Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 114 II 261



114 II 261

45. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 3. August 1988 i.S. A.
gegen B. (Berufung) Regeste

    Art. 135 Ziff. 2 OR. Unterbrechung der Verjährung durch Ladung
zum Sühneversuch: Die Verjährung wird bereits durch Postaufgabe des
Sühnebegehrens unterbrochen. Dies gilt unter Vorbehalt von Rechtsmissbrauch
auch dann, wenn die Ladung zur Sühneverhandlung auf Gesuch des Ansprechers
einstweilen unterbleibt.

Sachverhalt

    A.- B. übertrug A. die Gipserarbeiten an seinem Einfamilienhaus. Die
Arbeiten wurden am 15. Juli 1980 abgenommen.

    Im Verlaufe der Jahre 1984/85 will B. am Fassadenputz
Mängel festgestellt haben, für die er A. verantwortlich
machte. Vergleichsverhandlungen unter den Parteien führten zu keinem
Ergebnis. B. liess daraufhin A. mitteilen, dass er zur Wahrung der
Garantiefrist gezwungen sei, vorsorglich zum Aussöhnungsversuch laden zu
lassen. Am 19. Juni 1985 stellte sein Anwalt beim Gerichtspräsidenten
von Fraubrunnen ein entsprechendes Begehren, bat aber, vorderhand noch
keinen Termin anzusetzen, weil die Parteien noch Vergleichsverhandlungen
führten. Am 18. März 1986 kam der Anwalt darauf zurück und ersuchte den
Gerichtspräsidenten, nunmehr zum Aussöhnungsversuch vorzuladen, da die
Verhandlungen endgültig gescheitert seien. Der Versuch fand am 16. April
1986 statt, blieb aber erfolglos.

    B.- Am 20. Juni 1986 klagte B. beim Appellationshof des Kantons
Bern mit dem Begehren, A. zur Behebung der Mängel an seinen Arbeiten zu
verurteilen. Der Beklagte widersetzte sich dem Begehren vor allem mit
der Einrede, die Gewährleistungsansprüche des Klägers seien verjährt.

    Mit Zwischenentscheid vom 18. Mai 1988 wies der Appellationshof diese
Einrede ab und stellte fest, dass die Verjährung nicht eingetreten sei.

    C.- Mit Berufung beantragt der Beklagte dem Bundesgericht, diesen
Entscheid aufzuheben und die Klage wegen Verjährung abzuweisen.

    Das Bundesgericht weist die Berufung ab und bestätigt den angefochtenen
Entscheid.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

    Art. 371 Abs. 2 OR und Art. 180 SIA-Norm 118 (Ausgabe 1977) sehen
für Gewährleistungsansprüche des Bestellers, wenn es wie hier um ein
unbewegliches Bauwerk geht, eine Verjährungsfrist von fünf Jahren
vor. Vorliegend ist einzig streitig, ob der Kläger mit seinem Begehren
vom 19. Juni 1985 um Ladung zum Aussöhnungsversuch die fünfjährige Frist
unterbrochen hat oder ob diese Wirkung, wie der Beklagte einwendet, zu
verneinen ist, weil der Richter auf Gesuch des Klägers einstweilen von
der Vorladung abgesehen hat.

    a) Was der Beklagte zur Begründung seiner Auffassung vorbringt,
scheitert schon an der Rechtsprechung zu Art. 135 Ziff. 2 OR. Nicht
das kantonale Prozessrecht, sondern nur das Bundesrecht kann bestimmen,
was als "Ladung zu einem amtlichen Sühneversuch" im Sinne des Art. 135
Ziff. 2 OR zu verstehen ist. Nach BGE 65 II 166 bezeichnet diese Wendung
eine Handlung des Ansprechers, nämlich dessen Begehren um Abhaltung eines
amtlichen Sühneversuchs, wobei die Verjährung bereits durch Postaufgabe
des Begehrens unterbrochen wird. Das stimmt überein mit den übrigen in
Ziff. 2 erwähnten Unterbrechungsgründen, die ebenfalls auf eine Handlung
des Ansprechers abstellen und kein Zutun der Behörde, insbesondere
keine amtliche Mitteilung an den Schuldner erfordern. Das eine wie das
andere ist namentlich für die Klage (BGE 49 II 41/42 mit Hinweisen)
und das Betreibungsbegehren (BGE 101 II 80/81, 83 II 50 E. 5) längst
klargestellt worden. Die Unterbrechung der Verjährung setzt daher weder
voraus, dass der Schuldner vom Sühnebegehren Kenntnis erhält, noch kann
etwas darauf ankommen, ob innert angemessener Frist zur Sühneverhandlung
vorgeladen wird oder ob die Ladung aus irgendwelchen Gründen einstweilen
unterbleibt. Es bleibt vielmehr selbst dann bei der Unterbrechung, wenn
der Ansprecher sein Begehren nachträglich zurückzieht.

    Diese Auslegung von Art. 135 Ziff. 2 OR entspricht, wie dem Beklagten
bereits vom Appellationshof auseinandergesetzt worden ist, auch der neueren
Lehre, die sich mehrheitlich der angeführten Rechtsprechung angeschlossen
hat oder sich mit blossen Hinweisen begnügt (GUHL/MERZ/KUMMER, OR
7. Aufl. S. 287; E. BUCHER, OR Allg. Teil S. 406/7 Anm. 98; VON BÜREN, OR
Allg. Teil S. 433/34; VON TUHR/ESCHER, OR Allg. Teil II S. 228 Anm. 27 und
S. 229 oben). Das gilt auch für GAUCH (Rechtsprechung des Bundesgerichts
zu OR Allg. Teil, S. 208), dem der Beklagte ein falsches Zitat unterstellt.

    b) Weshalb das Sühnebegehren durch das Gesuch, vorderhand nicht
zur Sühneverhandlung zu laden, sich selbst wieder aufheben soll, ist
nicht einzusehen. Ein solches Vorgehen ist im Gegenteil vernünftig,
wenn Parteien noch in Vergleichsverhandlungen stehen und den Streit
gütlich beilegen wollen, dienen diese Verhandlungen doch dem gleichen
Zweck wie ein Sühneversuch. Es bleibt dem Schuldner übrigens unbenommen,
sich dem Gesuch zu widersetzen, wenn er das Vorgehen des Gläubigers für
missbräuchlich hält. Dem kann auch der Sühnebeamte vorbeugen, indem er
das Gesuch ablehnt und sogleich einen Verhandlungstermin ansetzt. Für
einen Verstoss gegen Treu und Glauben liegt hier aber nichts vor. Aus dem
angefochtenen Urteil erhellt vielmehr, dass der Kläger dem Vertreter des
Beklagten das Sühnebegehren mit Schreiben vom 18. Juni 1985 ausdrücklich
ankündigen liess, weil er leider gezwungen sei, "vorsorglicherweise zum
Aussöhnungsversuch laden zu lassen".

    Aus BGE 113 III 87 kann der Beklagte schon deshalb nichts für seine
Auffassung ableiten, weil dort die Frage, ob eine Aberkennungsklage nach
einer Säumnis erneut angehoben werden könne, von kantonalem Prozessrecht
abhing. Ebensowenig hilft ihm BGE 85 II 537, wo es nicht um Verjährung,
sondern um die Verwirkung eines Klagerechts ging, was der Beklagte
übersieht. Wie dazu bereits in BGE 74 II 16 E. 1b ausgeführt worden
ist, bildet die Anrufung des Sühnebeamten nur dann eine den Prozess
einleitende oder vorbereitende Handlung, wenn die Streitsache mangels
Aussöhnung von Amtes wegen an das Gericht weiterzuleiten oder der Kläger
nach kantonalem Prozessrecht verpflichtet ist, den Prozess sodann innert
einer bestimmten Frist einzuleiten und ihn auch tatsächlich einleitet. Das
gilt für die Einhaltung von Verwirkungsfristen, heisst aber nicht, dass
eine Ladung zu einem Sühneversuch eine Verjährung ebenfalls nur unter
diesen Voraussetzungen zu unterbrechen vermöge.