Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 114 III 105



114 III 105

30. Auszug aus dem Urteil der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer vom 6.
Juni 1988 i.S. Sun International Ltd. (Rekurs) Regeste

    Herausgabepflicht nach Art. 223 Abs. 2 SchKG; Anwaltsgeheimnis.

    Ist ein Rechtsanwalt zugleich Verwaltungsratsmitglied einer
Gesellschaft und wird er im Konkurse dieser Gesellschaft in seiner
Eigenschaft als Verwaltungsratsmitglied aufgefordert, alle Geschäftsakten
herauszugeben, so ist zwischen der Geschäftskorrespondenz der Gesellschaft
und den internen Unterlagen des Anwaltes zu unterscheiden. Herauszugeben
ist nur die Geschäftskorrespondenz der Gesellschaft, worunter aber auch
deren Korrespondenz mit dem Anwalt fällt (E. 3a und b).

    Hält der Anwalt gewisse Unterlagen zugleich für sich und für die
Gesellschaft, so hat er die Geschäftsakten der Gesellschaft entsprechend
zu ergänzen und herauszugeben (E. 3c und d).

Sachverhalt

    A.- Gestützt auf ein Schiedsgerichtsurteil vom 5. Mai 1983 betrieb
die Sun International Ltd., Bermuda, die SU Mineral- und Petrochemie AG,
Zug, auf Bezahlung von Fr. 21'303'749.01, nebst Zins zu 12% seit dem
5. Mai 1983.

    Auf Begehren der Sun International Ltd. eröffnete das
Kantonsgerichtspräsidium Zug am 20. Oktober 1987 den Konkurs über die SU
Mineral- und Petrochemie AG.

    B.- Mit Verfügung vom 10. Dezember 1987 forderte das Konkursamt
Zug Rechtsanwalt X. als einzelzeichnungsberechtigtes Mitglied des
Verwaltungsrates der in Konkurs gefallenen Gesellschaft auf, dem
Konkursamt innert 10 Tagen sämtliche Geschäftsakten dieser Gesellschaft
seit dem 1. Januar 1977 auszuhändigen, soweit dies noch nicht geschehen
sei. Namentlich seien folgende Unterlagen einzureichen:

    "- sämtliche Jahresabschlüsse (Bilanz und Gewinn- und
Verlustrechnungen)
   und Kontrollstellenberichte;

    - sämtliche Buchhaltungsunterlagen mit allen

    Kontenblättern und allen zu den einzelnen Buchungsvorgängen gehörenden

    Belegen (...);

    - sämtliche (ein- und ausgegangene) Korrespondenz,

    Bankdokumente und Verträge, ob intern oder an Dritte, betr. alle
   getätigten Kauf- und Verkaufsgeschäfte sowie damit zusammenhängende

    Operationen (...);

    - sämtliche übrige (ein- und ausgegangene)

    Geschäftskorrespondenz, ob intern oder mit Dritten, insbesondere
mit der

    Muttergesellschaft der Konkursitin, der Bulk Oil Holding AG, Cham,
und mit
   der englischen Anwaltsfirma M. & Co., London;

    - sämtliche Protokolle aller ordentlichen und ausserordentlichen

    Generalversammlungen samt zugehörigen Geschäftsberichten des

    Verwaltungsrates;

    - sämtliche Protokolle aller Verwaltungsratssitzungen."

    Gegen diese Verfügung erhob Rechtsanwalt X. in eigenem Namen Beschwerde
an die Justizkommission des Kantons Zug als kantonaler Aufsichtsbehörde
über Schuldbetreibung und Konkurs. Diese hiess die Beschwerde mit Entscheid
vom 8. März 1988 gut und präzisierte die Verfügung des Konkursamtes dahin,

    "dass die Korrespondenzen, die der Beschwerdeführer in seiner

    Eigenschaft als Rechtsvertreter bzw. Rechtsberater der SU Mineral und

    Petrochemie AG sowie der Bulk Oil Holding AG mit deren Verwaltungsräten

    O. und S. sowie mit der Londoner Anwaltsfirma M. g Co. über die
   prozessualen Auseinandersetzungen mit der Sun Oil-Gruppe und
   insbesondere über die Rechtsöffnungsverfahren Nr. 60/1987 und Nr.

    61/1987 führte, von der Herausgabeverfügung nicht betroffen werden."

    C.- Gegen diesen Entscheid haben das Konkursamt Zug und die Sun
International Ltd. selbständig Rekurs an die Schuldbetreibungs- und
Konkurskammer des Bundesgerichts erhoben. Beide beantragen die Aufhebung
des angefochtenen Entscheides.

    Rechtsanwalt X. und die kantonale Aufsichtsbehörde beantragen die
Abweisung der Rekurse.

    Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer heisst die Rekurse gut und
bestätigt die Verfügung des Konkursamtes in ihrem ursprünglichen Wortlaut.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- Die kantonale Aufsichtsbehörde hat die Verfügung des Konkursamtes
ferner dahin präzisiert, dass die Korrespondenzen, die der Rekursgegner in
seiner Eigenschaft als Rechtsvertreter bzw. Rechtsberater der in Konkurs
gefallenen Gesellschaft geführt habe, ebenfalls nicht herauszugeben seien.

    a) Art. 321 StGB stellt u.a. die Verletzung des Berufsgeheimnisses
durch Rechtsanwälte unter Strafe. Diese Bestimmung wurde erlassen, um
die Ausübung der darin aufgezählten Berufe im öffentlichen Interesse zu
erleichtern. Sie findet ihre Rechtfertigung in der Überlegung, dass diese
Berufe nur dann richtig und einwandfrei ausgeübt werden können, wenn das
Publikum aufgrund einer unbedingten Garantie zur Verschwiegenheit das
unentbehrliche Vertrauen in die betreffenden Berufsinhaber hat (BGE 112
Ia 606).

    Die Geheimhaltungspflicht des Anwaltes erstreckt sich - wie der
Wortlaut von Art. 321 Ziff. 1 Abs. 1 StGB deutlich zeigt - nur auf
Tatsachen, die ihm vom Klienten anvertraut worden sind, um die Ausübung
des Mandates zu ermöglichen, oder die der Anwalt in Ausübung seines
Berufes wahrgenommen hat. Diese Geheimnisse dürfen weder direkt noch
indirekt verraten werden. Es handelt sich um eine strikte Verpflichtung
des Anwaltes, die auch nach der Aufhebung der vertraglichen Beziehung
mit dem Klienten weiterbesteht (BGE 112 Ib 607).

    Besondere Schwierigkeiten ergeben sich indes, wenn sich der Anwalt
nicht auf rein anwaltliche Tätigkeiten beschränkt, namentlich wenn er
zugleich Verwaltungsrat seiner Klientin ist. Überwiegt in solchen Fällen
das kaufmännische Element derart, dass die Tätigkeit des Anwaltes nicht
mehr als anwaltliche betrachtet werden kann, so kann sich der Anwalt
nach der neuesten Rechtsprechung des Bundesgerichts zumindest nicht in
einem umfassenden Sinne auf sein Berufsgeheimnis berufen. Die Entscheidung
darüber, welche Tatsachen vom Berufsgeheimnis erfasst werden, kann jedoch
nur unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalles
getroffen werden. Diese Grundsätze, die das Bundesgericht im Zusammenhang
mit einem Rechtshilfeverfahren angewendet hat, gelten sinngemäss auch im
vorliegenden Konkursverfahren (vgl. BGE 112 Ib 607 f.).

    b) Die Verfügung des Konkursamtes Zug verlangt ausdrücklich nur
die Herausgabe von Geschäftsunterlagen der in Konkurs gefallenen
Gesellschaft. Von Anwaltsakten, die dem Rekursgegner gehören, ist
weder in der allgemeinen Umschreibung der Herausgabepflicht noch in
der detaillierten Liste der herauszugebenden Unterlagen und Dokumente
die Rede. Der Rekursgegner befürchtet insoweit zu Unrecht eine mögliche
Verletzung seines Berufsgeheimnisses. Er übersieht, dass die Geschäftsakten
der Gemeinschuldnerin von seinen eigenen Anwaltsakten zu unterscheiden
sind.

    Dies gilt insbesondere auch hinsichtlich seiner Korrespondenz mit der
Gemeinschuldnerin. Soweit sich diese bei der Gemeinschuldnerin befindet,
handelt es sich um deren Geschäftsunterlagen und nicht um seine eigene
Anwaltskorrespondenz. Der Rekursgegner vermag daher aus dem Umstand, dass
er die Korrespondenz an die weiteren Verwaltungsräte O. und S. gerichtet
hat, nichts zu seinen Gunsten abzuleiten. Es ist nicht entscheidend,
mit welcher Stelle innerhalb der Gesellschaft er den Geschäftsverkehr
abgewickelt hat, sondern allein, dass es sich um Korrespondenz mit
der Gemeinschuldnerin handelt und daher bei dieser abgelegt werden
musste. Nicht herauszugeben wären lediglich solche Unterlagen und
Briefe an die beiden erwähnten Verwaltungsräte, die rein persönliche
Angelegenheiten oder solche der Mutterfirma betreffen und demzufolge bei
der Gemeinschuldnerin nicht abzulegen waren.

    Die gleichen Grundsätze gelten hinsichtlich der anwaltlichen
Korrespondenz des Rekursgegners mit der englischen Anwaltsfirma
M. & Co. Soweit der Rekursgegner Kopien dieser Korrespondenz an die
Gemeinschuldnerin als Auftraggeberin gesandt oder bei sich zuhanden der
Gemeinschuldnerin in einem besonderen Ordner abgelegt hat, handelt es
sich nicht mehr um Anwaltskorrespondenz, für die er das Berufsgeheimnis
beanspruchen kann, sondern um ordentliche Geschäftskorrespondenz der
Gemeinschuldnerin, die gemäss Art. 223 Abs. 2 SchKG der Herausgabepflicht
unterliegt.

    In Übereinstimmung mit dieser Rechtslage richtet sich die Verfügung
des Konkursamtes denn auch ausdrücklich an den Rekursgegner in seiner
Eigenschaft als einzelzeichnungsberechtigtes Mitglied des Verwaltungsrates
der Gemeinschuldnerin und nicht an ihn als Anwalt.

    c) Die Personalunion von Verwaltungsrats- und Anwaltsfunktion kann nun
aber dazu führen, dass bestimmte Akten bei der Auftraggeberin nicht mehr
gesondert vorhanden sind, indem sie der Anwalt zugleich für sich und die
Gesellschaft hält. Es geht jedoch nicht an, der Konkursverwaltung Akten
vorzuenthalten, die bei einer ordnungsgemässen Geschäftsführung vorhanden
wären. Sind Verwaltungsrats- und Anwaltsmandat sauber getrennt, so gelangt
das Konkursamt ohne weiteres in den Besitz der Geschäftsakten, ohne dass
der Anwalt - der weiterhin ausschliesslich über seine Unterlagen verfügt
- etwas dagegen unternehmen könnte. Es ist nicht einzusehen, inwiefern
etwas anderes gelten soll, wenn die beiden Tätigkeiten personell nicht
getrennt sind.

    In solchen Fällen hat daher der Anwalt, der zugleich Verwaltungsrat
der Auftraggeberin ist, deren Unterlagen gemäss seiner Pflicht,
für eine ordentliche Geschäftsführung zu sorgen, wenn nötig auch
nachträglich entsprechend zu ergänzen. Das Geheimhaltungsrecht des
Anwaltes wird insoweit durch die Herausgabepflicht nach Art. 223 Abs. 2
SchKG eingeschränkt. Der Rekursgegner als einzelzeichnungsberechtigtes
Mitglied des Verwaltungsrates der Gemeinschuldnerin kann sich dem
nicht einfach dadurch entziehen, dass er deren Korrespondenz als
eigene Anwaltskorrespondenz betrachtet. Anders zu entscheiden hiesse,
dem Rechtsmissbrauch Tür und Tor zu öffnen. Durch blosses Einschalten
eines Rechtsanwaltes könnten der Konkursverwaltung Geschäftsunterlagen
vorenthalten werden, in die sie Einblick erhalten muss und bei einer
ordnungsgemässen Geschäftsführung auch ohne weiteres erhalten würde.

    d) Anderseits ist den berechtigten Interessen des Rechtsanwaltes
Rechnung zu tragen. Sein Berufsgeheimnis darf ebensowenig ausgehöhlt
werden wie die Herausgabepflicht der Gemeinschuldnerin. Die Handakten des
Anwaltes, das heisst die für ihn bestimmten Doppel der Briefe an seine
Klienten und deren Briefe an ihn, seine Entwürfe, Notizen, die Doppel der
eigenen Rechtsschriften usw. hat er nicht herauszugeben (vgl. DUBACH, Das
Disziplinarrecht der freien Berufe, ZSR 70/1951, S. 81a). Ebensowenig
darf er Tatsachen offenbaren, die ihm - auch gesellschaftsintern -
ausschliesslich in seiner Eigenschaft als Anwalt mitgeteilt worden
sind (vgl. DUPONT-WILLEMIN, Le secret professionnel et l'indépendance
de l'avocat, in: Bulletin des Schweizerischen Anwaltsverbandes, 1986,
Nr. 101, S. 24 f.).

    Aus diesem Grunde hat der Rekursgegner insbesondere das Recht und
die Pflicht, seine Anwaltskorrespondenz geheimzuhalten, die nicht die
Gemeinschuldnerin, sondern deren Muttergesellschaft betreffen. Soweit der
Rekursgegner die Angelegenheiten der Mutter- und Tochtergesellschaft in der
gleichen Korrespondenz behandelt hat, sind jene Teile abzudecken, die nicht
die Gemeinschuldnerin betreffen. Ob und unter welchen Voraussetzungen dies
grundsätzlich auch hinsichtlich jener Dokumente erfolgen dürfte, die der
Anwalt bei sich, aber für die Gesellschaft als deren Geschäftskorrespondenz
gesondert abgelegt hat, kann hier dahingestellt bleiben. Die Rekurrenten
wenden gegen ein solches Abdecken nichts ein.

    Aus dem Umstand, dass das Abdecken mit einem grossen Aufwand
verbunden sein könnte, vermag der Rekursgegner nichts zu seinen
Gunsten abzuleiten. Er hat es sich selber zuzuschreiben, wenn er seine
verschiedenen Funktionen nicht hinreichend auseinandergehalten hat und
ihm daraus nun ein zusätzlicher Aufwand entsteht.