Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 114 II 393



114 II 393

75. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 22. Dezember 1988 i.S.
X. gegen X. (staatsrechtliche Beschwerde) Regeste

    Vorsorgliche Massnahmen für die Dauer des Scheidungsprozesses
(Art. 145 ZGB).

    Es ist willkürlich, bei der Bemessung der der Ehefrau zuzusprechenden
Unterhaltsbeiträge die Steuerbetreffnisse und Versicherungsprämien, die
der Ehemann zu zahlen hat, generell ausser acht zu lassen. Voraussetzungen,
unter denen solchen Verpflichtungen Rechnung zu tragen ist.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- Der Beschwerdeführer wirft der Rekurs-Kommission vor, sie
habe Art. 145 Abs. 2, Art. 163 Abs. 1 und Art. 176 Abs. 1 Ziff. 1 ZGB
willkürlich angewendet. Im einzelnen beanstandet er, dass die kantonale
Beschwerdeinstanz bei der Ermittlung seines Bedarfs in Verletzung
der zu beachtenden Grundsätze einerseits die von ihm zu zahlenden
Steuerschulden und andererseits die Prämie für die "Risikoversicherung
für beide Eheleute" von monatlich Fr. 250.-- sowie diejenige für Hausrat-,
Haftpflicht- und Rechtsschutzversicherungen von Fr. 52.-- im Monat nicht
berücksichtigt habe. Umgekehrt sei aber auf seiten der Beschwerdegegnerin
ein Betrag von Fr. 254.-- als Prämie für ihre Vorsorgeversicherung voll
angerechnet worden; die erstinstanzliche Richterin habe diesen Betrag als
Notbedarfsposition anerkannt, unter anderem unter Hinweis auf die von ihm,
dem Beschwerdeführer, abgeschlossene Risikoversicherung für beide Eheleute
und nachdem die von ihm geltend gemachten, von der Beschwerdegegnerin
nicht bestrittenen Prämien von monatlich Fr. 250.-- auf seiner Seite als
Notbedarfsposition anerkannt worden seien. Der Beschwerdeführer empfindet
es als widersprüchlich und willkürlich, wenn die Rekurs-Kommission mit
dem Hinweis auf die Erwägungen der erstinstanzlichen Richterin bei ihm die
Prämien für die Risikoversicherung für beide Eheleute nicht berücksichtigt,
andererseits aber die Prämien für die Vorsorgepolice der Beschwerdegegnerin
in deren Notbedarfsrechnung aufgenommen hat.

Erwägung 4

    4.- a) Die Beschwerdegegnerin hatte im erstinstanzlichen Verfahren
anerkannt, dass der Beschwerdeführer monatlich unter anderem Fr. 1'400.--
an Steuern zu bezahlen habe. Die Massnahmerichterin berücksichtigte
diesen Betrag bei der Ermittlung der von den Parteien zu tragenden festen
Auslagen, indem sie gestützt auf die Angaben des Beschwerdeführers auf
dessen Seite von einem Gesamtaufwand von Fr. 2'655.70 (darin eingeschlossen
Fr. 1'400.-- für Steuern) ausging. In diesem Gesamtbetrag waren auch
Prämien von insgesamt Fr. 302.-- für die "Risikoversicherung für beide
Eheleute" sowie für verschiedene andere Versicherungen enthalten.

    Die Rekurs-Kommission liess demgegenüber die vom Beschwerdeführer
geltend gemachten Beträge für Steuern und für die verschiedenen
Versicherungen ausser acht mit der Begründung, diese Aufwendungen könnten
nach konstanter thurgauischer Praxis nicht berücksichtigt werden.

    b) Wie die Rekurs-Kommission an sich zutreffend festhält, richtet
sich die Höhe der für die Dauer des Scheidungsprozesses beanspruchten
Unterhaltsbeiträge nach den wirtschaftlichen Möglichkeiten und nach dem
Bedarf der beiden Ehegatten. Deren Mittel haben in erster Linie dazu
zu dienen, den ordentlichen Bedarf der Familiengemeinschaft und die
infolge der Trennung in aller Regel anfallenden Mehrkosten zu decken (zu
letzterem vgl. BGE 114 II 17 E. 5). Entgegen der Auffassung der Rekurs-
Kommission und der Beschwerdegegnerin kann es bei den in Betracht zu
ziehenden Auslagen jedoch nicht einfach um den sehr knapp bemessenen
betreibungsrechtlichen Notbedarf gehen. Im Scheidungsverfahren - wie
auch nach abgeschlossener Scheidung - dienen die betreibungsrechtlichen
Richtlinien stets nur als Anhaltspunkt für die Bestimmung dessen, was
aus den gesamten ehelichen Einkünften (Mannes- und Fraueneinkommen,
Vermögensertrag) notwendigerweise bestritten werden muss. Anders als im
Betreibungsverfahren lassen sich hier Steuerschulden nicht etwa einfach
mit der Begründung ausklammern, der Staat solle nicht zu Lasten anderer
Gläubiger in den Genuss einer Vorzugsbehandlung kommen. Zum Unterhalt
sind freilich nur die Einkommens- und Vermögenssteuern zu zählen, und
auch sie nur in dem Masse, als Einkommen und Vermögen dem Unterhalt
der Familie dienen; Erbschafts-, Schenkungs- und Handänderungssteuern
betreffen dagegen nur die Vermögenswerte des einzelnen Ehegatten und
damit nicht den Unterhalt der Familie (vgl. HAUSHEER/REUSSER/GEISER,
N. 11 zu Art. 163 ZGB). Indem die Rekurs-Kommission in Missachtung der
angeführten eherechtlichen Grundsätze und ohne nähere Begründung die
vom Beschwerdeführer geltend gemachten Steuerbetreffnisse ausser Ansatz
gelassen hat, ist sie in Willkür verfallen.

    c) Was sodann die Versicherungsprämien auf seiten des Beschwerdeführers
betrifft, welche die Rekurs-Kommission ebenfalls unter Berufung auf
die nicht näher dargelegte kantonale Praxis ausser acht gelassen
hat, so handelt es sich um Verpflichtungen, die nicht ohne weiteres
kurzfristig gekündigt werden können. Sofern es die wirtschaftlichen
Verhältnisse ohne wesentliche Einschränkung in der Lebenshaltung der
beiden Ehegatten zulassen, solche für eine Ehe allgemein üblichen
Verpflichtungen bis zum Entscheid über den Weiterbestand oder die
Auflösung der Ehe aufrechtzuerhalten, sind diese von den Ehegatten
grundsätzlich weiterhin gemeinsam zu tragen. Der Massnahmerichter hat
bei der Ermittlung des ehelichen Aufwandes bzw. des von den Einkünften
verbleibenden Betrages Versicherungsprämien grundsätzlich jedenfalls
insofern zu berücksichtigen, als es um die Abdeckung von Risiken geht,
welche die eheliche Gemeinschaft bzw. den - momentan zwar aufgehobenen
- gemeinsamen Haushalt betreffen. Wenn die Rekurs-Kommission die vom
Beschwerdeführer geltend gemachten Versicherungsprämien ohne nähere
Begründung ausser acht gelassen hat, hat sie nach dem Gesagten auch in
dieser Hinsicht gegen Art. 4 BV verstossen.