Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 114 II 368



114 II 368

69. Urteil der I. Zivilabteilung vom 3. November 1988 i.S. Fondation Le
Corbusier gegen A. (staatsrechtliche Beschwerde) Regeste

    Art. 53 Ziff. 1 URG. Eigenmächtige Wiedergabe eines Kunstwerkes auf
einer Gedenkmedaille. Willkür der Behörde, die es ablehnt, Herstellung
und Vertrieb der Medaille vorsorglich zu verbieten.

Auszug aus den Erwägungen:

                          Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Die "Fondation Le Corbusier", Paris, ist eine Stiftung des
französischen Rechts und Alleinerbin des Charles Edouard Jeanneret, der
unter dem Pseudonym Le Corbusier insbesondere als Architekt und Bildhauer
berühmt geworden und 1965 gestorben ist. Im Juli 1988 ersuchte sie das
Obergericht des Kantons Luzern, A. die Wiedergabe und den Vertrieb von
Le Corbusier-Werken, namentlich die Herausgabe einer Gedenkmedaille
von 33 mm Durchmesser aus Anlass des 100. Geburtstages des Künstlers,
wegen Verletzung von Urheber- und Markenrechten vorsorglich bei Strafe
zu verbieten. Auf der einen Seite dieser Medaille ist das Porträt und
die Unterschrift des Künstlers, auf der andern dessen Skulptur "Petite
Confidence ou La Biche" samt deren Bezeichnung plastisch wiedergegeben.

    Das Obergericht wies das Gesuch am 18. Juli 1988 ab, ohne die
Gegenpartei anzuhören. Es fand, dass es der Gesuchstellerin nicht gelungen
sei, einen nicht leicht ersetzbaren Nachteil glaubhaft zu machen;
jedenfalls sei fraglich, ob der Nachteil nur durch eine vorläufige
Anordnung abgewendet werden könnte.

    Die Gesuchstellerin führt gegen diesen Entscheid staatsrechtliche
Beschwerde mit dem Antrag, ihn wegen Verletzung von Art. 4 BV
aufzuheben. A. beantragt, die Beschwerde abzuweisen. Die Stellungnahme
des Obergerichts, das ebenfalls auf Abweisung schliesst, ist verspätet.

Erwägung 2

    2.- Die Beschwerdeführerin wirft dem Obergericht eine willkürliche
Anwendung von Art. 31 MSchG und Art. 52 und 53 Ziff. 1 URG vor. Sie macht
sinngemäss insbesondere geltend, die vom angefochtenen Entscheid vermisste
Wahrscheinlichkeit eines Nachteils ergebe sich schon daraus, dass die vom
Beschwerdegegner wiedergegebene Skulptur vom Original deutlich abweiche;
die Wiedergabe sei eine Verunstaltung des Werkes und schade daher nicht
nur dem Ansehen des berühmten Künstlers, sondern auch ihren eigenen
Interessen, was sie sich entgegen der Annahme des Obergerichts nicht
bis zum Abschluss eines Prozesses im ordentlichen Verfahren durch ein
rechtskräftiges Sachurteil gefallen lassen müsse. Der drohende Schaden
sei zudem nur sehr schwer nachweisbar.

    a) Ob das angefochtene Urteil, das nicht an eine andere
kantonale Behörde weitergezogen werden konnte, als End- oder bloss
als Zwischenentscheid im Sinne von Art. 87 OG anzusehen sei, kann
offenbleiben. Trifft der Vorwurf zu, der Beschwerdegegner habe die
streitige Skulptur nicht nur eigenmächtig wiedergegeben, sondern sogar
abgeändert und dadurch insbesondere Urheberrechte verletzt, so droht
der Beschwerdeführerin jedenfalls ein nicht leicht wieder gutzumachender
Nachteil gemäss Art. 87 OG, wenn der Beschwerdegegner mit der Herstellung
und dem Vertrieb der Gedenkmedaille nach Belieben fortfahren darf.
Der Nachteil könnte diesfalls auch durch einen für die Beschwerdeführerin
günstigen Sachentscheid nicht mehr behoben werden. Er ist zudem rechtlicher
Natur, was zur Anfechtung eines Zwischenentscheides genügt (BGE 108 II
71 mit Hinweisen).

    Fragen kann sich daher bloss, ob das Obergericht Art. 53 Ziff. 1 URG
willkürlich angewandt habe, indem es annahm, es sei der Beschwerdeführerin
nicht gelungen, einen nicht leicht ersetzbaren Nachteil, der ausserdem nur
durch eine vorsorgliche Massnahme abgewendet werden könnte, glaubhaft zu
machen. Die Frage ist zu bejahen, liegt doch schon nach dem eigenmächtigen
Vorgehen des Beschwerdegegners nahe, dass Urheberrechte des Künstlers
beeinträchtigt worden sind und der Beschwerdeführerin, die angeblich deren
rechtmässige Inhaberin geworden ist, deshalb nicht leicht ersetzbare
Nachteile drohen, wenn sie die unbefugte Wiedergabe der Skulptur "La
Biche" samt deren unverkennbaren Veränderungen weiterhin hinzunehmen
hat. Das Obergericht verkehrt die Rechtslage ins Gegenteil, wenn es der
Gesuchstellerin vorhält, dem Beschwerdegegner keine Gelegenheit gegeben zu
haben, von ihrem Standpunkt Kenntnis zu nehmen. Sich über die Zulässigkeit
seines Vorgehens Gewissheit zu verschaffen, bevor er die streitigen Münzen
in Gold und Silber herzustellen und zu vertreiben begann, war Sache des
Beschwerdegegners. Ebenso unhaltbar ist der Vorhalt, die Gesuchstellerin
habe auch nicht dargetan, dass sie selber eine Gedenkmünze herausgeben
wolle oder sonstwie in ihren Gewinnabsichten beeinträchtigt sei; darüber
schuldet sie dem Beschwerdegegner zum vornherein keine Auskunft, wenn
sie als rechtmässige Inhaberin der Urheberrechte anzusehen ist, wofür
sie glaubhafte Belege beigebracht hat.

    In BGE 108 II 230/31, wo es um Kartell- und Wettbewerbsrecht ging
und auf staatsrechtliche Beschwerde hin ebenfalls über die Ablehnung
einer vorsorglichen Massnahme zu entscheiden war, ist es zwar als haltbar
bezeichnet worden, dass ein nicht leicht ersetzbarer Nachteil verneint
werde, wenn dem Gesuchsteller die Möglichkeit gewahrt bleibe, Schadenersatz
zu verlangen und der Gesuchsgegner zahlungsfähig sei. Das Obergericht hat
das Gesuch der Beschwerdeführerin aber nicht mit solchen Überlegungen,
sondern mit einer unhaltbaren Begründung abgelehnt. Dazu kommt, dass
im Urheberrecht meistens immaterielle Ansprüche, die nur schwer in Geld
abzuschätzen sind, im Vordergrund stehen. Sein Schutz bezieht sich auch auf
das Urheberpersönlichkeitsrecht, das unabhängig von vermögensrechtlichen
Ansprüchen einen absoluten Anspruch auf Unterlassung gegenüber dem
gewährt, der das Werk ohne Erlaubnis in irgendeiner Weise abändert,
gleichviel ob das Werk dadurch entstellt oder verstümmelt, verbessert
oder gar wertvoll ergänzt wird (BGE 113 II 311 E. 4a mit Hinweisen). Es
kommt deshalb nicht darauf an, ob das Ansehen des Künstlers durch die
Herausgabe der streitigen Gedenkmünze gehoben wird, wie das Obergericht
annimmt, und ob der Beschwerdegegner gutgläubig gehandelt hat und eher
an eine Ehrung des Künstlers als an einen Gewinn gedacht haben will.

    b) Für eine willkürliche Anwendung von Art. 31 MSchG durch
das Obergericht ist der Beschwerde dagegen nichts zu entnehmen. Die
Beschwerdeführerin schweigt sich insbesondere darüber aus, inwiefern wegen
der Verwendung des international hinterlegten Zeichens "Le Corbusier"
auf der Medaille eine Markenrechtsverletzung vorliegen soll. Auf die
Beschwerde ist daher insoweit nicht einzutreten (BGE 110 Ia 3 E. 2a und
107 Ia 114 mit Hinweisen).

Entscheid:

              Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die staatsrechtliche Beschwerde wird gutgeheissen, soweit darauf
einzutreten ist, und der Entscheid des Obergerichts (Justizkommission)
des Kantons Luzern vom 18. Juli 1988 wird aufgehoben.