Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 114 V 328



114 V 328

60. Auszug aus dem Urteil vom 30. Dezember 1988 i.S. B. gegen Bundesamt
für Militärversicherung und Versicherungsgericht des Kantons Zürich Regeste

    Art. 52 Abs. 1 und 3 MVG, Art. 9a Abs. 1 MVV: Kürzung der Rente
bei Überentschädigung. Nach Massgabe des Art. 52 Abs. 1 MVG ist eine
Abänderung der Überentschädigungsberechnung jederzeit als zulässig zu
betrachten, sofern eine Veränderung des hypothetischen Valideneinkommens
nachgewiesen wird. Art. 52 Abs. 3 MVG ermächtigt den Bundesrat nicht
zu einer restriktiven Ausgestaltung dieser Kürzungsregel. Soweit
Art. 9a Abs. 1 MVV für die Kürzungsberechnung das der Rentenfestsetzung
zugrundeliegende hypothetische Valideneinkommen als massgebend erklärt,
ist die Verordnungsbestimmung gesetzwidrig.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 4

    4.- b) Das Bundesamt für Militärversicherung (BAMV) vertritt die
Auffassung, Art. 9a Abs. 1 MVV sei gesetzeskonform, und führt zur
Begründung im wesentlichen an, es könne nicht dem Sinn von Art. 52
Abs. 1 MVG entsprechen, die Kürzungsgrenze frei und unabhängig von
der Rentengrundlage in "dynamischer Fortentwicklung alle paar Monate"
aufgrund einer angenommenen Erhöhung des hypothetischen Valideneinkommens
neu festzusetzen; dies sei bezüglich der Überversicherungsberechnung
ebensowenig wie im Bereich des Rentenrevisionsverfahrens zulässig. Im
weiteren weist es auf die praktischen Schwierigkeiten bei der
Abklärung späterer hypothetischer Entwicklungen des anlässlich der
Rentenzusprache festgesetzten Valideneinkommens hin: deshalb seien
"Überversicherungsermittlung und Invaliditätsermittlung sachlogisch und
auch rechtlich weitgehend als Einheit zu betrachten".

    In sachlicher Hinsicht wie auch unter dem Gesichtspunkt der
Praktikabilität mag die vom BAMV postulierte Einheitlichkeit der
Festsetzung des hypothetischen Valideneinkommens sowohl bezüglich der Rente
als auch bezüglich der Überentschädigung bis zu einem gewissen Grade zwar
als gerechtfertigt erscheinen. Aus dem Wortlaut des Art. 52 Abs. 1 MVG
ergibt sich indessen keine Einschränkung, welche die Kürzungsberechnung an
das der Rentenfestsetzung zugrundeliegende hypothetische Valideneinkommen
binden und dementsprechend eine von den gesetzlich vorgesehenen,
zeitlich jedoch nur beschränkt möglichen Rentenanpassungsverfahren
unabhängige Änderung der Überversicherungsermittlung ausschliessen
würde. Im Vergleich dazu sieht Art. 25bis MVG bezüglich der Berechnung der
Rentenhöhe in Abs. 1 zwar auch eine "volle" Anpassung an die Teuerung
sowie an Änderungen der Erwerbseinkommen vor, relativiert diesen
Grundsatz in Abs. 2 jedoch ausdrücklich, indem der Ausgleichszeitpunkt
an die intervallweise erfolgenden Rentenanpassungen der AHV/IV geknüpft
wird. Das Fehlen einer entsprechenden einschränkenden Regelung in
Art. 52 Abs. 1 MVG lässt auf eine vom Gesetzgeber bewusst zugelassene
jederzeitige Anpassung der Überversicherungsberechnung schliessen,
zumal deren Änderung sich auch aus einem Rentenrevisionsverfahren
(Art. 26 MVG) betreffend den Invaliditätsgrad ergeben kann, dessen
Durchführung von Amtes wegen oder auf Gesuch hin grundsätzlich
jederzeit möglich ist. Nebst dem Wortlaut des Art. 52 Abs. 1 MVG
sprechen auch Sinn und Zweck der gesetzlichen Kürzungsbestimmung, welche
eine Überentschädigung des Versicherten vermeiden soll, dafür, jeder
Veränderung des hypothetischen Valideneinkommens eine Neuberechnung der
Überversicherung folgen zu lassen. Andernfalls hätte ein Versicherter, dem
wegen der zeitlich nur beschränkt möglichen betraglichen Rentenanpassung
vorübergehend eine zu tiefe Rente gewährt wird, gleichzeitig eine zu hohe
Überentschädigungskürzung in Kauf zu nehmen. Zu einer solchen zusätzlichen
Belastung darf die Kürzungsregelung, welcher lediglich die Bedeutung eines
Korrekturfaktors zukommt, jedoch nicht führen. Nach Massgabe des Art. 52
Abs. 1 MVG ist deshalb eine Abänderung der Überentschädigungsberechnung
jederzeit als zulässig zu betrachten, sofern eine Veränderung des
hypothetischen Valideneinkommens mit dem erforderlichen Beweisgrad der
überwiegenden Wahrscheinlichkeit nachgewiesen wird.

    Die vom BAMV hinsichtlich einer solchen Auslegung geäusserten
Bedenken vermögen daran nichts zu ändern. Auch wenn nebst den gesetzlich
vorgesehenen Rentenrevisionen und -anpassungen noch zusätzlich Änderungen
der Überentschädigungsberechnung möglich sind, ist nicht mit monatlich
notwendig werdenden Neuermittlungen zu rechnen. Teuerungszulagen
und Reallohnerhöhungen ergeben sich in der Regel nur nach längeren
Zeitspannen von mindestens einjähriger Dauer, und hypothetische berufliche
Aufstiege in höhere Besoldungsbereiche, die überdies eines strengen
Wahrscheinlichkeitsbeweises bedürften, kommen erfahrungsgemäss ebenfalls
eher selten vor.

    c) Zu prüfen bleibt, ob der Bundesrat mit der in Art. 9a Abs. 1 MVV
getroffenen Regelung die ihm in Art. 52 Abs. 3 MVG delegierte Kompetenz zum
"Erlass näherer Bestimmungen über die Kürzungsberechnung" überschritten
hat.

    Art. 52 MVG wurde durch das auf den 1. Januar 1984 in Kraft gesetzte
UVG neu ins MVG eingefügt (Art. 117 UVG in Verbindung mit Ziff. 6
des dazugehörenden Anhangs) und sollte die früher in den Art. 48 AHVG
und 45 IVG normierten Kürzungsregelungen ersetzen (vgl. Botschaft des
Bundesrates zum Bundesgesetz über die Unfallversicherung vom 18. August
1976, BBl 1976 III 228). Während der bundesrätliche Entwurf zum UVG
entsprechend den bis Ende 1983 gültig gewesenen Art. 48 AHVG und 45
IVG dem Bundesrat in Art. 52 Abs. 3 MVG noch die Befugnis einräumte,
über die Kürzungen generell nähere Bestimmungen zu erlassen, stimmte die
Kommission des Nationalrates in der Folge dem Departementsvorschlag zu,
wonach der Begriff "Kürzungen" durch "Kürzungsberechnung" ersetzt und die
Delegationsnorm zudem durch die ausdrückliche Erwähnung einer möglichen
Gleichstellung des Krankengeldes mit der Rente ergänzt werden sollte
(Protokoll der Kommission des Nationalrates, Sitzung vom 28./29. August
1978, S. 46). Diese modifizierte Fassung des Art. 52 Abs. 3 MVG wurde
schliesslich am 19. März 1979 vom Nationalrat (Amtl.Bull. 1979 N 290)
und am 1. Oktober 1980 vom Ständerat (Amtl.Bull. 1980 S 505) angenommen.
Den Gesetzesmaterialien lässt sich indessen nicht entnehmen, ob mit der
Einfügung des modifizierten Ausdruckes "Kürzungsberechnung" gegenüber
der früher geltenden Regelung und dem bundesrätlichen Entwurf lediglich
eine redaktionelle Änderung oder eine engere Begrenzung der dem Bundesrat
übertragenen Kompetenz in materieller Hinsicht beabsichtigt war.

    Die Annahme einer Ermächtigung des Bundesrates zu einer restriktiven
Ausgestaltung der in Art. 52 Abs. 1 MVG getroffenen grundsätzlichen
Regelung ist mit dem Wortlaut der in Abs. 3 derselben Bestimmung
vorgenommenen Delegation indessen nicht vereinbar. Im Hinblick auf
den ebenfalls mit dem UVG eingeführten Art. 25bis MVG, dessen Abs. 2
bezüglich der dem Bundesrat eingeräumten Befugnis zur näheren Regelung
der Rentenanpassungen ausdrücklich eine klare Einschränkung des in
Abs. 1 enthaltenen Grundsatzes schafft, ist angesichts der Formulierung
des Art. 52 Abs. 3 MVG davon auszugehen, dass dem Bundesrat lediglich
eine gewisse Freiheit bei der Festlegung der Formalien der nicht näher
definierten Kürzungsberechnung eingeräumt wurde. Es lässt sich deshalb
nicht rechtfertigen, auch die Wahl der Berechnungsgrundlagen unter
den Begriff "Kürzungsberechnung" fallenzulassen. Die in Art. 9a Abs. 1
MVV erfolgte Bestimmung des zeitlich massgebenden Validenlohnes stellt
somit eine unzulässige Änderung der in Art. 52 Abs. 1 MVG enthaltenen
gesetzlichen Kürzungsregelung dar, welche eine Bindung des massgebenden
Validenlohnes an den Zeitpunkt der Rentenfestsetzung nicht vorsieht. Soweit
Art. 9a Abs. 1 MVV für die Kürzungsberechnung das der Rentenfestsetzung
zugrundeliegende hypothetische Valideneinkommen als massgebend erklärt,
erweist sich die Verordnungsbestimmung als gesetzwidrig.