Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 114 IV 41



114 IV 41

14. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 22. Februar
1988 i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons Schaffhausen gegen
M. (Nichtigkeitsbeschwerde) Regeste

    Art. 312 StGB, Amtsmissbrauch.

    Einem Beamten, der nur bestehende Reglemente sowie Verfügungen
der vorgesetzten Behörde zu vollziehen hat, kommt keine Amtsgewalt zu.
Kompetenzüberschreitungen durch Auszahlung von zu niedrigen Besoldungen und
Beiträgen stellen daher keinen Amtsmissbrauch im Sinne von Art. 312 dar.

Sachverhalt

    A.- M. versah seit Herbst 1967 die nebenamtliche Funktion eines
Zentralverwalters der Gemeinde X. und war damit für das gesamte
Rechnungswesen der Gemeinde zuständig. Ab Anfang 1969 begann er,
sich aus der ihm anvertrauten Gemeindekasse Geld anzueignen, indem er
Besoldungen und Entschädigungen nach vorjährigen, nicht mehr gültigen
Ansätzen auszahlte und die Differenz zu den neuen, höheren Ansätzen für
sich behielt, wobei er den Umstand ausnützte, dass den Geldempfängern
die gültigen Ansätze nicht bekannt waren.

    Das Kantonsgericht Schaffhausen verurteilte M. am 29. April 1987 wegen
fortgesetzter qualifizierter Veruntreuung, fortgesetzter Urkundenfälschung
im Amt und fortgesetzter Unterdrückung von Urkunden zu 18 Monaten Gefängnis
und 5 Jahren Amtsunfähigkeit, beides mit bedingtem Strafvollzug. Es bejahte
überdies die Voraussetzungen eines Amtsmissbrauches gemäss Art. 312 StGB,
nahm jedoch an, dieser Tatbestand trete wegen unechter Gesetzeskonkurrenz
hinter Art. 140 Ziff. 2 sowie Art. 317 StGB zurück.

    Das Obergericht des Kantons Schaffhausen hat auf Berufung der
Staatsanwaltschaft dieses Urteil am 2. Oktober 1987 bestätigt. Es nahm an,
dass bereits die objektiven Voraussetzungen eines Amtsmissbrauches nach
Art. 312 StGB nicht gegeben seien, und hat deshalb die Konkurrenzfrage
offengelassen.

    Gegen dieses Urteil hat die Staatsanwaltschaft des Kantons
Schaffhausen eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde eingereicht mit
dem Antrag, das angefochtene Urteil insoweit aufzuheben, als es M. vom
Vorwurf des fortgesetzten Amtsmissbrauchs freispricht, und die Sache
zu seiner Verurteilung auch wegen dieses Delikts an die Vorinstanz
zurückzuweisen. Der Kassationshof weist die Beschwerde ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Nach Art. 312 StGB machen sich Mitglieder einer Behörde oder
Beamte strafbar, die ihre Amtsgewalt missbrauchen, um sich oder einem
andern einen unrechtmässigen Vorteil zu verschaffen oder einem andern
einen Nachteil zuzufügen. Nach der Rechtsprechung ist der hinsichtlich
der Tathandlung sehr allgemein umschriebene Straftatbestand einschränkend
dahin auszulegen, dass nur derjenige die Amtsgewalt missbraucht, welcher
die Machtbefugnisse, die ihm sein Amt verleiht, unrechtmässig anwendet,
d.h. kraft seines Amtes verfügt oder Zwang ausübt, wo es nicht geschehen
dürfte (BGE 113 IV 30 E. 1; 108 IV 49 E. 1 mit Hinweisen). Art. 312 StGB
umfasst demnach nicht sämtliche pflichtwidrigen Handlungen, die ein
mit Zwangsgewalt ausgestatteter Beamter bei Gelegenheit der Erfüllung
seiner Pflichten ausführt; jenem sind vielmehr nur solche unzulässigen
Verfügungen und Massnahmen unterstellt, die er kraft seines Amtes, in
Ausübung seiner hoheitlichen Gewalt trifft.

    Der Beschwerdegegner war, wie die Vorinstanz für das Bundesgericht
verbindlich feststellt, als Zentralverwalter lediglich ausführendes Organ,
das nur die Beschlüsse des Gemeinderates zu vollziehen hatte und dem keine
im vorliegenden Zusammenhang relevanten Entscheidungsbefugnisse zustanden.
Insbesondere fehlte ihm die Kompetenz, die Höhe von Besoldungen,
Entschädigungen oder Beiträgen festzusetzen, und es waren ihm insoweit
die Hände durch Besoldungsreglemente und Gemeinderatsbeschlüsse gebunden.

    Wie das Bundesgericht bereits im unveröffentlichten Entscheid
vom 18. Dezember 1984 i.S. U. W. festgestellt hat, genügt eine
Kompetenzüberschreitung für die Bejahung der Voraussetzungen von Art. 312
StGB nicht. In BGE 101 IV 410 wurde entschieden, dass der Zuschlag einer
öffentlichen Arbeit an einen privaten Unternehmer aufgrund vorangegangener
Ausschreibung und die Verweigerung dieses Zuschlags an einen anderen
Bewerber keine Äusserung staatlicher Befehlsgewalt darstelle, weshalb nicht
Art. 312 StGB, sondern gegebenenfalls Art. 314 Anwendung finden könne;
Art. 312 erfasse nicht jede Amtspflichtverletzung; er setze vielmehr
voraus, dass der Täter seine Amtsgewalt in der gesetzlich genannten
Absicht missbrauche, d.h. dass er von der ihm von Amtes wegen zustehenden
hoheitlichen Gewalt Gebrauch mache, dass er kraft hoheitlicher Gewalt
verfüge oder zwinge, wo es nicht geschehen dürfe. Dieser Fall ist mit
dem vorliegenden insofern vergleichbar, als der Nichtberücksichtigte
aufgrund der faktischen Machtposition des Stadtrates "gezwungen wird",
auf den erhofften Zuschlag einer öffentlichen Arbeit zu verzichten.

    Im Lichte dieser Rechtsprechung ist nicht ersichtlich, wie
vorliegendenfalls die objektiven Voraussetzungen eines Amtsmissbrauches
bejaht werden könnten. Ein Gemeindekassier hat Löhne auszuzahlen aufgrund
von Ansätzen, die nicht von ihm festgelegt werden. Hält er sich nicht an
diese Ansätze, so verletzt er zwar seine Pflichten. Er missbraucht seine
Zuständigkeit für die Vornahme der konkreten Auszahlungen, nicht aber
staatlich verliehene Machtbefugnisse im Sinne von Art. 312 StGB. Die
tatsächliche Zugriffsmöglichkeit auf die Gemeindekasse vermag daran
nichts zu ändern. Jeder Beamte verfügt in seinem Tätigkeitsbereich über
tatsächliche Macht im Sinne einer faktischen Zugriffsmöglichkeit. Wollte
man jeden Missbrauch dieser Stellung als Amtsmissbrauch bestrafen, bestünde
die Gefahr, dass im Ergebnis entgegen der Absicht des Gesetzgebers jede
Amtspflichtverletzung strafrechtlich verfolgt würde.