Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 114 IV 148



114 IV 148

42. Urteil des Kassationshofes vom 15. Dezember 1988 i.S. X. gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Nichtigkeitsbeschwerde) Regeste

    Art. 91 Abs. 3 SVG. Vereitelung einer Blutprobe.

    1. Vereitelung einer Blutprobe durch Unterlassen der Unfallmeldung
mangels Vorsatz verneint, da der Fahrzeuglenker den Drittschaden - wenn
auch aus pflichtwidriger Unvorsichtigkeit - nicht bemerkte und sich somit
seiner Meldepflicht nicht bewusst war (E. 2b).

    2. Vereitelung einer Blutprobe durch Nachtrunk mangels Vorsatz
verneint, da der Nachtrunk im konkreten Fall nicht vernünftigerweise nur
damit erklärt werden konnte, dass der Fahrzeuglenker die Anordnung einer
Blutprobe als sehr wahrscheinlich erkannte und deren Zweck vereiteln wollte
(E. 3).

Sachverhalt

    A.- X. fuhr am 3. März 1986, um 19.20 Uhr, von Zürich herkommend,
wo er nach eigenen Angaben um ca. 15.30 Uhr und um ca. 17.00 Uhr je
eine Stange Bier getrunken hatte, mit seinem PW VW Passat durch die
Alte Landstrasse in Rüschlikon in Richtung Thalwil. Das Fahrzeug geriet
auf einem geraden und ebenen, mit Schnee bedeckten Streckenabschnitt ins
Schleudern und prallte mit der Front gegen eine rund 80 cm hohe Schneemauer
am rechtsseitigen Strassenrand. X. versuchte zunächst erfolglos, das
Fahrzeug zurückzusetzen. Als ihm ein Anwohner und eine weitere Person
zu Hilfe kommen wollten, drückte er den Sicherungsknopf der Wagentür auf
der Fahrerseite hinunter, so dass diese von aussen nicht geöffnet werden
konnte. Es gelang ihm wenig später, den Wagen zurückzusetzen. Er fuhr,
ohne ausgestiegen zu sein und nachgeschaut zu haben, ob ein Schaden
entstanden sei, nach Hause. Dort trank er nach eigenen Angaben in der
Zeit zwischen 19.45 und 20.30 Uhr zunächst eine grosse Flasche Bier und
dann zum Nachtessen fünf Gläser Rotwein. Infolge des Aufpralls waren der
Lebhag, der sich hinter der Schneemauer befand, und der Eisenzaun hinter
dem Lebhag beschädigt worden. Der Wagen wies Schäden am Kühlergitter und
an der Stossstange sowie eine kleine Delle auf der Motorhaube auf. Um
20.30 Uhr traf die Polizei in der Wohnung des X. ein; der Anwohner, der
X. hatte helfen wollen, hatte die Kontrollschildnummer notiert und die
Polizei verständigt. Die Analyse der um 21.28 Uhr abgenommenen Blutprobe
ergab unter Berücksichtigung des von X. angegebenen Nachtrunks eine
Blutalkoholkonzentration von 0,78 Gew.-%o im massgebenden Zeitpunkt.

    B.- Der Einzelrichter in Strafsachen am Bezirksgericht Horgen sprach
X. am 26. Februar 1987 von der Anschuldigung der Vereitelung einer
Blutprobe frei. Er bestrafte ihn wegen Verletzung von Verkehrsregeln
(Art. 90 Ziff. 1 SVG in Verbindung mit Art. 31 Abs. 1 und 32 Abs. 1 SVG
sowie Art. 4 Abs. 2 VRV) und wegen pflichtwidrigen Verhaltens bei Unfall
(Art. 92 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 51 Abs. 3 SVG) mit einer Busse von
Fr. 750.--. Die I. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Zürich sprach
X. am 2. Juli 1987 auf Berufung der Staatsanwaltschaft zusätzlich der
Vereitelung einer Blutprobe (Art. 91 Abs. 3 SVG) schuldig und verurteilte
ihn zu einer unbedingten Gefängnisstrafe von 45 Tagen sowie zu einer
Busse von Fr. 300.--.

    C.- Der Verurteilte führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde
mit dem Antrag, die Sache sei zu seiner Freisprechung vom Vorwurf der
Vereitelung einer Blutprobe an die Vorinstanz zurückzuweisen.

    Das Kassationsgericht des Kantons Zürich wies die vom Verurteilten
gegen den Entscheid des Zürcher Obergerichts erhobene kantonale
Nichtigkeitsbeschwerde am 19. Juli 1988 ab, soweit es darauf eintrat.

    Das Obergericht und die Staatsanwaltschaft haben auf Vernehmlassungen
verzichtet.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Das Obergericht ist mit der 1. Instanz der Auffassung, dass der
Unfall als solcher angesichts der winterlichen Verhältnisse nicht die hohe
Wahrscheinlichkeit der Anordnung einer Blutprobe begründete. Es bejaht
dennoch die hohe Wahrscheinlichkeit dieser Massnahme und hält dazu fest,
der Beschwerdeführer habe nach seinen Angaben im Verlauf des fraglichen
Nachmittags zwei Stangen Bier getrunken und nach den Berechnungen
des Gerichtlich- Medizinischen Instituts der Universität Zürich unter
Berücksichtigung des geltend gemachten Nachtrunks einen Blutalkoholgehalt
von mindestens 0,78 Gew.-%o aufgewiesen. Damit steht für das Obergericht
"ausser Frage", dass der Beschwerdeführer "in der kritischen Zeit
einen merklichen Mundalkoholgeruch aufgewiesen haben musste, welcher
dem Polizeibeamten bei einer Einvernahme nicht verborgen geblieben
wäre", so dass allein schon deshalb die Anordnung einer Blutprobe sehr
wahrscheinlich war. Hinzu kommen nach den Ausführungen des Obergerichts
die weiteren Tatsachen, dass der Beschwerdeführer den Sicherungsknopf der
Wagentür hinunterdrückte, als ihm Drittpersonen bei seinen Bemühungen,
den in der Schneemauer festgefahrenen Wagen wieder frei zu bekommen,
behilflich sein wollten, dass er, nachdem ihm dies kurz darauf gelungen
war, davonfuhr, ohne sich um den Schaden zu kümmern, und dass er zu Hause
reichlich Alkohol konsumierte. Die Erklärungen des Beschwerdeführers zu
den Beweggründen für dieses Verhalten, dass er nämlich die Strasse wegen
der sich von beiden Seiten stauenden Fahrzeuge so schnell wie möglich
habe freigeben wollen und dass er im Schreck ob des Unfalls in die
Hosen gemacht habe, vermochten das Obergericht nicht zu überzeugen. Für
die Vorinstanz liegt der Verdacht nahe, dass die "unkontrollierte,
rein emotionale Reaktion" des Beschwerdeführers auf den angesichts der
hochwinterlichen Strassenverhältnisse eher alltäglichen Schleuderunfall
und die überstürzte Flucht aus Angst vor der drohenden Blutprobe und
vor einer erneuten Verurteilung wegen Fahrens in angetrunkenem Zustand
(nach seiner Verurteilung am 7. April 1983) erfolgten. Jedenfalls
deuten nach der Meinung der Vorinstanz "alle diese äusseren Anzeichen
(Mundgeruch, Verwirrungszustand, in die Hosen machen, Herunterdrücken der
Sicherungsknöpfe, Unfallflucht, Nachtrunk) auf die Alkoholisierung des
Fahrzeuglenkers hin, ... darf damit füglich angenommen werden, dass die
Polizei mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Blutprobe angeordnet hätte",
und ist daher der objektive Tatbestand von Art. 91 Abs. 3 SVG erfüllt.

    Aus dem angefochtenen Entscheid geht nicht deutlich hervor, worin genau
die Vorinstanz die Vereitelungshandlung erblickte, ob in der Unterlassung
der Unfallmeldung und/oder im Nachtrunk.

Erwägung 2

    2.- Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung erfüllt die
Unterlassung der sofortigen Meldung eines Unfalls an die Polizei
dann den objektiven Tatbestand der Vereitelung einer Blutprobe,
wenn der Fahrzeugführer zur unverzüglichen Benachrichtigung der
Polizei verpflichtet (Art. 51 SVG) und diese möglich war und wenn
bei objektiver Betrachtung aller Umstände die Polizei bei Meldung des
Unfalls mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Blutprobe angeordnet hätte. Zu
diesen Umständen gehören der Unfall als solcher und das Verhalten des
Fahrzeuglenkers vor und nach dem Unfall (BGE 109 IV 137). Dabei kann
allerdings nur das Verhalten des Fahrzeuglenkers bis zu dem Zeitpunkt,
an dem die Meldung des Unfalls spätestens hätte erfolgen müssen, bei
der Beurteilung der Wahrscheinlichkeit der Anordnung einer Blutprobe
mitberücksichtigt werden (nicht publiziertes Urteil des Kassationshofes
vom 14. Juli 1988 i.S. M. gegen Zürich, mit Hinweisen). Die Unterlassung
der Unfallmeldung als solche fällt, soweit sie die Tathandlung ist,
bei der Wahrscheinlichkeitsbeurteilung ebenso ausser Betracht wie die
aus der Unterlassung bei Fehlen anderer plausibler Tatmotive allenfalls
ableitbare Angst des Fahrzeuglenkers vor der Blutprobe; denn zu prüfen ist
ja gerade, ob der Fahrzeugführer durch die Unterlassung der Unfallmeldung
eine Blutprobe; die im Falle der pflichtgemässen Meldung des Unfalls sehr
wahrscheinlich angeordnet worden wäre, vereitelt habe.

    a) Der Beschwerdeführer hatte nach seinen Aussagen, die im
angefochtenen Urteil nicht in Zweifel gezogen werden, unmittelbar nach
dem Unfall in die Hosen gemacht. Damit hatte er an sich einen plausiblen
Grund, beim Herannahen der beiden Personen, die ihm behilflich sein
wollten, den Sicherungsknopf der Fahrertür hinunterzudrücken und zur
Vermeidung eines Kontakts mit Dritten möglichst rasch wegzufahren. Ob die
Stresssituation, die nach den Ausführungen in der Nichtigkeitsbeschwerde
zur Defäkation führte, ihren Grund allein schon im Unfall bzw. in den
Schwierigkeiten, den Wagen wieder frei zu bekommen, hatte oder ob sie durch
die Alkoholisierung bzw. die Angst des Beschwerdeführers vor dem Ergebnis
einer Blutprobe begründet wurde, wie die Vorinstanz offenbar annimmt,
kann vorliegend dahingestellt bleiben. Es kann auch offenbleiben, ob bei
Meldung des Unfalls die Polizei wegen Alkoholgeruchs in der Atemluft des
Beschwerdeführers mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Blutprobe angeordnet
hätte. Indem der Beschwerdeführer die Unfallmeldung, die er spätestens
sofort nach seiner Ankunft zu Hause hätte erstatten müssen, unterliess,
erfüllte er aus nachstehenden Gründen jedenfalls den subjektiven Tatbestand
von Art. 91 Abs. 3 SVG nicht. Tatbestand von Art. 91 Abs. 3 SVG nicht.

    b) Der subjektive Tatbestand der Vereitelung einer Blutprobe durch
Unterlassung der Unfallmeldung ist nach der Rechtsprechung erfüllt,
wenn der Fahrzeuglenker die die Meldepflicht sowie die die hohe
Wahrscheinlichkeit der Anordnung einer Blutprobe begründenden Tatsachen
kannte und daher die Unterlassung der gesetzlich vorgeschriebenen und
ohne weiteres möglichen Meldung vernünftigerweise nur als Inkaufnahme
der Vereitelung der Blutprobe gewertet werden kann (BGE 109 IV 137). Der
Beschwerdeführer wurde lediglich wegen fahrlässigen pflichtwidrigen
Verhaltens bei Unfall (Art. 92 SVG) verurteilt, wie sich aus dem vor
Obergericht insoweit nicht angefochtenen Entscheid der 1. Instanz
ergibt. Der Einzelrichter billigte dem Beschwerdeführer sinngemäss zu,
dass er den durch den Aufprall verursachten Schaden am Lebhag und am
Eisenzaun, die sich hinter der Schneemauer befanden, nicht wahrgenommen
habe, und warf ihm vor, dass er diesen Schaden aber bei pflichtgemässer
Aufmerksamkeit hätte erkennen können. Da der Beschwerdeführer somit die
die Meldepflicht begründenden Umstände (Drittschaden) - wenn auch aus
pflichtwidriger Unvorsichtigkeit - nicht kannte, kann die Unterlassung
der Unfallmeldung nicht den subjektiven Tatbestand der Vereitelung einer
Blutprobe, die ein Vorsatzdelikt ist, erfüllen.

Erwägung 3

    3.- Es bleibt zu prüfen, ob der Beschwerdeführer den Tatbestand von
Art. 91 Abs. 3 SVG dadurch erfüllte, dass er nach seinen eigenen Angaben zu
Hause in der Zeit zwischen 19.45 und 20.30 Uhr zunächst eine grosse Flasche
(5,8 dl) Bier und dann zum Nachtessen fünf Gläser Rotwein trank. Ob durch
diesen Nachtrunk der objektive Tatbestand der erwähnten Bestimmung erfüllt
worden sei, kann dahingestellt bleiben, weil es vorliegend jedenfalls am
subjektiven Tatbestand fehlt.

    Der Beschwerdeführer hatte nach den Ausführungen im erstinstanzlichen
Urteil - wenn auch aus pflichtwidriger Unaufmerksamkeit - den angerichteten
Schaden nicht bemerkt. Er wusste somit nicht, dass er einen Schaden
verursacht hatte, den er hätte melden müssen, dass er seine Meldepflicht
verletzt hatte und die Polizei deswegen unter Umständen eine Blutprobe
anordnen könnte. Wohl kann Vorsatz nicht nur dann gegeben sein, wenn der
Fahrzeuglenker die die hohe Wahrscheinlichkeit der Blutprobe begründenden
Tatsachen kannte, sondern auch dann, wenn er diese Umstände zwar nicht
kannte, ihm aber eine Äusserung nachgewiesen werden kann, die belegt,
dass er an das Risiko einer Blutprobe dachte (vgl. BGE 106 IV 398, 109 IV
140 E. 2b). Eine solche Äusserung kann dem Beschwerdeführer jedoch nicht
nachgewiesen werden. Der von ihm angegebene Konsum von einer grossen
Flasche (5,8 dl) Bier und von fünf Gläsern Rotwein (zum Nachtessen) in
der Zeit zwischen 19.45 und 20.30 Uhr mag zwar etwas auffällig sein, doch
kann nicht gesagt werden, dieser Alkoholkonsum kurze Zeit nach dem Unfall
lasse sich vernünftigerweise nur damit erklären, dass der Beschwerdeführer
die Anordnung einer Blutprobe als sehr wahrscheinlich erkannte und den
Zweck dieser Massnahme vereiteln wollte. Der Beschwerdeführer pflegte zum
Nachtessen zusammen mit seiner Lebensgefährtin meistens eine Flasche Wein
zu trinken, und der Konsum von einer Flasche Bier kurz nach der Heimkehr,
vor dem Essen, kann mit dem Arger über den Unfall erklärt werden. Gegen
die Annahme, der Beschwerdeführer habe die Anordnung einer Blutprobe für
sehr wahrscheinlich gehalten und durch den Alkoholkonsum den Zweck dieser
Massnahme vereiteln wollen, spricht nicht zuletzt auch die Tatsache,
dass er nach dem Unfall sofort nach Hause fuhr, obschon er wusste, dass
es Zeugen gab, welche die Kontroll.