Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 114 II 385



114 II 385

73. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 30. August 1988 i.S.
"Badener Tagblatt" gegen Grüne Aargau und Thür (Berufung) Regeste

    Gegendarstellung (Art. 28g ZGB).

    1. Das Medienunternehmen ist durch einen zur Gegendarstellung
verpflichtenden Entscheid auch dann noch beschwert und damit zur Berufung
an das Bundesgericht legitimiert, wenn es die Gegendarstellung in Befolgung
einer superprovisorischen Verfügung bereits veröffentlicht hat (Erw. 3).

    2. Die Zeitungsmeldung, die Progressiven Organisationen (POCH) bildeten
das "personelle und programmatische Rückgrat" des "Grünen Bündnisses",
ist eine der Gegendarstellung zugängliche Tatsachenbehauptung im Sinne
von Art. 28g Abs. 1 ZGB (Erw. 4).

Sachverhalt

    A.- Vor den Nationalratswahlen vom 18. Oktober 1987 veröffentlichte
das "Badener Tagblatt" in seiner Ausgabe vom 15. September 1987 eine
Agenturmeldung über das "Grüne Bündnis", worin unter anderem stand,
die Progressiven Organisationen (POCH) bildeten dessen "personelles und
programmatisches Rückgrat".

    Mit Eingabe vom 29. September 1987 stellten hierauf die - dem "Grünen
Bündnis" angehörende - Gruppierung "Grüne Aargau" und Hanspeter Thür
(Mitglied dieser Gruppierung) beim Präsidenten des Bezirksgerichts Baden
das Begehren, der "Badener Tagblatt", Druckerei Wanner AG, sei zu befehlen,
auf der Inlandseite der Zeitung die von ihnen verfasste Gegendarstellung
abzudrucken. In diesem Text hielten die Kläger im wesentlichen fest,
dass die Behauptung, die Progressiven Organisationen (POCH) würden das
"personelle und programmatische Rückgrat" des "Grünen Bündnisses" bilden,
jeglicher sachlichen Grundlage entbehre.

    Der Gerichtspräsident ordnete mit superprovisorischer Verfügung
vom 1. Oktober 1987 an, dass die Beklagte die verlangte Gegendarstellung
abzudrucken habe. Die Gegendarstellung wurde in der Ausgabe des "Badener
Tagblattes" vom 3. Oktober 1987 veröffentlicht.

    Am 16. Oktober 1987 bestätigte der Gerichtspräsident die
superprovisorische Verfügung.

    Eine gegen den Entscheid vom 16. Oktober 1987 erhobene Beschwerde der
Beklagten wies das Obergericht (1. Zivilkammer) des Kantons Aargau am 15.
Februar 1988 ab.

    Den obergerichtlichen Entscheid hat die Beklagte an das Bundesgericht
weitergezogen. Sie beantragt, das Urteil sei aufzuheben und die Klage
abzuweisen; allenfalls sei die Sache zu neuer Entscheidung an die
Vorinstanz zurückzuweisen.

    Die Kläger schliessen auf Abweisung der Berufung.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- Das Obergericht ist mit zutreffender Begründung davon ausgegangen,
die Beklagte sei, ungeachtet der bereits erfolgten Publikation der
Gegendarstellung, durch die erstinstanzliche Verfügung beschwert. Es
liesse sich in der Tat nur schwer verstehen, wenn dem Medienunternehmen
als Folge des - systemwidrigen, aber im Interesse einer raschen
Gegendarstellungspublikation nötigen - Ausschlusses der aufschiebenden
Wirkung gemäss Art. 281 Abs. 4 ZGB versagt bliebe, den zur Gegendarstellung
verpflichtenden Entscheid überprüfen zu lassen. Das Medienunternehmen
behält daran ein schützenswertes Interesse schon im Blick auf künftig
mögliche Gegendarstellungsbegehren (TERCIER, Le nouveau droit de la
personnalité, S. 227, Rz. 1721; zur Problematik von Art. 281 Abs. 4 ZGB
vgl. FRANK, Verfahrensrechtliche Probleme des Gegendarstellungsrechts,
in: SJZ 83/1987, S. 269 ff.) ...

Erwägung 4

    4.- Nach Art. 28g Abs. 1 ZGB hat Anspruch auf Gegendarstellung,
wer durch Tatsachendarstellungen in periodisch erscheinenden Medien,
insbesondere Presse, Radio und Fernsehen, in seiner Persönlichkeit
unmittelbar betroffen ist.

    a) Streitig ist im vorliegenden Fall einzig, ob es sich bei der
im "Badener Tagblatt" vom 15. September 1987 publizierten Meldung,
die Progressiven Organisationen (POCH) bildeten das personelle
und programmatische Rückgrat des "Grünen Bündnisses", um eine der
Gegendarstellung zugängliche Tatsachenbehauptung handle. Beide kantonalen
Instanzen haben dies bejaht. Sie beriefen sich auf das Kriterium der
Beweisbarkeit, wobei das Obergericht vorweg den Sinngehalt des Begriffs
"Rückgrat" ermittelte und erkannte, dass mit diesem Begriff offensichtlich
habe zum Ausdruck gebracht werden wollen, wer in der Organisation die
tragende Rolle spiele. Die darunter fallenden Tätigkeiten - z.B. Anstoss
für die Gründung, Aufstellen und Durchsetzen von Leitlinien und Programmen,
Erledigung der administrativen und finanziellen Aufgaben - könnten
durchwegs beobachtet und in der Regel auch nachgewiesen werden. Die
bildhafte Umschreibung dessen, was gemeint sei, entspreche daher einer
Tatsachenbehauptung im Sinne von Art. 28g ZGB.

    b) Dieser Betrachtungsweise ist entgegen der Ansicht der Beklagten
beizupflichten. Die Beklagte geht unter Hinweis auf Entstehungsgeschichte,
Zweck und Systematik des Gesetzes davon aus, dass der Richter bei
der Beurteilung der Frage, ob in einer bestimmten Behauptung eine der
Gegendarstellung zugängliche Tatsachendarstellung zu erblicken sei, im
Interesse der Pressefreiheit Zurückhaltung üben müsse; im Zweifel habe
er das Vorliegen einer Tatsachendarstellung zu verneinen. Die Ausdehnung
auf wertende Tatsachen verbiete sich und verstosse gegen Bundesrecht.

    Gewiss mag die Abgrenzung zwischen Tatsachendarstellung und Werturteil,
blosser Meinungsäusserung oder Kommentar in einzelnen Fällen schwierig sein
(vgl. SJZ 84/1988, S. 233; ZR 85/1986, Nr. 103, S. 262 f.; TERCIER, aaO,
S. 189, Rz. 1409; zum deutschen Recht vgl. WENZEL, Das Recht der Wort-
und Bildberichterstattung, 3. Aufl., S. 77 ff.; SEITZ/SCHMIDT/SCHÖNER,
Der Gegendarstellungsanspruch in Presse, Film, Funk und Fernsehen,
Schriftenreihe der Neuen Juristischen Wochenschrift, Heft 33, S. 77,
N. 166, und S. 87, N. 177). Eine Unklarheit dieser Art besteht hier jedoch
nicht: Auch wenn in der von der Beklagten abgedruckten Agenturmeldung die
bildhafte Formulierung gewählt wurde, die Progressiven Organisationen
(POCH) bildeten das "personelle und programmatische Rückgrat" des
"Grünen Bündnisses", war für den Durchschnittsleser - auf den es hier
einzig ankommt (vgl. BGE 112 II 468 E. a) - daraus nichts anderes zu
entnehmen als die Feststellung, den Progressiven Organisationen (POCH)
komme die tragende Rolle im "Grünen Bündnis" zu. Diese Aussage lässt sich
beispielsweise anhand des Programms, der personellen Zusammensetzung
oder von Sitzungsprotokollen ohne grosse Schwierigkeiten beweisen
bzw. widerlegen. Der strittige Text war somit einer Gegendarstellung
durchaus zugänglich, und die Berufung erweist sich als offensichtlich
unbegründet.