Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 114 IV 128



114 IV 128

37. Urteil des Kassationshofes vom 30. September 1988 i.S. H. gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Nichtigkeitsbeschwerde) Regeste

    Art. 271 Ziff. 1 StGB. Verbotene Handlung für einen fremden Staat.

    Entscheidend ist, ob die einer Behörde oder einem Beamten zukommende
Handlung ihrer Natur nach amtlichen Charakter trügt (E. 2b).

    Dies ist bei einer Zeugenbefragung für die Zwecke eines gerichtlichen
Verfahrens der Fall (E. 2c).

Sachverhalt

    A.- Gegen B., den H. seit 1981 als Anwalt in der Schweiz vertrat,
wurde in Australien seit Jahren eine Strafuntersuchung insbesondere wegen
Vermögensdelikten geführt. Um die Beweiskraft verschiedener durch die
Schweizerische Volksbank den australischen Behörden 1975 übermittelten und
von einem Beamten der Kantonspolizei Zürich 1981 vor dem australischen
Gericht als echt bezeugten Kopien von Urkunden zu erschüttern, gelangte
H. Ende 1981 an die Schweizerische Volksbank in Zürich. Anlässlich einer
ersten Besprechung legte er auf Veranlassung von B. acht zumindest in
sprachlicher Hinsicht von ihm redigierte Entwürfe von Bestätigungen vor,
welche die Geschäftsvorgänge unzutreffend darstellen, deren drei nach
inhaltlicher Abänderung schliesslich akzeptiert wurden. An einer zweiten
Besprechung nahm auf Wunsch von B. und durch Vermittlung von H. dessen
Mitarbeiter, Rechtsanwalt und Notar S. teil, damit er später vor dem
australischen Gericht in den Beweisformen von "secondary evidence"
und "evidence on information and belief" als Person mit erhöhter
Glaubwürdigkeit über das, was er wahrgenommen habe, Zeugnis ablegen und
seine Schlussfolgerungen bekanntgeben könne. B. befragte die Bankvertreter,
während S., der sich vorgängig ihre Namen und Funktionen hatte nennen
lassen, einige wenige Notizen machte. In den folgenden beiden Tagen
arbeiteten S. und B. in der Anwaltskanzlei von H. unter Mitwirkung seiner
Angestellten verschiedene "als Aktennotiz" bezeichnete Erklärungen in
englischer Sprache aus, an denen H. insofern mitwirkte, als er S. mehrfach
bezüglich Interpretationsfragen und Übersetzung Auskunft erteilte und die
Erklärungen schliesslich durchsah. Diese gaben den Verlauf des Gesprächs
mit den Vertretern der Schweizerischen Volksbank nicht wahrheitsgetreu
wieder, indem sie dem Schema der australischen Beweisregeln folgend zuerst
einen angeblich von H. oder B. erteilten Auftrag an S. enthielten,
eine bestimmte Tatsache zu verifizieren, unter dem Titel "Information"
angeblich von S. gestellte und protokollarisch festgehaltene Fragen sowie
die entsprechenden Antworten aufführten und schliesslich unter dem Titel
"Belief" die vermeintlichen Schlussfolgerungen von S. erwähnten. Die
Aktennotizen wurden, wie H. wusste, von S. anlässlich seiner Abhörung
als Zeuge vor dem australischen Gericht als Gedankenstütze verwendet,
und der Verteidiger von B. reichte sie zudem dem Gericht ein. Um eine
Bewilligung für in derartiges Vorgehen war nicht nachgesucht worden.

    B.- Das Obergericht des Kantons Zürich sprach H. am 27. März 1987 der
verbotenen Handlung für einen fremden Staat schuldig und verurteilte ihn
zu einer bedingt vollziehbaren Gefängnisstrafe von zehn Tagen.

    Das Kassationsgericht des Kantons Zürich wies am 9. November 1987
eine von H. eingelegte kantonale Nichtigkeitsbeschwerde ab.

    C.- H. führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das
Urteil des Obergerichts aufzuheben und die Sache zu seiner Freisprechung
an dieses zurückzuweisen.

    Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich hat auf eine Vernehmlassung
verzichtet.

    Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab aus folgenden

Auszug aus den Erwägungen:

                          Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Der verbotenen Handlungen für einen fremden Staat macht sich
gemäss Art. 271 Ziff. 1 StGB schuldig, wer auf schweizerischem Gebiet ohne
Bewilligung für einen fremden Staat Handlungen vornimmt, die einer Behörde
oder einem Beamten zukommen, oder wer solchen Handlungen Vorschub leistet.

    Das Obergericht gelangt zum Schluss, der Beschwerdeführer habe
sämtliche Tatbestandsmerkmale dieser Bestimmung erfüllt. Um ihre Abhörung
auf dem Rechtshilfeweg zu umgehen, habe Rechtsanwalt und Notar S. den von
Dritten wahrgenommenen Sachverhalt durch deren Befragung selber abgeklärt,
um später im Strafverfahren gegen B. vor einem ausländischen Gericht zu
dessen Gunsten darüber als Zeuge aussagen zu können. Tatsachenermittlung
durch Abhörung von Augen- bzw. Ohrenzeugen stelle aber nach schweizerischer
Rechtsauffassung eine dem Richter vorbehaltene Beweiserhebung
dar. Die urteilsmässige Erledigung angehobener Prozesse und damit die
Rechtsverwirklichung liege im allgemeinen Staatsinteresse. Zu diesem
Zweck in einem anderen Staat Beweise zu erheben, stelle somit ein
Handeln im Interesse des fremden Staates und damit für diesen dar. Der
Beschwerdeführer habe, insbesondere durch den Beizug von Rechtsanwalt
und Notar S., zu diesem Tun wissentlich und willentlich Vorschub geleistet.

Erwägung 2

    2.- a) Der Beschwerdeführer behauptet, es liege hier gar keine einer
Behörde oder einem Beamten zukommende Handlung vor.

    b) Eine einer Behörde oder einem Beamten zukommende Handlung im Sinne
von Art. 271 Ziff. 1 StGB ist nach Lehre und Rechtsprechung - unbekümmert,
ob ein Beamter dabei tätig wurde - jede Handlung, die für sich betrachtet,
d.h. nach ihrem Wesen und Zweck sich als Amtstätigkeit charakterisiert;
entscheidend ist mithin, ob sie ihrer Natur nach amtlichen Charakter
trage, und nicht die Person des Täters (E. HAFTER, Schweizerisches
Strafrecht, Bd. II, S. 676; P. LOGOZ, Commentaire du Code pénal suisse,
Partie spéciale, Bd. II, N. 3cc zu Art. 271 StGB; V. SCHWANDER, Das
Schweizerische Strafgesetzbuch, S. 483 Nr. 735; P. REICHLIN, ZBl 65,
S. 122 f.; BGE 65 I 43 E. 2).

    c) Weder unterscheidet das Obergericht entgegen der Darstellung
des Beschwerdeführers zwischen einem dem Strafprozess ohnehin fremden
Behauptungs- und einem Beweisverfahren, noch geht es davon aus, alles
was im Strafprozess und insbesondere im Beweisverfahren geschehe,
sei ausnahmslos Sache des Staates. Es begnügt sich vielmehr mit der
(richtigen) Aussage, die Beweiserhebung, beispielsweise durch mündliche
Befragung von Augen- bzw. Ohrenzeugen, sei nach schweizerischem Recht
und schweizerischer Rechtsauffassung dem Richter, einer Untersuchungs-
oder Anklagebehörde vorbehalten. Das trifft, geht man die schweizerischen
Strafprozessordnungen durch, tatsächlich zu (R. HAUSER, Kurzlehrbuch
des schweizerischen Strafprozessrechts, S. 132 und 169; G. PIQUEREZ,
Précis de procédure pénale suisse, N. 989 f. und 1100 f.; C. MARKEES,
SJZ 65, S. 34). Die Parteien können anlässlich der Vernehmung lediglich
ergänzende Fragen und diese in der Regel nicht direkt, sondern nur
durch den Richter oder Gerichtspräsidenten stellen (G. PIQUEREZ, aaO,
N. 1100). Der Verweis des Beschwerdeführers auf das Kreuzverhör, in
welchem die Parteien Beschuldigte und Zeugen befragen, ist unbehelflich;
der Strafprozess ist - entgegen der amerikanischen Auffassung, welcher
das Kreuz- oder Wechselverhör entspricht - nach schweizerischem Recht
längst kein Parteienprozess mehr, das für Geschworenenprozesse in den
Kantonen Zürich, Genf und Tessin verbliebene Relikt des Kreuzverhörs
deshalb für schweizerische Verhältnisse in keiner Weise repräsentativ
(R. HAUSER, aaO, S. 234 f.; G. PIQUEREZ, aaO, N. 1100 und 1101), ganz
abgesehen davon, dass auch ein Kreuzverhör vor dem Gericht, also vor
einer Behörde stattfindet. Es kann demnach nicht zweifelhaft sein,
dass Einvernahmen für die Zwecke eines gerichtlichen Verfahrens ihrer
Natur nach amtlicher Charakter zukommt; das wird allgemein anerkannt
(THORMANN/V. OVERBECK, Das Schweizerische Strafgesetzbuch, N. 5 zu
Art. 271 StGB; P. LOGOZ, aaO, N. 3cc zu Art. 271 StGB; V. SCHWANDER,
aaO, S. 483 Nr. 735; BGE 65 I 45 E. 2). Die Berufung auf Guldener
(GULDENER/MILLER, in International Co-operation in Litigation: EUROPE,
Hans Smit Ed., The Hague 1965, S. 360 bis 362) ist unbehelflich: GULDENER
tritt jener Auffassung nicht entgegen, sondern hebt vielmehr hervor,
eine private mündliche Abhörung des Erklärenden könne nicht durchgeführt
werden (S. 365); die vom Beschwerdeführer genannte Stelle bezieht sich
ausschliesslich auf die Vorlage von Urkunden im Prozess und inwiefern
Zweifel an der in dieser Hinsicht herrschenden Auffassung angebracht
seien, wird nicht dargelegt. Bei der Einreichung von Urkunden geht es
im Unterschied zur Zeugenvernehmung um eine behördliches Handeln nicht
erfordernde Parteivorkehr; die herrschende Auffassung, wonach Einvernahmen
für gerichtliche Zwecke in die ausschliessliche Zuständigkeit von Behörden
und Beamten fallen, lässt sich daher mit dem Hinweis auf den Urkundenbeweis
nicht widerlegen.

    d) Kommt es einzig auf den amtlichen Charakter der vorgenommenen
Handlung, nicht auf die Person des Täters an, so ist entgegen der Meinung
des Beschwerdeführers die Tatsache bedeutungslos, dass weder S. noch
B. hätten Zwang ausüben können; daran wird es ohnehin regelmässig gerade
deshalb fehlen, weil ein anderer als das dafür zuständige staatliche
schweizerische Organ die diesem vorbehaltene Amtshandlung durchführt,
so dass Art. 271 Ziff. 1 StGB praktisch toter Buchstabe bliebe, wenn
beim Täter vorhandene Zwangsgewalt Voraussetzung für dessen Anwendbarkeit
bilden würde. S. hat, wie das Obergericht zutreffend erwägt, nicht bloss
seine Einvernahme als Zeuge vorbereitet, sondern, um überhaupt aussagen
zu können, zu diesem Zweck den ihm unbekannten Sachverhalt unter Mithilfe
von B. wie ein Untersuchungsorgan durch mündliche Befragung der Zeugen
selber abgeklärt; dies nach Feststellung des Obergerichts in der Absicht,
die nicht zu dem von B. gewünschten Ergebnis führende rechtshilfeweise
gerichtliche Einvernahme derselben zu umgehen. Er hat deshalb nicht eine
bloss prozessvorbereitende, sondern eine staatlichen Organen zustehende
Handlung vorgenommen, wie auch seine Abhörung durch das australische
Gericht eine solche darstellte.

Erwägung 3

    3.- a) Auch der Einwand des Beschwerdeführers, es fehle am
Tatbestandsmerkmal des Handelns für einen fremden Staat, verfängt nicht.

    b) Als für einen fremden Staat vorgenommen gilt nach Lehre und
Rechtsprechung jegliche Tätigkeit in dessen bzw. seiner Behörden Interesse
(E. HAFTER, aaO, S. 677; V. SCHWANDER, aaO, S. 483 Nr. 735; BGE 65 I 45
E. 2); dass der Täter im Auftrag des fremden Staates handeln, der fremde
Staat seine Tätigkeit wollen müsse, wie der Beschwerdeführer meint,
wird sowenig vorausgesetzt, als dass der Täter Beamter jenes Staates
sein müsse (P. LOGOZ, aaO; N. 3bb zu Art. 271 StGB; V. SCHWANDER,
aaO, S. 483 Nr. 735). Das Obergericht hat überzeugend und zutreffend
dargelegt, dass die Rechtsverwirklichung durch richterliches Urteil zu den
Aufgaben jeden Staates gehört, die hiefür nötige Sachverhaltsermittlung
insbesondere durch Abhörung von Zeugen daher gleich wie wenn er sie durch
seine Organe selber vornehmen würde seine Interessen beschlägt. Aus dem
Hinweis des Beschwerdeführers, es gebe zahllose zulässige Tätigkeiten
auf schweizerischem Staatsgebiet im Interesse fremder Staaten, so die
Begleichung von Sozialversicherungsbeiträgen an ausländische staatliche
Einrichtungen, die Bezahlung im Ausland verwirkter Parkbussen, die
Mitarbeit für staatlich gelenkte Universitäten des Auslands, lässt sich
nichts zu seinen Gunsten ableiten; die Tatbestandsmässigkeit fehlt in
solchen Fällen, weil es nicht um ihrem Wesen nach in die Zuständigkeit
einer Behörde oder eines Beamten fallende Handlungen geht. Das ist auch
der fälschlicherweise auf G. STRATENWERTH (Schweizerisches Strafrecht,
Besonderer Teil II, S. 254) gestützten Kritik des Beschwerdeführers
betreffend der Ausuferung des Tatbestandes entgegenzuhalten.

Erwägung 4

    4.- Das Obergericht legt dem Beschwerdeführer nach den verbindlichen
tatsächlichen Feststellungen nicht bloss zur Last, er habe S.
mehrfach bezüglich Interpretationsfragen und Übersetzung Auskunft
erteilt und die von diesem unter Mithilfe von B. verfassten Erklärungen
durchgesehen, sondern vor allem, dass er ihn auf Wunsch von B. überhaupt
für die verpönte Tätigkeit zugezogen, ihn B. dafür vermittelt habe. Er
erleichterte dadurch die verbotene Handlung für einen fremden Staat auf
schweizerischem Gebiet, leistete also Vorschub zu dieser. Was er tat lag
entgegen seiner Bestreitung klar innerhalb des strafrechtlich relevanten;
unter Vorschubleisten wird jedes irgendwie geartete, die strafbare
Tätigkeit fördernde Verhalten verstanden, Beihilfe wie Vorbereitung,
welches daher als vollendetes Delikt zu bestrafen ist (E. HAFTER, aaO,
S. 678; P. LOGOZ, aaO, N. 3c zu Art. 271 StGB).