Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 114 V 290



114 V 290

53. Auszug aus dem Urteil vom 29. November 1988 i.S. Artisana Kranken-
und Unfallversicherung gegen P. und Versicherungsgericht des Kantons
Basel-Landschaft Regeste

    Art. 12bis Abs. 1 KUVG. Zur Verbindlichkeit von Rentenverfügungen der
Invalidenversicherung im Bereiche der Krankengeldversicherung gemäss KUVG.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 6

    6.- a) Die Vorinstanz prüfte nicht konkret, welches Erwerbseinkommen
der Beschwerdegegner ohne Krankheit ab März 1986 in seinem angestammten
Beruf erzielen und wieviel er trotz gesundheitlicher Beeinträchtigung
auf dem gesamten ihm offenstehenden Arbeitsmarkt noch verdienen
könnte. Vielmehr erkannte sie, dass in diesem Zusammenhang auf die von der
Invalidenversicherung vorgenommene Schätzung der Invalidität abzustellen
sei. Könne von einem Krankengeldbezüger verlangt werden, dass er seine
Restarbeitsfähigkeit in einem neuen beruflichen Tätigkeitsbereich verwerte,
bestehe zwischen Arbeitsunfähigkeit gemäss KUVG und Erwerbsunfähigkeit
gemäss IVG kein grundlegender Unterschied mehr, indem ein Versicherter mit
hälftiger Invalidität notwendigerweise als zu 50% arbeitsunfähig gemäss
KUVG zu betrachten sei. Das Interesse an einer einheitlichen rechtlichen
Beurteilung gleicher Sachverhalte in der Invalidenversicherung und in
der Krankenversicherung verlange, dass die Krankenkassen an die von der
Invalidenversicherungs-Kommission (IVK) vorgenommene Invaliditätsschätzung
gebunden seien und davon nur abweichen dürften, wenn diese im Sinne der
Rechtspraxis zur Wiedererwägung von Verfügungen (BGE 111 V 332 Erw. 1,
110 V 178 Erw. 2a und 292 Erw. 1 mit Hinweisen) zweifellos unrichtig sei.

    b) Dieses Vorgehen kann nicht geschützt werden. Hängt der Wegfall oder
die Herabsetzung eines Krankengeldanspruchs davon ab, in welchem Umfang
nach zumutbarer beruflicher Selbsteingliederung ein krankheitsbedingter
Erwerbsausfall weiterbesteht (siehe BGE 114 V 285 Erw. 3), geht die
Vorinstanz zwar zutreffend davon aus, dass die Krankenkassen gleich wie
die Invalidenversicherung möglichst genau das erzielbare Validen- und
Invalideneinkommen zu bestimmen haben. Das bedeutet, dass sich aus dem von
der Invalidenversicherung richtig ermittelten Invaliditätsgrad regelmässig
der Umfang des weiterbestehenden krankheitsbedingten Erwerbsausfalls
ermitteln lässt (sofern alle invalidisierenden Gesundheitsschäden
krankengeldversichert sind). Es wäre in der Tat wünschenswert, wenn hier
Invalidenversicherung und Krankenversicherung von der gleichen Bemessung
der massgebenden Erwerbseinkommen ausgingen. Doch sieht das Gesetz nirgends
eine Bindung der Krankenkassen an das von der IVK erhobene Validen-
und Invalideneinkommen vor. Die Krankenkassen sind deshalb befugt,
selbständig zu entscheiden, von welchem Umfang die fraglichen Einkommen
sind. Indes gehört zu einer genügenden Abklärung, dass die Krankenkassen
im Falle eines Widerspruchs zu einem Erkenntnis der Invalidenversicherung
in deren Akten Einsicht nehmen und ihren Standpunkt im Lichte der dort
festgehaltenen Fakten überprüfen, damit nach Möglichkeit übereinstimmendes
Recht gefunden wird. Allerdings sollten die Krankenkassen hiebei im
Interesse der anzustrebenden Koordination beider Versicherungszweige,
auch wenn sie dazu nicht verpflichtet werden können, eine vertretbare
Invaliditätsbemessung der Invalidenversicherung übernehmen und davon nur
abweichen, wenn ernsthafte Zweifel an deren Richtigkeit bestehen.

    Zwar hat das Eidg. Versicherungsgericht erkannt, dass die
Invaliditätsbemessung der Unfallversicherung oder Militärversicherung
für die Invalidenversicherung grundsätzlich verbindlich sei, soweit
der gleiche Gesundheitsschaden zur Beurteilung stehe (BGE 112 V 175
Erw. 2a, 106 V 88 Erw. 2b). Dies wurde jedoch damit begründet, dass die
Unfallversicherung und die Militärversicherung für die Beurteilung der
Invaliditätsfrage über eigene und gut ausgebaute Dienste verfügen, was
für die Invalidenversicherung nicht in gleichem Masse zutreffe (BGE 106 V
88 Erw. 2b). Entsprechendes lässt sich aber für das Verhältnis zwischen
Krankenkassen und Invalidenversicherung nicht sagen, sind doch beide in
medizinischer Hinsicht auf die Aussagen behandelnder oder anderer von
ihnen beigezogener Ärzte angewiesen.

    c) Ebenso hat der Sozialversicherungsrichter ohne Bindung an die
Feststellungen der IVK zu entscheiden, ob der Versicherte zumutbarerweise
ein Erwerbseinkommen erzielen könnte, das einen Krankengeldanspruch
aufhebt oder vermindert. Die Kasse hat im Rahmen von Art. 30bis KUVG
Anspruch darauf, dass der Richter diese Frage umfassend - und damit ohne
Einschränkung auch unter dem Blickwinkel der Angemessenheit - prüft. Dieser
Verpflichtung wird nicht Genüge getan, wenn er eine Bindung an die
Feststellungen der IVK annimmt und nur dann korrigierend eingreift, wenn
sich diese als zweifellos unrichtig erweisen. Daher ging es hier nicht
an, dass die Vorinstanz zur Invaliditätsbemessung der IVK etliche Zweifel
anmeldete, diese aber schliesslich unbehoben stehen und gleichzeitig
durchblicken liess, dass eine umfassende Prüfung möglicherweise zu einem
andern Ergebnis führen würde. Es kann der Kasse auch im Interesse einer
Koordination beider Versicherungszweige nicht zugemutet werden, dass
sie aufgrund einer möglicherweise fehlerhaften Invaliditätsbemessung zu
Leistungen verpflichtet wird, auf die der Versicherte bei umfassender
Prüfung der Streitsache keinen Anspruch hätte.