Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 114 II 159



114 II 159

25. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 21. Juni 1988 i.S.
Brauerei X. AG gegen F. AG (Berufung) Regeste

    Art. 2 und 27 ZGB. Kündigung eines zeitlich unbegrenzten
Bierlieferungsvertrags.

    Kündbarkeit "ewiger" Verträge. Voraussetzungen. Eigenständige Bedeutung
von Art. 2 ZGB (E. 2a). Beginn der massgeblichen Vertragsdauer (E. 2b).
Teilnichtigkeit gemäss Art. 20 Abs. 2 OR als Folge zeitlich übermässiger
Bindung; Zulässigkeit einer Vertragsdauer von zwanzig Jahren im konkreten
Fall (E. 2c).

Sachverhalt

    A.- Mit Vertrag vom 28. Oktober 1967 verpflichtete sich die F. AG, in
sämtlichen gegenwärtigen und künftigen Gaststätten auf dem Flugplatzareal
Y. und allenfalls hinzugepachteten Grundstücken "für alle Zeit" nur
X.-Biere zum Ausschank zu bringen und das Bier sowie Coca-Cola und
S.-Mineralwasser ausschliesslich bei der Brauerei X. AG zu beziehen; die
Brauerei verpflichtete sich ihrerseits, die notwendigen Buffeteinrichtungen
gratis zur Verfügung zu stellen.

    Am 20. September 1973 schlossen die Parteien eine neue
Vereinbarung. Danach war die F. AG wiederum zum ausschliesslichen
Bierbezug bei der Brauerei und überdies zum fast ausschliesslichen Bezug
von Mineralwasser bei der M. AG verpflichtet. Die Brauerei übernahm
einen Kostenanteil von Fr. 8'000.-- für die Einrichtung des Buffets des
Flugplatzrestaurants und gewährte für die Restkosten von Fr. 6'558.--
ein verzinsliches, in zehn jährlichen Raten rückzahlbares Darlehen. Für
den Fall, dass der F. AG die Einhaltung der Bezugsverpflichtung "aus
irgend einem Grunde nicht mehr möglich sein" sollte, sah der Vertrag die
sofortige Rückzahlung des noch offenen Darlehensbetrags und des noch nicht
amortisierten Teils der jährlich mit 5% abzuschreibenden Fr. 8'000.-- vor.

    Mit Brief vom 9. Mai 1984 kündigte die F. AG den Vertrag per
15. August 1984 unter Anerkennung der bis dahin entstehenden finanziellen
Verpflichtungen. In der Folge machte die Brauerei neben dem nicht
amortisierten Anteil der Buffetkosten von unstreitig Fr. 3'600.-- (die
Darlehensschuld war getilgt) Schadenersatz für entgangenen Gewinn geltend,
da ihr der unbefristete Vertrag jedenfalls während zwanzig Jahren einen
Anspruch auf Lieferung von Bier und Mineralwasser gewährt habe. Die F. AG
lehnte unter Berufung auf Art. 27 ZGB und Art. 20 OR jede vertragliche
Verpflichtung über den von ihr gesetzten Endtermin hinaus ab.

    B.- Am 15. November 1985 klagte die Brauerei beim Amtsgericht S. gegen
die F. AG auf Zahlung von Fr. 19'800.-- nebst Zins. Das Amtsgericht
wies die Klage am 28. August 1986 ab, soweit es darauf eintrat. Auf
Appellation der Klägerin hin bestätigte das Obergericht des Kantons Luzern
den erstinstanzlichen Entscheid mit Urteil vom 14. September 1987. Die
von der Klägerin dagegen eingereichte Berufung heisst das Bundesgericht
gut und hebt das obergerichtliche Urteil auf.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Das Obergericht verwirft das Begehren auf Schadenersatz für
entgangenen Gewinn, da die Kündigung zugelassen werden müsse, nachdem
die Beklagte von 1967 bis Ende 1984 Bier und Mineralwasser bezogen habe,
da eine über die siebzehn Jahre hinaus andauernde Bezugsverpflichtung
die wirtschaftliche Freiheit der Beklagten unzumutbar einschränken
würde. Die Klägerin anerkennt den Grundsatz, dass übermässig bindende
Verträge teilnichtig und gemäss Art. 20 Abs. 2 OR auf das nach Art. 27
ZGB zulässige Mass einzuschränken sind. Indessen sei nicht vom 1967,
sondern vom 1973 abgeschlossenen, hinsichtlich Leistungsgegenstand und
Geltungsbereich verschiedenen Vertrag auszugehen, der entsprechend dem
Abschreibungssatz von 5% mindestens zwanzig Jahre dauern sollte, was vor
Art. 27 ZGB standhalte.

    a) Nach Lehre und Rechtsprechung können Verträge nicht auf unbegrenzte
Zeit abgeschlossen werden (BGE 113 II 210 f. mit Hinweisen). Ihre
Kündbarkeit ergibt sich aus Art. 27 ZGB, wonach die persönliche und
wirtschaftliche Handlungsfreiheit nicht übermässig eingeschränkt
werden darf, oder aus Art. 2 ZGB, wonach das Beharren einer Partei
auf einer übermässigen Bindung als zweckwidrige Rechtsausübung und
damit als rechtsmissbräulich erscheint (BGE 93 II 300 f. E. 7 und 103
II 185 f. E. 4 zu Art. 27 ZGB; BGE 97 II 399 f. E. 7 zu Art. 2 ZGB;
MERZ, OR Allgemeiner Teil, in Schweizerisches Privatrecht, Bd. VI/1,
S. 129; derselbe in ZBJV 109/1973, S. 98 f. zu BGE 97 II 390; LIVER,
ZBJV 105/1969, S. 11 f. und ZBJV 109/1973, S. 89 f. Anm. 1 zu BGE 93
II 290 bzw. BGE 97 II 390). Wann der Zeitpunkt gekommen ist, in dem das
Vertragsverhältnis gekündigt werden kann, lässt sich nur von Fall zu Fall
entscheiden (so mit Bezug auf den Bierlieferungsvertrag MAX WÜTHRICH, Der
Bierlieferungsvertrag nach schweizerischem Recht, Diss. Zürich 1929, S. 31)
und hängt namentlich von der Intensität der Bindung des Verpflichteten
und vom Verhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung ab (LIVER, ZBJV
109/1973, S. 90 Anm. 1). Daher stellt die vom Bundesgericht für eine
Bezugspflicht von Bier als zulässig erachtete Dauer von fünfzehn Jahren
(BGE 40 II 233 Nr. 42) keine feste Grenze dar, wie auch aus BGE 93 II
300 E. 7 hervorgeht, wo unter Bezugnahme auf jenen Entscheid bloss eine
diese Dauer "erheblich übersteigende" Bezugspflicht als unverbindlich
betrachtet wird.

    Geht es um die Freiheit der wirtschaftlichen Betätigung, ist das
Bundesgericht zurückhaltend in der Annahme eines Verstosses gegen
Art. 27 ZGB. Eine vertragliche Einschränkung der wirtschaftlichen
Bewegungsfreiheit wird nur dann als übermässig angesehen, wenn sie den
Verpflichteten der Willkür eines anderen ausliefert, seine wirtschaftliche
Freiheit aufhebt oder in einem Masse einschränkt, dass die Grundlagen
seiner wirtschaftlichen Existenz gefährdet sind (BGE 111 II 337 E. 4 mit
Hinweis). Das gilt grundsätzlich auch für juristische Personen. So hat
das Bundesgericht die Unzulässigkeit der Delegation von dem obersten
Organ vorbehaltenen Kompetenzen damit begründet, die Körperschaft
würde ihr Selbstbestimmungsrecht verlieren und sich fremder Willkür
ausliefern, was einer Entmündigung gleichkäme und als ebenso unzulässig
erscheine wie der Verzicht einer natürlichen Person auf ihre Rechts-
und Handlungsfähigkeit (BGE 67 I 265 oben; vgl. auch BGE 71 I 187 Nr. 33
sowie 51 II 333 ff. E. 2).

    Die zulässige Dauer der Bindung hängt vom Gegenstand der Beschränkung
ab: Sie ist bei Verpflichtungen zu wiederkehrenden Leistungen oder
Bezügen kürzer als beim Verzicht, während einer absehbaren Dauer über
eine Sache zu verfügen (BGE 93 II 300 E. 7 mit Hinweisen). So kann ein
Vermieter trotz der Unzulässigkeit zeitlich unbegrenzter Mietverträge
(BGE 103 II 185 f. E. 4) gegenüber dem Mieter für lange Zeit auf die
Möglichkeit verzichten, das Mietverhältnis zu kündigen (BGE 56 II 190 ff.).

    Die eigenständige Bedeutung von Art. 2 ZGB kommt in Fällen zum
Tragen, wo es nicht ersichtlich ist, dass der Verpflichtete in seinen
finanziellen Interessen ernstlich beeinträchtigt wird (BGE 97 II 399
f. E. 7 mit Hinweis auf LIVER, ZBJV 105/1969, S. 9 ff.). Entscheidend ist
dann, ob die Rechtsausübung dem Zweck zuwiderläuft, den die Kontrahenten
seinerzeit mit dem Abschluss des Vertrags verfolgt haben (aaO S. 400);
indessen kommt es auch bei Art. 2 ZGB massgeblich auf die Intensität der
Bindung an (LIVER, ZBJV 109/1973, S. 90 Anm. 1; zum Kriterium des Zwecks
vgl. auch BGE 107 II 219 f. E. 3b).

    b) Entgegen der Auffassung des Obergerichts ist nicht entscheidend, wie
lange die Beklagte Bier und Mineralwasser bei der Klägerin und der M. AG
bezogen hat. Art. 27 ZGB schützt nicht vor langer Vertragsdauer, sondern
vor übermässiger Bindung; die Bestimmung verbietet insbesondere nicht,
ein Dauerschuldverhältnis periodisch oder in unregelmässigen Abständen
durch autonome Absprache zu erneuern, solange die einzelnen Perioden nicht
eine übermässige Bindung bewirken. Entscheidend ist deshalb, für wie lange
sich die Beklagte zum Bezug von Bier und Mineralwasser verpflichtet hat
und ob sie sich für diese Dauer verpflichten konnte.

    Die letzte Verpflichtung datiert aus dem Jahr 1973. Für die Frage der
zulässigen Bindungsdauer auf das Jahr 1967 zurückzugreifen, besteht kein
Anlass. Wohl sah der erste Vertrag eine Bezugsverpflichtung "für alle
Zeit" vor. Das wäre jedoch höchstens dann erheblich, wenn die Beklagte
den zweiten Vertrag unter dem Einfluss der fortbestehenden Verpflichtung
abgeschlossen hätte. Ein solcher Zusammenhang ist vorliegend nicht
ersichtlich; insbesondere fehlt es an tatsächlichen Anhaltspunkten für
den Bestand einer Zwangssituation der Beklagten. Die Parteien stellten
ihre vertraglichen Beziehungen im Jahre 1973 freiwillig auf eine neue
Grundlage, indem sie die Bezugsverpflichtung der Beklagten hinsichtlich des
Mineralwassers und die Gegenleistungen der Klägerin neu festlegten; dabei
wurden die letzteren durch die konkrete Umschreibung des Leistungsinhalts
wesentlich erweitert. Selbst wenn die Beklagte durch die vorbestehende
Verpflichtung in ihrer Handlungsfreiheit beeinträchtigt gewesen wäre,
müsste sie sich entgegenhalten lassen, dass es ihr freigestanden hätte,
den ebenfalls unbefristeten Vertrag von 1967 wegen übermässiger Bindung
anzufechten und sich die finanziellen Mittel anderweitig zu beschaffen,
statt 1973 Hand zu einem neuen Vertrag zu bieten.

    c) Soweit die 1973 wiederum auf unbegrenzte Zeit eingegangene
Bezugsverpflichtung die nach Art. 27 ZGB zulässige Höchstdauer
überschreitet, führt sie zur Teilnichtigkeit des Vertrags gemäss Art. 20
Abs. 2 OR, die durch Vertragsergänzung aufgrund des hypothetischen
Parteiwillens zu beheben ist (BGE 107 II 218 f. E. 3a und b mit Hinweisen;
JÄGGI/GAUCH, N. 498 ff. zu Art. 18 OR; neuestens ROLAND HÜRLIMANN,
Teilnichtigkeit von Schuldverträgen nach Art. 20 Abs. 2 OR, Diss. Freiburg
1984, S. 78 ff. sowie CLAIRE HUGUENIN, Nichtigkeit und Unverbindlichkeit
als Folgen anfänglicher Vertragsmängel, Diss. Bern 1984, S. 50 f.;
a.A. BUCHER, OR Allgemeiner Teil, S. 234 ff.). Dieser Wille lässt sich
aufgrund des für den Buffetkostenanteil vereinbarten Amortisationssatzes
von 5% ermitteln. Danach gingen die Parteien im Jahr 1973 davon aus,
die von der Klägerin übernommenen Fr. 8'000.-- würden durch Bezug von
Getränken während zwanzig Jahren kompensiert. Damit steht fest, dass
die Parteien einen auf die Zeit von 1973 bis 1993 beschränkten Vertrag
abgeschlossen hätten, wenn sie sich der Unzulässigkeit ewiger Verträge
bewusst gewesen wären. Zu prüfen bleibt die Vereinbarkeit dieser Dauer
mit Art. 27 und 2 ZGB:

    aa) Die Verpflichtung der Beklagten zu einem Tun gebietet es zwar,
die Zulässigkeit der Bindung grundsätzlich strenger zu beurteilen, als
wenn über die Dauer einer Unterlassungspflicht zu befinden wäre. Trotzdem
überschreiten zwanzig Jahre die nach Art. 27 ZGB zulässige Höchstdauer
im vorliegenden Fall nicht. Die Beklagte führt das Restaurant nicht als
natürliche Person, sondern als Aktiengesellschaft, deren Haupttätigkeit im
Betrieb des Flughafens Y. besteht. Die Führung des Flughafenrestaurants
stellt einen Nebenbetrieb innerhalb dieses umfassenden Tätigkeitsbereichs
dar, auch wenn damit nichts über die Höhe der daraus erzielten Einkünfte
gesagt ist. Die streitige Bezugsverpflichtung beschlägt ihrerseits nur
einen Teil dieses Nebenbetriebs, umfasst sie doch nicht einmal sämtliche
Getränke. Sie ist deshalb keinesfalls geeignet, die wirtschaftliche
Freiheit der Beklagten auch nur wesentlich einzuschränken, geschweige
denn aufzuheben oder die Grundlagen ihrer wirtschaftlichen Existenz
zu gefährden. Ebensowenig kann davon gesprochen werden, dass der
Vertrag die Beklagte der Willkür der Klägerin ausliefere und sie
entmündige. Entscheidend ist schliesslich, dass der Bezugspflicht eine
beachtliche Leistung der Klägerin gegenübersteht, die mehr als die Hälfte
der Kosten für die Einrichtung des Buffets à fonds perdu übernommen und
den Rest vorgeschossen hat.

    bb) Indem die Klägerin auf der weiteren Erfüllung des zweiten Vertrags
beharrt hat, kann ihr auch kein Rechtsmissbrauch durch zweckwidrige
Rechtsausübung vorgeworfen werden. 1973 hat sie ihre an die Beklagte
à fonds perdu erbrachte Leistung erkennbar von der Bedingung abhängig
gemacht, dass die Beklagte als Gegenleistung mindestens bis zum Jahr 1993
für das Flugplatzrestaurant Bier und Mineralwasser bei der Klägerin und
der M. AG beziehen werde.