Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 114 IB 301



114 Ib 301

45. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom
14. September 1988 i.S. Einwohnergemeinde Wohlen und Staat Bern gegen
Bernische Kraftwerke AG und Verwaltungsgericht (I. Kammer) des Kantons Bern
(Verwaltungsgerichtsbeschwerde) Regeste

    Art. 5 Abs. 2 RPG; materielle Enteignung.

    1. Begriff der Nichteinzonung. Grundsätze der Entschädigungspflicht
bei Nichteinzonungen (Bestätigung der Rechtsprechung, E. 3a-d).

    2. Land, das keiner Bauzone zugewiesen ist, welche den
verfassungsmässigen Anforderungen entspricht, und das auch nicht
zum engeren Baugebiet gehört, ist im Regelfall nicht Bauland im
enteignungsrechtlichen Sinne (E. 3e).

Sachverhalt

    A.- Die Bernische Kraftwerke AG (BKW) ist Eigentümerin der Parzellen
Nrn. 3133, 3478 und 3501 in der Gemeinde Wohlen. Die im Ortsteil
Unterdettigen, nicht im engeren Baugebiet von Wohlen gelegenen Parzellen
bilden einen zusammenhängenden Grundstückskomplex, der zwischen der
Unterdettigenstrasse und dem Wohlensee gelegen ist. Die an den Wohlensee
anstossenden Grundstücke Nrn. 3478 und 3501 sind seit den Jahren
1950 und 1953 mit Dienstbarkeiten zugunsten des Staates Bern belastet:
Parzelle Nr. 3478 darf zum Schutze des Landschaftsbildes nicht überbaut
und auf Parzelle Nr. 3501 dürfen bis zu einer Tiefe von 30 m ab Seeufer
nur Bootshäuser errichtet werden.

    Gemäss der Bauordnung der Gemeinde Wohlen für Unterdettigen vom
29. September 1962 war ein Streifen von 30 m Tiefe, gemessen von der
entlang der Unterdettigenstrasse gezogenen Baulinie an, der Wohnzone
W2 zugewiesen. Am 1. Januar 1971 trat das Berner Baugesetz vom
7. Juni 1970 (BauG) in Kraft, das die Gemeinden verpflichtete, innert
drei Jahren ein Baureglement mit Zonenplan zu erlassen, welcher das
Baugebiet vom übrigen Gemeindegebiet abgrenzt. Aufgrund des BMR wies der
Regierungsrat des Kantons Bern den gesamten Geländestreifen südlich der
Unterdettigenstrasse bis zum Wohlensee einem provisorischen Schutzgebiet I
zu. Bei dem von der Gemeindeversammlung am 3. Dezember 1975 beschlossenen
Zonenplan im Sinne des BauG gelangten die Grundstücke der BKW in das
Landschaftsschutzgebiet, in dem nur eine landwirtschaftliche Nutzung
erlaubt ist. Diese Zoneneinteilung wurde im Beschwerdeverfahren sowohl
vom Regierungsrat des Kantons Bern als auch vom Bundesgericht geschützt.

    Zufolge der Einweisung ihrer Parzellen in das Landschaftsschutzgebiet
erhob die BKW eine Forderung wegen materieller Enteignung. Die
Enteignungsschätzungskommission des Kreises II wies das Begehren
ab. Das Verwaltungsgericht des Kantons Bern gelangte hingegen mit dem
angefochtenen Entscheid vom 15. September 1986 zur teilweisen Gutheissung
des Entschädigungsbegehrens. Das Gericht verneinte eine enteignungsähnliche
Wirkung für die beiden mit Dienstbarkeiten zugunsten des Staates Bern
belasteten Parzellen Nrn. 3478 und 3501 sowie für den östlichen Teil
der an die Unterdettigenstrasse anstossenden Parzelle Nr. 3133. Für den
westlichen Teil der Parzelle Nr. 3133 gelangte das Gericht jedoch zum
Ergebnis, dass er enteignungsrechtlich relevante Baulandqualität besessen
habe, da er voll erschlossen sei.

    Gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts haben der Staat Bern
und die Einwohnergemeinde Wohlen mit getrennten Beschwerdeschriften
Verwaltungsgerichtsbeschwerde erhoben. Sie machen geltend,
auch für den westlichen Teil des Grundstücks Nr. 3133 liege keine
materielle Enteignung vor, weil der Eingriff kein enteignungsrechtlich
relevantes Bauland getroffen habe. Das Bundesgericht heisst die beiden
Verwaltungsgerichtsbeschwerden gut und weist die Klage der BKW aus
materieller Enteignung ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- a) Gemäss gefestigter bundesgerichtlicher Rechtsprechung kann
in der Regel, vom Entzug einer wesentlichen aus dem Eigentum fliessenden
Befugnis zum vornherein nur dann gesprochen werden, wenn im Zeitpunkt der
geltend gemachten Eigentumsbeschränkung eine raumplanerische Grundordnung
galt, welche die Berechtigung zum Bauen auf dem fraglichen Grundstück
einschloss (BGE 112 Ib 110 E. 3; 398 E. 5a, je mit Verweisungen). Eine
solche Grundordnung liegt vor, wenn die Gemeinde über einen Nutzungsplan
verfügt, der das gemäss den gesetzlichen Anforderungen festgelegte
Baugebiet in zweckmässiger Weise rechtsverbindlich vom Nichtbaugebiet
trennt, wie dies Art. 22quater BV verlangt. Gemäss den bundesrechtlichen
Anforderungen ist das Baugebiet nach dem voraussichtlichen Bedarf der
kommenden fünfzehn Jahre zu bemessen und innert dieser Zeit in Etappen
zu erschliessen (Art. 19 GschG in Verbindung mit Art. 15 AGSchV, Art. 4
ff. WEG, Art. 14 ff. RPG).

    b) Wird bei der erstmaligen Schaffung einer raumplanerischen
Grundordnung, welche den gesetzlichen Anforderungen entspricht, eine
Liegenschaft keiner Bauzone zugewiesen, so liegt gemäss der von der neueren
Rechtsprechung des Bundesgerichts seit 1983 zur Klarstellung der Rechtslage
befolgten Terminologie eine Nichteinzonung vor (non-classement en zone à
bâtir; non attribuzione alla zona edificabile); und zwar auch dann, wenn
nach früherem Recht das entsprechende Areal überbaut werden konnte (BGE
112 Ib 110 E. 3; 400 E. 5b; 487 E. 4a; 109 Ib 17 E. 4a sowie zahlreiche
nicht publizierte Entscheide, u.a. Urteile vom 28. Jan. 1987 i.S. Klinge
c. Sonvico, E. 3e, S. 12, vom 23. Februar 1983 i.S. Consolidated Trust
c. Dully, E. 3b, S. 18f.).

    c) Mit der gestützt auf Art. 22quater BV angeordneten Begrenzung des
Baugebiets hat der Gesetzgeber für das ganze Gebiet der Eidgenossenschaft
einheitlich den Inhalt des Grundeigentums ausserhalb der Bauzonen
festgelegt. Wie das Bundesgericht wiederholt ausgeführt hat, löst diese
Inhaltsbestimmung grundsätzlich keine Entschädigungspflicht aus (BGE 112 Ib
398 E. 5a mit Hinweisen; Urteil vom 21. November 1984 i.S. Müller c. Davos,
ZBl 86/1985 S. 212 E. 4a, je mit Hinweisen; 105 Ia 338 E. 3e; Urteil
vom 23. Februar 1983 i.S. Consolidated Trust c. Dully, E. 3b, S. 9).

    d) Durch eine Nichteinzonung, welche Folge der geforderten
Baugebietsbegrenzung ist, wird dem von ihr betroffenen Eigentümer,
wie dargelegt (E. 3a, c), in der Regel keine wesentliche aus seinem
Eigentum fliessende Befugnis entzogen. Ausnahmsweise kann indessen die
Nichteinzonung den Eigentümer enteignungsähnlich treffen. Dies ist etwa
dann der Fall, wenn es um baureifes oder grob erschlossenes Land geht, das
von einem gewässerschutzrechtskonformen generellen Kanalisationsprojekt
(GKP) erfasst wird, und wenn der Eigentümer für die Erschliessung und
Überbauung dieses Landes schon erhebliche Kosten aufgewendet hat (BGE 105
Ia 338 E. 3d). In einem solchen Fall können Umstände vorliegen, welche
die Einzonung geboten hätten. Trifft das zu, so ist anzunehmen, dass am
massgebenden Stichtag mit hoher Wahrscheinlichkeit mit einer Überbauung
des betreffenden Landes hätte gerechnet werden dürfen (BGE 112 Ib 491
E. 5 mit Hinweisen; siehe auch Urteil vom 10. November 1982 i.S. Wohlen
c. Bergmann, E. 2b, S. 11 ff., publiziert in BVR 1983 S. 210 f.).

    e) Diese Grundsätze gelten auch für erschlossenes oder erschliessbares
Land. Dies ergibt sich aus dem Vorrang der rechtlichen Gegebenheiten,
auf die in erster Linie abzustellen ist (BGE 112 Ib 109 E. 2b; 390 E. 3,
je mit Hinweisen; Urteil vom 10. November 1982 i.S. Wohlen c. Bergmann
E. 2a, S. 11, publiziert in BVR 1983, S. 209; Urteil vom 23. Februar
1983 i.S. Krattigen c. Thomann, E. 3, S. 7 ff.). Erste Voraussetzung
der Überbaubarkeit einer Parzelle und damit deren Baulandqualität bildet
die Zugehörigkeit des entsprechenden Landes zu einer Bauzone, welche den
verfassungs- und gesetzmässigen Anforderungen entspricht und welche die
Berechtigung zum Bauen auf dem fraglichen Grundstück einschliesst. Ist
ein Grundstück nicht in diesem Sinne eingezont, so ist es - wie einzelne
kantonale Rechte sagen - planungsrechtlich nicht baureif, was zur Folge
hat, dass es auch nicht Bauland im enteignungsrechtlichen Sinne ist,
es sei denn, es liege ein Ausnahmefall vor.

    (Folgt Prüfung, ob unter Zugrundelegung der in E. 3 dargelegten
Grundsätze im zu beurteilenden Fall eine materielle Enteignung zu bejahen
ist. Frage verneint.)