Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 114 V 209



114 V 209

42. Auszug aus dem Urteil vom 24. August 1988 i.S. Bundesamt für
Sozialversicherung gegen S. AG und AHV-Rekurskommission des Kantons
Zürich Regeste

    Art. 1 Abs. 1 AHVG, Art. 7 Abs. 1 des schweizerisch-deutschen
und Art. 4 Abs. 1 des schweizerisch-österreichischen Abkommens über
Soziale Sicherheit, Art. 5 des schweizerisch-deutschen und Art. 4 des
schweizerisch-österreichischen Abkommens über Arbeitslosenversicherung:
Beitragspflicht einer schweizerischen Reederei bezüglich der
auf ihren Hochseeschiffen unter Schweizer Flagge beschäftigten
ausländischen Seeleute. Beitragspflicht für die bundesdeutschen und
österreichischen Besatzungsmitglieder hinsichtlich der AHV, Invaliden- und
Arbeitslosenversicherung bejaht, wogegen eine EO-Abgabepflicht entfällt.

Sachverhalt

    A.- Die Firma S. AG, Zürich (nachstehend Firma), befährt mit Schiffen,
welche im Register der schweizerischen Seeschiffe eingetragen sind und die
Schweizer Flagge zeigen, die hohe See. Für die Besatzung dieser Schiffe
heuert sie Angehörige verschiedener Staaten an, im besonderen Deutsche
und Österreicher. Für die ausländische Mannschaft hatte die Firma während
Jahren mit der Ausgleichskasse der Zürcher Arbeitgeber, welcher sie
angeschlossen ist, nicht über paritätische Sozialversicherungsbeiträge
abgerechnet.

    Am 14. März 1986 erliess die Ausgleichskasse je eine Nachzahlungs- und
Verzugszinsverfügung über paritätische AHV/IV/EO- und AlV-Beiträge für die
Jahre 1983 bis 1985. Den Verfügungen lag eine kasseneigene Einschätzung der
an die ausländischen Besatzungsmitglieder ausgerichteten Entgelte zugrunde.

    B.- Beschwerdeweise liess die Firma die vollständige, allenfalls
teilweise Aufhebung dieser Verfügungen beantragen.

    Gestützt auf eine Arbeitgeberkontrolle vom 23./24. Juli 1986, bei
welcher die genauen Lohnsummen ermittelt wurden, hob die Ausgleichskasse
die angefochtene Nachzahlungsverfügung pendente lite auf und setzte die
strittigen Beiträge für 1983 bis 1985 am 13. August 1986 neu fest. Die
Beiträge betrafen ausschliesslich bundesdeutsche und österreichische
Staatsangehörige.

    Mit Entscheid vom 20. Oktober 1986 hob die Rekurskommission in
teilweiser Gutheissung der Beschwerde die Nachzahlungsverfügung vom
13. August 1986 hinsichtlich des Jahres 1983 gestützt auf den Grundsatz
von Treu und Glauben auf und wies die Akten an die Ausgleichskasse
zurück, damit sie die Beitragsforderung für die Jahre ab 1984 im Sinne
der Erwägungen neu festlege.

    C.- Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt das Bundesamt für
Sozialversicherung (BSV) insoweit die Aufhebung des vorinstanzlichen
Entscheides, als darin die Beitragspflicht der Firma für das Jahr
1983 verneint wird; ferner sei von einer Rückweisung der Akten an die
Ausgleichskasse abzusehen.

    Die Firma lässt sich auf Abweisung der Beschwerde vernehmen,;
allenfalls sei diese nur insoweit gutzuheissen, als die Nacherfassung von
AHV- und IV-Beiträgen ab 1983 beantragt werde; indessen sei sie abzuweisen,
soweit sie sich auch auf die Nacherfassung von EO- und AlV-Beiträgen
beziehe. Die Ausgleichskasse schliesst sinngemäss auf Gutheissung der
Beschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- und 2. - (Ausführungen darüber, dass sich eine Beitragspflicht
für die ausländischen Seeleute landesrechtlich nicht begründen lässt.)

Erwägung 3

    3.- a) Nach Art. 7 Abs. 1 des Abkommens zwischen der Schweizerischen
Eidgenossenschaft und der Bundesrepublik Deutschland über Soziale
Sicherheit vom 25. Februar 1964 gelten für die Besatzung eines
Seeschiffes, das die Flagge einer Vertragspartei führt, deren
Rechtsvorschriften. Gestützt darauf ist die Beitragspflicht der Firma
für die von ihr beschäftigten bundesdeutschen Seeleute ohne Frage
zu bejahen, und zwar, entsprechend dem sachlichen Geltungsbereich
des Abkommens, für die AHV und IV (Art. 2 Ziff. 2 lit. a und b). Das
schweizerisch-österreichische Abkommen über Soziale Sicherheit vom
15. November 1967 kennt die Flaggenklausel nicht.

    In BGE 112 V 337 hat das Eidg. Versicherungsgericht festgestellt,
dass aufgrund der Gleichbehandlungsklausel in den Abkommen mit Belgien,
der Bundesrepublik Deutschland und Frankreich der Angehörige eines
Vertragsstaates, der in einem Drittstaat für einen in der Schweiz
domizilierten Arbeitgeber tätig ist und von diesem entlöhnt wird,
in Anwendung von Art. 1 Abs. 1 lit. c AHVG (in Verbindung mit Art. 1
IVG) obligatorisch bei der schweizerischen AHV/IV versichert und der
Arbeitgeber der paritätischen Beitragspflicht unterstellt ist (BGE 112 V
344 Erw. 7d). Das in diesem Urteil zur Beschäftigung in einem Drittstaat
Gesagte muss - mutatis mutandis - auch für die Beschäftigung eines
Vertragsausländers auf einem schweizerischen Hochseeschiff gelten. Da auch
das schweizerisch-österreichische Abkommen eine Gleichbehandlungsklausel
im Sinne der dargelegten Rechtsprechung enthält (Art. 4 Abs. 1),
hat die Firma auf den ihren österreichischen Seeleuten ausgerichteten
Arbeitsentgelten Beitrage zu bezahlen. Entsprechend dem sachlichen
Geltungsbereich des Abkommens beschränkt sich die Abgabepflicht ebenfalls
auf die AHV und IV (Art. 2 Abs. 1 Ziff. 2 lit. b und c).

    b) In den Sozialversicherungsabkommen, welche die Schweiz mit der
Bundesrepublik Deutschland und mit Österreich abgeschlossen hat, ist
die Gesetzgebung über die Erwerbsersatzordnung (EO) nicht erwähnt. Damit
entfällt im vorliegenden Sachzusammenhang endgültig eine diesbezügliche
Beitragspflicht der Firma an die EO (vgl. BGE 112 V 345 Erw. 8).

    Gemäss Art. 5 Abs. 1 des Abkommens über Arbeitslosenversicherung,
welches die Schweiz am 20. Oktober 1982 mit der Bundesrepublik
Deutschland abgeschlossen hat, richtet sich die Beitragspflicht nach den
Rechtsvorschriften des Vertragsstaates, in dessen Gebiet die Beschäftigung
ausgeübt wird. Werden jedoch aufgrund des schweizerisch-deutschen Abkommens
über Soziale Sicherheit nicht die Rechtsvorschriften angewandt, die am
Beschäftigungsort gelten, sondern die Rechtsvorschriften des anderen
Vertragsstaates, so gilt dies ohne Rücksicht auf die Staatsangehörigkeit
des Arbeitnehmers auch für die Beitragspflicht nach den in Art. 2
Abs. 1 angeführten Rechtsvorschriften (Abs. 2). Nach dieser Bestimmung
bezieht sich das Abkommen in der Schweiz auf die bundesrechtlichen
Rechtsvorschriften über die Arbeitslosen-, Kurzarbeits-, Schlechtwetter-
und Insolvenzentschädigung sowie die Rechtsvorschriften über die Beiträge
(Ziff. 2). Gestützt darauf lässt sich in Verbindung mit der im Abkommen
über Soziale Sicherheit verankerten Flaggenklausel eine AlV-Beitragspflicht
der Firma für die auf hoher See beschäftigten bundesdeutschen Seeleute
ab Inkrafttreten des Abkommens über Arbeitslosenversicherung, d.h. ab
1. Januar 1984 begründen (vgl. diesbezüglich BGE 112 V 346 Erw. 8;
vgl. auch BBl 1983 I 6 Ziff. 22, wonach mit Art. 5 Abs. 2 des Abkommens
über Arbeitslosenversicherung "die einheitliche Beitragserhebung
sichergestellt" werden sollte). Eine entsprechende Abgabepflicht der Firma
für ihre österreichischen Seeleute ergibt sich aus Art. 4 des Abkommens
zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Republik Österreich
über Arbeitslosenversicherung vom 14. Dezember 1978 in Verbindung mit
der im schweizerisch-österreichischen Abkommen über Soziale Sicherheit
enthaltenen Gleichbehandlungsklausel (siehe vorstehende Erw. 3a in
fine); denn der genannte Art. 4 bestimmt, dass die Versicherungs-
bzw. Beitragspflicht sich nach dem Abkommen über Soziale Sicherheit in
der jeweils geltenden Fassung richtet.

Erwägung 4

    4.- (Ausführungen darüber, dass der Grundsatz von Treu und Glauben
in casu keine von den staatsvertraglichen Bestimmungen abweichende
Beurteilung zulässt.)

Erwägung 5

    5.- Zusammenfassend ergibt sich für den vorliegenden Fall, dass die
Firma auf den Arbeitsentgelten, die sie den auf ihren Hochseeschiffen
beschäftigten Seeleuten bundesdeutscher und österreichischer
Staatsangehörigkeit in den Jahren 1983 bis 1985 ausgerichtet hat,
paritätische AHV- und IV-Beiträge zu bezahlen hat (Erw. 3a). Hinsichtlich
der Arbeitslosenversicherung ist sie für die österreichischen
Besatzungsmitglieder ab 1983 und für die bundesdeutschen ab 1984
beitragspflichtig. Eine EO-Abgabepflicht entfällt dagegen (Erw. 3b).

Entscheid:

        Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

    Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird in dem Sinne teilweise
gutgeheissen, dass der Entscheid der AHV-Rekurskommission des
Kantons Zürich vom 20. Oktober 1986 und die Nachzahlungs- und
Verzugszinsverfügungen vom 13. August 1986 aufgehoben werden und die
Sache an die Ausgleichskasse der Zürcher Arbeitgeber zurückgewiesen wird,
damit diese im Sinne der Erwägungen verfahre.