Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 114 IV 73



114 IV 73

22. Urteil des Kassationshofes vom 10. Mai 1988 i.S. Staatsanwaltschaft
des Kantons Schaffhausen gegen L. (Nichtigkeitsbeschwerde) Regeste

    Art. 268 Ziff. 1 Satz 2 BStP; Art. 45, 50 und 56 EG StGB/SH.

    Ersetzt eine angefochtene Strafverfügung die Anklageschrift,
die im gerichtlichen Verfahren vom Bezirksrichter beurteilt wird, so
entscheidet dieser als erste Instanz. Da er (im Kanton Schaffhausen)
ein unteres Gericht im Sinne von Art. 268 Ziff. 1 Satz 2 BStP darstellt,
ist die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde gegen seinen Entscheid
nicht zulässig.

Sachverhalt

    A.- L. wurde mit Strafverfügung vom 13. Dezember 1985 zu einer
bedingt vollziehbaren Haftstrafe von 5 Tagen verurteilt, weil er den
Militärpflichtersatz für das Jahr 1984 schuldhaft nicht bezahlt hatte. Im
folgenden Jahr leistete er die Ersatzabgabe wiederum nicht, worauf er mit
Strafverfügung vom 9. Januar 1987 zu 10 Tagen Haft unbedingt verurteilt
wurde. Mit separater Verfügung vom selben Tag wurde der mit Entscheid
vom 13. Dezember 1985 gewährte bedingte Strafvollzug widerrufen.

    Der Verurteilte erhob gegen beide Verfügungen Einsprache, welche vom
Übertretungsstrafamt am 4. Februar 1987 abgewiesen wurden. Dagegen erhob
der Verurteilte Rekurs. Der Bezirksrichter Schaffhausen bestätigte mit
Urteil vom 2. März 1988 die Verurteilung wegen schuldhafter Nichtbezahlung
des Militärpflichtersatzes für das Jahr 1985, setzte die Strafe auf 3
Tage Haft herab unter Gewährung des bedingten Strafvollzugs mit einer
Probezeit von einem Jahr und sah vom Widerruf des am 13. Dezember 1985
gewährten bedingten Strafvollzugs ab.

    Gegen diesen Entscheid erhebt die Staatsanwaltschaft des Kantons
Schaffhausen eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag,
das angefochtene Urteil sei aufzuheben und die Sache zur Erhöhung der
ausgefällten Strafe, zur Verweigerung des bedingten Strafvollzugs und zur
Widerrufung des am 13. Dezember 1985 gewährten bedingten Strafvollzugs
an die Vorinstanz zurückzuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Schuldhafte Nichtbezahlung des Militärpflichtersatzes im Sinne
von Art. 42 des Bundesgesetzes über den Militärpflichtersatz wird mit
Haft bis zu 10 Tagen bestraft, ist also eine Übertretung. Nach Art. 40
des vom Kanton Schaffhausen erlassenen Gesetzes über die Einführung des
schweizerischen Strafgesetzbuches (EG StGB) erlässt die durchführende
Amtsstelle bei Übertretungen aufgrund des Untersuchungsergebnisses eine
Strafverfügung oder eine Einstellungsverfügung, gegen welche der Betroffene
Einsprache erheben kann (Art. 42 Abs. 1 EG StGB). Im Einspracheverfahren
kann die verfügende Amtsstelle oder deren vorgesetzte Behörde die
angefochtene Verfügung bestätigen, ändern oder aufheben (Art. 43 Abs. 1
EG StGB). Im vorliegenden Fall wurde die angefochtene Verfügung bestätigt.

    Gegen eine im Einspracheverfahren erlassene Strafverfügung steht
dem Betroffenen der Rekurs an den zuständigen Bezirksrichter offen
(Art. 45 Abs. 1 EG StGB). Im gerichtlichen Verfahren ersetzt die dem
Rekurrenten übermittelte Strafverfügung die Anklageschrift (Art. 50
Abs. 1 EG StGB). Der Bezirksrichter fällt sein Urteil, wobei er an die
rechtliche Beurteilung des Falles "durch die Vorinstanz" und an die von
ihr verfügte Strafe nicht gebunden ist (Art. 56 EG StGB).

Erwägung 2

    2.- Nach Art. 268 Ziff. 1 BStP ist die eidgenössische
Nichtigkeitsbeschwerde nicht zulässig gegen Urteile unterer Gerichte, wenn
diese als einzige kantonale Instanz entschieden haben. Der Bezirksrichter
Schaffhausen ist ein unteres Gericht im Sinne dieser Bestimmung. Entgegen
der Meinung der Staatsanwaltschaft hat er als einzige kantonale Instanz
entschieden. Wohl gingen seinem Urteil die beiden Strafverfügungen des
Übertretungsstrafamts vom 9. Januar 1987 und (im Einspracheverfahren)
diejenige vom 4. Februar 1987 voraus. Diese Verfügungen erlangen aber nur
die Bedeutung eines Urteils, wenn der Beschuldigte sich ihnen unterzieht
(vgl. Art. 44 EG StGB). Verlangt er dagegen die Beurteilung durch den
Bezirksrichter, so ersetzt die ihm übermittelte Strafverfügung die
Anklageschrift (Art. 50 Abs. 1 EG StGB). Die Strafverfügung wird also
mit anderen Worten zur Anklageschrift und fällt damit als Urteilsspruch
dahin, denn sie kann nicht gleichzeitig beides sein. Das Verfahren vor dem
Übermittlungsstrafamt kann somit nicht mehr als durch Urteil abgeschlossen
und mithin nicht als erstinstanzliches Verfahren gelten (vgl. dazu auch
BGE 106 IV 96, 94 IV 43 f.).

    Wohl hat das Bundesgericht in früheren Entscheiden Urteile des
Bezirksrichters Schaffhausen als beschwerdefähige Urteile im Sinne
von Art. 268 Ziff. 1 BStP betrachtet. In BGE 99 IV 103 ff. war die
Frage der Letztinstanzlichkeit indessen gar nicht geprüft worden. Im
Entscheid vom 27. August 1976 i.S. E. (BGE 102 IV 138 ff.) führte das
Bundesgericht (in der nicht publizierten Erwägung 3) nur aus, die im
übertretungsstrafamtlichen Verfahren ergangene Einspracheverfügung sei ein
erstinstanzliches Urteil, das auf Rekurs hin vom Bezirksrichter in zweiter
Instanz überprüft worden sei, weshalb auf die Nichtigkeitsbeschwerde
einzutreten sei. Dabei wurde aber offenbar übersehen, dass die angefochtene
Verfügung im Rekursverfahren vor dem Bezirksrichter zur Anklageschrift
wird und damit als Urteilsspruch dahinfällt.

    Hat aber der Bezirksrichter Schaffhausen die eingeklagte Tat aufgrund
einer ihm vorliegenden Anklageschrift zu prüfen und nicht ein früheres
Urteil auf seine Rechtmässigkeit hin zu untersuchen, dann entscheidet
er als einzige kantonale Instanz mit der Folge, dass die eidgenössische
Nichtigkeitsbeschwerde gemäss Art. 268 Ziff. 1 BStP nicht zulässig
ist. Es verhält sich diesbezüglich ähnlich wie in den bereits erwähnten,
durch BGE 106 IV 96 und 94 IV 43 f. beurteilten Fällen. Urteilen von
bezirksgerichtlichen Einzelrichtern gehen oft Strafverfügungen voraus, die,
würden sie als erstinstanzliche Urteile gelten, den Zweck der im Jahre
1965 erfolgten Revision von Art. 268 Ziff. 1 BStP vereiteln würden. Dies
war nicht der Sinn der erwähnten Revision.

    Auf die Beschwerde ist demzufolge nicht einzutreten.