Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 114 II 274



114 II 274

48. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 21. Juni 1988 i.S. X.
gegen Firma A. (Berufung) Regeste

    Art. 324 OR. Lohnzahlungspflicht bei Unmöglichkeit der Arbeitsleistung.

    1. Diese Pflicht bleibt bestehen, wenn der Arbeitgeber die
Unmöglichkeit zu vertreten hat. Bei beidseitigem Verschulden ist
der Lohnanspruch des Arbeitnehmers im Ausmass seiner Ersatzpflicht
verrechnungsweise zu kürzen (E. 4).

    2. Umstände, die eine Kürzung zu zwei Dritteln rechtfertigen, weil der
Arbeitnehmer durch Verbüssung einer Freiheitsstrafe verhindert worden ist,
die versprochene Arbeit zu leisten, der Arbeitgeber die Verhinderung aber
mitzuverantworten hat (E. 5).

Sachverhalt

    A.- Der jugoslawische Staatsangehörige X. wurde am 1.  Dezember 1978
von der Firma A. insbesondere für den Export von Maschinen und Werkzeugen
nach Jugoslawien angestellt. Die Anstellung stand unter dem Vorbehalt,
"dass die behördliche Genehmigung" zu erhalten war. Es handelte sich
dabei um eine Bewilligung, deren Personen mit Wohn- und Arbeitsort in
Jugoslawien bedurften, wenn sie für ein ausländisches Unternehmen tätig
waren. Diese Bewilligung wurde in der Folge nicht eingeholt.

    Von Dezember 1978 bis Mitte Februar 1979 weilte X. im Auftrag der Firma
A. in Jugoslawien. Nach einem kurzen Aufenthalt in der Schweiz kehrte
er Ende Februar 1979 wiederum in seine Heimat zurück, wo ihm anfangs
April 1979 der Reisepass abgenommen und die Geschäftsakten beschlagnahmt
wurden. Er wurde daraufhin wegen Verletzung von Vorschriften über den
Warenverkehr und Dienstleistungen zu einer Freiheitsstrafe von einem
Jahr verurteilt. Man warf ihm vor, dass er nicht nur für die Firma A.,
sondern früher schon für die Schweizer Firma B. eine nach jugoslawischem
Recht verbotene Tätigkeit ausgeübt habe. Am 30. Oktober 1980 wurde er
aus der Strafe entlassen.

    B.- Im November 1981 klagte X. gegen die Firma A. auf Zahlung von Fr.
180'967.-- nebst Zins.

    Das Bezirksgericht Wil schützte die Klage im Betrage von Fr. 34'051.80
nebst Zins und wies sie im Mehrbetrag ab. Auf Appellation hin beschränkte
das Kantonsgericht St. Gallen am 27. Januar 1988 die Forderung auf
Fr. 23'752.45 nebst Zins.

    C.- Der Kläger hat gegen das Urteil des Kantonsgerichts Berufung
eingelegt, mit der er an einer Forderung von Fr. 148'214.-- nebst Zins
festhält.

    Das Bundesgericht weist die Berufung ab und bestätigt das angefochtene
Urteil.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 4

    4.- In rechtlicher Hinsicht geht die Vorinstanz davon aus,
dass es an sich zu den Vorbereitungs- und Mitwirkungspflichten des
Arbeitgebers gehöre, die erforderliche Arbeitsbewilligung einzuholen;
vorliegend habe indes vom Kläger als jugoslawischem Staatsangehörigen
und wegen seines Einsatzes in Jugoslawien erwartet werden dürfen,
dass er sich ebenfalls um die Arbeitserlaubnis bemühe. Er könne sich
für seine Verhaftung und Verurteilung nicht auf Rechtsirrtum berufen,
und dass er auch wegen seiner unbewilligten Tätigkeit für seine frühere
Arbeitgeberin zur Rechenschaft gezogen worden sei, habe nicht die
Beklagte zu vertreten. Das Kantonsgericht fand, dass der Kläger unter
diesen Umständen das Scheitern seines Einsatzes zu zwei Dritteln selbst
zu verantworten habe; es stellte dessen Lohnanspruch verrechnungsweise
einen entsprechenden Schadenersatzanspruch der Beklagten gegenüber und
schützte jenen noch zu einem Drittel. Der Kläger hält dagegen daran
fest, dass ihn kein Mitverschulden treffe, er sich folglich auch keine
Lohnkürzung gefallen lassen müsse.

    Das Kantonsgericht brauchte sich nicht zur umstrittenen Frage zu
äussern, ob die Lohnzahlungspflicht des Arbeitgebers gemäss Art. 324
OR wegen Umständen, für die der Arbeitnehmer einzustehen hat, ermässigt
werden kann, wenn der Arbeitgeber sich mit der Annahme der Arbeitsleistung
in Verzug befindet; es hat die Frage vielmehr zu Recht offengelassen. Denn
ein Annahmeverzug setzt jedenfalls voraus, dass der anbietende Arbeitnehmer
auch in der Lage ist, die geschuldete Leistung zu erbringen. Unmöglichkeit
schliesst einen Annahmeverzug zum vornherein aus, gleichviel ob die
versprochene Leistung objektiv oder bloss subjektiv nicht erbringbar ist
(VISCHER, in Schweiz. Privatrecht VII/1 S. 381 mit Hinweisen). Diese
Voraussetzung ist offensichtlich nicht erfüllt, wenn ein Arbeitnehmer
wie hier in Untersuchungshaft steht oder eine Freiheitsstrafe verbüsst.

    Das schweizerische Recht regelt die vom Schuldner verschuldete
(Art. 97 OR) und die beidseits unverschuldete (Art. 119 Abs. 2 OR)
nachträgliche Unmöglichkeit der Erfüllung. Vom Gesetz nicht erwähnt wird
dagegen der Fall, dass die Leistung des Schuldners durch einen Umstand,
den der Gläubiger zu vertreten hat, verunmöglicht wird (VON TUHR/ESCHER,
OR Allg. Teil II S. 134). Nach deutschem Recht behält der Schuldner in
solchen Fällen den Anspruch auf Gegenleistung abzüglich des Betrages,
den er durch das Unterbleiben seiner eigenen Leistung erspart (§ 324
BGB). Aus Art. 324 OR ergibt sich eine damit vergleichbare Lösung, die
sinngemäss auch für den Fall gelten muss, dass der Arbeitgeber für die
Unmöglichkeit der Arbeitsleistung einzustehen hat (REHBINDER, N. 27 zu
Art. 324 OR). Die Folgen einer beidseitig, d.h. von Schuldner und Gläubiger
zu vertretenden Unmöglichkeit sodann sind weder im deutschen noch im
schweizerischen Recht geregelt. In Deutschland werden diesfalls entweder
der Schadenersatzanspruch des Gläubigers, der Anspruch des Schuldners auf
die Gegenleistung oder beide gekürzt (siehe insbesondere STAUDINGER/OTTO,
N. 32 ff. zu § 324 BGB; MÜNCHKOMM-EMMERICH, N. 31 ff. zu § 324 BGB).

    Eine solche Lösung drängt sich auch für das schweizerische Recht
auf, weil sie einen gerechten Interessenausgleich ermöglicht und dem
Mitverschulden am Ausfall der Arbeitsleistung auf beiden Seiten Rechnung
trägt. Das ist offenbar auch die Meinung von VISCHER (S. 382 f.). Die
Lösung besteht darin, dass einerseits der Schuldner der unmöglich
gewordenen Leistung seinen Anspruch auf die versprochene Gegenleistung
behält, sich jedoch verrechnungsweise den Schadenersatzanspruch des
Gläubigers entgegenhalten lassen muss, dass anderseits dieser Anspruch
aber in dem Masse zu kürzen ist, als die Ersatzpflicht des Schuldners wegen
Umständen, die der Gläubiger zu verantworten hat, zu ermässigen ist. Durch
die Kürzung bloss einer der zur Verrechnung stehenden Forderungen wird
vermieden, dass eine Partei für die von ihr zu vertretenden Umstände
doppelt belastet wird (STAUDINGER/OTTO, N. 35 zu § 324 BGB; TEUBNER,
in Neue Juristische Wochenschrift 1975 S. 2295 f.). Der Lohnanspruch des
Arbeitnehmers wird damit nicht etwa in analoger Anwendung von Art. 43/44
OR selbständig herabgesetzt, sondern im Ausmass seiner Ersatzpflicht und
in den Schranken von Art. 323b Abs. 2 OR bloss verrechnungsweise gekürzt
(STAEHELIN, N. 23 zu Art. 324 OR; REHBINDER, N. 16 zu Art. 324 OR).

Erwägung 5

    5.- Wird ein Arbeitnehmer in einem Strafverfahren, das zu seiner
Verurteilung führt, durch Untersuchungshaft oder daraufhin durch Verbüssung
einer Freiheitsstrafe verhindert, die versprochene Arbeit zu leisten,
so gilt die Verhinderung in der Regel als selbstverschuldet (STAEHELIN,
N. 26 zu Art. 324a OR). Ein Vorbehalt ist für den Fall zu machen, dass der
Arbeitgeber die Verhinderung in erster Linie selber zu verantworten hat,
z.B. weil er den Arbeitnehmer durch Weisungen zu Straftaten veranlasst.
Das heisst nicht, dass diesfalls die eigene Verantwortlichkeit des
Arbeitnehmers, der rechtswidrige Weisungen nicht zu befolgen braucht und
sich wegen einer Weigerung auch keine Kündigung gefallen lassen muss,
leichthin zu verneinen sei; nimmt er strafrechtliche Sanktionen in Kauf,
so hat er vielmehr die mit einem Freiheitsentzug verbundene Verhinderung
an der Arbeitsleistung mitzuverantworten.

    Nach den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz wurde der
Kläger 1979 in Jugoslawien in Untersuchungshaft genommen und zu einer
Freiheitsstrafe verurteilt, weil er dort für die Beklagte und eine
frühere Arbeitgeberin eine unbewilligte Tätigkeit ausgeübt hatte. Dass
die Beklagte für die Folgen seines Verhaltens am früheren Arbeitsplatz
nicht einzustehen hat, versteht sich von selbst. Fragen kann sich bloss,
wie es sich damit für die Zeit vom 1. Dezember 1978 an verhält, als er
für die Beklagte tätig war.

    Die Vorinstanz geht zutreffend davon aus, dass es grundsätzlich Sache
des Arbeitgebers ist, die erforderlichen Arbeitsbewilligungen zu besorgen
(STAEHELIN, N. 11 zu Art. 324 OR; REHBINDER, N. 8 zu Art. 324 OR). Sie fügt
aber zu Recht bei, dass vorliegend der Kläger dafür mitverantwortlich war,
weil er um die vertraglich vorbehaltene Bewilligungspflicht wusste und
als jugoslawischer Staatsangehöriger mit Arbeitsort im Heimatstaat die
Bewilligung am besten beibringen konnte. Dass er der Meinung war oder sein
durfte, die Bewilligung liege vor, ist den Feststellungen der Vorinstanz
nicht zu entnehmen. Ebenso fehlen Feststellungen darüber, dass die Beklagte
ihn zu unbewilligtem und damit rechtswidrigem Verhalten verpflichtet
hätte. Er hätte daher eine Tätigkeit in Jugoslawien ablehnen dürfen,
bis die Arbeitsbewilligung vorlag. In der Auseinandersetzung mit der
Beklagten hat der Kläger all diese Umstände mindestens zur Hälfte selber
zu vertreten, und die Verantwortung für seine frühere Tätigkeit zugunsten
der Firma B. geht in dieser Auseinandersetzung ausschliesslich zu seinen
Lasten. Bei dieser Sachlage ist bundesrechtlich nicht zu beanstanden,
dass die Vorinstanz die Verantwortung für die Folgen seines Verhaltens
zu zwei Dritteln dem Kläger auferlegt und seinen Lohnanspruch im gleichen
Verhältnis gekürzt hat.