Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 115 IA 1



115 Ia 1

1. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 2.
Februar 1989 i.S. A. gegen P. AG, Gemeinde Arosa und Verwaltungsgericht
des Kantons Graubünden (staatsrechtliche Beschwerde) Regeste

    Art. 4 BV; nachträgliche Überprüfung von Nutzungsplänen; formelle
Rechtsverweigerung.

    Die Nichtigkeit eines Verwaltungsaktes ist jederzeit und von sämtlichen
staatlichen Instanzen zu beachten. Tritt eine Behörde auf die in einem
Baubewilligungsverfahren jedenfalls sinngemäss geltend gemachte Nichtigkeit
des dem Baugesuch zugrunde liegenden Quartierplanes nicht ein, so liegt
eine formelle Rechtsverweigerung vor (E. 3).

Sachverhalt

    A.- A. ist unter anderem Eigentümerin der Parzelle Nr. 394 im
Gebiet "Hinterer Stafel" in Inner-Arosa. Im gleichen Gebiet besitzt
die P. AG verschiedene Grundstücke. Die Parzelle Nr. 394 ist als
eigentliche Wegparzelle gestaltet und dient angesichts ihrer Lage und
Form der Erschliessung der Anliegergrundstücke. Um die Erschliessung
rechtlich zu sichern, leitete der Gemeinderat Arosa am 24. März 1982 ein
Quartiererschliessungsplanverfahren ein.

    In der Folge wurden 3 Varianten für die Quartierplanung
ausgearbeitet. Die Mehrheit der Betroffenen sprach sich für eine zentrale
unterirdische Autoeinstellhalle aus. In diesem Sinne liess der Gemeinderat
einen Dienstbarkeitsvertrag ausarbeiten, wonach für die unterirdische
Einstellhalle mit 19 Plätzen unter anderem zulasten der Parzelle Nr. 394
ein selbständiges und dauerndes Baurecht geschaffen wird. Ende 1984 legte
die Gemeinde Arosa die verschiedenen Pläne und den Dienstbarkeitsvertrag
öffentlich auf.

    A. erhob gegen die aufgelegte Quartierplanung beim Gemeinderat von
Arosa Einsprache, welcher diese an seiner Sitzung vom 27. Februar 1985
abwies und den amtlichen Quartierplan "Hinterer Stafel" verfügte. In
den Erwägungen hielt er hinsichtlich der Autoeinstellhalle fest,
diese sei unter den Parzellen Nrn. 394, 1570, 1600, 1601 und 1632 zu
errichten und bestimmte: "Für Autoeinstellhalle und Zufahrt ist ein
selbständiges und dauerndes Baurecht zu begründen. Diese Begründung
erfolgt, sobald eine rechtskräftige Baubewilligung für Autoeinstellhalle
und Zufahrt vorhanden ist." Ausserdem hielt er fest, dass die mit
dieser Quartiererschliessungsplanung verbundenen Rechte und Pflichten
von den Eigentümern im Quartierplangebiet gegenseitig entschädigungslos
zu begründen seien. A. focht diese Bestimmung nicht an.

    Am 26. November 1987 reichte die P. AG ein Baugesuch für die im
Quartierplan vorgesehene Einstellhalle mit Zufahrt ein. Gegen dieses
liess A. Einsprache erheben und machte im wesentlichen geltend, der
Bau der Einstellhalle beanspruche Land von ihrer Parzelle Nr. 394. Die
Baubewilligung dürfe daher erst erteilt werden, wenn ihre Zustimmung dazu
vorliege. Der Gemeinderat von Arosa wies diese Einsprache am 2. März
1988 ab und erteilte die Baubewilligung. Er stellte dabei fest, dass
das Bauvorhaben Bestandteil des am 27. Februar 1985 bewilligten und in
Rechtskraft erwachsenen Quartiererschliessungsplanes bilde und diesem
entspreche. Ausserdem stellte er fest, das selbständige und dauernde
Baurecht für die Autoeinstellhalle sei vor Baubeginn zu begründen.

    Diesen Entscheid zog A. mit Rekurs an das Verwaltungsgericht des
Kantons Graubünden weiter und verlangte dessen Aufhebung. Im wesentlichen
begründete sie ihren Antrag damit, die Baubewilligung stütze sich auf
einen widerrechtlichen Quartierplan ab. Eine vorfrageweise Überprüfung
desselben zeige, dass die Gemeinde darin die Einräumung eines Baurechtes
verfügt habe, was im Rahmen der Quartierplanung unzulässig sei.

    Mit Entscheid vom 24. Mai 1988 trat das Verwaltungsgericht auf den
Rekurs nicht ein. Es begründet seinen Entscheid hauptsächlich damit, der
Quartierplan "Hinterer Stafel" und damit die vom Gemeinderat von Arosa
zu Lasten von A. angeordnete Pflicht zur Einräumung eines Baurechtes auf
ihrer Parzelle Nr. 394 sei unangefochten in Rechtskraft erwachsen und es
bestehe kein Grund für eine akzessorische Überprüfung dieses Planes.

    Das Bundesgericht heisst die staatsrechtliche Beschwerde von A. gut.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- A. machte vor Verwaltungsgericht zur Hauptsache geltend, der
Quartiererschliessungsplan, welcher der Baubewilligung zugrunde liege,
sei widerrechtlich und verstosse gegen höherrangiges Recht. In diesem
Plan werde über Servitute und ein selbständiges und dauerndes Baurecht
verfügt. Besonders krass sei die Bestimmung, wonach die P. AG ein Baurecht
zugesprochen erhalte, nämlich das Recht, eine Autoeinstellhalle auf
fremdem Boden zu errichten. Solchem Vorgehen stehe die Rechtsordnung ganz
klar entgegen. Weder im eidgenössischen und kantonalen Raumplanungsrecht
noch im Gemeinderecht finde sich eine Grundlage, gestützt auf welche das
Gemeinwesen befugt wäre, selbständige und dauernde Rechte und Servitute
in einem Quartierplanverfahren zu begründen. Mit anderen Worten machte
A. sinngemäss geltend, das im Quartiererschliessungsplan zugunsten der
P. AG eingeräumte Baurecht sei nichtig, da hiefür die gesetzliche Grundlage
fehle (vgl. dazu BGE 104 Ia 176 E. c; 98 Ia 571).

    Das Verwaltungsgericht hat seinen Nichteintretensentscheid unter
Hinweis auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung hauptsächlich damit
begründet, die nachträgliche Überprüfung von Nutzungsplänen sei nur
möglich, wenn der betroffene Eigentümer sich bei Planerlass über die
ihm auferlegten Eigentumsbeschränkungen nicht im klaren sein konnte oder
ihm keine Verteidigungsmittel zur Verfügung standen, oder wenn sich die
Verhältnisse seit Planerlass derart geändert haben, dass das öffentliche
Interesse an den bestehenden Beschränkungen dahingefallen sein könnte
(vgl. BGE 106 Ia 383 ff.). Es kam zum Schluss, diese Voraussetzungen
seien im vorliegenden Fall nicht erfüllt, weshalb keine Gründe vorlägen,
im Rahmen einer akzessorischen Prüfung auf die Rechtmässigkeit des
Quartierplanes zurückzukommen.

    Gegen die allgemeinen Ausführungen des Verwaltungsgerichtes zur
Zulässigkeit der akzessorischen Prüfung von Nutzungsplänen ist nichts
einzuwenden. Indessen machte A. vor Verwaltungsgericht sinngemäss eine
teilweise Nichtigkeit des Quartiererschliessungsplanes geltend, indem
sie einen nach ihrer Auffassung schwerwiegenden und leicht erkennbaren
Mangel des im Plan angeordneten Baurechts rügte (vgl. BGE 111 Ib 221
E. 5b). Auch beinhaltet die Anordnung, es sei ein Baurecht zu begründen,
die Verpflichtung zur Einräumung eines Rechtes an einen Dritten; sie geht
daher klarerweise über eine blosse Eigentumsbeschränkung hinaus. Das
Verwaltungsgericht hätte daher auf die Rüge eintreten müssen, da eine
allfällige Nichtigkeit eines Verwaltungsaktes, also seine absolute
Unwirksamkeit, jederzeit und von sämtlichen staatlichen Instanzen von
Amtes wegen zu beachten ist (vgl. BGE 111 Ib 221 E. 5b; 101 II 151 E. 3;
FRITZ GYGI, Verwaltungsrecht, Bern 1986, S. 306).

    Das Verwaltungsgericht ist demnach zu Unrecht auf die von A. im
Zusammenhang mit dem Quartiererschliessungsplan aufgeworfene Frage der
Nichtigkeit nicht eingegangen. Sein Nichteintretensentscheid stellt somit
eine formelle Rechtsverweigerung dar.

    Das Verwaltungsgericht hätte prüfen müssen, ob mit der umstrittenen
Bestimmung im Quartiererschliessungsplan überhaupt ein Baurecht verfügt
werden könnte, was zumindest fraglich erscheint. Diese Prüfung ist
nachzuholen. Ergibt sich dabei die Nichtigkeit der genannten Bestimmung,
so kann das Baurecht allenfalls durch formelle Enteignung erwirkt werden,
wobei es unklar ist, ob das kantonale Recht dafür im vorliegenden
Fall eine gesetzliche Grundlage bietet. Denkbar wäre wohl auch, den
Quartierplan durch die vom Gemeinderat Arosa ursprünglich beabsichtigte
Landumlegung zu ergänzen. Wie es sich letztlich damit verhält, ist aber
nicht im vorliegenden Verfahren zu prüfen, denn es ist nicht Sache des
Bundesgerichtes, im staatsrechtlichen Beschwerdeverfahren als einzige
Instanz über Fragen zu befinden, die von den kantonalen Behörden zu
Unrecht nicht behandelt worden sind.