Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 115 IA 378



115 Ia 378

58. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 19.
Dezember 1989 i.S. K. AG gegen Baudepartement des Kantons Basel-Stadt,
Appellationsgericht als Verwaltungsgericht des Kantons Basel-Stadt und X.
(staatsrechtliche Beschwerde) Regeste

    Art. 22ter BV; gesetzliche Grundlage des baselstädtischen
Wohnanteilplans.

    1. Die Delegation des Erlasses von Richtlinien für den bei Neubauten
einzuhaltenden Mindestwohnanteil an den Regierungsrat genügt dem
verfassungsrechtlichen Erfordernis, wonach die Delegationsnorm selbst
die Grundzüge der Regelung enthalten muss (E. 3).

    2. Ein Wohnanteilplan muss nicht als Nutzungsplan im Sinne von Art. 21
RPG festgesetzt werden. Es genügt vielmehr, wenn der Regierungsrat
einen Wohnanteilplan mit Richtzahlen erlässt und die Festsetzung des
einzuhaltenden Mindestwohnanteils im Einzelfall dem pflichtgemässen
Ermessen der Baubewilligungsbehörde überlässt (E. 4).

Sachverhalt

    A.- Die K. AG ist Eigentümerin des Eckgrundstücks
Allschwilerstrasse/Friedrichstrasse in Basel, das gemäss dem Bauzonenplan
für die Stadt Basel zum kleineren Teil in der Bauzone 4 für viergeschossige
Bauweise, zum grösseren Teil in der Bauzone 5a für Neubauten mit fünf
Vollgeschossen liegt. Am 27. Juni 1986 erhielt die K. AG vom Bauinspektorat
Basel-Stadt die Bewilligung zur Erstellung eines Geschäftshausneubaues;
dabei bewilligte das Bauinspektorat in Anwendung von § 6 Abs. 1 des
Hochbautengesetzes vom 11. Mai 1939 (HBG) für den Neubau die Anwendung
der Vorschriften der Bauzone 5a. Das Vorhaben sieht zwei Untergeschosse
für Lager und Laden vor. Die anschliessenden drei Obergeschosse sind für
Büros vorgesehen. Im vierten Obergeschoss und im Dachgeschoss sollten
gemäss den bewilligten Plänen vier Wohnungen eingerichtet werden (je eine
3 1/2-, 2 1/2-, 2- und 1 1/2-Zimmerwohnung).

    Am 18. Februar 1987 reichte die K. AG ein Baugesuch für die
Zweckänderung des vierten Obergeschosses und des Dachgeschosses
ein. Anstelle der vier Wohnungen sollten auch in diesen beiden Geschossen
Büros eingerichtet werden. Begründet wurde das Begehren mit dem Platzbedarf
des Unternehmens und der schlechten Lage der Wohnungen. Mit Entscheid
vom 26. Juni 1987 wies das Bauinspektorat dieses Begehren ab. Es stützte
sich dabei auf § 15 des Gesetzes zur Förderung des Wohnungsbaus vom
15. Januar 1970 (WBFG) sowie die gestützt auf § 15 Abs. 5 WBFG erlassene
regierungsrätliche Verordnung betreffend den Wohnflächenanteil vom
29. Januar 1985 (WAV) und den in § 3 Abs. 1 WAV für verbindlich erklärten
Wohnanteilplan Nr. 11 163 vom April 1983. Gegen diesen Entscheid ergriff
die K. AG ohne Erfolg Rekurs an die Baurekurskommission sowie gegen deren
Entscheid vom 3. Februar 1988 an das kantonale Verwaltungsgericht. Dieses
wies ihren Rekurs mit Entscheid vom 6. Januar 1989 ab. Eine gegen diesen
Entscheid gerichtete staatsrechtliche Beschwerde weist das Bundesgericht
ab, soweit es auf sie eintritt.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- Die Beschwerdeführerin macht geltend, der dem Regierungsrat in
§ 15 Abs. 5 WBFG erteilte Auftrag, Richtlinien für die Festsetzung
des Mindestanteils der Wohnfläche zu erlassen, genüge nicht den
verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Delegation gesetzgeberischer
Befugnisse.

    a) Gemäss der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist die Delegation
rechtssetzender Befugnisse an die Verwaltungsbehörde zulässig, wenn
sie nicht durch das kantonale Recht ausgeschlossen ist, wenn sie auf ein
bestimmtes Gebiet beschränkt wird und das Gesetz die Grundzüge der Regelung
selbst enthält - soweit sie die Rechtsstellung der Bürger schwerwiegend
berührt - und wenn sie in einem der Volksabstimmung unterliegenden Gesetz
enthalten ist (BGE 112 Ia 254 E. 2a mit Hinweisen).

    b) Im vorliegenden Falle steht fest, dass das WBFG dem Referendum
unterstand; dies galt auch für die Änderung von § 15 Abs. 4 und 5 WBFG
durch Gesetz vom 15. September 1976. Das baselstädtische Recht schliesst
die Delegation rechtssetzender Befugnisse an die Verwaltungsbehörde nicht
aus. Schliesslich beschränkt sich die in § 15 WBFG enthaltene Delegation
auf ein bestimmtes Gebiet, nämlich den Wohnungsbau. Fraglich kann somit nur
sein, ob § 15 WBFG in verfassungsrechtlich genügendem Masse die Grundzüge
der Regelung selbst enthält.
   aa) § 15 WBFG lautet wie folgt:

    "Bei der Änderung der Bauzoneneinteilung, der Festsetzung von

    Bebauungsplänen, dem Erlass spezieller Bauvorschriften sowie der
Erteilung
   von Baubewilligungen ist den Bedürfnissen des Wohnungsbaues Rechnung
   zu tragen.

    Im Rahmen der Berücksichtigung einer städtebaulich ausgeglichenen

    Entwicklung ist auf eine wirtschaftlich günstige Anordnung und

    Erschliessung der Gebäude sowie auf eine rationelle Geschosszahl zu
   achten.

    Die entsprechenden Beschlüsse und Ausnahmebewilligungen können mit der

    Verpflichtung für den Gesuchsteller verbunden werden, einen Teil der
   geplanten Gebäude für Wohnungen zu reservieren oder die Hilfe des
   Bundes und des Kantons oder des Kantons allein zur Verbilligung des
   Mietzinses in

    Anspruch zu nehmen.

    Die Bewilligungsbehörde kann in Baubewilligungen den Mindestanteil der

    Wohnfläche in Gebäuden vorschreiben.

    Der Regierungsrat erlässt die entsprechenden Richtlinien."

    bb) Bei der Beantwortung der Frage, ob die angeführte Bestimmung
in verfassungsrechtlich genügendem Masse selbst die Regelung der
Wohnanteilflächen enthält, ist davon auszugehen, dass die Festsetzung
eines Mindestwohnanteiles für Neubauten, die in einer für den
Wohnungsbau bestimmten Zone errichtet werden, keinen besonders schweren
Eigentumseingriff darstellt (vgl. BGE 112 Ib 267 f. E. 4 mit Hinweisen).

    cc) § 15 Abs. 1 WBFG verlangt, es sei bei der Erteilung von
Baubewilligungen den Bedürfnissen des Wohnungsbaues Rechnung
zu tragen. Diese Anweisung ist pflichtgemäss auszuüben. Im
regierungsrätlichen Bericht Nr. 7238 betreffend weitere Massnahmen auf
dem Gebiete des Wohnschutzes, mit welchem der Regierungsrat dem Grossen
Rat die Änderung und Ergänzung von § 15 WBFG beantragte, wird dargelegt,
dass bei einem Neubau in einem Wohngebiet eine sinnvolle Anpassung der
Nutzung an die bestehende Umgebung vorgeschrieben werden müsse. Wie
im Bericht bei der Erläuterung des Gesetzesvorschlages dargelegt
wird, sei auf die Bauzonenvorschriften und auf die Verhältnisse in
der Nachbarschaft abzustellen. Dabei sei im Zweifel zugunsten der
Wohnnutzung zu entscheiden. Diese Prinzipien seien den Richtlinien für die
Bewilligungsbehörden zugrunde zu legen. Aus der Verweisung des Gesetzes
auf die Bedürfnisse des Wohnungsbaues und aus den Gesetzesmaterialien
ergibt sich somit schlüssig, dass sich die Richtlinien von den genannten
sachgerechten Kriterien für die Festsetzung des Mindestwohnanteiles im
Einzelfall leiten lassen müssen.

    dd) Die WAV, auf die sich die Verweigerung des Umbaugesuchs der
Beschwerdeführerin stützt, enthält solche sachgerechten Kriterien. Diese
decken sich im übrigen auch mit den Grundsätzen und Zielen des RPG, gemäss
denen bei der Ordnung der Besiedlung auf die Bedürfnisse von Bevölkerung
und Wirtschaft zu achten ist sowie Wohn- und Arbeitsgebiete einander
zweckmässig zugeordnet und durch das öffentliche Verkehrsnetz hinreichend
erschlossen werden sollen (Art. 1 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 3 lit. a
RPG). Die Vorschriften der Bauzone 5a für fünfgeschossige Überbauung,
welche im gesamten Umfange auf die Liegenschaft der Beschwerdeführerin
zur Anwendung gebracht wurden, entsprechen diesen Anforderungen. Es
handelt sich um eine hinsichtlich der Nutzung gemischte Zone, in der neben
Wohnungen auch Gewerbebetriebe zulässig sind, die zu keinen erheblichen
Belästigungen der Nachbarn führen (§§ 1 und 24 Anhang zum HBG i.V.m. §
133 HBG). Die in der Allschwilerstrasse verlaufende Strassenbahnlinie
bildet Teil des öffentlichen Verkehrsnetzes. Die Liegenschaft befindet
sich im Geviert Allschwilerstrasse/Friedrichstrasse/Spalenring, in welchem
der durchschnittliche Wohnanteil gemäss den im Jahre 1980 durchgeführten
Erhebungen 72% beträgt, was die Beschwerdeführerin nicht in Abrede stellt.

    ee) Bei dieser Sachlage ergibt sich somit bereits aus der
Anwendung der im formellen Gesetz enthaltenen Regel von § 15 Abs. 1
WBFG die Verpflichtung der Beschwerdeführerin, bei ihrem Neubau den
Bedürfnissen des Wohnungsbaues Rechnung zu tragen. Wohl trifft es zu,
dass bei der Erstellung von Wohnungen auch darauf zu achten ist, dass
sie von lästigen Einwirkungen wie Lärm und Erschütterungen möglichst
verschont werden (Art. 3 Abs. 3 lit. b RPG), doch ist dieser Regel bei
Wohnbauten, die an eine innerstädtische Strasse mit Durchgangsverkehr
anstossen, durch geeignete bauliche Massnahmen Rechnung zu tragen. Die
Beschwerdeführerin macht nicht geltend, dies sei nicht möglich. Sie wird
bei der Erstellung ihres Neubaues und der Einrichtung der Wohnungen den
Anforderungen der eidgenössischen Umweltschutzgesetzgebung, insbesondere
der Lärmschutzverordnung vom 15. Dezember 1986 (LSV) Rechnung zu tragen
haben (siehe insbesondere Art. 7 LSV und Anhang 1 zur LSV betreffend
Anforderungen an die Schalldämmung von Fenstern). Auch an Strassen
mit starker Verkehrslärmbelastung darf ein Wohnanteil verbindlich
vorgeschrieben werden, doch ist darauf zu achten, dass beim Bau mit
entsprechenden Massnahmen ein ausreichender Lärmschutz erreicht wird (BGE
111 Ia 97 E. 2a; Urteil vom 11. Februar 1986, in ZBl 87/1986 S. 334 f.).

Erwägung 4

    4.- a) Die Beschwerdeführerin beanstandet die vom Basler Gesetzgeber in
§ 15 WBFG und vom Regierungsrat in der WAV getroffene gesetzliche Regelung
schliesslich mit der Einwendung, der Wohnanteilplan Nr. 11 163 vom April
1983 des Amtes für Kantons- und Stadtplanung, dem für die Einhaltung
eines Mindestwohnflächenanteiles Richtzahlen für die zum Wohnen geeigneten
Gebiete entnommen werden können, sei ein Nutzungsplan. Für dessen Erlass
bilde § 15 WBFG keine genügende Grundlage. Auch dieser Auffassung kann
nicht gefolgt werden.

    b) Der baselstädtische Gesetzgeber hat bewusst im Unterschied
zu anderen Kantonen davon abgesehen, für die Festsetzung eines
Mindestwohnanteiles einen für jedermann verbindlichen Nutzungsplan im
Sinne von Art. 21 RPG festzusetzen. Er hat es dabei bewenden lassen,
die eindeutige gesetzliche Verpflichtung aufzustellen, bei Neu- und
Umbauten den Bedürfnissen des Wohnungsbaues Rechnung zu tragen. Zur
Durchsetzung dieser Regel hat er die Baubewilligungsbehörde ermächtigt,
in Baubewilligungen den Mindestanteil der Wohnfläche gemäss den vom
Regierungsrat zu erlassenden Richtlinien vorzuschreiben. Diese Ermächtigung
ist nach pflichtgemässem Ermessen auszuüben. Als Instrument zur Sicherung
einer rechtsgleichen und verhältnismässigen Rechtsanwendung dient
der genannte Wohnanteilplan, der in Berücksichtigung der bestehenden
Verhältnisse Richtzahlen für die zum Wohnen geeigneten Gebiete
angibt. Diese bedürfen im Einzelfall der Konkretisierung, wobei der Lage
der Liegenschaft sowie auch den Interessen des Eigentümers im Rahmen einer
nach sachlichen Kriterien vorzunehmenden Interessenabwägung Rechnung zu
tragen ist. Wohl hat eine solche Verweisung auf sachgerecht auszuübendes
Ermessen zur Folge, dass ein Liegenschaftseigentümer nicht dem Gesetz
verbindlich entnehmen kann, welchen Wohnanteil er genau einhalten muss.
Als nachteilig kann dies jedoch kaum bezeichnet werden. Eine Regelung,
die sich mit der Festsetzung von Richtzahlen begnügt, die im Einzelfall
sachgerecht zu konkretisieren sind, vermeidet die Gefahr zu grosser
Wohnanteile, die im Einzelfall möglicherweise für den Eigentümer eine
unbillige Härte bedeuten können. Sie gestattet es, den Bedürfnissen
des Eigentümers in ausreichendem Masse Rechnung zu tragen. Dies zeigt
gerade der vorliegende Fall, hat doch die Baubewilligungsbehörde der
Beschwerdeführerin gegenüber der zur Anwendung gelangenden Richtzahl
gestützt auf § 5 WAV eine Vergrösserung des Anteils an gewerblich genutzter
Fläche zugestanden.

    Die Auffassung der Beschwerdeführerin, der genannte Wohnanteilplan
Nr. 11 163 sei deshalb ein Nutzungsplan, weil er im Wohnmischgebiet jede
Parzelle mit der Auflage belaste, einen Wohnflächenanteil zu realisieren,
geht deshalb fehl, weil sich diese Verpflichtung unmittelbar aus § 15
WBFG sowie aus der WAV ergibt. Dass der Plan als Instrument für die
sachgerechte Betätigung des Ermessens zu verstehen ist, ergibt sich
deutlich aus § 3 WAV, der von der Einhaltung der Richtzahlen spricht und
die Bewilligungsbehörde anweist, innerhalb der Richtzahlen den bestehenden
Verhältnissen, namentlich den Eigenschaften des Grundstücks und dem
Charakter des Quartiers, Rechnung zu tragen (§ 3 Abs. 2 WAV). Im übrigen
trifft es auch nicht zu, dass aus dem Wohnanteilplan für die Stadt Zürich,
auf den die Beschwerdeführerin verweist und der ein Nutzungsplan im Sinne
der RPG ist, für jede einzelne Parzelle genau entnommen werden kann, wie
hoch deren Mindestwohnanteil ist. Auch die Ausführungsvorschriften der
Bauordnung der Stadt Zürich enthalten notwendigerweise Ausnahmeregelungen,
um zu starre Festsetzungen zu vermeiden (BGE 111 Ia 98 E. 2a). Wenn der
baselstädtische Gesetzgeber bewusst eine flexible Regelung gewählt hat, so
werden die Grundeigentümer dadurch nicht benachteiligt. Ihr umfassender
Rechtsschutz bleibt vielmehr gewährleistet, indem sie im Einzelfall
darlegen können, dass ein ihnen auferlegter Wohnanteil in Berücksichtigung
der bestehenden Verhältnisse, der Eigenschaft ihres Grundstücks und des
Charakters des Quartiers sowie in Abwägung ihrer Interessen durch kein
ausreichendes öffentliches Interesse gedeckt und unverhältnismässig sei.