Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 114 III 92



114 III 92

27. Auszug aus dem Entscheid der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer
vom 10. Februar 1988 i.S. Bank X. (Rekurs) Regeste

    Anmeldung des Drittanspruchs an arrestierten und in der Folge
gepfändeten Vermögenswerten; Frage der Rechtzeitigkeit (Art. 107 Abs. 4
SchKG).

    Die Pflicht, seinen Anspruch an arrestierten oder gepfändeten
Vermögenswerten rechtzeitig beim Betreibungsamt anzumelden, trifft den
Dritten grundsätzlich erst vom Zeitpunkt an, da er persönlich von der
vollstreckungsrechtlichen Beschlagnahme hinlänglich Kenntnis erhalten hat
(Erw. 1b) und ferner rechtskräftig feststeht, dass der Arrest zulässig ist
bzw. dass die in Frage stehenden Vermögenswerte pfändbar sind (Erw. 1c).

    Eine rechtsmissbräuchliche Verzögerung der Anmeldung liegt nicht
vor, wenn zwischen der Kenntnisnahme des Ansprechers vom Arrest und dem
Zeitpunkt, da das Betreibungsamt zur Pfändung schreiten wollte bzw. eine
leere Pfändungsurkunde ausstellte, rund ein Monat verstrich und der Dritte
mit der Anmeldung noch zugewartet hat bis zum rechtskräftigen Entscheid
über die Pfändbarkeit der fraglichen Vermögenswerte (Erw. 3a).

    Den formellen Erfordernissen der Anmeldung ist Genüge getan, wenn
der Dritte dem Betreibungsamt die Kopie eines an den Pfändungsgläubiger
gerichteten Schreibens zustellt, worin er geltend macht, an den mit
Beschlag belegten Vermögenswerten berechtigt zu sein (Erw. 3b).

Sachverhalt

    A.- Am 23. Juli 1984 erwirkte die Bank X. einen Arrestbefehl
gegen Y. Als Arrestgegenstände wurden sämtliche Guthaben des
Arrestschuldners bei der Bank Z. bezeichnet, darunter insbesondere
auch ein Rückgewährungsanspruch auf Übertragung dreier in Deutsche Mark
ausgestellter Grundschuldbriefe. Das Betreibungsamt vollzog den Arrest
am 24. Juli 1984, worauf die Bank Z. ihm am 26. Juli 1984 mitteilte,
die im Arrestbefehl erwähnten drei Grundschulden befänden sich nicht
unmittelbar in ihrem Besitz, sondern in einem auf den Namen eines Dritten
lautenden Depot.

    Als das Betreibungsamt in der anschliessenden Arrestbetreibung
zur Pfändung schreiten wollte, erklärte ein Vertreter der Bank Z. dem
Pfändungsbeamten, dass sich keinerlei Aktiven des Schuldners bei der
Bank befänden. Das Amt stellte hierauf am 14. November 1984 eine leere
Pfändungsurkunde aus. Die Bank X. (Gläubigerin) reichte hiergegen
Beschwerde ein mit dem Antrag, das Betreibungsamt sei anzuweisen,
die Y. zustehenden Rückgewährungsansprüche auf die im Arrestbefehl
genannten Grundschulden zu pfänden. Die Beschwerde wurde von der
unteren Aufsichtsbehörde am 24. Juli 1985 abgewiesen, von der oberen
kantonalen Aufsichtsbehörde mit Entscheid vom 11. Juni 1986 dagegen
gutgeheissen. Letzterer wurde durch Urteil der erkennenden Kammer vom
10. Juli 1986 geschützt.

    Am 21. Juli 1986 liess A. dem Rechtsvertreter der Bank X. (mit Kopie
an das Betreibungsamt) mitteilen, dass er aus den drei Grundschulden,
welche die Bank bei Y. zu pfänden gedenke, materiell berechtigt sei. Die
Rückgewährungsansprüche wurden am 23. Juli 1986 gepfändet.

    Mit Eingabe vom 14. Mai 1987 stellte A. beim Betreibungsamt den Antrag,
es sei unverzüglich das Widerspruchsverfahren gemäss den Art. 106 ff. SchKG
einzuleiten. Das Betreibungsamt setzte der Bank X. hierauf durch Verfügung
vom 15. Mai 1987 im Sinne von Art. 109 SchKG Frist zur Anhebung einer
Klage auf Aberkennung des von A. geltend gemachten Anspruchs an.

    Die von der Bank X. hiergegen erhobene Beschwerde wurde durch
Beschlüsse der unteren Aufsichtsbehörde vom 11. September 1987 und der
oberen kantonalen Aufsichtsbehörde vom 15. Dezember 1987 abgewiesen.

    Den zweitinstanzlichen Entscheid hat die Bank X. mit Rekurs bei der
erkennenden Kammer angefochten.

    Der Rekursgegner A. schliesst auf Abweisung des Rekurses.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Die Rekurrentin hält dafür, der Rekursgegner habe das Recht zur
Geltendmachung seines Drittanspruchs verwirkt, da er seine Ansprache
arglistig verzögert habe.

    a) Ein Dritter, dem vom Betreibungsamt nicht im Sinne von Art. 107
Abs. 1 SchKG Frist angesetzt worden ist, kann seinen Anspruch an der
gepfändeten Sache oder an deren Erlös grundsätzlich so lange geltend
machen, als letzterer nicht verteilt ist (Art. 107 Abs. 4 SchKG). Der
Betreibungsgläubiger hat indessen ein berechtigtes Interesse an einer
möglichst frühzeitigen Anmeldung von Drittansprüchen, sollen ihm doch
unnötige Kosten für die Fortsetzung des Vollstreckungsverfahrens erspart
bleiben. Vor allem aber soll er zur Deckung seiner Forderung gegebenenfalls
rechtzeitig einen neuen Arrest bzw. eine Ergänzungspfändung erwirken
können. Gemäss ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichts verwirkt
deshalb der Dritte sein Recht zur Geltendmachung seiner Eigentums- oder
Pfandansprache bezüglich arrestierter oder gepfändeter Gegenstände, wenn er
ohne beachtlichen Grund mit der Anmeldung längere Zeit zuwartet, obschon
ihm bewusst sein muss, dass er damit den Gang des Betreibungsverfahrens
hemmt und den Gläubiger zu unnötigen Schritten veranlasst (BGE 112
III 62 E. 1 mit Hinweisen). Ein solches Verhalten des Dritten stellt
einen offenbaren Rechtsmissbrauch im Sinne von Art. 2 Abs. 2 ZGB dar
(vgl. MERZ, N. 524 zu Art. 2 ZGB; DESCHENAUX, in: Schweizerisches
Privatrecht, II. Band, S. 185). Das Zuwarten mit der Anmeldung des
Drittanspruchs verstösst allerdings dann nicht gegen Treu und Glauben,
wenn der Betreibungsgläubiger weiss, dass eine bestimmte Drittperson an
den mit Beschlag belegten Vermögenswerten einen Anspruch geltend machen
könnte (vgl. BGE 112 III 63 E. 3; 111 III 25 E. 4).

    b) Die Pflicht, seinen Anspruch an arrestierten oder gepfändeten
Vermögenswerten rechtzeitig beim Betreibungsamt anzumelden, trifft den
Dritten grundsätzlich erst vom Zeitpunkt an, da er persönlich von deren
vollstreckungsrechtlicher Beschlagnahme hinlänglich Kenntnis erhalten
hat (BGE 106 III 59 f. E. 3 mit Hinweis). Es genügt nicht, dass der
Drittansprecher generell von der Betreibung gegen den Gewahrsamsinhaber
gewusst hatte (vgl. BGE 109 III 20). Der Drittansprecher hat sich das
Wissen eines Vertreters grundsätzlich nicht entgegenhalten zu lassen; vom
Erfordernis der persönlichen Kenntnis könnte allenfalls dann abgesehen
werden, wenn der Dritte ausdrücklich jemanden beauftragt hat, seine
Interessen zu wahren, und jeden direkten Verkehr ablehnt.

    c) Grund zur Anmeldung seines Anspruchs besteht für den Dritten nicht,
bevor die Erklärung des Betreibungsamtes an den Betriebenen, er habe sich
bei Straffolge jeder nicht bewilligten Verfügung über den mit Arrest-
bzw. Pfändungsbeschlag belegten Vermögenswert zu enthalten (Art. 96
Abs. 1 SchKG, der auf Grund von Art. 275 SchKG auch für den Arrest gilt),
endgültig rechtswirksam geworden ist. Erst von diesem Zeitpunkt an muss der
Dritte überhaupt mit einer Verwertung der betroffenen Vermögenswerte und
damit mit einem allfälligen Verlust seiner Rechte rechnen (vgl. BGE 109
III 20 unten). Solange beispielsweise nicht rechtskräftig feststeht, ob
der Arrest zulässig gewesen sei oder ob die fraglichen Vermögenswerte aus
der Sicht des Art. 92 SchKG pfändbar seien, ist der Dritte nicht gehalten,
Vorkehren im Hinblick auf ein Widerspruchsverfahren nach den Art. 106
ff. SchKG zu treffen (vgl. BGE 112 III 62 f. E. 2 mit Hinweisen). Die
Widerspruchsklage setzt voraus, dass eine gültige Pfändung bzw. eine
gültige Arrestierung des Vermögenswertes, an dem ein besseres Recht geltend
gemacht wird, vorliegt (vgl. BGE 113 III 106 E. 3a; 96 III 117 f. E. 4).

Erwägung 2

    2.- Ob dem Dritten, der einen Anspruch erst eine gewisse Zeit nach dem
Arrestvollzug bzw. der Pfändung anmeldet, entgegengehalten werden kann,
er habe sein Recht durch eine treuwidrige Verzögerung verwirkt, beurteilt
sich nach den Umständen des konkreten Falles. Unter Hinweis darauf, dass
der Rechtsvertreter der Drittansprecherin sich über eine grosse räumliche
Distanz und in fremder Sprache habe verständigen müssen und dass er
die nicht leichte Aufgabe gehabt habe, die Rechtsbeziehungen zwischen
seiner Mandantin und der Arrestschuldnerin abzuklären, gelangte die
erkennende Kammer beispielsweise zum Schluss, dass die Drittansprecherin
ihr Recht nicht verwirkt habe, wenn sie zwischen dem Zeitpunkt, da sie vom
Arrestvollzug Kenntnis erhielt, und der Anmeldung ihrer Eigentumsansprache
rund zwei Monate habe verstreichen lassen (BGE 111 III 21 ff.). Von
Bedeutung war bei jenem Entscheid auch, dass die Arrestgläubigerin
bezüglich allfälliger Drittansprüche nicht völlig unwissend war (BGE 111
III 25 E. 4). Gemäss BGE 109 III 22 ff. ist einer Bank im Arrestverfahren
gegen einen ihrer Kunden eine angemessene Frist für die Geltendmachung
ihrer Ansprüche zuzugestehen, damit sie mit ihrem Klienten zunächst
abklären kann, ob es sich um einen reinen Sucharrest handelt, oder damit
sie ihm darlegen kann, dass und weshalb sie zur Wahrung ihres Rechts
gezwungen sei, dem Betreibungsamt Auskunft zu erteilen. Einen hinreichenden
Grund, eine verzögerte Anmeldung zu rechtfertigen, können nach dem gleichen
- von GILLIERON (in: JdT 133/1985 II S. 116 ff.) kritisierten - Entscheid
auch Vergleichsverhandlungen zwischen den an der Betreibung Beteiligten
darstellen, die im Falle einer Einigung die Anmeldung der Drittansprache
und die Eröffnung des Widerspruchsverfahrens nutzlos werden liessen.

Erwägung 3

    3.- a) Im vorliegenden Fall hat das Betreibungsamt ... am 24.
Juli 1984 unter anderem den Rückgewährungsanspruch des Schuldners ... auf
Übertragung der drei Grundschuldbriefe mit Arrestbeschlag belegt. Eine
Arrestaufhebungsklage (Art. 279 Abs. 2 SchKG) leitete der Schuldner nicht
ein. Ebensowenig wurde gegen den Arrestvollzug Beschwerde geführt, so
dass nach Ablauf der zehntägigen Frist von Art. 17 Abs. 2 SchKG feststand,
dass - ein allfälliger Nichtigkeitsgrund vorbehalten - der Arrest seine
Wirkungen definitiv entfalten würde. Zwischen dem Arrestvollzug und dem
ersten Pfändungsversuch bzw. der Ausstellung der leeren Pfändungsurkunde
am 14. November 1984 verstrichen sodann rund dreieinhalb Monate, ohne
dass der Rekursgegner das Betreibungsamt in irgendeiner Weise hätte wissen
lassen, dass er am erwähnten Arrestobjekt (Rückgewährungsansprüche) Rechte
geltend machen würde. Während einer Zeitspanne der erwähnten Länge kann ein
Arrestgläubiger durchaus mit Kosten verbundene Vorkehren getroffen haben,
die sich angesichts eines angemeldeten und geschützten Drittanspruchs
nachträglich als nutzlos erweisen könnten; auch können dem Gläubiger
während einer Zeit von dreieinhalb Monaten gewisse Möglichkeiten zur
anderweitigen vollstreckungsrechtlichen Sicherstellung seiner Forderung
entgangen sein. Dass dies in ihrem Fall zugetroffen habe, legt die
Rekurrentin indessen nicht dar. Aus den Akten ergibt sich im übrigen
nichts, was darauf schliessen liesse, der Rekursgegner habe früher als am
9. Oktober 1984 vom Arrestvollzug erfahren. Unter diesem Datum schlossen
der Rekursgegner und die Bank Z. einen Mandatsvertrag betreffend die
drei Grundschulden. In der Vereinbarung wurde festgehalten, dem Treugeber
(Rekursgegner) sei bekannt, dass ein Arrestbefehl der Rekurrentin vorliege,
und er kenne auch die Stellungnahme (Antwort) der Bank Z. in dieser
Frage (gemeint war damit offenbar das Schreiben an das Betreibungsamt
vom 26. Juli 1984).

    Ist mithin davon auszugehen, dass der Rekursgegner erst im Zeitpunkt
des Abschlusses des erwähnten Vertrags, d.h. am 9. Oktober 1984, von
der vollstreckungsrechtlichen Beschlagnahme der Rückgewährungsansprüche
Kenntnis erlangt hatte, kann ihm nicht vorgeworfen werden, er habe
sich treuwidrig verhalten, wenn er seine Ansprüche Mitte November 1984
(d.h. ungefähr einen Monat nach Kenntnisnahme), als das Betreibungsamt
zur Pfändung schreiten wollte bzw. die leere Pfändungsurkunde ausstellte,
noch nicht angemeldet hatte. Bis zum Entscheid der erkennenden Kammer
vom 10. Juli 1986 blieb sodann in der Schwebe, ob die fraglichen
Rückgewährungsansprüche überhaupt zu pfänden seien. Während dieser Zeit
durfte der Rekursgegner nach der oben angeführten Rechtsprechung mit der
Geltendmachung seiner Drittrechte zuwarten, ohne die Verwirkung gewärtigen
zu müssen.

    Nachdem der Rekursgegner das (vom 14. Juli 1986 datierte)
Dispositiv des bundesgerichtlichen Urteils vom 10. Juli 1986 zugestellt
erhalten hatte, wandte er sich (durch seinen Anwalt) am 21. Juli 1986,
d.h. unverzüglich, an den Rechtsvertreter der Rekurrentin und erklärte
unter anderem, dass seit dem 24. Mai 1984 er "materiell Berechtigter
aus den drei fraglichen Grundschulden" sei, welche die Rekurrentin bei
Y. zu pfänden beabsichtige. Noch am gleichen Tag wurde eine Kopie dieses
Schreibens samt zwei Beilagen dem Betreibungsamt ... zugestellt. Wörtlich
machte der Rekursgegner im erwähnten Schreiben einen Anspruch unmittelbar
aus den Grundschulden geltend, die als solche nicht arrestiert worden waren
und deren direkte Pfändung auch nie in Frage gestanden hatte. In Anbetracht
des Hinweises auf das bundesgerichtliche Urteil vom 10. Juli 1986, worin
es nur um die Pfändung der Rückgewährungsansprüche auf die Grundschulden
gegangen war, ist indessen davon auszugehen, dass der Rekursgegner sich
als aus den Rückgewährungsansprüchen Berechtigter bezeichnen wollte (wobei
ein zusätzlicher Anspruch aus den Titeln selbst nicht ausgeschlossen sein
musste). Für diese Auslegung spricht auch seine Bitte, die Rekurrentin
möge das Pfändungsbegehren zurückziehen.

    b) Der Auffassung der Vorinstanz, der Rekursgegner habe mit der
erwähnten Eingabe an das Betreibungsamt (Kopie des Schreibens vom 21. Juli
1986 samt Beilagen) in hinreichender Weise kundgetan, an den gepfändeten
Rückgewährungsansprüchen berechtigt zu sein, ist beizupflichten. Da erst
mit dem Urteil der erkennenden Kammer vom 10. Juli 1986 rechtskräftig
feststand, dass die fraglichen Rückgewährungsansprüche zu pfänden sein
würden, ist die Drittansprache des Rekursgegners auch als rechtzeitig zu
betrachten, wurde doch die Pfändung dann erst am 23. Juli 1986 vollzogen...