Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 114 V 169



114 V 169

35. Urteil vom 15. August 1988 i.S. H. gegen Schweizerische Krankenkasse
Helvetia und Versicherungsgericht des Kantons Zürich Regeste

    Art. 9 Abs. 1 UVV, Art. 14 Abs. 2 Vo III: Kausalzusammenhang beim
unfallbedingten Zahnschaden. Die Adäquanz des Kausalzusammenhangs zwischen
dem als Unfall zu qualifizierenden Abbrechen eines Zahnes beim Beissen
auf eine Nussschale im Nussbrot und dem eingetretenen Zahnschaden darf
nur dann verneint werden, wenn anzunehmen ist, der betroffene Zahn hätte
selbst einer normalen Belastung nicht standgehalten.

Sachverhalt

    A.- Doris H. (geb. 1941) ist bei der Schweizerischen Krankenkasse
Helvetia u.a. auch gegen Unfälle versichert. Am 12. März 1987 biss sie
beim Essen von Nussbrot auf eine Nussschale, wodurch sie sich einen Zahn
abbrach. Mit Verfügung vom 7. Juli 1987 lehnte es die Krankenkasse ab,
die Kosten der Zahnbehandlung ganz oder teilweise zu übernehmen, weil
das Beissen auf eine Schale im Nussbrot nichts Ungewöhnliches darstelle;
der Unfallbegriff sei deshalb nicht erfüllt.

    B.- Die von Doris H. hiegegen eingereichte Beschwerde wies das
Versicherungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 27. Oktober
1987 ab.

    C.- Doris H. führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Begehren, der
vorinstanzliche Entscheid und die angefochtene Verfügung seien aufzuheben
und die Krankenkasse sei zur Vergütung der Zahnbehandlungskosten zu
verpflichten.

    Während die Krankenkasse auf Abweisung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliesst, beantragt das Bundesamt für
Sozialversicherung, die Verwaltungsgerichtsbeschwerde sei gutzuheissen;
eventuell sei die Sache zur Abklärung des Vorzustandes des gebrochenen
Zahnes und zu neuer Entscheidung an das kantonale Gericht zurückzuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

       Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- (Unfallbegriff: vgl. BGE 112 V 202 Erw. 1.)

Erwägung 2

    2.- (Ausführungen darüber, dass entgegen Krankenkasse und Vorinstanz
ein Unfall im Rechtssinne zu bejahen ist.)

Erwägung 3

    3.- a) Wie bereits im vorinstanzlichen Verfahren wendet die
Krankenkasse ein, selbst wenn der Unfallbegriff zu bejahen wäre, entfalle
ihre Leistungspflicht, weil der adäquate Kausalzusammenhang zwischen
dem Biss auf die Nussschale und dem eingetretenen Zahnschaden wegen des
Vorzustandes des abgebrochenen Zahnes als unterbrochen gelten müsse. Der
Biss auf die Nussschale sei von der anderen Ursache der Schädigung - dem
Vorzustand des Zahnes - so sehr in den Hintergrund gedrängt worden, dass
er nach wertender Betrachtungsweise als rechtlich nicht mehr beachtlich
erscheine. Wie aus dem Frageblatt betreffend Zahnschäden - hervorgehe,
sei der gebrochene Zahn durch Wurzelbehandlung und eine grosse Füllung
bereits derart geschwächt gewesen, dass er früher oder später gebrochen
wäre. Nach Ansicht ihres Vertrauensarztes hätte der Zahn schon vor dem
schädigenden Ereignis mit einer Krone versehen werden müssen.

    b) Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden. Wie das Eidg.
Versicherungsgericht in BGE 103 V 180 Erw. 3a und im unveröffentlichten
Urteil K. vom 4. September 1975 (zitiert und zusammengefasst in
BGE 112 V 204 Erw. 3a und in BGE 103 V 180 Erw. 3a) ausgeführt hat,
lässt es sich nicht rechtfertigen, die Erfüllung des Unfallbegriffs
davon abhängig zu machen, ob das schädigende Ereignis einen völlig
intakten oder aber einen bereits behandelten Zahn betroffen hat. Dass
einzelne oder sogar eine Anzahl von Zähnen infolge zahnärztlicher
Behandlung im Hinblick auf mechanischen Druck relativ geschwächt sind,
bildet im Erwachsenenalter wohl die Regel, wogegen ein völlig intaktes
Gebiss eher die Ausnahme sein dürfte. Es ist zwar anzunehmen, dass ein
völlig gesunder Zahn stärkeren Belastungen standhält als ein sanierter.
Indessen bleibt ein behandelter Zahn in der Regel für den normalen Kauakt
durchaus funktionstüchtig. Wenn ein solcher Zahn einer plötzlichen, nicht
beabsichtigten und aussergewöhnlichen Belastung nicht standhält, darf die
Annahme eines Unfalles nicht mit der Begründung ausgeschlossen werden, ein
völlig intakter Zahn hätte selbst diese Belastung überstanden. Vorbehalten
bleiben Fälle, wo der Zahn so geschwächt ist, dass er auch eine normale
Belastung nicht ausgehalten hätte.

    Diese Ausführungen erfolgten zwar im Zusammenhang mit der Erörterung
des Unfallbegriffs, beschlagen aber die davon zu unterscheidende
Frage des adäquaten Kausalzusammenhangs (vgl. MAURER, Schweizerisches
Unfallversicherungsrecht, S. 165); in diesem Sinne kann darauf zur
Beantwortung der vorliegend interessierenden Frage abgestellt werden,
was bedeutet, dass ein adäquater Kausalzusammenhang (vgl. BGE 113
V 312 Erw. 3b mit Hinweisen) zwischen dem Unfallereignis und dem
eingetretenen Zahnschaden nur dann verneint werden darf, wenn anzunehmen
ist, der betroffene Zahn hätte selbst einer normalen Belastung nicht
standgehalten. Damit ist auch die in BGE 112 V 206 Erw. 3c noch
offengelassene Frage, welche Bedeutung dem Vorzustand des betroffenen
Zahnes beizumessen ist, beantwortet.

    c) Entgegen der Behauptung der Krankenkasse fehlen im vorliegenden Fall
Anhaltspunkte dafür, dass der abgebrochene Zahn der Beschwerdeführerin
derart geschwächt gewesen wäre, dass er auch einer normalen Belastung
nicht standgehalten hätte. Ergänzende Abklärungen erübrigen sich. Dass
der Zahn auch ohne Unfall "früher oder später" Schaden genommen hätte, mag
zutreffen, genügt aber nach dem Gesagten nicht, um den rechtserheblichen
Kausalzusammenhang zu unterbrechen.

Entscheid:

        Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

    In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde werden der
Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 27. Oktober
1987 und die angefochtene Verfügung vom 7. Juli 1987 aufgehoben, und die
Schweizerische Krankenkasse Helvetia wird verpflichtet, für den Zahnschaden
der Beschwerdeführerin die statutarischen Leistungen zu erbringen.