Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 114 II 264



114 II 264

46. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 22. Juni 1988
i.S. Firma B. gegen Firma A. (Berufung) Regeste

    Art. 163 Abs. 3 OR. Herabsetzung der Konventionalstrafe.

    Grundsätze und Umstände, die bei der Beurteilung der Frage, ob die
Strafe wegen Übermässigkeit herabzusetzen sei, zu beachten sind. Bedeutung
des Schadens. Beweislast.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Die Beklagte wendet sich im Berufungsverfahren nur gegen die Höhe
der Konventionalstrafe, die entgegen der Auffassung des Handelsgerichts
gemäss Art. 163 Abs. 3 OR erheblich zu kürzen sei.

    a) Nach dieser Bestimmung hat der Richter eine übermässig hohe
Konventionalstrafe nach seinem Ermessen herabzusetzen. Dabei ist schon
deshalb Zurückhaltung geboten, weil die Strafe von den Parteien gemäss
Art. 163 Abs. 1 OR an sich in beliebiger Höhe festgesetzt werden kann und
Verträge zu halten sind; dieses ergibt sich aus dem fundamentalen Grundsatz
der Vertragstreue, während jenes dem Grundsatz der Vertragsfreiheit
entspricht. Ein richterlicher Eingriff in den Vertrag rechtfertigt sich
nach diesen Grundsätzen nur, wenn der verabredete Betrag so hoch ist,
dass er das vernünftige, mit Recht und Billigkeit noch vereinbare Mass
übersteigt (BGE 103 II 135 mit Hinweisen). Der wichtigste Grund für einen
solchen Eingriff ist denn auch darin zu erblicken, dass die gesetzlichen
Schranken der Vertragsfreiheit gemäss Art. 19/20 OR sich auf die Lage
anlässlich des Vertragsschlusses beziehen, sich aber erst nach der
Verletzung des Vertrages richtig abmessen lässt, wie es sich mit der
Rechtfertigung der vereinbarten Strafe verhält (BGE 69 II 79; VON BÜREN,
OR Allg. Teil S. 411 f.).

    Eine Herabsetzung der Konventionalstrafe rechtfertigt sich
insbesondere, wenn zwischen dem vereinbarten Betrag und dem Interesse
des Ansprechers, daran im vollen Umfang festzuhalten, ein krasses
Missverhältnis besteht. Welche Anforderungen dabei an die Rechtfertigung
und an die Verhältnismässigkeit des Eingriffs zu stellen sind, entscheidet
sich nicht allgemein, sondern hängt von den Umständen des Einzelfalles
ab (BGE 103 II 108 mit Hinweisen). Dazu gehören insbesondere die Art
und Dauer des Vertrages (BGE 38 II 102), die Schwere des Verschuldens
und der Vertragsverletzung (BGE 103 II 135, 91 II 383), das Interesse
des Ansprechers an der Einhaltung des Verbots (BGE 103 II 135)
sowie die wirtschaftliche Lage der Beteiligten (BGE 95 II 539 f.),
namentlich des Verpflichteten (OSER/SCHÖNENBERGER, N. 16 zu Art. 163
OR). Zu berücksichtigen sind ferner allfällige Abhängigkeiten aus dem
Vertragsverhältnis und die Geschäftserfahrungen der Beteiligten. Gegenüber
einem Arbeitnehmer, der in der Regel auch der wirtschaftlich Schwächere
ist, rechtfertigt sich eine Herabsetzung eher als unter wirtschaftlich
gleichgestellten und geschäftskundigen Vertragspartnern (BECKER, N. 17
zu Art. 163 OR; VON TUHR/ESCHER, OR Allg. Teil II S. 285 f.).

    b) Es liegt nahe, nicht nur das Interesse des Ansprechers, sondern
auch die Schwere des Verschuldens nach dem entstandenen Schaden zu
beurteilen. Das heisst aber nicht, eine Konventionalstrafe sei schon
deshalb übermässig, weil sie den Betrag übersteigt, den der Berechtigte
als Schadenersatz aus der Vertragsverletzung beanspruchen könnte. Als
Indiz für das Übermass kommt denn auch nicht der entstandene, sondern der
höchstmögliche Schaden in Betracht (BGE 103 II 109; MERZ, ZBJV 115/1979
S. 283). Die Konventionalstrafe ist Gegenstand einer selbständigen
Verpflichtung, die von der Haftung für Schaden zu unterscheiden ist;
das erhellt schon daraus, dass sie gemäss Art. 161 Abs. 1 OR selbst dann
verfällt, wenn dem Gläubiger kein Schaden erwachsen ist.

    Schliesslich ist zu beachten, dass nicht der Gläubiger die
Angemessenheit der Konventionalstrafe darzutun, sondern der Schuldner
die Voraussetzungen einer Herabsetzung zu behaupten und nachzuweisen hat
(BGE 103 II 109 mit Hinweisen).