Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 115 IB 202



115 Ib 202

28. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung
vom 16. Juni 1989 i.S. G. SA gegen Eidg. Zollverwaltung und
Eidg. Zollrekurskommission (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) Regeste

    Zulässigkeit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde (Art. 100 lit.  h OG).

    Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist hinsichtlich der zollrechtlichen
Tarifierung selbst dann unzulässig, wenn diese zu andern Zwecken als zur
Zollerhebung erfolgt (Änderung der Rechtsprechung).

Sachverhalt

    A.- Im Auftrag der G. SA deklarierte die Speditionsfirma W.  am
29. April 1986 dem Zollamt Stein-Bad Säckingen eine Sendung Weizenkroketten
nach der Tarif-Nr. 1905.01 (Nahrungsmittel) zur Einfuhrverzollung. Das
Zollamt revidierte die Sendung und zog davon ein Muster. Zwei weitere
Sendungen wurden am 14. Mai und am 1. August 1986 im Auftrag der G. SA
von der Speditionsfirma R. beim Zollamt Stein-Bad Säckingen nach der
Tarif-Nr. 1905.01 zur Einfuhrverzollung angemeldet. Das Zollamt nahm die
Deklarationen an, revidierte die Sendungen und zog davon Muster, die es
dem chemisch-technischen Dienst der Oberzolldirektion zur Überprüfung
der Tarifeinreihung vorlegte.

    Gestützt auf die Untersuchungsberichte des chemisch-technischen
Dienstes der Oberzolldirektion verfügte die Zollkreisdirektion Basel
am 16. Juni 1986, dass die am 29. April 1986 eingeführte Ware nach
der Tarif-Nr. 2307.10 (Tierfutter) zu verzollen und nachträglich eine
Verzollungsermächtigung der Genossenschaft für Getreide und Futtermittel
einzuverlangen sei. Zwei weitere Verfügungen bezüglich der Einfuhren vom
14. Mai und vom 1. August 1986 mit im wesentlichen gleichlautendem Inhalt
erliess die Zollkreisdirektion Basel am 2. Juli und am 18. August 1986.

    Die Oberzolldirektion bestätigte die drei Verfügungen mit Entscheid
vom 22. Januar 1987. Eine Beschwerde an die Eidg. Zollrekurskommission
blieb erfolglos.

    Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde vom 14. September 1988 stellt
die G. SA den Antrag, der Entscheid der Eidg. Zollrekurskommission vom
20. Mai 1988 sei aufzuheben und es sei zu erkennen, dass die deklarierten
Waren nach Tarif-Nr. 1905.01 zu verzollen seien und es folglich einer
Verzollungsermächtigung der Genossenschaft für Getreide und Futtermittel
nicht bedürfe.

    Das Bundesgericht tritt auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde
nicht ein.

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- a) Der angefochtene Entscheid stützt sich auf öffentliches
Recht des Bundes und unterliegt daher grundsätzlich gemäss
Art. 97 f. OG der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, soweit diese nicht
ausdrücklich ausgeschlossen wird. Gemäss Art. 100 lit. h OG ist die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde unzulässig

    "auf dem Gebiete der Zölle:

    (gegen) Verfügungen über deren Veranlagung, soweit diese von der

    Tarifierung oder von der Gewichtsbemessung abhängt."

    Aus dem Wortlaut dieser Bestimmung schloss das Bundesgericht in BGE
102 Ib 229 e contrario, die Verwaltungsgerichtsbeschwerde sei zulässig
gegen Entscheide der Eidg. Zollrekurskommission, die nicht "das Gebiet
der Zölle" beschlagen, namentlich Entscheide über die Tarifierung zu
andern Zwecken als der Zollerhebung (vgl. Art. 109 Abs. 1 lit. c Ziff. 2
Zollgesetz; SR 631.0).

    b) Das Bundesgericht hat die Ausschlussbestimmung hinsichtlich der
Tarifierung auch in anderer Hinsicht - allerdings ohne nähere Begründung
- eng gehandhabt, indem es die Sachverhaltsfeststellungen der Eidg.
Zollrekurskommission, welche Grundlage für die Einreihung in den
Zolltarif bilden, in verschiedenen nicht veröffentlichten Entscheiden
überprüfte (allerdings mit den sich aus Art. 105 Abs. 2 OG ergebenden
Einschränkungen). Diese Praxis hat das Bundesgericht im - ebenfalls
unveröffentlichten - Urteil i.S. D. Metallhandel AG vom 31. Oktober
1985 verlassen.

    Bei der Tarifierung geht es um die Subsumtion eines Tatbestandes unter
eine Position des Zolltarifes. Die Sachverhaltsfeststellung lässt sich
von der rechtlichen Qualifikation vernünftigerweise nicht trennen. Wenn
schon die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ausgeschlossen ist, weil sich
die Tarifierung für die Überprüfung durch das Bundesgericht nicht
eignet (BGE 106 Ib 271), gilt dies erst recht für die darauf bezügliche
Sachverhaltsfeststellung. Die Frage nach der Beschaffenheit einer Ware
ist in der Regel die "technischere" Seite der Tarifierung: häufig steht
mit der Bestimmung der Ware auch die anwendbare Tarifposition bereits fest
und kann nicht mehr ernsthaft in Zweifel gezogen werden. Anderseits lässt
sich die Beschaffenheit einer Ware nur im Hinblick auf eine konkrete
Zollposition ermitteln, da sich erst aus dieser ergibt, nach welchen
(v.a. naturwissenschaftlichen) Gesichtspunkten eine Ware zu untersuchen
bzw. zu bestimmen ist. Die Bestimmung der Beschaffenheit einer Ware und
der entsprechend anwendbaren Tarifposition lassen sich somit nur schwer
auseinanderhalten; folglich kann die Verwaltungsgerichtsbeschwerde nicht
in einem Fall gegeben und im andern unzulässig sein; sie ist in beiden
Fällen unzulässig.

    Eine solche Auslegung von Art. 100 lit. h OG findet ihre Stütze
auch in den Materialien (zur Entstehungsgeschichte der Bestimmung
vgl. BGE 102 Ib 229/30): Während der Nationalrat vorschlug, die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde sei auszuschliessen "auf dem Gebiete der
Zölle: gegen deren Festsetzung, soweit es sich um die Zolltarifierung
handelt" (Amtl.Bull. 1967 N 35), wurde durch den Ständerat schliesslich
auch die Gewichtsbemessung - welche die Feststellung der Warenmenge
zum Gegenstand hat - der Tarifierung gleichgestellt (Amtl.Bull. 1967 S
351/2). Daraus erhellt die Absicht, ausgesprochen "technische" Fragen
(wie die der Gewichtsbemessung) der endgültigen Beurteilung durch ein mit
Fachleuten aus verschiedenen Wirtschaftszweigen besetztes Spezialgericht
zu überlassen.

    c) Im genannten Urteil i.S. D. Metallhandel AG (und in einem weiteren
Urteil gleichen Datums i.S. K. & Cie AG) warf das Bundesgericht die Frage
auf, ob an der Praxis festgehalten werden könne, wonach der Ausschluss
der Verwaltungsgerichtsbeschwerde zur Überprüfung der Tarifierung dann
nicht gilt, wenn sie zu andern Zwecken als zur Zollerhebung erfolgt
(BGE 102 Ib 227 ff.). Denn die vorwiegend "technische" Frage, um
was für eine Ware es sich handelt und unter welche Tarifposition sie
einzureihen ist, behält ihren "technischen" Charakter unverändert,
wenn davon die Bewilligungspflicht für Ein- und Ausfuhr und nicht nur
der geschuldete Zollbetrag abhängt. Die damals offengelassene Frage ist
heute zu entscheiden.

    d) Auf dem ganzen Gebiet der Zölle ist die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde grundsätzlich zulässig (und zwar
sowohl gegenüber Entscheiden der Oberzolldirektion wie auch der
Eidg. Zollrekurskommission und des Eidg. Finanzdepartements; vgl. Art. 109
Abs. 1 lit. e i.V.m. lit. c und d Zollgesetz). Der Gesetzgeber wollte die
Materie der Zölle als solche nicht von der Verwaltungsgerichtsbeschwerde
ausnehmen. Wenn er den Ausschluss auf Verfügungen über Zollveranlagungen
beschränkte, soweit diese von der Tarifierung (oder Gewichtsbemessung)
abhängen, tat er dies nicht deswegen, weil es "nur" um die Veranlagung
von Zöllen geht, sondern weil er die Tarifierung nicht für justitiabel
hielt. Das ergibt sich, wie dargelegt (E. 2b), aus den Materialien. Etwas
anderes lässt sich daraus nicht ableiten.

    In BGE 102 Ib 230/31 legte das Bundesgericht Gewicht auf die
Feststellung, schon der Bundesrat habe im Revisionsentwurf von der
"Festsetzung des Zollbetrages" gesprochen, wie auch der schliesslich
verabschiedete Gesetzestext vom "Gebiet der Zölle" und "deren Veranlagung"
spreche. Das bedeutet aber nicht, dass die Tarifierung zu andern Zwecken
als der Zollerhebung nicht unter die Ausschlussbestimmung fällt. Vielmehr
erscheint der Wortlaut gemessen an der gesetzgeberischen Absicht, nicht
justitiable Fragen von der Verwaltungsgerichtsbeschwerde auszunehmen,
als zu eng, auch noch in der vom Parlament modifizierten Fassung von
Art. 100 lit. h OG.

    Auch wenn die Tarifierung zu andern Zwecken als der Zollerhebung
erfolgt, geht es um die Anwendung des Zolltarifs, also von
Zollrecht. Entsprechend ist auch die Zuständigkeit der Zollbehörden,
insbesondere der Eidg. Zollrekurskommission als Spezialverwaltungsgericht
gegeben (Art. 109 Abs. 1 lit. c Ziff. 2 Zollgesetz). Es handelt sich
also nicht nur um eine zollrechtliche Vorfrage, die bei der Handhabung
von wirtschaftspolitischen Massnahmen von Bedeutung und durch die hiefür
zuständigen Behörden (Genossenschaft für Getreide und Futtermittel, Eidg.
Volkswirtschaftsdepartement) zu entscheiden ist; vielmehr ist nach der
gesetzlichen Regelung auch in diesen Fällen über die Zolleinreihung
separat und durch die Zollbehörden selbst zu befinden. Insofern geht es
in einem weiteren Sinne um Verfügungen "auf dem Gebiet der Zölle" und
"deren Veranlagung": eben um eine zollrechtliche Tarifierung, d.h. den
Entscheid darüber, welche Zolltarifposition auf eine Ware anzuwenden
ist. Diese Entscheide müssen stets von der Verwaltungsgerichtsbeschwerde
ausgeschlossen sein.

    e) Eine andere Auslegung könnte im übrigen zu praktisch unhaltbaren
Zuständen führen. Häufig stellt sich nämlich die Tarifierungsfrage sowohl
im Zusammenhang mit der Zollveranlagung als auch für andere Zwecke. So zum
Beispiel im vorliegenden Fall, wo die angefochtene neue Tarifeinreihung
einerseits zu einer Reduktion des Zollansatzes führt, anderseits aber
Preiszuschläge und Kontingentsunterstellung zur Folge hat.

    Wollte man nun den Ausschluss der Verwaltungsgerichtsbeschwerde nur
für die Zollveranlagung im engen Sinn annehmen, hätte dies zur Folge,
dass das Bundesgericht die Tarifierung in diesem Zusammenhang nicht
überprüfen, aber im Zusammenhang mit der Ausfuhrbewilligung überprüfen
könnte. Wenn das Bundesgericht zu einem andern Resultat gelangte als die
Zollrekurskommission, bestünden über die gleiche konkrete Situation -
aber je in einem andern Kontext - sich widersprechende rechtskräftige
Entscheide. Wenn schon der Gesetzgeber die Zollbehörden zur Tarifierung
für andere Zwecke als die Zollerhebung für zuständig erklärt (Art. 109
Abs. 1 lit. c Ziff. 2 Zollgesetz), die Verwaltungsgerichtsbeschwerde aber
gegen die Tarifierung bei der Zollveranlagung ausschliesst, muss dieser
Ausschluss auf sämtliche Tarifverfügungen bezogen werden.

    Damit ergibt sich, dass an der Praxis gemäss BGE 102 Ib 227 ff. nicht
festgehalten werden kann.