Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 114 V 228



114 V 228

46. Auszug aus dem Urteil vom 29. Dezember 1988 i.S. Bundesamt für
Sozialversicherung gegen B. und Versicherungsgericht des Kantons Bern
Regeste

    Art. 4 BV, Art. 65 ff. IVV: Unentgeltliche Verbeiständung im
IV-Abklärungsverfahren. Im Rahmen des IV-Abklärungsverfahrens als
nichtstreitiges Verwaltungsverfahren besteht in engen sachlichen und
zeitlichen Grenzen ein unmittelbar aus Art. 4 BV fliessender Anspruch
auf unentgeltliche Verbeiständung.

Sachverhalt

    A.- Velimir B. beansprucht seit langem vergeblich Leistungen der
Invalidenversicherung. Im Rahmen eines erneut anhängig gemachten
Abklärungsverfahrens liess er durch seinen Rechtsvertreter am
14. Oktober 1986 bei der Ausgleichskasse des Kantons Bern ein
Gesuch mit dem Antrag einreichen, es sei ihm für das hängige
Verwaltungsverfahren "das vollumfängliche Recht auf unentgeltliche
Prozessführung" zu gewähren. Mit Verfügung vom 10. Februar 1987
lehnte die Ausgleichskasse dieses Gesuch mit der Begründung ab, das
Verwaltungsverfahren sei vollständig von der Offizialmaxime beherrscht;
zudem könne der Versicherte die Verfügung der Ausgleichskasse an das
mit voller Kognition ausgestattete kantonale Versicherungsgericht und
schliesslich allenfalls an das Eidg. Versicherungsgericht weiterziehen;
für das Verfahren vor diesen beiden Gerichten bestehe die Möglichkeit der
Beiordnung eines unentgeltlichen Rechtsbeistandes; es sei deshalb genügend
Gewähr dafür geboten, dass das Gesuch des Versicherten um Leistungen
der Invalidenversicherung umfassend geprüft werde, ohne dass bereits im
Verwaltungsverfahren ein Rechtsbeistand bestellt werden müsse.

    B.- Die hiegegen erhobene Beschwerde hiess das Versicherungsgericht des
Kantons Bern mit Entscheid vom 16. Juni 1987 gut, hob die angefochtene
Verfügung auf und wies die Ausgleichskasse an, Velimir B. für das
Administrativverfahren die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren.

    C.- Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt das Bundesamt für
Sozialversicherung (BSV) die Aufhebung des kantonalen Gerichtsentscheides.

    Velimir B. lässt auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde
schliessen.

    D.- Das Bundesgericht und das Eidg. Versicherungsgericht führten zu
den verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten einen Meinungsaustausch durch.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- a) Weil es für das IV-rechtliche Verwaltungsverfahren
im Sinne des nichtstreitigen Verfahrens bis zum Beschluss der
Invalidenversicherungs-Kommission bzw. zu der diesen eröffnenden Verfügung
der Ausgleichskasse an entsprechenden Vorschriften des Bundesrechts wie
auch des kantonalen Rechts fehlt, kommt eine Anerkennung des Anspruchs auf
unentgeltliche Rechtspflege von vornherein nur gestützt auf Art. 4 BV in
Frage. Angesichts der Kostenlosigkeit des Verwaltungsverfahrens beschränkt
sich die Frage sodann auf die unentgeltliche Verbeiständung. Es ist daher
im folgenden einzig zu prüfen, ob und - bei Bejahung der grundsätzlichen
Frage - inwieweit in zeitlicher und sachlicher Hinsicht aus Art. 4
BV ein Anspruch auf unentgeltliche Verbeiständung im IV-rechtlichen
Verwaltungsverfahren fliesst.

    b) Das Eidg. Versicherungsgericht hat in BGE 103 V 46 seine
frühere Rechtsprechung (BGE 98 V 116 Erw. 2; EVGE 1962 S. 163)
bestätigt, wonach der Anspruch auf unentgeltliche Verbeiständung für
das kantonale Beschwerdeverfahren in allen Zweigen der bundesrechtlichen
Sozialversicherung unter gleichen Voraussetzungen besteht. Der Anspruch auf
unentgeltliche Verbeiständung ist nach dieser Rechtsprechung im kantonalen
Beschwerdeverfahren somit auch dort gewährleistet, wo weder das kantonale
Verfahrensrecht noch die bundesrechtlichen Verfahrensvorschriften einen
Anspruch auf unentgeltliche Verbeiständung vorsehen. Nach dem gegenwärtigen
Stand der Bundesgesetzgebung ist ein solcher Anspruch einzig in den
Bereichen der Arbeitslosenversicherung und der beruflichen Vorsorge nicht
vorgesehen. Die Rechtsprechung nach BGE 103 V 46 schliesst somit in diesem
Bereich eine Lücke im Rechtsschutz. Bedeutsam ist, dass sich dieser durch
die Rechtsprechung eingeführte Anspruch auf unentgeltliche Verbeiständung
gegebenenfalls auf ein verwaltungsinternes Beschwerdeverfahren beziehen
kann, nämlich dort, wo das Bundesrecht Raum für einen zweifachen
kantonalen Instanzenzug lässt, wobei nur die letzte kantonale Instanz
von der Verwaltung unabhängig sein muss. Dies trifft wiederum zu auf die
Bereiche der Arbeitslosenversicherung (Art. 101 lit. b AVIG) und die
berufliche Vorsorge (Art. 73 Abs. 1 BVG; BGE 113 V 202 Erw. 3c).

    Anderseits hat die Rechtsprechung gemäss BGE 98 V 116 Erw. 2 und
103 V 46 den Anspruch auf unentgeltliche Verbeiständung im kantonalen
Beschwerdeverfahren nicht etwa aus Art. 4 BV abgeleitet, sondern -
nebst Art. 65 Abs. 2 VwVG - aus der Existenz zahlreicher Bestimmungen
in den Bundessozialversicherungserlassen, welche eine unentgeltliche
Verbeiständung für das kantonale Rechtsmittelverfahren vorsehen
(Art. 85 Abs. 2 lit. f AHVG in Verbindung mit Art. 69 IVG, Art. 7 Abs. 2
ELG, Art. 22 Abs. 3 FLG und Art. 24 EOG; Art. 56 Abs. 1 lit. d MVG;
Art. 30bis Abs. 3 lit. f KUVG; Art. 108 Abs. 1 lit. f UVG). Weil es für
die verschiedenen sozialversicherungsrechtlichen Verwaltungsverfahren im
Sinne der nichtstreitigen Verfahren bis zum Erlass der Verfügung durch
den Sozialversicherungsträger an entsprechenden Vorschriften fehlt, kommt
eine Anerkennung des Anspruches auf unentgeltliche Verbeiständung von
vornherein nur gestützt auf Art. 4 BV in Frage. Es kann folglich nicht
darum gehen, die Rechtsprechung gemäss BGE 103 V 46, welche den Anspruch
auf unentgeltliche Verbeiständung für das kantonale Beschwerdeverfahren
gleichsam als Ausdruck eines spezifisch sozialversicherungsrechtlichen
Grundsatzes betrachtet, weiterzuführen, weil eben der einzig mögliche
Ansatzpunkt ein spezifisch verfassungsrechtlicher (Art. 4 BV) ist.

    Das Eidg. Versicherungsgericht hat es schliesslich in ständiger
Rechtsprechung abgelehnt, auf dem Wege der Rechtsprechung einen
von Bundesrechts wegen bestehenden Parteientschädigungsanspruch für
das kantonale Beschwerdeverfahren dort einzuführen, wo ein solcher
gesetzlich nicht vorgesehen ist (BGE 112 V 111 f. mit Hinweisen). Soweit
ein Parteientschädigungsanspruch für das kantonale Beschwerdeverfahren
besteht, deckt dieser die vorprozessualen Bemühungen und Aufwendungen,
namentlich wenn solche im nichtstreitigen Verwaltungsverfahren bis
zum Verfügungserlass entstanden sind, nicht (BGE 114 V 87 Erw. 4b
in fine mit Hinweisen; ZAK 1987 S. 35, 1986 S. 132 Erw. 2c). Über
den hier zur Diskussion stehenden Anspruch auf unentgeltliche
Verbeiständung im nichtstreitigen Verwaltungsverfahren hat sich das
Eidg. Versicherungsgericht hingegen bisher nicht ausgesprochen.

Erwägung 4

    4.- a) In jüngster Zeit hat das Bundesgericht aus Art. 4 BV einen
Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege nicht nur für den Zivil- und
Strafprozess (vgl. BGE 112 Ia 15 Erw. 3a mit Hinweisen), sondern auch
für das verwaltungsgerichtliche Verfahren abgeleitet (Urteil der II.
Öffentlichrechtlichen Abteilung vom 8. März 1985, auszugsweise publiziert
in ZBl 86/1985, S. 412-414, und EuGRZ 1985, S. 485 ff., bestätigt in
BGE 111 Ia 276). In BGE 111 Ia 5 hat es die Frage aufgeworfen, ob sich
unmittelbar aus Art. 4 BV ein Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege im
kantonalen Verwaltungsverfahren ableiten lasse, einen solchen Anspruch auf
Bestellung eines unentgeltlichen Rechtsbeistandes vor einem Bezirksamt
des Kantons Aargau indessen verneint, da dessen Entscheid (betreffend
den Entzug der elterlichen Gewalt) an das Obergericht weitergezogen
werden konnte, welches mit voller Prüfungsbefugnis entscheidet und vor
welchem Anspruch auf unentgeltliche Rechtsverbeiständung besteht. Einen
Schritt weiter ging es in BGE 112 Ia 14, wo es feststellte, es sei
"ein unmittelbar aus Art. 4 BV fliessender Anspruch auf unentgeltliche
Rechtspflege im Verwaltungsverfahren und im Verwaltungsgerichtsverfahren
anzuerkennen", wie er in jüngerer Zeit auch von der Lehre befürwortet
werde. Dieser Anspruch befreie ganz oder teilweise von der Bezahlung der
Verfahrenskosten und damit auch eines Kostenvorschusses, jedoch nicht
von der Entrichtung einer allfälligen Entschädigung an die obsiegende
Gegenpartei für ihre Umtriebe. Wo dies zur Wahrung der Interessen des
unbemittelten Bürgers erforderlich sei, ergebe sich aus Art. 4 BV zudem
ein Anspruch auf die Bestellung eines unentgeltlichen Rechtsbeistandes
im Verwaltungsverfahren und im Verwaltungsgerichtsverfahren. Ausser der
Bedürftigkeit der um unentgeltliche Rechtspflege ersuchenden Partei sei
Voraussetzung, dass das Rechtsbegehren nicht zum vornherein aussichtslos
erscheine und die verlangten Prozesshandlungen nicht offensichtlich
prozessual unzulässig seien. Der Entscheid müsse ausserdem für die
gesuchstellende Partei von erheblicher Tragweite sein. Schliesslich
könne der Anspruch auf unentgeltlichen Rechtsbeistand nur in den Fällen
bejaht werden, wo sich die aufgeworfenen Fragen nicht leicht beantworten
liessen und die das Gesuch stellende Partei selber nicht rechtskundig sei
(BGE 112 Ia 17 Erw. 3c).

    b) Aus der erwähnten Rechtsprechung und insbesondere dem grundlegenden
BGE 112 Ia 14 schliesst das Eidg. Versicherungsgericht, dass der aus
Art. 4 BV fliessende Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege auf
das streitige Verwaltungsbeschwerde- und Verwaltungsgerichtsverfahren
ausgedehnt wurde, ohne gleichzeitig einen entsprechenden Anspruch für
das vorausgehende nichtstreitige Verwaltungsverfahren, das mit dem
Erlass der anfechtbaren Verfügung abgeschlossen wird, zu verneinen
oder zu bejahen. Das Bundesgericht hat diese Auffassung in dem nach
Art. 16 OG in Verbindung mit Art. 127 Abs. 2 und 4 OG durchgeführten
Meinungsaustauschverfahren bestätigt. In der Lehre wird ebenfalls
angenommen, dass mit BGE 112 Ia 14 die unentgeltliche Rechtspflege nicht
auch auf das nichtstreitige Verwaltungsverfahren ausgedehnt werden wollte
(J.P. MÜLLER, Ausbau sozialer Gerechtigkeit im Prozess, in: recht 1986,
S. 100; G. MÜLLER, Kommentar BV, Art. 4, S. 53, Fn. 316 in fine). Eine
solche Ausdehnung auf das nichtstreitige Verwaltungsverfahren wird von
einem Teil der Lehre nicht für erforderlich gehalten (vgl. - allerdings
vor Erscheinen des BGE 112 Ia 14 - HAEFLIGER, Alle Schweizer sind vor
dem Gesetze gleich, Bern 1985, S. 181), von anderen Stimmen der Doktrin
aber doch als konsequente Weiterführung der bisherigen Rechtsprechung
ernsthaft erwogen (KNAPP, Précis de droit administratif, 3. Aufl., 1988,
S. 129 f., Nrn. 716 und 721; J.P. MÜLLER, aaO, S. 100 vor Ziff. 6).

    c) Das kantonale Gericht meint, aus der neuesten bundesgerichtlichen
Rechtsprechung gehe nicht klar hervor, ob sich der Anspruch auf
unentgeltliche Rechtspflege auf das gesamte Verwaltungsverfahren oder
nur auf das Verwaltungsbeschwerdeverfahren beziehe. Indessen sei nicht
einzusehen, weshalb sich der grundrechtlich geschützte Anspruch auf
unentgeltliche Rechtspflege nur gerade auf das verwaltungsinterne
Beschwerdeverfahren, nicht aber auf das gesamte Verwaltungsverfahren
beziehen solle. Denn die vom Bundesgericht angeführten Gründe, welche
für die Ausdehnung des Anspruchs auf unentgeltliche Rechtspflege im
Bereiche des Verwaltungsrechts sprechen (Grundsatz der Waffengleichheit;
zunehmende Komplexität des Verwaltungsrechts; Bedürfnis nach anwaltlicher
Verbeiständung auch bei Sachverhaltsabklärung von Amtes wegen), träfen
dem Grundsatze nach sowohl für das streitige Verwaltungsrechtspflege- als
auch für das nichtstreitige Verfügungsverfahren zu. Der unmittelbar aus
dem Rechtsgleichheitsprinzip abgeleitete Anspruch auf unentgeltliche
Rechtspflege stelle ein unerlässliches Element eines sozialen
Rechtsstaates dar, indem es nicht nur dem Wohlhabenden, sondern auch
dem Minderbemittelten möglich sein müsse, seine Rechte wirksam wahren zu
können. Die grundlegende rechtsstaatliche Bedeutung des Anspruchs liege
darin, dass dem unbemittelten Bürger in allen Streitigkeiten mit Privaten
und dem Staat, in denen zentrale Interessen auf dem Spiel stünden, die
vollständige Ausschöpfung seiner Parteirechte faktisch ermöglicht werde;
hiezu bedürfe es jedoch eines unentgeltlichen Rechtsbeistandes, sofern
die sich im Verfahren stellenden Fragen eine juristische Vertretung zur
gehörigen Wahrung der Rechte erforderlich machten. Es sei daher von einem
unmittelbar aus Art. 4 BV fliessenden Anspruch des unbemittelten Bürgers
auf unentgeltliche Rechtspflege im Verwaltungsverfahren auszugehen,
sofern bestimmte Voraussetzungen erfüllt seien. Diese Voraussetzungen
hat das kantonale Gericht in Anlehnung an die vorne wiedergegebene
bundesgerichtliche Rechtsprechung (vgl. Erw. 4a hievor) dahingehend
umschrieben, die gesuchstellende Partei müsse bedürftig sein, ihr
Rechtsbegehren dürfe nicht zum vornherein aussichtslos erscheinen und
die verlangten Prozesshandlungen dürften nicht offensichtlich prozessual
unzulässig sein; sodann müsse der Entscheid für die gesuchstellende
Partei von erheblicher Tragweite sein; schliesslich sei die unentgeltliche
Rechtspflege auf Fälle zu beschränken, wo sich die aufgeworfenen Fragen
nicht leicht beantworten liessen und die gesuchstellende Partei selber
nicht rechtskundig sei.

    d) Gegen die vom kantonalen Gericht auf das gesamte
Verwaltungsverfahren vorgenommene Ausdehnung des aus Art. 4 BV
fliessenden Anspruchs auf unentgeltliche Rechtspflege wendet das BSV
im wesentlichen ein, im IV-Verwaltungsverfahren fehle es an einer dem
Prozessrisiko mit Obsiegen und Unterliegen vergleichbaren Situation und
damit grundsätzlich am Bedürfnis nach unentgeltlicher Verbeiständung;
es gebe keinen Streit im eigentlichen Sinne und keinen Richter,
der ihn entscheide; der Versicherte könne eine ihm nicht genehme
Verfügung in zweifachem Instanzenzug verwaltungsgerichtlich überprüfen
lassen, wobei bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen die
unentgeltliche Verbeiständung gewährleistet sei. Das Erfordernis
fehlender Aussichtslosigkeit im IV-Verwaltungsverfahren könne kaum
konkretisiert werden, indem völlig ungewiss sei, ob dabei auf die
Anmeldung des Versicherten, das gesamte Abklärungsverfahren oder das
Anhörungsverfahren nach Art. 73bis IVV abzustellen sei; es müsse angesichts
der Vielzahl der möglichen Leistungen praktisch immer davon ausgegangen
werden, dass der Versicherte Aussicht habe, auch nur teilweise mit seinem
Leistungsgesuch durchzudringen. Unter dem Gesichtspunkt der Notwendigkeit
der anwaltlichen Verbeiständung sei nicht recht ersichtlich, was der
Anwalt im IV-Verwaltungsverfahren Entscheidendes beitragen könne; denn es
komme in erster Linie auf die Person des Versicherten selber an, der bei
medizinischen und beruflichen Abklärungen mitzuwirken habe; anderseits
eröffne das IV-Verwaltungsverfahren dem Versicherten bzw. dessen Anwalt
im Gegensatz zum Beschwerdeverfahren grundsätzlich keine Möglichkeiten,
mit Anträgen und Ähnlichem in die Verwaltungstätigkeit wirksam
einzugreifen und eigene Vorstellungen durchzusetzen. Schwierigkeiten
würden schliesslich auch die Fragen bereiten, wer die Voraussetzungen
prüfen und die Kosten der unentgeltlichen Verbeiständung tragen solle;
eine besondere Frage bilde dabei die Bemessung des Anwaltshonorars, da
es an einer Begrenzungsmöglichkeit der anwaltlichen Tätigkeiten wie im
Beschwerdeverfahren fehle.

Erwägung 5

    5.- a) Bei der Entscheidung der im Streite liegenden Frage
ist von der Natur des IV-rechtlichen Verwaltungsverfahrens
auszugehen. Dieses dient der Abklärung der für die verschiedenen
Leistungen (Eingliederungsmassnahmen, Renten usw.) massgeblichen
persönlichen, gesundheitlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des
Leistungsansprechers (vgl. hiezu die Art. 65 ff. IVV und das Kreisschreiben
des BSV über das Verfahren in der Invalidenversicherung, gültig ab
1. Juli 1987). Es beginnt mit der Einreichung des Leistungsgesuches an
die zuständige Invalidenversicherungs-Kommission, welche die Leitung des
Verwaltungsverfahrens innehat. Die Invalidenversicherungs-Kommission ist
zur Objektivität und Neutralität verpflichtet. Der Untersuchungsgrundsatz
und die Rechtsanwendung von Amtes wegen gelten integral,
allerdings ergänzt durch die verschiedenen Mitwirkungspflichten des
Leistungsansprechers. Betrachtet die Invalidenversicherungs-Kommission
die Abklärungen als genügend, fasst sie über die in Betracht fallenden
Leistungsansprüche Beschluss. Dieser Beschluss wird dem Versicherten durch
eine anfechtbare Verfügung der zuständigen Ausgleichskasse eröffnet.
Bevor die Invalidenversicherungs-Kommission über die Ablehnung eines
Leistungsbegehrens oder über den Entzug oder die Herabsetzung einer
bisherigen Leistung beschliesst, hat sie dem Versicherten oder seinem
Vertreter Gelegenheit zu geben, sich mündlich oder schriftlich
zur geplanten Erledigung zu äussern und die Akten seines Falles
einzusehen. Dieses Anhörungsrecht ist durch den auf 1. Juli 1987 in
Kraft getretenen Art. 73bis IVV festgeschrieben worden, womit eine feste
Verwaltungspraxis ins positive Recht übergeführt worden ist.

    b) Die Erwägungen, welche zur Anerkennung eines Anspruches
auf unentgeltliche Rechtspflege im streitigen verwaltungsinternen
Beschwerdeverfahren geführt haben (vgl. besonders BGE 112 Ia 16 Erw. 3b),
sprechen für die Gewährleistung eines in engen sachlichen und zeitlichen
Grenzen gehaltenen Anspruches auf unentgeltliche Verbeiständung im
IV-rechtlichen Verwaltungsverfahren. Denn es sind auch hier heikle Rechts-
oder Abklärungsfragen oder schwierige Verfahrenssituationen denkbar, wo
es erforderlich sein kann, dass der unbemittelte Versicherte gegenüber
der Verwaltung durch einen Anwalt verbeiständet ist. Die unentgeltliche
Verbeiständung kann mithin verfassungsrechtlich geboten und darüber
hinaus - im Hinblick auf die vermittelnde Funktion des Anwaltes zwischen
Versichertem und Versicherung - für eine korrekte Verfahrensabwicklung
nützlich sein. Dabei ist es allerdings mit den erforderlichen
sachlichen Voraussetzungen streng zu nehmen (nebst der Bedürftigkeit
die fehlende Aussichtslosigkeit bzw. prozessuale Unzulässigkeit des
Leistungsbegehrens bzw. der verlangten Handlungen; erhebliche Tragweite
der Sache für die gesuchstellende Partei; Schwierigkeit der aufgeworfenen
Fragen; fehlende Rechtskenntnisse des Versicherten; vgl. BGE 112 Ia 17
Erw. 3c). Ein strenger Massstab wird insbesondere an die Notwendigkeit
der Verbeiständung zu legen sein. Wo eine an den Untersuchungsgrundsatz
gebundene Behörde wie die Sozialversicherungsorgane im nichtstreitigen
Verwaltungsverfahren über das Leistungsgesuch eines Versicherten zu
befinden hat, dürfte die Mitwirkung eines Rechtsanwaltes regelmässig nicht
erforderlich sein. Ein Anspruch auf unentgeltliche Verbeiständung entfällt
insbesondere dann, wenn die geltend gemachten Leistungsansprüche durch
das normale Abklärungsverfahren ausgewiesen werden bzw. die Verwaltung
dem Leistungsgesuch entspricht. Sodann drängt sich eine anwaltliche
Verbeiständung nur für Ausnahmefälle auf, in denen ein Rechtsanwalt
beigezogen wird, weil schwierige rechtliche oder tatsächliche Fragen
dies als notwendig erscheinen lassen und eine Verbeiständung durch
Verbandsvertreter, Fürsorger oder andere Fach- und Vertrauensleute sozialer
Institutionen nicht in Betracht fällt.

    Zusätzlich zu diesen engen sachlichen Voraussetzungen muss auch in
zeitlicher Hinsicht eine Limitierung eines aus Art. 4 BV abzuleitenden
Anspruches auf unentgeltliche Verbeiständung erfolgen. Denn bei
Eingang eines Leistungsgesuches bzw. bei Beginn des IV-rechtlichen
Abklärungsverfahrens ist in der Regel völlig ungewiss, welche Leistungen
überhaupt in Betracht fallen. Es können somit in diesem Verfahrensstadium
regelmässig noch gar keine Prozess- bzw. Verfahrensaussichten festgestellt
werden. Vielmehr muss die Invalidenversicherungs-Kommission zunächst einmal
pflichtgemäss tätig werden. Erst wenn nach diesen Abklärungen sich ein
Verfahrensergebnis abzuzeichnen beginnt, lässt sich überhaupt beurteilen,
ob die vom Ansprecher geltend gemachten Leistungsarten begründet sind oder
nicht. Kristallisationspunkt ist diesbezüglich der Erlass des Vorbescheides
nach dem erwähnten Art. 73bis IVV. In diesem Anhörungsverfahren,
das, wenn der Versicherte Einwendungen vorträgt oder vortragen lässt,
eindeutig schon Elemente eines streitigen Verfahrens aufweist, kann
es unter den erwähnten sachlichen Voraussetzungen verfassungsrechtlich
geboten sein, dem Leistungsansprecher die unentgeltliche Verbeiständung zu
bewilligen. Damit ist dem Versicherten auf der Stufe des nichtstreitigen
Verwaltungsverfahrens und im Stadium des unmittelbar bevorstehenden
Verfügungserlasses der verfassungsrechtliche Minimalanspruch auf
unentgeltliche Verbeiständung gewahrt.

    c) Den vom BSV in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde vorgetragenen
Bedenken gegen die Ausdehnung des Anspruchs auf unentgeltliche
Verbeiständung auf das IV-rechtliche Abklärungsverfahren kann, soweit
ihnen mit der zeitlichen Limitierung des Anspruchs nicht bereits Rechnung
getragen worden ist, nicht gefolgt werden. So bestehen namentlich
zwischen Verwaltungsbeschwerde- und Verwaltungsgerichtsverfahren
einerseits und dem nichtstreitigen Verwaltungsverfahren anderseits keine
wesensmässigen Verschiedenheiten, welche gegen eine solche Ausdehnung
sprechen würden. Im nichtstreitigen Verwaltungsverfahren, welches mit
dem Erlass der Verfügung abgeschlossen wird (Art. 5 VwVG; Art. 84 Abs. 1
AHVG), ist die Durchführungsstelle (Invalidenversicherungs-Kommission,
Ausgleichskasse) nicht Partei, sondern hoheitlich auftretendes, an die
Grundsätze einer rechtsstaatlichen Verwaltung gebundenes Organ (GYGI,
Bundesverwaltungsrechtspflege, 2. Aufl., S. 30 unten; vgl. auch zum
Beweiswert der im Administrativverfahren eingeholten Arztberichte BGE
104 V 211 Erw. c). Ausgleichskasse und Invalidenversicherungs-Kommission
sind insoweit - wie der Richter im Beschwerdeverfahren - zur Neutralität
verpflichtet. Mit dem Übergang vom nichtstreitigen Administrativverfahren
zum durch Beschwerde eingeleiteten verwaltungsinternen oder -externen
Verwaltungsjustizverfahren macht die ursprünglich verfügende
Verwaltungsstelle einen bedeutsamen Funktionswandel durch: Sie
verliert die Herrschaft über den Anfechtungsgegenstand und nimmt fortan
Parteistellung ein (BGE 103 V 109 Erw. 2a, 2. Absatz mit Hinweisen,
105 V 188 Erw. 1; GYGI, aaO, S. 189). Leistungsgesuch (Art. 46 IVG,
Art. 65 ff. IVV) und vorinstanzliche Beschwerde (Art. 84 ff. AHVG)
sind insoweit durchaus miteinander vergleichbar. Daran ändert nichts,
dass die Verbeiständungsvoraussetzungen für das Beschwerdeverfahren
nicht einfach ohne weiteres übernommen werden können. Sodann
setzt der Verbeiständungsanspruch keineswegs einen Anspruch auf
Parteientschädigung bei Obsiegen voraus (vgl. Erw. 3b hievor). Auch kann
die Verbeiständigungsnotwendigkeit für das Verwaltungsverfahren nicht schon
deswegen verneint werden, weil im nachfolgenden Beschwerdeverfahren ein
Anspruch auf unentgeltliche Verbeiständung besteht. Von Verfassungs
wegen ist vielmehr gefordert, dass jedes Verfahren bzw. jeder
Verfahrensabschnitt derart ausgestaltet ist, dass er den aus Art. 4 BV
fliessenden Grundsätzen genügt. Nicht einzusehen ist ferner, inwiefern die
Invalidenversicherungs-Kommission in Zusammenarbeit mit der Ausgleichskasse
nach Abschluss der Abklärungen und nach Erlass des Vorbescheides nicht in
der Lage sein soll, über die unentgeltliche Verbeiständung zu befinden,
zumal die Verwaltung, wie eben dargelegt, im Verwaltungsverfahren die
gleiche Rolle und hoheitliche Stellung einnimmt wie die Beschwerdebehörde
bzw. der Verwaltungsrichter im anschliessenden Verwaltungsjustizverfahren.

    Schliesslich sprechen auch die vom BSV erwähnten Kostengesichtspunkte
nicht gegen eine Ausdehnung des Anspruches auf unentgeltliche
Verbeiständung. Insoweit kantonale und Verbandsausgleichskassen sowie die
Invalidenversicherungs-Kommissionen die Invalidenversicherung durchführen,
vollziehen sie als kantonale bzw. aus der Bundeszentralverwaltung
ausgegliederte Selbstverwaltungskörper Bundesrecht (Art. 34quater
Abs. 1 und Abs. 2 Satz 6 BV). Es leuchtet daher ohne weiteres ein, dass
die Kosten eines allfällig einzuräumenden Anspruchs auf unentgeltliche
Verbeiständung für das IV-rechtliche Verwaltungsverfahren zu Lasten der
Invalidenversicherung als solcher bzw. des AHV Ausgleichsfonds gehen. So
verhält es sich bereits für die Gerichtskosten und Parteientschädigungen,
welche die Ausgleichskassen bei Unterliegen in erst- und kostenpflichtigen
zweitinstanzlichen Streitigkeiten bezahlen müssen, indem sie diese durch
die Zentrale Ausgleichsstelle aus dem Ausgleichsfonds vergütet erhalten
(Art. 71 Abs. 3 AHVG in Verbindung mit Art. 149 Abs. 2 AHVV; Rz. 84 der
Weisungen des BSV über Buchführung und Geldverkehr der Ausgleichskassen
vom 1. Februar 1979). Nach dem gleichen Prozedere wäre für Entschädigungen
an die unentgeltlichen Rechtsbeistände im Verwaltungsverfahren vorzugehen.

Erwägung 6

    6.- Im vorliegenden Fall ist es zum Vorbescheidsverfahren noch
gar nicht gekommen. Dennoch will die Vorinstanz dem Beschwerdegegner
die unentgeltliche Verbeiständung für das gesamte IV-rechtliche
Verwaltungsverfahren gewähren, dies mit dem einzigen Hinweis, es handle
sich vorliegend um einen "Ausnahmefall". Indessen wird vom kantonalen
Gericht nicht dargetan, inwiefern der vorliegende Fall ein Ausnahmefall
sein soll. Die vorinstanzlichen Erwägungen vermögen in diesem Punkt
nicht zu überzeugen, weil lediglich die sachlichen Voraussetzungen für
die unentgeltliche Verbeiständung berücksichtigt werden, nicht jedoch
die zeitlichen Bedingungen, d.h. die Durchführung des Vorbescheids- und
Anhörungsverfahrens. Im vorliegenden Fall hätte der Rechtsvertreter des
Beschwerdegegners sämtliche Einwände gegen die von der Verwaltung in
Aussicht genommene Begutachtung durch den Psychiater Dr. med. H. im
Anhörungsverfahren vortragen können. Dass der Anwalt bereits vorher
intervenierte und seinem Klienten hiefür die unentgeltliche Verbeiständung
zugesprochen werden soll, ist verfassungsrechtlich nicht erforderlich. Der
kantonale Gerichtsentscheid ist daher aufzuheben. Dem Beschwerdegegner
bleibt die Möglichkeit gewahrt, nach Erlass des Vorbescheides ein Gesuch
um unentgeltliche Verbeiständung zu stellen oder stellen zu lassen.