Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 114 IV 23



114 IV 23

8. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 27. Mai 1988 i.S. X. gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Nichtigkeitsbeschwerde) Regeste

    Art. 204 StGB; unzüchtige Veröffentlichung.

    1. Art. 204 StGB bezweckt nicht den Schutz des Einzelnen vor
unfreiwilliger Konfrontation mit unzüchtigen Erzeugnissen, sondern hat
den Schutz der für eine Gemeinschaft wesentlichen sittlichen Werte im Auge
(E. 3).

    2. Nach dem Wortlaut von Art. 204 StGB ist jeder Handel mit unzüchtigen
Objekten strafbar (E. 4).

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- a) Der Beschwerdeführer bestreitet grundsätzlich nicht, sich
der unzüchtigen Veröffentlichung, so wie sie von der bundesgerichtlichen
Rechtsprechung umschrieben worden ist, schuldig gemacht zu haben (vgl. dazu
BGE 100 IV 236, letztmals bestätigt in BGE 109 IV 122 f.). Nach der
Feststellung der Vorinstanz verkaufte er Magazine, Bücher und Videofilme,
"deren gleichartiger Inhalt sich in der Darstellung primitiver sexueller
Szenen, vornehmlich bestehend im Anal- und Oralverkehr mit Ejakulationen
auf verschiedene Körperteile der teilweise gleichgeschlechtlichen
Sexualpartner" beschränkte. Damit liegen zweifellos Veröffentlichungen
vor, welche die Betätigung des Geschlechtstriebes aus der Intimsphäre
loslösen und zum Gegenstand sexueller Schaulust machen.

    b) In seiner ausführlichen Rechtsschrift verlangt der Beschwerdeführer
vom Bundesgericht ein Abgehen von der bisherigen Rechtsprechung. Er
macht im wesentlichen geltend, im Falle von Art. 204 StGB gehe es allein
um den Schutz der "öffentlichen Sittlichkeit", worunter das StGB in
Art. 203 und 204 die Freiheit beliebiger Personen verstehe, selber zu
entscheiden, ob, wo und wann sie mit einer geschlechtlichen Handlung,
Darstellung oder Schilderung konfrontiert werden wollen. Die Anklage
müsse also den Beweis dafür erbringen, dass es nach dem gewöhnlichen
Lauf der Dinge naheliege, dass anwesende oder zufällig hinzukommende
unbestimmte Dritte gegen ihren Willen die pornographischen Darstellungen
zur Kenntnis nehmen müssten. Demgegenüber könne das blosse Wissen um die
bestehende Pornographie das Schamgefühl eines normal empfindenden Menschen
nicht verletzen.

    Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung schützt Art. 204 StGB
primär die öffentliche Sittlichkeit als einen Teil der öffentlichen
Ordnung; m.a.W. sollen die für eine Gemeinschaft wesentlichen sittlichen
Werte nicht durch unzüchtige Veröffentlichungen gefährdet werden (BGE 100
IV 236). Es geht also, wie das Bundesgericht deutlich hervorgehoben hat,
nicht um den Schutz des Einzelnen vor unfreiwilliger Konfrontation mit
pornographischen Erzeugnissen (BGE 100 IV 237 E. 3). Einer anderen Deutung
steht schon der Wortlaut von Art. 204 StGB entgegen, wonach sich u.a. auch
derjenige strafbar macht, der unzüchtige Gegenstände geheim verkauft
(Ziff. 1 Abs. 3); in derartigen Fällen sind unbeteiligte Dritte in aller
Regel nicht damit konfrontiert. Auch STRATENWERTH, der zu der vorliegenden
Frage eher kritisch Stellung nimmt, hält fest, die bundesgerichtliche
Auffassung dürfte "die Intentionen des Gesetzgebers durchaus zutreffend"
umschreiben (Schweizerisches Strafrecht, BT II, 3. Aufl., Bern 1984, § 27
N 12). An dieser Schlussfolgerung ändert es nichts, dass der Gesetzgeber
nicht konsequent alle Verhaltensweisen verboten hat, die als unzüchtig
angesehen werden könnten (z.B. die Prostitution etc.). Im übrigen stellt
es eine durch nichts belegte Vermutung des Beschwerdeführers dar, dass
sich der Durchschnittsbürger in seinem sittlichen Empfinden nicht gestört
oder verletzt fühlen würde, wenn er davon Kenntnis nehmen müsste, dass in
unserem Land pornographische Erzeugnisse frei vertrieben und vorgeführt
werden dürften. Ob das heute geltende, keine Unterscheidung zwischen
verschiedenen Arten der Pornographie treffende Verbot noch zeitgemäss ist
oder den allgemeinen Sittenvorstellungen entspricht, hat der Gesetzgeber
und nicht das Gericht zu entscheiden.

    c) Die weiteren Vorbringen der Beschwerdeschrift zu Art. 204 StGB
gehen an der Sache vorbei. Da es beim genannten Gesetzesartikel um den
Schutz der für eine Gemeinschaft wesentlichen sittlichen Werte geht,
stellt sich die Frage nicht, ob das Verbot der Pornographie auch der
"Volksgesundheit" dienen und eine Minderung der "sexuell bestimmten
Kriminalität" bewirken kann. Wie sich aus dem insoweit klaren Wortlaut der
Strafbestimmung ergibt, bezweckt sie auch nicht, nur Jugendliche von den
unzüchtigen Objekten fernzuhalten; der Beschwerdeführer verweist selber
auf den einschlägigen, ergänzenden Art. 212 StGB (vgl. dazu auch BGE 103 IV
173). Da beim Pornographieverbot nicht ausschliesslich Individualinteressen
auf dem Spiele stehen, kann schliesslich die Berufung auf die Einwilligung
des Verletzten (d.h. des Pornographiekonsumenten) nicht gehört werden.

Erwägung 4

    4.- Unter Hinweis auf Art. 10 i.V. mit Art. 8 EMRK beruft sich der
Beschwerdeführer auf einen menschenrechtlichen Anspruch auf Zugang zur
Pornographie, welcher sich aus der Meinungs- und Informationsfreiheit sowie
aus dem Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens herleiten lasse;
die Meinungsäusserungsfreiheit wolle die Auseinandersetzung und dürfe nur
dort eingeschränkt werden, wo echte öffentliche Interessen (öffentliche
Gesundheit oder Moral) oder ein "dringendes soziales Bedürfnis" auf dem
Spiele stünden.

    Soweit der Beschwerdeführer damit geltend macht, das Bundesgericht
habe Art. 204 StGB konventionswidrig ausgelegt, kann auf das Rechtsmittel
eingetreten werden, nicht dagegen auf die Rüge einer unmittelbaren
Verletzung der EMRK (vgl. BGE 112 IV 139).

    Bundesgesetze sind verfassungskonform auszulegen, sofern nicht der
Wortlaut oder der Sinn des Gesetzes etwas anderes gebietet (BGE 102
IV 155 mit Hinweisen). Nach dem Wortlaut von Art. 204 Ziff. 1 Abs. 3
StGB macht sich u.a. strafbar, wer unzüchtige Objekte "öffentlich
oder geheim verkauft". Diese Regelung ist klar und eindeutig und
lässt für Auslegung keinen Raum. Auch dem Sinn des Gesetzes lässt sich
nichts anderes entnehmen, als dass jeder Handel mit pornographischen
Erzeugnissen verboten werden sollte. Ob die Strafbestimmung als solche
mit der Menschenrechtskonvention in Einklang steht, ist im vorliegenden
Verfahren nicht zu prüfen. Auf diese Frage aber läuft die Begründung
der Beschwerde letztlich hinaus, so dass in diesem Umfang darauf nicht
eingetreten werden kann.

Erwägung 5

    5.- Den Eventualstandpunkt begründet der Beschwerdeführer damit, dass
das Obergericht in den Fällen von sogenannter "weicher" Pornographie die
"Einwilligung der Verletzten" nicht berücksichtigt habe. Das Strafgesetz
macht keine Unterscheidung zwischen "weicher" und "harter" Pornographie. Im
übrigen kann vollumfänglich auf die obigen Erwägungen verwiesen werden.