Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 115 IA 311



115 Ia 311

47. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 20.
November 1989 i.S. X. gegen Obergericht des Kantons A. (staatsrechtliche
Beschwerde) Regeste

    Art. 87 OG; Beschwerde gegen einen Zwischenentscheid.

    1. Überweisungsbeschlüsse in Strafsachen sind Zwischenentscheide im
Sinne von Art. 87 OG (E. 2a).

    2. Die Beschränkung nach Art. 87 OG gilt grundsätzlich nicht bei
Entscheiden über gerichtsorganisatorische Fragen, die endgültig zu
erledigen sind, bevor das Verfahren weitergeführt werden kann; Fälle,
bei denen Art. 87 OG dennoch anwendbar ist (E. 2a).

    3. Werden neben Art. 4 BV weitere Verfassungsrügen erhoben, so tritt
das Bundesgericht auf die Beschwerde nur ein, wenn diese Rügen selbständige
Bedeutung haben und nicht offensichtlich unzulässig oder unbegründet sind
(E. 2b).

    4. In der Überweisung einer Strafsache an ein Strafgericht liegt kein
nicht wiedergutzumachender Nachteil (E. 2c).

Sachverhalt

    A.- Am 12. Januar 1988 erhob die Staatsanwaltschaft des Kantons
A. gegen X. Anklage wegen gewerbsmässiger Hehlerei. Am 14. März 1988
liess die Anklagekammer des Obergerichts des Kantons A. die Anklage zu
und überwies X. mit Beschluss vom 9. Mai 1988 dem Geschworenengericht
zur Beurteilung.

    X. reichte gegen diesen Beschluss Rekurs beim Obergericht des Kantons
A. ein und beantragte unter anderem, die Sache sei zur Beurteilung in
die Zuständigkeit des Bezirksgerichts zu überweisen. Das Obergericht wies
den Rekurs am 8. Juni 1988 ab.

    X. führt staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von Art. 4
und 58 BV sowie Art. 6 Ziff. 1 EMRK. Das Bundesgericht tritt auf die
Beschwerde nicht ein.

Auszug aus den Erwägungen:

                          Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Das Bundesgericht prüft die Zulässigkeit einer staatsrechtlichen
Beschwerde von Amtes wegen und mit freier Kognition (BGE 114 Ia 308;
113 Ia 394 E. 2).

Erwägung 2

    2.- a) Beim angefochtenen Beschluss des Obergerichts vom 8.  Juni 1988
handelt es sich um einen kantonal letztinstanzlichen Entscheid, da das
Kassationsgericht auf die Nichtigkeitsbeschwerde nicht eingetreten ist.
Dieser Obergerichtsentscheid schliesst indessen das kantonale Verfahren
nicht ab; die Sache wurde vielmehr in Bestätigung des Beschlusses der
Anklagekammer des Obergerichts vom 9. Mai 1988 dem Geschworenengericht zur
Beurteilung überwiesen. Es handelt sich somit um einen Zwischenentscheid
(BGE 114 Ia 180; 98 Ia 327 f.; unveröffentlichtes Urteil des Bundesgerichts
vom 28. Januar 1988 i.S. L. c. Obergericht des Kantons Zürich, E. 5). Nach
Art. 87 OG können letztinstanzliche Zwischenentscheide beim Bundesgericht
wegen Verletzung von Art. 4 BV nur dann angefochten werden, wenn sie
für den Betroffenen einen nicht wiedergutzumachenden Nachteil zur Folge
haben. Indessen gilt diese Beschränkung nach der Rechtsprechung nicht
für alle Entscheide, die im Verlaufe eines Verfahrens ergehen und die
äusserlich als Zwischenentscheide zu betrachten sind. Als Ausnahmen
werden nach der Praxis Entscheide über gerichtsorganisatorische Fragen
betrachtet, die ihrer Natur nach endgültig zu erledigen sind, bevor
das Verfahren weitergeführt werden kann (BGE 106 Ia 233 E. 3a; 94
I 201, je mit Hinweisen). Die direkte Anfechtbarkeit wird zum einen
aus Gründen der Prozessökonomie und Zweckmässigkeit und zum andern
wegen des wohlverstandenen Interesses der Gegenpartei, dass der
Beschwerdeführer sofort handle und nicht den Endentscheid abwarte,
begründet (BGE 94 I 201). In diesem Sinne fallen beispielsweise
Entscheide über die Zusammensetzung des Gerichts und solche über die
örtliche und sachliche Zuständigkeit nicht unter Art. 87 OG (BGE 94
I 201; WALTER KÄLIN, Das Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde,
Bern 1984, S. 291; PETER LUDWIG, Endentscheid, Zwischenentscheid und
Letztinstanzlichkeit im staatsrechtlichen Beschwerdeverfahren, in
ZBJV 110/1974 S. 185). Entscheide, bei denen es um die funktionelle
Zuständigkeit geht, zählen nicht zu diesen Ausnahmefällen; für sie
ist deshalb Art. 87 OG anwendbar (vgl. unveröffentlichtes Urteil des
Bundesgerichts vom 5. Dezember 1988 i.S. C., E. 2a). Im vorliegenden Fall
geht es um die Frage, welches erstinstanzliche Strafgericht zur Beurteilung
einer Strafsache zuständig sein soll: das Geschworenengericht oder das
Bezirksgericht. In Fällen dieser Art bestehen keine hinreichenden Gründe,
von der Anwendbarkeit von Art. 87 OG abzusehen. Die Eintretensfrage
richtet sich daher nach dieser Bestimmung (unveröffentlichtes Urteil des
Bundesgerichts vom 15. Juni 1989 i.S. N.).

    b) Wie erwähnt, sind staatsrechtliche Beschwerden wegen Verletzung von
Art. 4 BV gegen letztinstanzliche Zwischenentscheide nur zulässig, wenn sie
für den Betroffenen einen nicht wiedergutzumachenden Nachteil zur Folge
haben (Art. 87 OG). Beschwerden, die sich auf andere verfassungsmässige
Rechte oder auf die EMRK (BGE 106 IV 87 E. b) stützen, sind indessen auch
gegen Zwischenentscheide ohne Einschränkung zulässig (Art. 86 OG). Werden
neben der Verletzung von Art. 4 BV noch weitere Beschwerdegründe
vorgebracht, so tritt das Bundesgericht auf die Beschwerde in vollem Umfang
ein, allerdings nur dann, wenn die neben einer Verletzung von Art. 4 BV
geltend gemachte Verfassungsrüge nicht mit der Willkürrüge zusammenfällt,
somit selbständige Bedeutung hat, und nicht offensichtlich unzulässig
oder unbegründet ist (BGE 114 Ia 180; 106 Ia 227 E. 1, 231 E. 2a; 104 Ia
107 E. 2b; Urteil des Bundesgerichts vom 10. März 1982, publiziert in ZBl
83/1982 S. 324 E. 2a; CLAUDE ROUILLER, La protection de l'individu contre
l'arbitraire de l'Etat, in ZSR 1987 II S. 378). Der Beschwerdeführer stützt
sich neben Art. 4 BV auch auf Art. 58 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK. Er rügt
im Zusammenhang mit diesen Bestimmungen jedoch nur eine willkürliche
Anwendung des kantonalen Strafrechts; der Berufung auf Art. 58 BV und
Art. 6 Ziff. 1 EMRK kommt daher keine selbständige Bedeutung zu. Unter
diesen Umständen ist zu prüfen, ob der angefochtene Beschluss für den
Beschwerdeführer einen nicht wiedergutzumachenden Nachteil zur Folge hat.

    c) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichts bedarf es
eines nicht wiedergutzumachenden Nachteils rechtlicher Natur, um
einen Zwischenentscheid im Sinne von Art. 87 OG mit staatsrechtlicher
Beschwerde wegen Verletzung von Art. 4 BV anfechten zu können; eine
bloss tatsächliche Beeinträchtigung wie beispielsweise eine Verlängerung
oder Verteuerung des Verfahrens genügt nicht (BGE 108 Ia 204 E. 1a mit
Hinweisen). Der Nachteil ist nur dann rechtlicher Art, wenn er auch durch
einen für den Beschwerdeführer günstigen Endentscheid nicht mehr behoben
werden könnte (BGE 108 Ia 204 E. 1; 106 Ia 234).

    Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers ist im vorliegenden
Fall kein nicht wiedergutzumachender Nachteil im dargelegten Sinn
anzunehmen. Das Bundesgericht hat seit dem Urteil BGE 63 I 313 ff. immer
daran festgehalten, dass in der Überweisung einer Strafsache an ein
Strafgericht kein solcher Nachteil liege. Der Beurteilung der Schuldfrage
wird nicht vorgegriffen; sie bleibt dem Strafrichter vorbehalten. Die
vom Beschwerdeführer befürchteten, durch ein gerichtliches Verfahren
hervorgerufenen Beeinträchtigungen können zu keinem anderen Ergebnis
führen, zumal der Beschwerdeführer nicht dartut, inwieweit ihm dadurch
ein Nachteil rechtlicher Natur erwachse. Der Beschwerdeführer bringt auch
weiter nichts vor, was geeignet wäre, die ständige Rechtsprechung des
Bundesgerichts in Zweifel zu ziehen. So wird denn auch in der Literatur
die Rechtsprechung in bezug auf Überweisungsbeschlüsse in keiner Weise
kritisiert (vgl. WALTER KÄLIN, aaO, S. 293; PETER LUDWIG, aaO, S.
170 f. und 183). Demnach ist auch im vorliegenden Fall im Umstand, dass
die Anklage zugelassen und die Strafsache des Beschwerdeführers an das
Geschworenengericht überwiesen worden ist, kein nicht wiedergutzumachender
Nachteil im Sinne von Art. 87 OG zu erblicken.