Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 115 IB 193



115 Ib 193

26. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom
14. März 1989 i.S. X. gegen Staatsanwaltschaft und Anklagekammer des
Kantons St. Gallen (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) Regeste

    Internationale Rechtshilfe in Strafsachen.

    1. Der ersuchende Staat ist weder im Beschwerde- noch
im Vollzugsverfahren Partei. Vom Beschuldigten im Rahmen des
Rechtshilfeverfahrens bei der ersuchten Behörde eingereichte
Rechtsschriften sind ihm daher nicht herauszugeben.

    2. Der ersuchte Staat muss die Ausscheidung der dem ersuchenden Staat
herauszugebenden Unterlagen selber vornehmen; würde sie grundsätzlich an
den ersuchenden Staat delegiert, so würden dadurch - selbst wenn dieser
einen neutralen Experten beiziehen würde - die Regelungen betreffend
Spezialität und Schutz der Geheimsphäre des betroffenen Beschuldigten
sowie allfälliger Dritter ernsthaft in Frage gestellt.

Sachverhalt

    A.- Im Anschluss an eine Meldung des Bundesamtes für
Energiewirtschaft vom 14. Februar 1986 führte die Bundesanwaltschaft ein
gerichtspolizeiliches Ermittlungsverfahren gegen die Verantwortlichen
verschiedener Firmen wegen unerlaubten Exportes von Autoklaven. Im
Rahmen dieses Ermittlungsverfahrens wurden von der Bundesanwaltschaft
neun Ordner mit Unterlagen sichergestellt, welche sich in den Büros des
in der Schweiz wohnhaften BRD-Bürgers X., einem Geschäftsführer einer
der betroffenen Firmen, befanden. Die sichergestellten Ordner enthielten
Pläne und andere Dokumente mit Beschreibungen von Autoklaven und sonstigen
Installationen für Urananreicherungsanlagen, welche von der deutschen
Z. GmbH stammten. X. soll die fraglichen Unterlagen unberechtigterweise
kopiert und übernommen und sie ebenso unberechtigterweise Konkurrenzfirmen
der Z. GmbH weitergegeben haben.

    Gestützt auf eine von der Z. GmbH eingereichte Strafanzeige
eröffnete die Staatsanwaltschaft beim Landgericht in Aachen ein
Ermittlungsverfahren gegen X. wegen Verdachts des Verstosses gegen das
deutsche Urheberrechtsgesetz und wegen allfälliger anderer Straftaten. Am
29. Oktober 1986 ordnete das Amtsgericht von Aachen die Beschlagnahme
der in den Büros von X. sichergestellten Unterlagen an. Am 6. November
1986 ersuchte die Staatsanwaltschaft Aachen das Bezirksamt Werdenberg
um Rechtshilfe in dem gegen X. eröffneten Strafverfahren, namentlich um
Herausgabe der fraglichen Unterlagen und um Einvernahme des Beschuldigten
X. Die diesen betreffende Strafuntersuchung wurde in der Folge an das
Amtsgericht von Köln übertragen.

    Mit Entscheid vom 16. Oktober 1987 entsprach der Untersuchungsrichter
Rheintal/Werdenberg dem Rechtshilfeersuchen dahingehend, dass er anordnete,
fünf der neun sichergestellten Ordner seien der ersuchenden Behörde
herauszugeben, und nebstdem sei der Beschuldigte X. einzuvernehmen; die
Rechtshilfe werde unter dem Spezialitätsvorbehalt geleistet, dass das
herausgegebene Material nicht für Verfahren verwendet werden dürfe, die
nicht Gegenstand des Rechtshilfeersuchens bildeten. Am 25. November 1987
wies die Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen eine von X. gegen diesen
Entscheid erhobene Beschwerde ab. In der Folge führte X. auch hiergegen
Beschwerde. Am 30. März 1988 verweigerte die Anklagekammer des Kantons
St. Gallen die Rechtshilfe vorläufig und räumte der Staatsanwaltschaft
Köln gestützt auf Art. 28 Abs. 6 IRSG Gelegenheit zur Ergänzung des
Ersuchens ein.

    Am 4. Mai 1988 ergänzte die Staatsanwaltschaft Köln das
Rechtshilfeersuchen. Mit Schreiben vom 7. Juli 1988 äusserte sie sich zur
Eingabe des Beschuldigten X. vom 24. Juni 1988, mit der dieser definitive
Verweigerung der Rechtshilfe verlangt hatte.

    Am 4. November 1988 wies die Anklagekammer des Kantons St. Gallen die
von X. gegen den Entscheid der Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen
erhobene Beschwerde endgültig ab. Nebstdem traf sie folgende Anordnung:

    "2. Die vorläufig sichergestellten Unterlagen werden den deutschen

    Strafverfolgungsbehörden unter folgenden Auflagen vollständig
   ausgehändigt:

    a) Die Verwendung der Unterlagen und aller darin enthaltenen Angaben
   unterliegt dem Spezialitätsvorbehalt gemäss der Verfügung des

    Untersuchungsrichters Rheintal/Werdenberg vom 16. Oktober 1987.

    Insbesondere ist die Verwendung der Unterlagen und aller darin
   enthaltenen Angaben im Strafverfahren gegen X. wegen Verstosses gegen
   das deutsche Aussenwirtschaftsgesetz ausgeschlossen.

    b) Es ist ein neutraler Experte zu bestimmen. Dieser hat die

    Ausscheidung der Unterlagen im Sinne der Erwägungen dieses Entscheides
   vorzunehmen.

    c) Durch den Experten ausgeschiedene Unterlagen sowie solche, die
   dem Verwertungsverbot im Sinne dieses Entscheides unterliegen, sind
   den schweizerischen Behörden zurückzugeben."

    Gegen diesen Entscheid erhob X. Verwaltungsgerichtsbeschwerde an
das Bundesgericht. Dieses hat die Beschwerde teilweise gutgeheissen und
Ziff. 2 lit. b und c des Entscheids (Dispositivs) der Anklagekammer vom
4. November 1988 aufgehoben.

Auszug aus den Erwägungen:

                  Auszug aus den Erwägungen:

Erwägung 6

    6.- Die Anklagekammer hat die Staatsanwaltschaft Köln wie eine
Prozesspartei behandelt, ihr gewisse Eingaben des Beschwerdeführers
zugestellt und sie zur Stellungnahme dazu eingeladen, obwohl der ersuchende
Staat weder im Beschwerde noch im Vollzugsverfahren Partei ist (s. BGE 113
Ib 272 E. 5b). Die Herausgabe von Eingaben des Beschuldigten, die dieser
den schweizerischen Behörden in dem hier hängigen Verfahren hat zukommen
lassen, stellt eine Massnahme dar, die den Beschuldigten schädigen und
jedenfalls seine Verteidigungsmöglichkeit beeinträchtigen kann. Deshalb hat
die Schweiz sich immer geweigert, dem ersuchenden Staat solche Schriften
des Beschuldigten im Rahmen des Rechtshilfeverfahrens herauszugeben. Das
genannte Vorgehen der Anklagekammer ist denn auch weder durch das EÜR
noch durch den Zusatzvertrag vorgesehen. Es rechtfertigt sich, dies
zuhanden der Vorinstanz festzustellen, auch wenn der Beschwerdeführer
eine entsprechende Rüge nicht erhoben hat.

    Die Anklagekammer hat angeordnet, es seien der ersuchenden Behörde
zwar alle sichergestellten Unterlagen auszuhändigen, doch nur diejenigen
Dokumente endgültig herauszugeben, die sich bei einer Durchsicht als für
das in der BRD geführte Strafverfahren erforderlich erweisen würden. Sie
hat sich allerdings geweigert, diese Ausscheidung selber vorzunehmen, und
hat vielmehr die ersuchende Behörde damit beauftragt, einen unabhängigen
Experten zu bestimmen und diesen mit der Ausscheidung der Unterlagen zu
betrauen. Solches Vorgehen ist nicht zulässig. Der zwischen der Schweiz und
der BRD abgeschlossene Zusatzvertrag zum EÜR erleichtert zwar in Art. III
und XII den Verkehr zwischen den Behörden des ersuchenden und des ersuchten
Staates, doch regelt er bezüglich Herausgabe von Auskünften an den
ersuchenden Staat nicht mehr als das EÜR selber. Massgebend im vorliegenden
Zusammenhang sind daher die Bestimmungen des internen Rechts, namentlich
die Art. 82 und 83 IRSG, welche die Geheimniswahrung und die Bedingungen
des Vollzugs eines Begehrens und damit der Aktenherausgabe regeln. Die
nur beschränkten Mitwirkungsmöglichkeiten, die Beamten des ersuchenden
Staates im Zusammenhang mit dem Vollzug eines Ersuchens zustehen (s. BGE
113 Ib 169 E. 7c mit Hinweisen), erhellen, dass der ersuchte Staat
eine Ausscheidung von Unterlagen, wie sie hier zur Diskussion steht,
selber vornehmen muss (allenfalls unter - auf das Nötigste begrenzter -
Mitwirkung von Vertretern des ersuchenden Staates). Würde eine solche
Ausscheidung grundsätzlich an den ersuchenden Staat delegiert, so würden
dadurch - selbst wenn dieser einen neutralen Experten beiziehen würde -
die Regelungen betreffend Spezialitätsgrundsatz (bzw. -vorbehalt) und
Schutz der Geheimsphäre des betroffenen Beschuldigten sowie allfälliger
Dritter ernsthaft in Frage gestellt.