Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 114 III 12



114 III 12

4. Auszug aus dem Entscheid der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer vom 7.
Juli 1988 i.S. P. (Rekurs) Regeste

    Art. 93 SchKG: Berechnung des Existenzminimums. Wenn beide Ehegatten
Einkommen erzielen. Berücksichtigung der Wohnkosten.

    1. Bei der Berechnung der pfändbaren Lohnquote ist zunächst das
Einkommen beider Ehegatten und ihr gemeinsames Existenzminimum zu bestimmen
und das ermittelte Existenzminimum im Verhältnis der Nettoeinkommen
auf die Ehegatten aufzuteilen. Die pfändbare Quote des Einkommens des
betriebenen Ehegatten ergibt sich alsdann durch Abzug seines Anteils am
Existenzminimum von seinem massgeblichen Nettoeinkommen (E. 3).

    2. Der Schuldner kann von den Betreibungsbehörden zwar nicht
unmittelbar zum Bezug einer seinen wirtschaftlichen Verhältnissen
angepassten Wohnung gezwungen werden. Indessen ist der bei der Festsetzung
des Existenzminimums zu berücksichtigende Mietzins auf ein Normalmass
herabzusetzen, wenn der Schuldner lediglich zu seiner grösseren
Bequemlichkeit eine teure Wohnung benützt (E. 2 und 4).

Sachverhalt

    A.- In der Betreibung Nr. 55472 gegen den Schuldner P.  pfändete
das Betreibungsamt am 17. Februar 1988 Fr. 223.-- vom Monatslohn des
Schuldners.

    Gegen diese Verfügung erhob die Gläubigerin Beschwerde bei der
Aufsichtsbehörde für Schuldbetreibung und Konkurs des Kantons Solothurn
mit dem Antrag, es sei die pfändbare Quote auf mindestens Fr. 1'400.--
festzulegen. Die kantonale Aufsichtsbehörde hiess die Beschwerde mit
Entscheid vom 6. Mai 1988 teilweise gut, indem sie die pfändbare Quote
des Lohnes des Schuldners ab sofort auf Fr. 340.-- und ab 1. Dezember
1988 auf Fr. 1'203.-- festsetzte.

    Diesen Entscheid der kantonalen Aufsichtsbehörde focht P. mit Rekurs
bei der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts an. Er
stellte den Antrag, die Lohnpfändung solle auf weiterhin Fr. 223.--
monatlich festgesetzt werden.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- a) Die Aufsichtsbehörde für Schuldbetreibung und Konkurs des
Kantons Solothurn hat sich im angefochtenen Urteil auf den Standpunkt
gestellt, dass der Eigentümer einer Liegenschaft nicht anders als der
Mieter die Pflicht habe, die Wohnungskosten so tief wie möglich zu halten,
wenn seine Einkünfte gepfändet werden müssen (BGE 109 III 52 f., 104 III
41 E. 2, mit Hinweisen). Daran ist soviel richtig, dass der Schuldner im
Falle der Lohnpfändung tatsächlich seine Lebenshaltung einschränken und
für sich und seine Familie mit dem Notbedarf auskommen muss. Der Schuldner
kann von den Betreibungsbehörden aber nicht daran gehindert werden, in
einer Wohnung zu leben, für die er mehr aufwenden muss als den Betrag,
der ihm bei der Festsetzung des Existenzminimums für die Wohnbedürfnisse
zugestanden wurde.

    Handelt es sich um eine Mietwohnung, so wird der Vermieter, der den
Mietzins von dem über seine Verhältnisse lebenden Schuldner nicht bekommt,
diesen betreiben (allenfalls mit der Androhung der Ausweisung gemäss
Art. 265 OR und/oder unter Ausübung des Retentionsrechts gemäss Art. 272
OR). Der Vermieter hat indessen betreibungsrechtlich keine privilegierte
Stellung; er ist nur faktisch dadurch bevorteilt, dass dem Schuldner für
angemessene Miete bei der Berechnung des Notbedarfs ein Betrag zugestanden
wird (BGE 112 III 18).

    Wohnt der Schuldner in einem eigenen Haus, so wird den Wohnkosten
dadurch Rechnung getragen, dass ein Betrag für den Gebäudeunterhalt und
für den Hypothekarzins in das Existenzminimum einbezogen wird. Indessen
kann kein unausweichlicher Zwang in dem Sinne auf den Schuldner ausgeübt
werden, dass dieser den Hypothekarzins auch tatsächlich bezahlt, der ihm
bei der Festsetzung des Notbedarfs bewilligt wurde. Dem nicht befriedigten
Hypothekargläubiger steht der Weg der Betreibung nach Massgabe von Art. 41
Abs. 2 SchKG offen.

    Zu beachten ist allerdings, dass grundsätzlich zuerst das
bewegliche und unbewegliche Vermögen - also das Grundstück - des
Schuldners gepfändet werden muss, bevor zur Lohnpfändung geschritten
wird (BGE 107 III 80 f. E. 3, mit Hinweisen). Schon darum wird die von
der kantonalen Aufsichtsbehörde aufgestellte Regel, wonach der Zuschlag
für den Liegenschaftsaufwand bei der Berechnung des Existenzminimums auf
ein Normalmass herabzusetzen sei, wenn der Aufwand für das Wohnen in der
eigenen Liegenschaft überdurchschnittlich hoch ist, nur beim Vorliegen
besonderer Umstände zum Zuge kommen können.

    b) Die solothurnische Rechtsprechung zu diesem Punkt ist in dem hier
zu beurteilenden Fall indessen nicht weiter zu würdigen, steht doch nach
den Feststellungen der Vorinstanz fest, dass das vom Schuldner bewohnte
Einfamilienhaus nicht ihm gehört, sondern seiner Ehefrau.

    Hinsichtlich der Ausführungen der kantonalen Aufsichtsbehörde
zur Wohnung der Ehegatten, zur Beistandspflicht der Ehegatten und
insbesondere zur Pflicht der Ehefrau, dem Gatten in eine neue, billigere
Wohnung zu folgen, ist festzuhalten, dass nur der Eheschutzrichter
allenfalls diesbezügliche Anweisungen auf direktem oder indirektem Wege
erteilen könnte. Dem Betreibungsamt wie auch den Aufsichtsbehörden in
Schuldbetreibungs- und Konkurssachen steht demgegenüber nicht die Befugnis
zu, den Schuldner zum Bezug einer seinen finanziellen Verhältnissen
entsprechenden Wohnung anzuweisen. Sie haben sich darauf zu beschränken,
die dem Schuldner gehörenden Vermögensgegenstände und - im Falle der Lohn-
oder Verdienstpfändung - seine Einkünfte festzustellen, die mittels
Zwangsverwertung zur Befriedigung der Gläubiger in Anspruch genommen
werden können; die sich aus dem Eherecht ergebenden nicht vermögenswerten
Rechte und Pflichten der Ehegatten sind selbstverständlich keine Rechte,
die in die Zwangsverwertung einbezogen werden könnten. Das hat auch
die kantonale Aufsichtsbehörde erkannt, wenn sie ausgeführt hat, dass
die Betreibungsbehörden lediglich das Existenzminimum des Schuldners zu
berechnen und dabei nicht die übersetzten Wohnkosten, sondern nur die
Kosten einer zumutbaren billigeren Wohnung zu berücksichtigen hätten.

Erwägung 3

    3.- Vom revidierten, am 1. Januar 1988 in Kraft getretenen Eherecht,
auf das sich die kantonale Aufsichtsbehörde im angefochtenen Entscheid
stützt, ist im vorliegenden Fall Art. 163 ZGB von Bedeutung. Wie die
Konferenz der Betreibungs- und Konkursbeamten der Schweiz in ihrem
Schreiben vom 1. Dezember 1987 betreffend die Änderung der Richtlinien
für die Berechnung des betreibungsrechtlichen Existenzminimums nach
Art. 93 SchKG (BlSchK 51/1987, S. 224 ff.) zutreffend ausgeführt hat,
beruht die neue Regelung des Unterhalts der Familie auf den Grundsätzen
der Gleichberechtigung beider Ehegatten und der Gleichwertigkeit ihrer
Leistungen, insbesondere durch Geldzahlungen und Haushaltführung. Diese
Grundsätze des revidierten Eherechts führen betreibungsrechtlich zu einer
neuen Berechnung der pfändbaren Lohnquote in dem Sinne, dass zunächst
die Nettoeinkommen beider Ehegatten und ihr gemeinsames Existenzminimum
(Grundbetrag für Ehepaar und Kinder nebst zu berücksichtigenden Zuschlägen
bzw. Abzügen) zu bestimmen und das ermittelte Existenzminimum im Verhältnis
der Nettoeinkommen auf die Ehegatten aufzuteilen ist. Die pfändbare Quote
des Einkommens des betriebenen Ehegatten ergibt sich alsdann durch Abzug
seines Anteils am Existenzminimum von seinem massgeblichen Nettoeinkommen
(vgl. auch Richtlinien der Konferenz der Betreibungs- und Konkursbeamten
der Schweiz Ziff. III/1, BlSchK 51/1987, S. 229; Kreisschreiben der
Aufsichtsbehörde in Betreibungs- und Konkurssachen für den Kanton Bern,
ZBJV 124/1988, S. 160 f., 165, Ziff. III/1; RUTH REUSSER, Das neue Eherecht
und seine Berührungspunkte mit dem SchKG, BlSchK 51/1987, S. 87 lit. e;
RUDOLF SCHWAGER, in: Das neue Eherecht, St. Gallen 1987, S. 245 f.; ISAAK
MEIER, Neues Eherecht und Schuldbetreibungsrecht, Zürich 1987, S. 117 ff.,
S. 140 f., mit Hinweis auf das vorgesehene Kreisschreiben des Obergerichts
des Kantons Zürich; HAUSHEER/REUSSER/GEISSER, Kommentar zum Eherecht,
Bern 1988, N. 67 zu Art. 163 ZGB).

    Das Betreibungsamt hat bei der Berechnung des Notbedarfs des
Schuldners P. die neue Regel beobachtet, indem es sich an entsprechende
Richtlinien der Aufsichtsbehörde für Schuldbetreibung und Konkurs des
Kantons Solothurn vom 28. Dezember 1987 gehalten hat, Diesbezüglich hat
der Rekurrent die Berechnung seines Notbedarfs nicht angefochten.

Erwägung 4

    4.- Der Rekurrent betrachtet jedoch den ihm ab Dezember 1988
zugestandenen Notbedarf als zu gering. Die Lohnpfändung laufe damit
praktisch darauf hinaus, dass seine Frau das von ihm und der Familie
bewohnte Haus verkaufen müsse, wozu die Ehefrau auf keinen Fall bereit sei.

    Dazu ist entsprechend dem oben (E. 2) Ausgeführten zu wiederholen,
dass der Rekurrent von den Betreibungsbehörden nicht unmittelbar zum
Bezug einer seinen wirtschaftlichen Verhältnissen angepassten Wohnung
gezwungen werden kann. Bei der Berechnung des Existenzminimums jedoch
haben die mit seinen finanziellen Möglichkeiten unvereinbaren Ansprüche,
die ein Schuldner an den Wohnkomfort stellt, zurückzutreten gegenüber dem
Anspruch der Gläubiger auf Befriedigung ihrer Forderungen. Die Richtlinien
der Konferenz der Betreibungs- und Konkursbeamten der Schweiz sehen deshalb
vor, dass der bei der Festsetzung des Notbedarfs zu berücksichtigende
Mietzins nach Ablauf des nächsten Kündigungstermins auf ein Normalmass
herabgesetzt werden kann, wenn der Schuldner lediglich zu seiner grösseren
Bequemlichkeit eine teure Wohnung benützt (Ziff. II/1 Abs. 2; vgl.
auch die oben E. 2a zitierte Rechtsprechung sowie FRITZSCHE/WALDER,
Schuldbetreibung und Konkurs nach schweizerischem Recht, Zürich 1984, §
24 Rz. 58 und Fussnote 84 [S. 335]).

    Die kantonale Aufsichtsbehörde hat dem Umstand Rechnung getragen,
dass der Schuldner unter Zeitdruck eine neue Wohnung wird finden müssen,
und hat ihm deshalb für eine 4- bis 5-Zimmer-Wohnung in einem Neubau
einen Mietzins von Fr. 1'300.-- sowie Nebenkosten von monatlich
Fr. 260.-- zugestanden. Diesem eher grosszügig bemessenen Mietzins
stellt der Rekurrent keinen anderen konkreten Betrag entgegen, und er
vermag den Überlegungen der Vorinstanz auch keine rechtserheblichen
Argumente entgegenzusetzen. Wenn er ausführt, zusammen mit seiner Frau
und den heranwachsenden Kindern habe er sich "für diesen Lebensstandard
entschieden", ist das eine Sache; eine andere Sache ist es, dass er
offensichtlich nicht imstande ist, das für den gewählten Lebensstandard
nötige Einkommen zu erzielen und seine Schulden zu bezahlen.

    Die übrigen Posten des Existenzminimums, welche das Betreibungsamt
gemäss den Richtlinien der Konferenz der Betreibungs- und Konkursbeamten
der Schweiz (Ziff. I und II) festgesetzt hat, werden vom Rekurrenten
zu Recht nicht beanstandet. Ebensowenig rügt er die Feststellung seines
Nettoeinkommens und desjenigen seiner Ehefrau durch das Betreibungsamt.

    Demnach ergibt sich folgendes:

    Nettoeinkommen des Schuldners                           Fr. 4'262.--

    Nettoeinkommen seiner Ehefrau                           Fr.   800.--
                                                             ------------

    Gesamtes Nettoeinkommen                                 Fr. 5'062.--
                                                             ============

    Monatlicher Grundbetrag                                 Fr. 1'075.--

    Unterhalt von zwei Kindern                              Fr.   440.--
                                                             ------------
                                                             Fr. 1'515.--

    Zuschlag für überdurchschnittlichen Kleiderverbrauch    Fr.    40.--

    Krankenkasse                                            Fr.   518.--

    Wohnungsmiete                                           Fr. 1'300.--

    Nebenkosten                                             Fr.   260.--
                                                             ------------

    Existenzminimum (beider Ehegatten)                      Fr. 3'633.--
                                                             ============

    Nach der oben (E. 3) aufgestellten Regel, wonach das ermittelte
Existenzminimum im Verhältnis der Nettoeinkommen auf die Ehegatten
aufzuteilen ist, berechnet sich das Existenzminimum des Schuldners
wie folgt:

    Existenzminimum      Nettoeinkommen

    beider Ehegatten  x  des Schuldners

    ------------------------------------
           Gesamtes Nettoeinkommen

    (3'633.-- x 4'262.--)/5'062.-- = Fr. 3'059.--

    Somit:

    Nettoeinkommen des Schuldners                          Fr. 4'262.--

    Existenzminimum des Schuldners                         Fr. 3'059.--
                                                            ------------

    Monatlich pfändbare Quote ab Dezember 1988             Fr. 1'203.--
                                                             ============