Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 115 IA 212



115 Ia 212

39. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 14.
Juli 1989 i.S. X. gegen Kanton Bern und Obergericht des Kantons Solothurn
(staatsrechtliche Beschwerde) Regeste

    Art. 46 Abs. 2 BV; Art. 6 lit. c des Konkordats über die Gewährung
gegenseitiger Rechtshilfe.

    1. Rechtsöffnung für eine ausserkantonale Steuerforderung; Zulässigkeit
der Einrede der Doppelbesteuerung (E. 1 u. 2).

    2. Steuerdomizil eines in eheähnlicher Gemeinschaft lebenden
Steuerpflichtigen (E. 3).

Sachverhalt

    A.- Der im Kanton Solothurn, Gemeinde N., steuerpflichtige X.
wurde für das Jahr 1986 mit einem steuerbaren Einkommen von Fr. ... und
Fr. ... Vermögen veranlagt.

    Mit Schreiben vom 29. April 1986 teilte die bernische Gemeinde U. dem
Steuerpflichtigen mit, dass sie ihn ab 1. Januar 1986 als unbeschränkt
steuerpflichtig betrachte, weil er seit 10. Dezember 1985 mit Y. in
U. in eheähnlicher Gemeinschaft lebe. Nachdem X. zweimal erfolglos
zur Einreichung der Steuererklärung gemahnt worden war, teilte er der
Kantonalen Steuerverwaltung Bern (Veranlagungsbehörde Oberland) mit,
er sei nicht verpflichtet, in U. eine Steuererklärung einzureichen,
weil er seine Schriften in N. deponiert habe, dort Steuern zahle und für
U. lediglich eine Aufenthaltsbewilligung besitze.

    Mit Verfügung vom 2. Februar 1987 veranlagte ihn die Kantonale
Steuerverwaltung Bern für die Staats- und Gemeindesteuern 1985/86 (Periode
ab 1. Januar 1986) ermessensweise mit einem steuerbaren Einkommen von
Fr. ... und auferlegte ihm eine Busse von Fr. ...

    Gegen die Betreibung für den Steuerbetrag und die Busse erhob
der Betriebene Rechtsvorschlag. Mit Entscheid vom 22. März 1988
hiess der Amtsgerichtspräsident von Thal-Gäu, Kanton Solothurn, das
Rechtsöffnungsbegehren gut und erteilte die definitive Rechtsöffnung.

    Einen Rekurs wies das Obergericht des Kantons Solothurn mit
Urteil vom 13. September 1988 ab. Das Gericht hielt den Nachweis der
Vollstreckbarkeit der Steuerforderung und der Busse nach Art. 3 und 4 des
Konkordats über die Gewährung gegenseitiger Rechtshilfe zur Vollstreckung
öffentlich-rechtlicher Ansprüche vom 28. Oktober 1971 (SR 281.22 -
nachfolgend "Konkordat") als erbracht, ohne den Einwand des Rekurrenten
zu prüfen, wonach sein Steuerdomizil für das Jahr 1986 im Kanton Solothurn
gewesen sei.

    Mit staatsrechtlicher Beschwerde beantragt der Betriebene, das Urteil
des Obergerichts des Kantons Solothurn vom 13. September 1988 und die
Veranlagungsverfügung vom 2. Februar 1987 seien aufzuheben. Er führt
aus, für die gleiche Zeit habe er auch im Kanton Solothurn Steuern
bezahlt. Es liege deshalb eine gegen Art. 46 Abs. 2 BV verstossende
aktuelle Doppelbesteuerung vor. Dazu komme, dass sich sein Wohnsitz in
N., Kanton Solothurn, befinde. Der Kanton Bern sei deshalb im Sinne von
Art. 6 lit. c des Konkordats unzuständig. Indem das Obergericht die
offensichtlich begründete Einrede der Unzuständigkeit verworfen habe,
habe es in willkürlicher Weise gegen das Konkordat verstossen.

    Die Kantonale Steuerverwaltung Bern und das Obergericht des Kantons
Solothurn beantragen, die Beschwerde sei abzuweisen.

    Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Die 30tägige Frist für die staatsrechtliche Beschwerde wegen
Doppelbesteuerung (Art. 46 Abs. 2 BV) beginnt nach Art. 89 Abs. 3 OG zu
laufen, wenn ein zweiter Kanton endgültig die Steuerhoheit in Anspruch
genommen hat (BGE 111 Ia 45 f.). Das geschah im vorliegenden Fall durch
die Veranlagungsverfügung des Kantons Solothurn (die auf jeden Fall vor
dem Datum der Steuerrechnung vom 23. März 1987 erging), eventuell durch
diejenige des Kantons Bern vom 2. Februar 1987. Die erst am 17. Oktober
1988 gegen die Veranlagungsverfügung des Kantons Bern eingereichte
Doppelbesteuerungsbeschwerde ist infolgedessen verspätet.

    Die Frist von 30 Tagen wurde einzig gegenüber dem Entscheid des
Obergerichts des Kantons Solothurn vom 13. September 1988, das den
Rekurs des Beschwerdeführers abgewiesen und die Erteilung der definitiven
Rechtsöffnung durch den Amtsgerichtspräsidenten von Thal-Gäu bestätigt
hatte, eingehalten. Entscheide über die Gewährung der definitiven
Rechtsöffnung stellen jedoch Vollzugsakte dar, die grundsätzlich (Ausnahmen
in BGE 106 Ia 386, vgl. 107 Ia 333 f.) mit staatsrechtlicher Beschwerde
nur so weit anfechtbar sind, als die Verfassungswidrigkeit in ihnen selbst
begründet ist, die aber nicht mit der Begründung angefochten werden können,
der Hoheitsakt, den sie vollziehen, sei verfassungswidrig. Daraus, dass
die Rechtsprechung des Bundesgerichts noch im Rechtsöffnungsverfahren
unter Umständen die Bestreitung der Steuerhoheit zulässt (LOCHER,
Das interkantonale Doppelbesteuerungsrecht, § 12 III 3 Nrn. 2-15,
und dort zitierte Praxis; vgl. dazu auch im folgenden), darf nicht
abgeleitet werden, die Doppelbesteuerungsbeschwerde sei gegenüber dem
Rechtsöffnungsentscheid zulässig. Auf die Doppelbesteuerungsbeschwerde
ist demnach nicht einzutreten.

Erwägung 2

    2.- a) Der Beschwerdeführer ficht das Urteil des Obergerichts des
Kantons Solothurn allerdings auch mit der Begründung an, es verletze Art. 6
lit. c des Konkordats über die Gewährung der gegenseitigen Rechtshilfe
zur Vollstreckung öffentlich-rechtlicher Ansprüche. Auf diese Bestimmung
kann sich der Beschwerdeführer mit staatsrechtlicher Beschwerde gemäss
Art. 84 Abs. 1 lit. b OG wegen Verletzung von Konkordaten berufen,
zumal Art. 6 lit. c des Konkordats dem Betriebenen unmittelbar Rechte
einräumt. Keine selbständige Bedeutung hat demgegenüber die im gleichen
Zusammenhang erhobene Willkürrüge, weil das Bundesgericht bei Beschwerden
nach Art. 84 Abs. 1 lit. b OG Auslegung und Anwendung der als verletzt
gerügten Konkordatsbestimmung durch die kantonale Behörde frei prüft
(BGE 112 Ia 76 E. 1b).

    b) Nach Art 6 lit. c des Konkordats steht dem Betriebenen unter anderem
die Einrede zu, dass die kantonale Behörde, welche den Entscheid erlassen
hat, nicht zuständig war. Die Zuständigkeit der entscheidenden Behörde
fällt bei Steueransprüchen insofern mit der materiellen Steuerberechtigung
des Gemeinwesens zusammen, als sie eine Beziehung des Steuerpflichtigen
zum Gemeinwesen voraussetzt, die ihn nach den aus Art. 46 Abs. 2 BV
folgenden Regeln des interkantonalen Steuerrechts der Steuerhoheit des
betreffenden Gemeinwesens für die fragliche Abgabe unterwirft. Nur wo
eine solche Beziehung (Steuerhoheit) besteht, sind die entscheidenden
Behörden zuständig, Abgaben mit verbindlicher Wirkung für den Betroffenen
festzulegen. In der Bestreitung der Zuständigkeit nach Art. 6 lit. c des
Konkordats liegt deshalb zugleich eine Bestreitung der Steuerhoheit nach
den aus Art. 46 Abs. 2 BV folgenden Regeln des interkantonalen Steuerrechts
(BGE 51 I 204/5, 53 I 208; ASA 51, 501).

    c) Die Doppelbesteuerungseinrede ist allerdings nur zulässig im
Rechtsöffnungsverfahren, wenn der Steueranspruch von einem andern
Kanton stammt als von demjenigen, in dem die Betreibung erfolgt. Wird
die Rechtsöffnung vom Kanton verlangt, dem der Pflichtige angehört, so
ist die Einrede schon von Gesetzes wegen ausgeschlossen, weil sie sich
unter keine der in Art. 81 Abs. 1 SchKG vorgesehenen Einreden - Tilgung,
Stundung, Verjährung - einreihen lässt.

    Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts (BGE 51 I 208-209, 445,
59 I 26; ASA 51, 501 f.; Urteil vom 19. Juni 1947, ZBl 49/1948 S. 399;
LOCHER, aaO) ist die Doppelbesteuerungseinrede im Rechtsöffnungsverfahren
ausserdem nur möglich, soweit es sich um die Bestreitung der Steuerhoheit
des betreibenden Gemeinwesens überhaupt handelt und nicht bloss um den
Einwand, dieses habe bei der Erhebung der Steuer dem Umfange nach die durch
Art. 46 Abs. 2 BV gesetzten Schranken überschritten; sie kann zudem nur
vorgebracht werden, wenn der Betriebene die Zuständigkeit des Gemeinwesens,
von dem der Steueranspruch stammt, in keiner Form anerkannt, d.h. sich auf
das Veranlagungsverfahren nicht eingelassen hat. Diese Voraussetzungen
sind hier erfüllt: Der Beschwerdeführer hat im Schreiben vom 12. Oktober
1986 gegenüber der Kantonalen Steuerverwaltung Bern (Veranlagungsbehörde)
erklärt, er habe seine Schriften in N. im Kanton Solothurn deponiert,
wo er auch seine Steuern bezahle, und besitze für U. im Kanton Bern
lediglich eine Aufenthaltsbewilligung. Er hat damit die bernische
Zuständigkeit überhaupt bestritten und sich in keiner Weise auf das
Veranlagungsverfahren eingelassen.

    Die Frage, ob darüber hinaus eine Anerkennung der Steuerhoheit des
Kantons Bern anzunehmen wäre, wenn der Beschwerdeführer gegen einen
Vorentscheid der Steuerbehörde über die subjektive Steuerpflicht kein
Rechtsmittel ergriffen hätte, kann hier offenbleiben, weil ein solcher
Vorentscheid - obwohl der Beschwerdeführer die Steuerhoheit des Kantons
Bern bestritten hatte - nicht erging (vgl. auch BGE 103 Ia 160 E. 1;
115 Ia 75 E. 3.)

Erwägung 3

    3.- Zu prüfen bleibt, ob die Steuerbehörden des Kantons Bern zur
Veranlagung des Beschwerdeführers zuständig waren. Diese Zuständigkeit
kann sich mangels anderer Anknüpfungspunkte nur aus dem Wohnsitz des
Beschwerdeführers im Kanton Bern ergeben (BGE 113 Ia 466, 111 Ia 42).

    Der Beschwerdeführer bewirtschaftete im fraglichen Steuerjahr zusammen
mit Geschwistern und seiner Mutter ein landwirtschaftliches Heimwesen
in N., Kanton Solothurn, wo er sich auch als Agent für Futtermittel
betätigte. Seine freie Zeit verbrachte er jedoch überwiegend bei seiner
Freundin in U., Kanton Bern. Nach den Feststellungen der Steuerbehörde
lebte er mit seiner Freundin im Konkubinat. Es liegt nichts vor, was gegen
diese Feststellung spricht. Die Tatsache, dass der Beschwerdeführer es
für erforderlich ansah, eine Aufenthaltsbewilligung in U. zu beantragen,
belegt gerade, dass er sich sehr häufig bei seiner Freundin aufhielt.

    Dementsprechend hatte der Beschwerdeführer den Mittelpunkt seiner
Lebensinteressen, und damit seinen Wohnsitz (BGE 113 Ia 466), nach
U. verlegt.

    Die Einwendungen, mit denen der Beschwerdeführer sein Steuerdomizil
in U. zu bestreiten versucht, sind unbegründet. Seine Behauptung, die
er übrigens erst im Betreibungsverfahren erhob, dass er seine Freundin
nur sporadisch besucht haben will, ist nicht glaubwürdig, nachdem er in
U. um eine Aufenthaltsbewilligung nachsuchte. Ebenso kann dem Umstand,
dass er seine Schriften in N. hinterlegt hatte, keine wesentliche Bedeutung
zukommen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichts ergibt sich
die Stärke der Beziehung einer Person zu einem Ort nicht aus irgendwelchen
formellen Merkmalen, etwa der polizeilichen Anmeldung, sondern aus der
Gesamtheit der tatsächlichen Gegebenheiten (BGE 108 Ia 254; ASA 54,
229 E. 4).