Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 114 IV 50



114 IV 50

16. Urteil des Kassationshofes vom 23. August 1988 i.S. S. gegen Polizeiamt
der Stadt Winterthur (Nichtigkeitsbeschwerde) Regeste

    Art. 27 Abs. 1 SVG, Art. 19 SSV; Ziff. 114.2 der Ordnungsbussenliste.

    Wer in eine mit einem Fahrverbotssignal und mit der Zusatztafel
"Güterumschlag gestattet" gekennzeichnete Strasse fährt und seinen Wagen
nach getätigtem Güterumschlag noch einige Zeit stehenlässt, missachtet
dadurch nicht das signalisierte Fahrverbot mit Erlaubnisvorbehalt, sondern
das aus dieser Signalisation sich ergebende Parkverbot. Diese Widerhandlung
ist, obschon in der Ordnungsbussenliste nicht ausdrücklich aufgeführt,
nicht im ordentlichen Verfahren, sondern im Ordnungsbussenverfahren zu
ahnden, wobei die Busse entsprechend Ziff. 114.2 der Ordnungsbussenliste
zu bestimmen ist.

Sachverhalt

    A.- S. fuhr am 15. Januar 1987, um 15.00 Uhr, mit seinem Personenwagen
in die mit dem Vorschriftssignal "Verbot für Motorwagen, Motorräder und
Motorfahrräder" (Signal Nr. 2.14; Art. 19 Abs. 2 SSV) und der Zusatztafel
"Güterumschlag gestattet" gekennzeichnete Obergasse in Winterthur.
Er stellte das Fahrzeug vor der Liegenschaft Nr. 10 ab, brachte eine
Lautsprecherbox von ca. 20 kg Gewicht und rund 30 l Volumen in ein nahe
gelegenes Geschäft, liess den Wagen noch während etwa 30 Minuten in der
Sperrzone stehen und fuhr dann auf dem Weg, den er gekommen war, davon.

    B.- Der Einzelrichter in Strafsachen des Bezirks Winterthur büsste
S. am 15. Juni 1987 wegen Verletzung von Verkehrsregeln im Sinne von
Art. 90 Ziff. 1 SVG in Verbindung mit Art. 27 Abs. 1 SVG und Art. 19
Abs. 2 SSV mit Fr. 80.--. Die I. Strafkammer des Obergerichts des Kantons
Zürich wies die vom Gebüssten erhobene kantonale Nichtigkeitsbeschwerde
mit Beschluss vom 4. Mai 1988 ab.

    C.- Der Gebüsste führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit
dem Antrag, der Beschluss des Zürcher Obergerichts sei aufzuheben und
die Sache sei an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit diese ihn statt
wegen Nichtbeachtens des Signals "Verbot für Motorwagen, Motorräder und
Motorfahrräder" bloss wegen verbotenen Parkierens in Anwendung von Art. 11
Abs. 1 OBG mit einer Ordnungsbusse von Fr. 20.-- bestrafe.

    Das Polizeiamt der Stadt Winterthur teilt in seiner Vernehmlassung
die Auffassung des Beschwerdeführers und macht geltend, dass dieser zur
Einfahrt in die Obergasse berechtigt gewesen sei, da er dort tatsächlich
einen Güterumschlag tätigte, dass das strafbare Stehenlassen des
Fahrzeugs nach dem Güterumschlag nicht als Missachtung des signalisierten
Fahrverbots, sondern als gemäss Ziff. 114.2 der Ordnungsbussenliste zu
ahndende Missachtung eines Parkverbots zu qualifizieren sei, und zwar
unabhängig davon, ob der Beschwerdeführer schon im Moment der Einfahrt
in die Obergasse entschlossen gewesen sei, den Wagen nach getätigtem
Güterumschlag noch einige Zeit stehenzulassen, oder ob er diesen Entschluss
erst später gefasst habe.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Die kantonalen Instanzen begründeten die Verurteilung des
Beschwerdeführers wegen vorsätzlicher Missachtung des signalisierten
Fahrverbots im wesentlichen damit, dass er nicht allein zum Zweck des
Güterumschlags in die Obergasse gefahren, sondern vielmehr bereits
bei der Einfahrt in diese Strasse entschlossen gewesen sei, den Wagen
nach Ablieferung der Lautsprecherbox noch einige Zeit in der Sperrzone
stehenzulassen, und dass er den Vorfall in erster Linie bzw. einzig und
allein zum Zweck inszeniert habe, für das Polizeirichteramt ein Präjudiz
zur Frage der beim Parkieren im Sperrgebiet anwendbaren Bestimmung zu
erwirken.

Erwägung 2

    2.- a) Die Ablieferung der Lautsprecherbox von ca. 20 kg Gewicht und
rund 30 l Volumen ist als Güterumschlag zu qualifizieren (siehe BGE 89
IV 216). Davon gehen offenbar auch die kantonalen Instanzen aus. Indem
der Beschwerdeführer diesen Güterumschlag tätigte, erfüllte er die
in der Zusatztafel "Güterumschlag gestattet" genannte Voraussetzung,
unter welcher das durch das Signal Nr. 2.14 grundsätzlich untersagte
Befahren der Obergasse ausnahmsweise erlaubt ist. Die Fahrt war und blieb
angesichts des beabsichtigten und tatsächlich getätigten Güterumschlags
erlaubt, auch wenn der Beschwerdeführer gemäss den für den Kassationshof
verbindlichen tatsächlichen Feststellungen der kantonalen Instanzen schon
im Moment der Einfahrt in die Obergasse die Absicht hatte, seinen Wagen
nach der Ablieferung der Lautsprecherbox noch einige Zeit stehenzulassen,
und es ihm einzig darum ging, für das Polizeirichteramt ein Präjudiz
zur Rechtsfrage zu erwirken, ob ein solches Verhalten als Missachtung
des Fahrverbots oder als unerlaubtes Parkieren zu qualifizieren sei. Die
Absichten und Motive des Beschwerdeführers betreffen nicht den objektiven
Tatbestand und sind insoweit entgegen der Meinung der kantonalen Instanzen
unerheblich. Das erhellt schon daraus, dass sich der Beschwerdeführer
offensichtlich nicht strafbar gemacht hätte, wenn er seine Absicht,
den Wagen nach dem Güterumschlag noch einige Zeit stehenzulassen, nicht
verwirklicht hätte, sondern unmittelbar nach dem Güterumschlag wieder
weggefahren wäre. Das Befahren der Obergasse in der Absicht, den Wagen
nach dem Güterumschlag noch einige Zeit stehenzulassen, kann demnach
nicht Tathandlung sein. Als solche fällt vorliegend nur das Stehenlassen
des Fahrzeugs nach der Ablieferung der Lautsprecherbox in Betracht,
und diese Tat stellt unabhängig davon, wann und aus welchen Gründen der
Beschwerdeführer den Entschluss dazu fasste, angesichts des tatsächlich
getätigten Güterumschlags nicht eine Missachtung des signalisierten
Fahrverbots mit Erlaubnisvorbehalt, sondern eine Verletzung von Regeln
betreffend den ruhenden Verkehr dar.

    b) Der Beschwerdeführer missachtete, wie er selber anerkennt,
ein Parkverbot. Auf einer Strasse, die gemäss der Signalisation nur
zum Zwecke des Güterumschlags befahren werden darf, darf auch nur zu
diesem Zweck freiwillig angehalten werden und ist das Parkieren (siehe
dazu Art. 19 Abs. 1 VRV) für jedermann ohne weiteres erkennbar verboten
(vgl. auch BGE 96 IV 44). Der Beschwerdeführer missachtete somit ein
aus dem Fahrverbotssignal Nr. 2.14 und der Zusatztafel "Güterumschlag
gestattet" sich ergebendes Parkverbot. Diese Tat ist allerdings in der
Ordnungsbussenliste nicht vorgesehen. Der Beschwerdeführer parkierte
nicht im Sinne von Ziff. 114.2 der Ordnungsbussenliste "innerhalb des
signalisierten oder markierten Parkverbots (Art. 30 und 79 SSV)"; wie sich
aus der Aktennotiz des Polizeirichters ergibt, waren im fraglichen Bereich
weder Signale "Halten verboten" oder "Parkieren verboten" (Art. 30 SSV)
noch Markierungen für den ruhenden Verkehr (Art. 79 SSV) angebracht. Aus
diesem Grunde fällt auch die Anwendung von Ziff. 108.1 ("Parkieren
ausserhalb markierter Parkfelder") nicht in Betracht. Der Beschwerdeführer
überschritt auch nicht im Sinne der Ziff. 104 der Ordnungsbussenliste die
"zulässige Parkzeit"; denn auf der fraglichen Verkehrsfläche ist einzig
das Abstellen des Fahrzeugs zum Zweck des Güterumschlages gestattet und
dieses ist kein Parkieren im Rechtssinne (Art. 19 Abs. 1 VRV).

    Auch wenn die Missachtung eines aus dem Signal "Fahrverbot" und
der Zusatztafel "Güterumschlag gestattet" sich ergebenden Parkverbots
in der Ordnungsbussenliste nicht ausdrücklich erwähnt wird, drängt
sich aus Gründen der Verfahrensökonomie und der Rechtsgleichheit für
diese Tat die Zulassung des Ordnungsbussenverfahrens auf; wenn sowohl
die Missachtung eines signalisierten Fahrverbots (Ziff. 125.1 ff. der
Ordnungsbussenliste) als auch die Missachtung eines durch die Signale
"Parkieren verboten" oder "Halten verboten" angezeigten Parkverbots
(Ziff. 114.2 der Ordnungsbussenliste) im Ordnungsbussenverfahren geahndet
werden können, ist es folgerichtig, auch die Missachtung des aus dem
Signal "Fahrverbot" und der Zusatztafel "Güterumschlag gestattet" sich
ergebenden Parkverbots dem Ordnungsbussenverfahren zu unterstellen. Die
Ordnungsbusse ist dabei nach dem Gesagten nicht entsprechend Ziff. 125.1
ff., sondern entsprechend Ziff. 114.2 der Ordnungsbussenliste zu bestimmen.

Erwägung 3

    3.- Das Dispositiv des vom Obergericht durch Abweisung der kantonalen
Nichtigkeitsbeschwerde bestätigten erstinstanzlichen Urteils, durch
das der Beschwerdeführer der "Verletzung der Verkehrsregeln im Sinne
von Art. 90 Ziff. 1 SVG in Verbindung mit Art. 27 Abs. 1 SVG und Art. 19
Abs. 2 SSV" schuldig erklärt wurde, ist insoweit nicht zu beanstanden,
als der Beschwerdeführer tatsächlich das in Art. 19 Abs. 2 SSV unter
anderen erwähnte Signal Nr. 2.14 nicht befolgte. Der Beschwerdeführer
missachtete aber entgegen den Erwägungen im angefochtenen Beschluss
nicht das durch dieses Signal samt Zusatztafel angezeigte Fahrverbot
mit Erlaubnisvorbehalt, sondern das aus dieser Signalisation sich
ergebende Parkverbot. Die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde ist daher
gutzuheissen. Eine Abweisung im Sinne der Erwägungen fällt ausser Betracht,
weil die kantonalen Instanzen Gelegenheit erhalten müssen, die Busse unter
dem neuen Gesichtspunkt sowie unter Berücksichtigung der relativ kurzen
Parkzeit von ca. 30 Minuten zu bemessen. Hinzu kommt, dass die in der
Nichtigkeitsbeschwerde erhobene Kritik an der Strafzumessung teilweise
begründet ist. Das Verhalten des Beschwerdeführers kann entgegen einer
straferhöhend berücksichtigten Erwägung im erstinstanzlichen Urteil
unter Beachtung aller Umstände nicht als "verwerflich" qualifiziert
werden. Der Polizeirichter wollte nach seiner Darstellung die vom früheren
Polizeirichter gehandhabte Praxis betreffend das Parkieren in der Sperrzone
ändern, eine solche Praxisänderung aber nicht gegen den Widerstand
der eine Komplizierung ihrer Arbeit befürchtenden Polizeihostessen
durchsetzen, und war daher an einem gerichtlichen Entscheid zur Frage
interessiert. In dieser Situation erklärte sich der Beschwerdeführer,
der als Polizeisekretär die Auffassung des Polizeirichters teilte
und die diesbezüglichen polizeiinternen Diskussionen kannte, bereit,
für das Polizeiamt ein Präjudiz zu erwirken. Sein Beweggrund war zwar
entgegen seiner Meinung und den Ausführungen in der Vernehmlassung nicht
achtenswert im Sinne von Art. 64 StGB, er war aber entgegen der Ansicht
der kantonalen Instanzen auch nicht verwerflich. Dass der Polizeirichter
die ihm geboten scheinende Praxisänderung allenfalls auch gegen den
Widerstand der Polizeihostessen hätte durchsetzen sollen, bedeutet nicht,
dass das Verhalten des Beschwerdeführers verwerflich war. Es konnte im
übrigen lange dauern, bis eine gemäss der neuen Praxis wegen unerlaubten
Parkierens statt wegen Missachtung des Fahrverbots gebüsste Privatperson
den Rechtsweg, notfalls bis vor das Bundesgericht, beschritt.

Erwägung 4

    4.- Die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde ist daher gutzuheissen,
der Beschluss des Zürcher Obergerichts vom 4. Mai 1988 ist aufzuheben,
und die Sache ist zur neuen Entscheidung im Sinne der Erwägungen an die
Vorinstanz zurückzuweisen. ...