Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 114 III 83



114 III 83

25. Auszug aus dem Entscheid der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer
vom 18. Oktober 1988 i.S. S. (Rekurs) Regeste

    Pfändung des der Ehefrau nach Art. 164 ZGB zustehenden Betrages zur
freien Verfügung.

    Der Betrag zur freien Verfügung im Sinne des Art. 164 ZGB gehört
zum ehelichen Unterhalt. Er soll dem haushaltführenden, kinderbetreuenden
Ehegatten ohne Erwerbseinkommen ermöglichen, seine persönlichen Bedürfnisse
über den Rahmen eines blossen Taschengeldes hinaus zu befriedigen. Der
Anspruch aus Art. 164 ZGB ist zwingender Natur. Es kann auf ihn als
solchen nicht zum voraus verzichtet werden, weshalb er auch nicht pfändbar
ist. Hingegen ist ein nachträglicher Verzicht auf eine konkrete einzelne
Leistung nicht ausgeschlossen und ihre Pfändbarkeit nicht grundsätzlich
zu verneinen. Die Pfändung darf aber nicht in das Existenzminimum
des betriebenen Ehegatten eingreifen und nicht der Begleichung seiner
vorehelichen Schulden dienen.

Sachverhalt

    A.- In den gegen D. S. eingeleiteten Betreibungen pfändete das
Betreibungsamt monatlich den Betrag von Fr. 120.-- mit der Begründung,
die Schuldnerin könne eine solche Leistung gestützt auf Art. 164 ZGB von
ihrem Ehemann beanspruchen.

    Die Schuldnerin focht diese Pfändung mit einer Beschwerde bei der
unteren kantonalen Aufsichtsbehörde über die Schuldbetreibung an. Der
Gerichtspräsident wies die Beschwerde mit Verfügung vom 29. Juni 1988
ab. D. S. zog diese Verfügung an die Rekurs-Kommission des Obergerichts des
Kantons Thurgau als kantonale Aufsichtsbehörde über Schuldbetreibung und
Konkurs weiter. Diese wies die Beschwerde am 17. August 1988 ebenfalls ab.

    D. S. und ihr Ehemann, dieser in eigenem Namen und als Bevollmächtigter
seiner Ehefrau, führen Rekurs an die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer
des Bundesgerichts. Sie beantragen sinngemäss die Aufhebung des Entscheids
der kantonalen Aufsichtsbehörde sowie der Pfändung.

    Das Bundesgericht heisst den Rekurs gut, soweit darauf einzutreten
ist, und hebt den angefochtenen Entscheid auf. Es weist die Sache zu
neuer Entscheidung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurück.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Nach Auffassung der kantonalen Aufsichtsbehörde handelt es sich
beim Betrag, den ein Ehegatte dem andern Gatten, der den Haushalt besorgt,
die Kinder betreut oder im Beruf oder Gewerbe mitarbeitet, gestützt auf
Art. 164 ZGB zur freien Verfügung auszurichten hat, um einen unabdingbaren
Anspruch, auf den der berechtigte Ehegatte nicht verzichten kann. Die
Vorinstanz führte dazu aus, dieser Anspruch bilde nicht etwa Teil des
ehelichen Unterhalts, sondern sei eine dem haushaltführenden Ehegatten
persönlich zustehende Forderung. Auf dieses Einkommen müssten die Gläubiger
des anspruchsberechtigten Ehegatten unabhängig von der Art der Schulden,
für welche sie diesen Gatten belangen, greifen können. Es könnten daher
auch für voreheliche Schulden konkrete zukünftige Ansprüche eines Ehegatten
nach Art. 164 ZGB gepfändet werden.

Erwägung 3

    3.- Die Vorinstanz hat im Hinblick auf Art. 91 ff. SchKG mit Recht
geprüft, ob der Anspruch gemäss Art. 164 ZGB nach seinem Charakter und
seiner Zwecksetzung familienrechtlicher Natur sei, um die Frage nach seiner
Pfändbarkeit zu beantworten. Indessen erregt die Annahme der kantonalen
Aufsichtsbehörde, der Betrag zur freien Verfügung im Sinne von Art. 164
ZGB sei nicht dem ehelichen Unterhalt zuzuordnen, schon insofern Bedenken,
als diese Bestimmung im Gesetz zusammen mit Art. 163 und 165 ZGB unter
dem Marginale "Unterhalt der Familie" steht.

    a) Der Unterhalt der Familie erstreckt sich auf den gesamten
Lebensbedarf der Ehegatten und ihrer im gemeinsamen Haushalt
lebenden Kinder. Dieser Lebensbedarf umfasst nicht nur die gemeinsamen
Haushaltskosten für alle Familienangehörigen, namentlich die Kosten der
Grundbedürfnisse Nahrung, Wohnung und Kleidung, sondern er schliesst
neben weiteren gemeinsamen Bedürfnissen auch einen gewissen persönlichen
Bereich der Familienmitglieder ein. Die Befriedigung dieser persönlichen
Bedürfnisse erfolgt nicht auf gemeinsame Absprache hin, und die beiden
Ehegatten sowie weitere Familienangehörige haben der Gemeinschaft darüber
keine Rechenschaft abzulegen (DESCHENAUX/STEINAUER, Le nouveau droit
matrimonial, S. 54 ff.; HAUSHEER/REUSSER/GEISER, Kommentar zum Eherecht,
N. 8 ff. zu Art. 163 und N. 10 ff. zu Art. 159 ZGB). Ein solcher vom
ehelichen Unterhalt erfasster persönlicher Bereich war in der Form
eines Taschengeldes bzw. des Nadelgeldes für den zur Haushaltführung
verpflichteten Ehegatten, d.h. für die Ehefrau, schon im bisherigen
Recht anerkannt (LEMP, N. 27 zu Art. 160 aZGB). Obwohl Art. 163 ZGB
im Gegensatz zum bundesrätlichen Entwurf vom 11. Juli 1979 nicht mehr
ausdrücklich von persönlichen Bedürfnissen spricht, lassen die Materialien
keinen Zweifel daran, dass mit der Streichung dieses Ausdrucks durch die
eidgenössischen Räte keine materiellrechtliche Änderung eintreten sollte
(Amtl.Bull. SR 1981, 76). Im Unterhalt im Sinne von Art. 163 ZGB ist daher
auch weiterhin die Befriedigung der persönlichen Bedürfnisse der Ehegatten
und weiterer Familienmitglieder eingeschlossen (HAUSHEER/REUSSER/GEISER,
N. 4 und 10 zu Art. 163 ZGB).

    b) Wo es die Verhältnisse der Ehegatten erlauben, erweitert Art. 164
ZGB für den haushaltführenden, kinderbetreuenden oder im Beruf oder Gewerbe
mitarbeitenden Ehegatten den Bereich der persönlichen Bedürfnisse über den
Anspruch auf ein blosses Taschengeld hinaus auf einen angemessenen Betrag
zur freien Verfügung. Damit sollen weitere persönliche Bedürfnisse gedeckt
oder aber die Taschengeldbedürfnisse in aufwendigerer Art befriedigt werden
können (DESCHENAUX/STEINAUER, aaO, S. 64; HAUSHEER/REUSSER/GEISER, N. 8
f. zu Art. 164 ZGB). Ist aber ein Anspruch nach Art. 164 ZGB begründet,
erfasst er auch das Taschengeld des Art. 163 ZGB (HAUSHEER/REUSSER/GEISER,
N. 10 zu Art. 163 ZGB). Was im Rahmen von Art. 163 ZGB zweifelsfrei zum
Unterhalt gehört, kann als Gegenstand von Art. 164 ZGB nicht dem Unterhalt
entzogen werden. Entgegen HEGNAUER, Grundriss des Eherechts, 2. Aufl.,
Rz. 16.47 f., ist daher der Betrag zur freien Verfügung als besonderer
Teil des ehelichen Unterhalts zu betrachten (Amtl.Bull. NR 1983, 651;
DESCHENAUX/STEINAUER, aaO, S. 64; HAUSHEER/REUSSER/GEISER, N. 9 zu Art.
164 ZGB). Daran vermag auch der Umstand nichts zu ändern, dass in Art. 173
ZGB zwischen dem Geldbeitrag gemäss Art. 163 und dem Betrag zur freien
Verfügung nach Art. 164 ZGB unterschieden wird und nur in Absatz 1 vom
Geldbeitrag an den Unterhalt der Familie die Rede ist.

Erwägung 4

    4.- Wenn die Vorinstanz den Betrag zur freien Verfügung gemäss Art. 164
ZGB mit Recht als unabdingbaren Anspruch und somit als solchen zwingender
Natur bezeichnet, so ist damit offensichtlich das unverzichtbare Stammrecht
gemeint, das dem haushaltführenden, kinderbetreuenden oder im Gewerbe oder
Beruf des andern mitarbeitenden Ehegatten von Gesetzes wegen zusteht. Auf
diesen Anspruch zum voraus zu verzichten, ist unzulässig, dagegen ist
ein nachträglicher Verzicht auf eine konkrete einzelne Leistung nicht
auszuschliessen (REUSSER, Das neue Eherecht und seine Berührungspunkte
mit dem SchKG, BlSchKG 1987 S. 88; HAUSHEER/REUSSER/GEISER, N. 32 zu
Art. 164 und N. 21 der Vorbemerkungen zu Art. 159 ff. ZGB). Da auf das
Stammrecht nicht verzichtet werden kann, muss dieses auch unpfändbar sein.

    Zu prüfen bleibt, ob die einzelne konkrete Leistung gemäss Art. 164
ZGB als bestrittene Forderung gepfändet werden kann, wie das von der
kantonalen Aufsichtsbehörde bejaht worden ist. In BGE 114 III 82 E. 2 hat
das Bundesgericht festgehalten, dass die Pfändbarkeit solcher einzelner
Leistungen nicht grundsätzlich zu verneinen ist (anderer Meinung SCHWAGER,
in Das neue Eherecht, Veröffentlichungen des Schweizerischen Instituts
für Verwaltungskurse an der Hochschule St. Gallen, Bd. 26 S. 247). Der
Anspruch nach Art. 164 ZGB ist zwar wie der aufgrund von Art. 163 ZGB
zu leistende Geldbetrag zweckgebunden, indessen ist nicht zu übersehen,
dass der Betrag zur freien Verfügung den Kredit des anspruchsberechtigten
Ehegatten erhöht. Darauf sollen sich seine Gläubiger grundsätzlich
verlassen dürfen. Der Vorinstanz ist daher zuzustimmen, wenn sie den
Gläubigern dieses Ehegatten nicht jeden Zugriff auf eine Forderung
aufgrund von Art. 164 ZGB verwehrt (gleicher Meinung ist ISAAK MEIER,
Neues Eherecht und Schuldbetreibungsrecht, S. 101, allerdings finden
sich gegenteilige Ausführungen zu Art. 163 ZGB auf S. 98 ff.; nur dem
Grundsatze nach wird die Pfändbarkeit der konkreten einzelnen Leistung
auch bejaht von REUSSER, aaO, S. 88, und von HAUSHEER/REUSSER/GEISER,
N. 37 zu Art. 164 ZGB; gegenteiliger Meinung ist SCHWAGER, aaO, S. 247).

Erwägung 5

    5.- Indessen ist bereits im Hinblick auf Art. 93 SchKG eine
Beschränkung der Pfändbarkeit von Geldforderungen eines Ehegatten gegen
den andern im Rahmen des ehelichen Unterhalts, sei es nach Art. 163 oder
nach Art. 164 ZGB, gegeben. Die Pfändung wäre nämlich nichtig, wenn mit
ihr in das Existenzminimum des betriebenen Ehegatten eingegriffen würde,
was von Amtes wegen zu beachten ist. Die Beschränkung der Pfändbarkeit
nach Art. 93 SchKG wird allerdings im Zusammenhang mit dem Anspruch gemäss
Art. 164 ZGB kaum je von Bedeutung sein, da nicht ersichtlich ist, wie
ein solcher Anspruch entstehen könnte, wenn die Mittel der Ehegatten die
blosse Deckung des Existenzminimums nicht übersteigen (BGE 114 III 82 E. 3;
HAUSHEER/REUSSER/GEISER, N. 37 zu Art. 164 ZGB).

Erwägung 6

    6.- Eine weitere Beschränkung der Pfändbarkeit einzelner Leistungen
im Sinne von Art. 164 ZGB ergibt sich sodann aus dem Zweck der Forderung,
die von Gesetzes wegen auf die Befriedigung erweiterter persönlicher
Bedürfnisse des anspruchsberechtigten Ehegatten ausgerichtet ist. Zwar
trifft es zu, dass dieser Ehegatte die Leistungen im Rahmen von
Art. 164 ZGB nicht zweckentsprechend verwenden muss, sondern damit
auch Errungenschaftsvermögen äufnen kann (Botschaft Ziff. 214.2;
DESCHENAUX/STEINAUER, aaO, S. 272; HEGNAUER, aaO, Rz. 16.49;
HAUSHEER/REUSSER/GEISER, N. 40 zu Art. 164 ZGB). Inwiefern diese
gesparten Vermögenswerte nicht unbeschränkt pfändbar sein sollen, ist
nicht ersichtlich. Doch darf daraus nicht der Schluss gezogen werden,
eine Pfändung künftiger einzelner Leistungen gemäss Art. 164 ZGB sei
auch zulässig, wenn der Pfändung Schulden zugrunde liegen, welche diese
Leistungen ihrem gesetzlichen Zweck entfremden würden. Das ist jedoch
eindeutig der Fall, wenn die Pfändung solcher künftiger Forderungen
eines Ehegatten der Begleichung vorehelicher Schulden dienen soll. Die
Leistungen nach Art. 164 ZGB sollen vielmehr dem anspruchsberechtigten
Ehegatten für seine Bedürfnisse während der Ehe zur Verfügung stehen
(HAUSHEER/REUSSER/GEISER, N. 37 zu Art. 164 ZGB).

    Soweit die kantonale Aufsichtsbehörde die Ansprüche nach Art. 164
ZGB ganz generell als pfändbar erklärt hat, kann ihr aus den dargelegten
Gründen nicht gefolgt werden. Sollte die Behauptung der Rekurrentin, die
angefochtene Pfändung habe der Deckung vorehelicher Schulden gedient,
zutreffen, wäre diese unzulässig. Da die Vorinstanz hierüber keine
tatsächlichen Feststellungen getroffen hat, muss sie diesen Einwand
noch abklären. Der angefochtene Entscheid ist deshalb aufzuheben und
die Sache zu neuer Entscheidung im Sinne der Erwägungen an die kantonale
Aufsichtsbehörde zurückzuweisen.