerweise seit langem nicht mehr zu, indem der Beschwerdeführer
nicht einmal mehr nebenberuflich sein Anwesen bewirtschaftet, sondern
lediglich noch Vieh aus dem Unterland zur Sömmerung entgegennimmt.

    Für diese Auffassung lässt sich dem Wortlaut von Art. 1 Abs. 2
Verhüt-Verordnung nichts entnehmen. Die Doktrin anerkennt als
Aufhebungsgrund gemäss Art. 4 Abs. 1 LEG insbesondere wirtschaftliche
Änderungen, welche die früher ermittelte Qualität als landwirtschaftliches
Heimwesen/landwirtschaftliche Liegenschaft dahinfallen lassen (ALFONS AUF
DER MAUR, Der Schutz der Gläubigerrechte nach dem Bundesgesetz über die
Entschuldung landwirtschaftlicher Heimwesen, Diss. Freiburg 1949, S. 37;
HEINRICH OECHSLIN, Die Entschuldung landwirtschaftlicher Heimwesen nach dem
Bundesgesetz vom 12. Dezember 1940, Diss. Freiburg 1944, S. 69; vgl. auch
BBl 1936 II 234 Ziff. 4, wo ferner festgehalten wird, landwirtschaftliche
Liegenschaften könnten im Laufe der Jahre zu Baugrundstücken werden,
sei es durch Abtrennung von einzelnen Parzellen, sei es durch Einbezug
in Baugebiet). Hingegen sind die vorinstanzlichen Erwägungen im
Ergebnis begründet, wenn der Stellenwert des Entschuldungsgesetzes im
gesamten Gefüge des bäuerlichen Bodenrechts beachtet wird; denn dieses
ist insgesamt eindeutig auf eine Erhaltung lebensfähiger bäuerlicher
Betriebe ausgerichtet (vgl. etwa Art. 75 Abs. 3 LEG). So wie im Bereich des
Erhaltungsgesetzes die objektive landwirtschaftliche Nutzungseignung, und
nicht die tatsächliche Nutzung das massgebliche Kriterium bildet (BGE 113
II 444 E. 2) und es auf zumutbare Anstrengungen und Dispositionen ankommt
(BGE 113 II 445 E. 3, 109 Ib 93), ist die Zugehörigkeit einer Liegenschaft
zu einem landwirtschaftlichen Betrieb im Sinne von Art. 1 Abs. 2 Verhüt-
Verordnung ebenfalls nach objektiven Kriterien, nötigenfalls mit Hilfe
hypothetischer Annahmen zu beurteilen (so zutreffend ZBGR 63/1982 S. 170
E. 1c, mit zahlreichen Hinweisen); denn sonst hätte es der Grundeigentümer
in der Hand, durch eine nicht schutzwürdige Einschränkung der bäuerlichen
Bewirtschaftung ein landwirtschaftliches Grundstück dem Entschuldungsgesetz
zu entziehen. Somit können als erhebliche, d.h. eine Aufhebung begründende,
wirtschaftliche Änderungen im Sinne von Art. 4 Abs. 1 LEG nur solche
neuen Verhältnisse verstanden werden, die - unabhängig von Dispositionen
des Eigentümers - den landwirtschaftlichen Charakter eines Grundstückes
dahinfallen lassen, etwa dadurch, dass die Liegenschaft als Bauland
eingezont und erschliessbar wird (ZBGR 45/1964 S. 38).

    c) Ist aber im vorliegenden Fall der Wohnraumbedarf für das
landwirtschaftliche Anwesen des Beschwerdeführers so zu ermitteln, wie
wenn eine Familie dort wohnen und den Betrieb bewirtschaften würde,
so lässt sich die Beurteilung der Verwaltungsrekurskommission nicht
beanstanden. Sämtliche Vorbringen in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde
widerlegen die Feststellung der Vorinstanz nicht, dass das Wohnhaus
Nr. 150 "sich von der Lage, dem Zustand und dem verfügbaren Wohnraum
her am besten als Wohnhaus eines Betriebsinhabers" eignet. Es ist auch
nichts dagegen einzuwenden, dass die Vorinstanz aufgrund des Augenscheines
zur Überzeugung gelangte, das Haus Nr. 158, das eine umgebaute Scheune
ist, vermöge zwar als Stöckli im Sinne der kantonalen Baugesetzgebung,
nicht aber als Familienwohnung für einen Betriebsleiter zu genügen. Dass
schliesslich für ein Heimwesen der vorliegenden beträchtlichen Grösse,
wenn es durch eine Familie voll bewirtschaftet würde, ein Wohnhaus und
ein Stöckli erforderlich wären, lässt sich ebenfalls nicht mit Grund
in Abrede stellen. Dem Umstand, dass seit der Unterstellung unter das
Entschuldungsgesetz im Jahre 1951 zusätzlicher Wohnraum geschaffen
wurde, wie der Beschwerdeführer einwendet, hat die Rekurskommission
mit der Entlassung des Grundstücks Nr. 884 mit dem Wohnhaus Nr. 147
bereits genügend Rechnung getragen. Darüber hinaus liegen insgesamt keine
wesentlich veränderten Verhältnisse im Sinne von Art. 4 Abs. 1 LEG vor,
weshalb dem Begehren um Entlassung des Grundstücks Nr. 890 mit dem Wohnhaus
Nr. 150 nicht stattgegeben werden kann.