Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 114 IB 357



114 Ib 357

52. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 6.
Dezember 1988 i.S. C. AG gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich
(Verwaltungsgerichtsbeschwerde) Regeste

    Internationale Rechtshilfe in Strafsachen; Siegelungsverfahren,
Art. 9 IRSG I.V.M. ART. 69 BSTP.

    Eine Versiegelung erfolgt, wenn vom Inhaber der zu beschlagnahmenden
Akten bzw. im Falle einer juristischen Person von einem ihrer zuständigen
Organe gegen die Durchsuchung Einsprache erhoben wird. Von dem bei der
Durchsuchung anwesenden Inhaber der betreffenden Akten bzw. vom anwesenden
zuständigen Organ der juristischen Person, die Inhaberin ist, ist zu
erwarten, dass er bzw. es sich der Durchsuchung unmittelbar widersetzt,
falls eine Versiegelung angeordnet werden soll. Erst nach geduldeter
Durchsuchung und Beschlagnahme die Siegelung zu verlangen, widerspricht
dem Zweck dieses Instituts bzw. vermag diesen gar nicht mehr zu ermöglichen
(E. 4).

Sachverhalt

    A.- Die Staatsanwaltschaft beim Landgericht Hamburg führt gegen
die deutschen Staatsangehörigen B. und P. sowie andere Personen ein
Strafverfahren wegen qualifizierter Steuerhinterziehung gemäss § 370
der deutschen Abgabenordnung. Mitbetroffen sind die von den Beschuldigten
beherrschten Firmen C. GmbH und - als deren Rechtsnachfolgerin - C. AG. Mit
Rechtshilfeersuchen vom 2. November 1984 und sieben Ergänzungen bis 10.
November 1986 verlangten die hamburgischen Strafbehörden Auskunft
betreffend Geschäfte, welche über die genannten Firmen abgewickelt wurden,
und zudem stellten sie das Begehren um Herausgabe der sachbezüglichen
Unterlagen.

    Die deutschen Strafbehörden begründen ihr Ersuchen zur Hauptsache
damit, B. habe im Zusammenwirken mit P. über verschiedene Firmen fingierte
Darlehen aufgenommen, die seinen Werken in der BRD belastet, jedoch zum
privaten Gebrauch verwendet worden seien. Es sei davon auszugehen, dass
die Darlehensbeträge in die BRD zurückgeflossen seien, wobei zunächst die
Firma C. GmbH und hernach die Firma C. AG dazwischengeschaltet gewesen
sei. Auf diese Weise hätten die Beschuldigten in der BRD einen Steuerbetrag
von insgesamt mehr als 10 Millionen DM hinterzogen, dies fortgesetzt
begangen während mehreren Jahren bis 1984. Diese Steuerhinterziehung
sei von den Beschuldigten durch Urkundenfälschungen, Vorlage falschen
Buchwerkes, falscher Bilanzen und durch Abgabe falscher Steuererklärungen
begangen worden. Es liege also eine qualifizierte Steuerhinterziehung und
damit Abgabebetrug im Sinne von § 370 der deutschen Abgabenordnung vor,
so dass dem Ersuchen zu entsprechen sei.

    Nachdem die Bezirksanwaltschaft Zürich die Rechtshilfeleistung
vorerst abgelehnt hatte, stellte die Staatsanwaltschaft des Kantons
Zürich mit Entscheid vom 29. September 1986 in Gutheissung eines vom
Bundesamt für Polizeiwesen (BAP) erhobenen Rekurses fest, es liege
Verdacht auf Abgabebetrug im Sinne von Art. 3 Abs. 3 des Bundesgesetzes
vom 20. März 1981 über internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRSG,
SR 351.1) vor, weshalb dem Rechtshilfegesuch zu entsprechen sei. Am
12. Januar 1987 schritt die Bezirksanwaltschaft Zürich zur Beschlagnahme
der als beweiserheblich erachteten Akten der C. GmbH und der C. AG in
den Räumlichkeiten der letztgenannten Firma. Anschliessend. ebenfalls
noch am 12. sowie am 13. und 14. Januar 1988, wurden die Organe der
C. AG - die Verwaltungsräte X. sowie die Prokuristin Z. im Rahmen des
Rechtshilfeverfahrens als Zeugen einvernommen.

    Gegen die Verfügung der Bezirksanwaltschaft Zürich vom 12. Januar 1987
führte die C. AG Rekurs, mit dem sie (soweit hier wesentlich) beantragte,
die beschlagnahmten Akten seien im Sinne von § 101 der Strafprozessordnung
des Kantons Zürich vom 4. Mai 1919 (StPO) zu versiegeln.

    In ihrem Rekursentscheid vom 24. August 1987 führte die
Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich aus, der von der C. AG erst
mit dem Rekurs gegen die Beschlagnahmeverfügung gestellte Antrag, die
sichergestellten Akten seien einem Siegelungs- und Entsiegelungsverfahren
im Sinne von § 101 StPO zu unterziehen, sei zu spät gestellt worden. Die
Gesellschaftsorgane hätten ausreichend Gelegenheit gehabt, sich der
Durchsuchung und dem nachfolgenden Abtransport der Akten spontan zu
widersetzen, nachdem die Beweismittelbeschlagnahme in Anwesenheit der
Geschäftsführerin Z. vorgenommen worden und auch die beiden Verwaltungsräte
X. noch gleichentags bzw. einen Tag später anlässlich ihrer Zeugenbefragung
Kenntnis davon erhalten hätten. Sie hätten aber darauf verzichtet,
die Siegelung zu verlangen. Auf ihr erst mit dem Rekurs gestelltes
Siegelungsbegehren könne daher nicht eingetreten werden.

    Die C. AG führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Bundesgericht mit
dem Antrag (soweit hier wesentlich), die Verfügung vom 24. August 1987 sei
aufzuheben; die beschlagnahmten Akten seien zu versiegeln und versiegelt
aufzubewahren bis zu einem rechtskräftigen, gerichtlichen Entscheid
darüber, ob und in welchem Umfange diese Akten ausgeliefert werden dürfen.

    Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit auf sie eingetreten
werden kann.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 4

    4.- Einzutreten ist auf die Rüge der Beschwerdeführerin, die kantonalen
Behörden hätten die die Versiegelung von Akten betreffenden Bestimmungen
verletzt. Hierbei handelt es sich gemäss Art. 9 IRSG um Art. 69 BStP
und nicht um die - damit allerdings im wesentlichen übereinstimmende -
Vorschrift des § 101 StPO. Die Befugnis, die Versiegelung der am 12. Januar
1987 in ihren Räumlichkeiten beschlagnahmten Akten zu verlangen, stand
gemäss Art. 69 Abs. 3 BStP der Beschwerdeführerin als Inhaberin dieser
Akten bzw. ihren Organen zu (BGE 111 Ib 51 E. 3b; nicht publ. E. 8c von BGE
103 Ia 206 ff.). Entsprechend muss ihr auch die Möglichkeit offenstehen,
eine allfällige Verletzung dieses ihr zustehenden Rechtes geltend machen
zu können.

    Die Rüge ist indes unbegründet. Wie die Staatsanwaltschaft und das
BAP zu Recht ausgeführt haben, ist das Siegelungsbegehren von seiten
der Beschwerdeführerin zu spät gestellt worden. Aus Art. 69 Abs. 3
BStP und der soeben zitierten Rechtsprechung geht hervor, dass eine
Versiegelung erfolgt, wenn vom Inhaber der in Frage stehenden Akten
bzw. im Falle einer juristischen Person von einem ihrer zuständigen
Organe gegen die Durchsuchung Einsprache erhoben wird (s. auch nicht
publ. Urteil vom 5. Juni 1986 i.S. M., E. 6a, bezüglich der Art. 69 Abs. 3
BStP entsprechenden Bestimmung von Art. 50 Abs. 3 VStrR). Die Siegelung
bezweckt, dass der von einer gegen seine Geheimsphäre gerichteten Massnahme
Betroffene verlangen kann, dass nicht die Strafverfolgungsbehörde,
sondern der Richter über deren Zulässigkeit entscheidet (ROBERT HAUSER,
Kurzlehrbuch des schweizerischen Strafprozessrechts, 2. Auflage,
S. 202), dass also - auf den vorliegenden Fall bezogen - der Richter
darüber entscheidet, ob die Untersuchung der zu beschlagnahmenden Akten
überhaupt stattfinden dürfe. Dementsprechend ist vom Inhaber, der bei
der Durchsuchung anwesend ist, zu erwarten, dass er sich ihr unmittelbar
"widersetzt" (§ 101 StPO) bzw. unmittelbar gegen sie - wie erwähnt -
"Einsprache erhebt" (Art. 69 Abs. 3 BStP bzw. Art. 50 Abs. 3 VStrR, s. auch
nicht publ. Urteil vom 5. Juni 1986 i.S. M., E. 6a), und deshalb ist ihm
Gelegenheit einzuräumen, sich vor der Durchsuchung über den Inhalt der
in Frage stehenden Akten zu äussern; das Einverständnis des Inhabers ist
nicht zu vermuten, bis einem zuständigen Organ der juristischen Person,
die als Inhaber und Besitzer der Papiere zu betrachten ist, Gelegenheit
eingeräumt worden ist, sich im genannten Sinne zu äussern (s. nicht
publ. E. 8c von BGE 103 Ia 206 ff.). Erst nach geduldeter Durchsuchung
und Beschlagnahme die Siegelung zu verlangen, widerspricht dem Zweck
dieses Instituts, wie er aufgezeigt worden ist, bzw. vermag diesen gar
nicht mehr zu ermöglichen. Im vorliegenden Fall hatten die zuständigen
Gesellschaftsorgane ausreichend Gelegenheit, sich der Durchsuchung und dem
nachfolgenden Abtransport der am 12. Januar 1987 in den Räumlichkeiten
der Beschwerdeführerin beschlagnahmten Akten "spontan" im aufgezeigten
Sinne zu widersetzen. Die Beschwerdeführerin übersieht offenbar, dass
ihre Geschäftsführerin mit Prokura und Einzelzeichnungsberechtigung
Z. bei der Durchsuchung und Beschlagnahme anwesend war und dabei mit der
eigenhändig vorgenommenen Unterzeichnung des Hausdurchsuchungsprotokolls
bestätigte, von den massgebenden, diesem beigefügten Bestimmungen (§
88, 90, 92, 94-96, 99, 101 und 103 StPO) Kenntnis genommen zu haben;
dass es sich dabei betreffend Versiegelung um § 101 StPO und nicht um
Art. 69 BStP gehandelt hatte, ist in Anbetracht des Umstandes, dass
die beiden Bestimmungen - wie erwähnt - im wesentlichen miteinander
übereinstimmen, unerheblich. Die Behauptung der Beschwerdeführerin, ihre
Geschäftsführerin sei zur Unterschrift geradezu gedrängt worden, findet
in den Akten keine Stütze. Demnach ist davon auszugehen, dass wenigstens
ein vertretungsberechtigtes Organ der Gesellschaft Kenntnis hatte von
der Befugnis, sich der Durchsuchung mit einer Einsprache bzw. einem
Siegelungsbegehren widersetzen zu können. Dass die Geschäftsführerin dies
dann unterliess, hat sie sich selber zuzuschreiben; die Beschwerdeführerin
muss sich das Verhalten ihrer Geschäftsführerin aber als eigenes anrechnen
lassen. Mangels eines entsprechenden Begehrens durften die zuständigen
Beamten die Durchsuchung und Beschlagnahme dann eben vornehmen, ohne
dass eine Siegelung angeordnet werden musste. Die Vorwürfe, bei der
Durchsuchung und Beschlagnahme seien Verfahrensfehler begangen worden,
sind demnach unbegründet.