Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 114 V 51



114 V 51

11. Urteil vom 30. Januar 1988 i.S. Schweizerische
Unfallversicherungsanstalt gegen Schweizerische Mobiliar
Versicherungsgesellschaft betreffend Zuständigkeit und Leistungspflicht
i.S. G. Regeste

    Art. 105 Abs. 2, 110 Abs. 1 UVG, Art. 118, 130 OG: Kompetenzkonflikt
zwischen zwei Versicherern.

    - Es geht nicht an, ausserhalb der im UVG und OG vorgesehenen
Zuständigkeitsordnung Kompetenzkonflikte unter Versicherern durch
Privatvereinbarung dem Eidg. Versicherungsgericht auf dem Wege der
verwaltungsrechtlichen Klage zum Entscheid zu unterbreiten (Erw. 2a).

    - Die Prorogation nach Art. 118 OG ist für das
Eidg. Versicherungsgericht in den entsprechenden Verweisungsvorschriften
nicht vorgesehen (Erw. 2b).

Sachverhalt

    A.- Nicola G. arbeitete vom Montag, 29. April 1985, bis Freitag, 3. Mai
1985, als Handlanger bei der Firma B. in Camorino und war als Arbeitnehmer
dieser Firma bei der Schweizerischen Mobiliar Versicherungsgesellschaft
(nachfolgend Mobiliar) obligatorisch gegen die Folgen von Berufs-
und Nichtberufsunfällen versichert. Er beabsichtigte, am Montag, 6.
Mai 1985, bei der Garage P. eine neue Stelle als Hilfsmechaniker
anzutreten. Die Arbeitnehmer dieses Betriebes sind bei der Schweizerischen
Unfallversicherungsanstalt (SUVA) versichert.

    An diesem Montag um 2.15 Uhr verursachte Nicola G. nach dem Besuch
mehrerer Gaststätten im Verlaufe des Sonntagabends mit seinem Personenwagen
einen Selbstunfall, bei welchem er eine Kompressionsfraktur eines
Brustwirbels mit konsekutiver inkompletter Paraplegie erlitt. Durch Dekret
des Procuratore Pubblico della Giurisdizione Sopracenerina vom 5. Februar
1986 wurde er wegen Fahrens in angetrunkenem Zustand und fahrlässiger
schwerer Körperverletzung mit 15 Tagen Gefängnis bestraft. Nachdem er
bereits ab 1. Oktober 1985 teilweise und ab 1. Januar 1986 vollständig
arbeitsfähig gewesen war, ist er nunmehr nach einem im April 1986
eingetretenen Rückfall seit 1. November 1986 wieder uneingeschränkt
arbeitsfähig.

    B.- Die Mobiliar überwies am 18. Juli 1985 die Akten der gemäss ihrer
Auffassung für die Schadenserledigung zuständigen SUVA.

    Mit Verfügung vom 4. November 1985 lehnte die SUVA die Ausrichtung
von Versicherungsleistungen an Nicola G. infolge Unzuständigkeit ab,
wogegen dieser Einsprache erheben liess. Daraufhin ging die SUVA davon
aus, dass zweifelsohne einer der beiden Versicherer für die Unfallfolgen
aufzukommen habe und es Nicola G. nicht zumutbar sei, bis zur Lösung des
Kompetenzkonfliktes auf Leistungen zu warten. Sie teilte ihm daher am
11. März 1986 mit, dass sie - bei grundsätzlichem Festhalten an ihrer
Unzuständigkeit - die (allenfalls wegen grobfahrlässiger Herbeiführung
des Unfalles zu kürzenden) Versicherungsleistungen erbringen und sich
mit der Mobiliar direkt auseinandersetzen werde.

    In der Folge kam zwischen der Mobiliar und der SUVA keine Einigung
zustande.

    C.- Die SUVA erhob am 16. Februar 1987 gegen die Mobiliar
verwaltungsrechtliche Klage und stellte folgende Rechtsbegehren:

    "1. Es sei festzustellen, dass die Beklagte für den Versicherungsfall
des

    Nicola G. vom 6. Mai 1985 zuständig und leistungspflichtig ist.

    2. Eventuell sei die Beklagte zu verpflichten, der Klägerin
Fr. 27'199.95
   zu bezahlen, und es sei festzustellen, dass die Beklagte für die
   weiteren

    Auslagen aus dem Versicherungsfall vom 6. Mai 1985 nach dem 31. Oktober

    1986 leistungspflichtig ist.

    3. Subeventuell sei die Beklagte zur Bezahlung des Betrages von Fr.

    27'199.95 an die Klägerin zu verpflichten und dieser sei ein

    Nachklagerecht
   für künftige Aufwendungen im Versicherungsfall des Nicola
   G. einzuräumen."

    Die Mobiliar beantragt, die klägerischen Rechtsbegehren
seien abzuweisen und es sei festzustellen, dass die SUVA für den
Versicherungsfall des Nicola G. allein zuständig sei. Widerklageweise
stellt sie den Antrag, die SUVA sei zu verurteilen, ihr den Betrag
von Fr. 24'320.-- zu bezahlen. Die SUVA beantragt, die Widerklage sei
abzuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

       Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- a) Erachtet sich ein Versicherer als unzuständig, so überweist
er die Sache unverzüglich an den zuständigen Versicherer (Art. 78
UVG). Gemäss dieser Bestimmung überwies die Mobiliar die Unfallmeldung
vom 28. Mai 1985 am 18. Juli 1985 der SUVA, welche sich mit Verfügung
vom 4. November 1985 als unzuständig erklärte. Die SUVA behandelte die
hiegegen erhobene Einsprache des Nicola G. nicht, sondern erbrachte
statt dessen - bei grundsätzlichem Festhalten an ihrer Unzuständigkeit -
die Versicherungsleistungen; dabei erklärte sie, sich mit der Mobiliar
direkt auseinanderzusetzen.

    b) Gegen Einspracheentscheide, welche die Zuständigkeit eines
Versicherers betreffen, kann innert 30 Tagen Beschwerde beim Bundesamt
für Sozialversicherung (Art. 105 Abs. 2 UVG) und gegen dessen Entscheid
Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Eidg. Versicherungsgericht erhoben
werden (Art. 110 Abs. 1 UVG).

    Die SUVA hat Nicola G. den gesetzlich vorgesehenen Rechtsweg
nicht geöffnet, sondern die Versicherungsleistungen ausgerichtet. Sie
vertritt die Auffassung, die Beschreitung des dargelegten Rechtsweges
sei demjenigen Versicherten unzumutbar, der - wie hier - auf jeden Fall
gegenüber einem der beiden Versicherer leistungsberechtigt sei. Zudem
wäre es verfahrensrechtlich unzulässig, die Leistungen ohne Anerkennung
einer Rechtspflicht zu erbringen und den Versicherten zugleich auf den
Beschwerdeweg zu verweisen. Der Rechtsweg nach Art. 105 Abs. 1 und
2 UVG sei nur gangbar, wenn die Leistungspflicht eines Versicherers
allein streitig sei. Daher habe sie unpräjudiziell die Führung
des Versicherungsfalles übernommen und die gesetzlichen Leistungen
erbracht. Sie fordere nunmehr von der Mobiliar als dem zuständigen
Versicherer die Übernahme des Falles und dessen Weiterführung. Es gehe
somit um eine geldwerte Streitigkeit zwischen Versicherern. Das hiefür
zulässige Rechtsmittel sei die verwaltungsrechtliche Klage an das Eidg.
Versicherungsgericht als einziger Instanz gemäss Art. 110 Abs. 2 UVG
in Verbindung mit Art. 130 und 116 lit. k OG. Allenfalls könnte dieses
Gericht als von beiden Parteien prorogierte Instanz analog Art. 41 lit. c
OG auf die Streitsache eintreten.

Erwägung 2

    2.- Dieser Auffassung, welche von der Mobiliar geteilt wird, kann
nicht beigepflichtet werden.

    a) Die in Art. 105 Abs. 2 und 110 Abs. 1 UVG getroffene Regelung
des Rechtsweges ist für - positive und negative - Kompetenzkonflikte
zwischen Versicherern generell anwendbar (MAURER, Schweizerisches
Unfallversicherungsrecht, S. 74 f.) und mithin nicht nur in Fällen,
da allein die Leistungspflicht eines einzigen Versicherers streitig
ist. Insbesondere erweist sich der Schluss als unzutreffend, dass
der in Erw. 1b dargestellte Rechtsweg bei Kompetenzkonflikten nicht
anwendbar sei und die Versicherer den Zuständigkeitsstreit direkt
vor dem Eidg. Versicherungsgericht austragen könnten, sofern die
Leistungspflicht des einen Versicherers auf jeden Fall gegeben sei. Für
eine solche Einschränkung der gesetzlichen Ordnung bieten weder der
Wortlaut noch die Materialien einen Anhaltspunkt. Zwar beurteilt das
Eidg. Versicherungsgericht gemäss Art. 110 Abs. 2 UVG im Verfahren
der verwaltungsrechtlichen Klage (Art. 116 lit. k in Verbindung mit
Art. 130 OG) als einzige Instanz geldwerte Streitigkeiten zwischen
Versicherern (vgl. dazu Botschaft des Bundesrates zum Bundesgesetz
über die Unfallversicherung vom 18. August 1976, BBl 1976 III
226 in fine). Indessen geht es nicht an, ausserhalb der klaren,
für Zuständigkeitsstreitigkeiten geschaffenen gesetzlichen Regelung
Kompetenzkonflikte unter Versicherern durch Privatvereinbarung dem Eidg.
Versicherungsgericht auf dem Wege der verwaltungsrechtlichen Klage zum
Entscheid zu unterbreiten (vgl. GYGI, Bundesverwaltungsrechtspflege,
2. Aufl., S. 103). Dem Umstand, dass sich die geltende Regelung des
Verfahrens bei Kompetenzkonflikten für den Versicherten in zeitlicher
Hinsicht ungünstig auswirkt, können die beteiligten Versicherer dadurch
Rechnung tragen, dass sie sich bei an sich klaren Leistungsfällen auf
eine unpräjudizierliche Vorleistung einigen.

    b) Nach Art. 118 OG ist das Bundesgericht verpflichtet, als einzige
Instanz die Beurteilung anderer Streitigkeiten verwaltungsrechtlicher
Natur zu übernehmen, wenn es von beiden Parteien angerufen wird
und der Streitwert in Streitigkeiten vermögensrechtlicher Natur
wenigstens Fr. 20'000.-- beträgt. Diese Prorogation ist für das Eidg.
Versicherungsgericht in den entsprechenden Bestimmungen des OG nicht
vorgesehen. In den Verweisungsvorschriften der Art. 130, 131, 133 und 135
OG fehlt ein Hinweis auf die Anwendbarkeit von Art. 118 OG. Es erweist
sich denn auch nicht als notwendig, dass das Eidg. Versicherungsgericht
als einzige Instanz über die für das verwaltungsrechtliche Klageverfahren
vorgesehenen Streitigkeiten auf dem Gebiet der Sozialversicherung (Art. 116
lit. b-h und k in Verbindung mit Art. 130 OG) hinaus Streitigkeiten mit
Streitwert ab Fr. 20'000.-- beurteilt, sofern es durch Parteivereinbarung
angerufen wird oder der Beklagte sich auf die Klage einlässt (GYGI, aaO,
S. 103).

Erwägung 3

    3.- Nach dem Gesagten kann auf die verwaltungsrechtliche Klage der
SUVA und die Widerklage der Mobiliar nicht eingetreten werden. Die SUVA
hat die Einsprache des Nicola G. gegen die Verfügung vom 4. November 1985
zu behandeln.

Erwägung 4

    4.- (Kostenpunkt.)

Entscheid:

        Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

    Auf die verwaltungsrechtliche Klage und die Widerklage wird nicht
eingetreten.