Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 114 IV 124



114 IV 124

35. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 14. Juli 1988
i.S. X. gegen Y. (Nichtigkeitsbeschwerde) Regeste

    Art. 217 StGB; Vernachlässigung von Unterstützungspflichten.

    Die Betätigungsfreiheit entbindet einen Künstler nicht von der Pflicht,
neben einer künstlerischen Tätigkeit, die seinen eigenen Notbedarf
nur ungenügend deckt, in dem Umfang einer ihm zumutbaren entgeltlichen
Tätigkeit nachzugehen, dass er seine familienrechtlichen Verpflichtungen
erfüllen kann.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- b) Der Beschwerdeführer hat unstrittig weniger geleistet, als er
gemäss Vergleich und Urteil hätte leisten müssen. Bestraft werden kann
er nur, wenn es ihm möglich gewesen wäre, mehr zu leisten, und wenn er
überdies seiner Pflicht trotz dieser Möglichkeit aus bösem Willen nicht
nachgekommen ist.

    aa) Für die Periode von August 1985 bis Ende 1986 geht die Vorinstanz
davon aus, der Beschwerdeführer habe nicht einmal für sich selbst
genügend verdient. Sie nimmt jedoch an, er sei verpflichtet gewesen,
neben seiner künstlerischen Tätigkeit eine Stelle anzunehmen, die ihm
ein ständiges Einkommen in der Höhe gesichert hätte, dass er seinen
familienrechtlichen Verpflichtungen hätte nachkommen können. Sie bejaht
überdies die Möglichkeit, eine derartige Stelle anzunehmen.

    Der Unterhaltspflichtige muss in einem Umfang einer entgeltlichen
Tätigkeit nachgehen, dass er seine Unterhaltspflichten erfüllen
kann. Gegebenenfalls muss er sogar seine Stelle oder seinen Beruf
wechseln, wobei diese Pflicht durch den generellen Gesichtspunkt der
Zumutbarkeit begrenzt ist. So wird man etwa bei einem Feinmechaniker
oder einem Pianisten kaum verlangen können, dass er eine berufsfremde
Tätigkeit mit schwerer körperlicher Belastung übernimmt, wenn dadurch
etwa das Feingefühl seiner Hände und damit die Möglichkeit, später wieder
im angestammten Beruf zu arbeiten, beeinträchtigt würde. Das Recht auf
freie berufliche Tätigkeit, auf welches der Beschwerdeführer hinweist,
wird beschränkt durch die Pflicht des Unterhaltspflichtigen, für seine
Familie aufzukommen (vgl. DIPPEL, Leipziger Kommentar, 10. Aufl., N 45
und SCHÖNKE/SCHRÖDER/LENCKNER, Strafgesetzbuch Kommentar, 22. Aufl.,
N 21, je zu § 170b dStGB).

    Dem Beschwerdeführer gelingt es offensichtlich mit seiner
künstlerischen Tätigkeit nicht, ein Einkommen zu erzielen, das ihm die
Erfüllung seiner familienrechtlichen Pflichten ermöglichen würde. Zu
Unrecht beruft er sich deshalb auf seine Freiheit, den Beruf zu wählen
und auszuüben, der ihm gefällt. Die Pflicht, für die geschiedene Frau
und die Kinder in angemessenem Masse aufzukommen, geht jedenfalls dann,
wenn diesen keine anderen ausreichenden Mittel zur Verfügung stehen, der
Betätigungsfreiheit des Beschwerdeführers vor. Dies muss insbesondere
dann gelten, wenn, wie auch die Vorinstanz annimmt, bereits durch die
Übernahme einer regelmässigen Nebenbeschäftigung die Bezahlung der
Unterhaltsbeiträge gesichert werden könnte. Nicht nur Künstler, sondern
viele Bürger müssen, um sich und ihren Angehörigen den Lebensunterhalt
zu verdienen, einer Betätigung nachgehen, die ihnen nicht oder nicht
durchwegs behagt und die es ihnen verunmöglicht oder erschwert, sich gemäss
ihren Neigungen zu betätigen. Ob jemand, der seit Jahren ausschliesslich
einer künstlerischen Tätigkeit nachgegangen ist, verhalten werden könnte,
diese völlig aufzugeben, was im Hinblick auf das ihm zustehende Grundrecht
der persönlichen Freiheit problematisch sein könnte, braucht hier nicht
weiter diskutiert zu werden, da der Beschwerdeführer selbst nicht geltend
macht, dass die Übernahme einer zur Erfüllung seiner familienrechtlichen
Pflichten ausreichenden Tätigkeit eine Weiterführung seiner künstlerischen
Betätigung ausschliessen würde. Ausstellungen im Ausland sind jedenfalls
kein ausreichender Grund, von der Übernahme einer regelmässigen Tätigkeit
in der Schweiz abzusehen.