Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 114 IB 174



114 Ib 174

27. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 10.
April 1988 i.S. Erbengemeinschaft J. gegen Stadt Schaffhausen und
Obergericht des Kantons Schaffhausen (Verwaltungsgerichtsbeschwerde)
Regeste

    Art. 5 Abs. 2 RPG; Übernahme von in die Zone für öffentliche Bauten
umgeteilten Grundstücken, Verzinsung der Entschädigung.

    Sieht das kantonale Recht die Möglichkeit der Übernahme der in die
Zone für öffentliche Bauten und Anlagen umgeteilten Grundstücke für jeden
Fall vor, so gelten insoweit, als durch die Umzonung eine materielle
Enteignung bewirkt wird, die sich aus Art. 5 Abs. 2 RPG ergebenden
Entschädigungsregeln (E. 2 und 3). Dieser Teil der Entschädigung ist daher
grundsätzlich schon vor der Übernahme durch das Gemeinwesen zu verzinsen
(E. 4).

Sachverhalt

    A.- Das im "Sandacker" in Schaffhausen liegende Grundstück der
Erbengemeinschaft J. wurde anlässlich der Zonenplan-Revision im Jahre 1982
von der Wohnzone mit hoher Ausnützung in die Zone für öffentliche Bauten,
Anlagen und Grünflächen umgeteilt. Der neue Zonenplan vom 26. September
1982 trat mit der vom Regierungsrat am 12. September 1983 erteilten
Genehmigung in Rechtskraft. Schon vorher, nämlich am 12. Januar 1983,
hatte die Erbengemeinschaft J. den Stadtrat Schaffhausen gestützt auf
Art. 6 Abs. 2 des kantonalen Baugesetzes (BauG) ersucht, das Grundstück
Nr. 1238 zu Eigentum zu übernehmen. Da über den Übernahmepreis keine
Einigung erzielt werden konnte, gelangte die Grundeigentümerin an die
kantonale Schätzungskommission für Enteignungen und stellte den Antrag, der
Übernahmepreis sei auf Fr. 185.--/m2 festzusetzen und ab 12. September 1983
zu verzinsen. Die kantonale Schätzungskommission entschied am 6. Oktober
1986, die Stadtgemeinde Schaffhausen habe das Grundstück zu einem Preis
von Fr. 125.--/m2 zu übernehmen und diesen nach Ablauf von 30 Tagen seit
der rechtskräftigen Feststellung zu 5% zu verzinsen. Diesen Entscheid focht
die Erbengemeinschaft J. beim Obergericht des Kantons Schaffhausen an.

    Im Verfahren vor Obergericht schlossen die Parteien am 30. April 1987
einen Vergleich, gemäss dem sich die Stadt Schaffhausen verpflichtete,
das Grundstück zum Preis von Fr. 145.--/m2 zu übernehmen. Zahlung und
Eigentumsübergang erfolgten am 10. Juni 1987. Hinsichtlich der Frage
der Zinspflicht kam keine Einigung zustande und wurde das Verfahren
fortgesetzt. Mit Entscheid vom 16. Oktober 1987 wies das Obergericht den
Antrag der Grundeigentümerin auf Verzinsung des Übernahmepreises ab. Gegen
diesen Entscheid hat die Erbengemeinschaft J. Verwaltungsgerichtsbeschwerde
erhoben.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Die Beschwerdeführerin macht geltend, das Obergericht hätte
bei der Entschädigungsfestsetzung nicht die für die formelle Enteignung
geltenden Regeln, sondern jene für die materielle Enteignung beiziehen
und deshalb die Verzinsung des Übernahmepreises anordnen müssen; in der
Verneinung der Zinspflicht liege ein Verstoss gegen den Anspruch der
Grundeigentümerin auf volle Entschädigung im Sinne von Art. 5 Abs. 2
des Bundesgesetzes über die Raumplanung (RPG). Ob sich eine Verfügung zu
Unrecht nur auf kantonales Recht stütze und Bundesrecht missachtet worden
sei, ist grundsätzlich im verwaltungsgerichtlichen Verfahren zu prüfen
(BGE 112 Ib 165 f. 237 E. 2a). Dies gilt in raumplanerischen Belangen
aufgrund der ausdrücklichen Bestimmung von Art. 34 Abs. 1 RPG auch für
Fragen der Entschädigung für materielle Enteignung. Die eingereichte
Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist daher zulässig.

Erwägung 2

    2.- a) Art. 6 des Baugesetzes für den Kanton Schaffhausen vom
9. November 1964 (BauG) lautet:

    "Die Gemeinden sind befugt, bestimmte Gebiete für künftige öffentliche

    Bauten und Anlagen, wie Schulhäuser, Verwaltungsgebäude, Kirchen,

    Friedhöfe oder Park-, Spiel- und Sportplätze sowie Grünflächen,
   auszuscheiden. Auf diesen Gebieten dürfen keine privaten Bauten erstellt
   werden. Zulässig sind nur solche bauliche Massnahmen, die zum Unterhalt
   der bestehenden Gebäude notwendig sind.

    Vom Tage der Genehmigung des Zonenplanes an können die betroffenen

    Grundeigentümer durch schriftliche Bekanntgabe ihres Angebotes die

    Eigentumsübertragung des Landes verlangen, das im Zonenplan für Bauten
   und Anlagen im Sinne von Abs. 1 reserviert ist. Der Gemeinde steht
   das gleiche Recht zu, sobald die Projekte für diese Bauten und Anlagen
   genehmigt und die erforderlichen Kredite bewilligt sind. Kommt zwischen
   den Grundeigentümern und der Gemeinde keine Einigung zustande, so
   ist die

    Enteignung durchzuführen. Das Enteignungsverfahren beschränkt sich
auf die

    Behandlung der angemeldeten Forderungen."

    b) Das kantonale Enteignungsgesetz vom 21. Dezember 1964 (kEntG)
wurde anlässlich der Revision vom 4. Juni 1984 (in Kraft seit 1. März
1985) durch zahlreiche Bestimmungen über das Verfahren bei materieller
Enteignung ergänzt. Unter anderem ist ein Recht auf "Ausdehnung" in dem
Sinne geschaffen worden, dass der Eigentümer vom Gemeinwesen die Übernahme
des durch die Eigentumsbeschränkung belasteten Grundstücks verlangen kann,
wenn die zu leistende Entschädigung mehr als zwei Drittel des Wertes
beträgt, der für das Grundstück im Falle der formellen Enteignung bezahlt
werden müsste (Art. 47e Abs. I kEntG). Unter bestimmten Voraussetzungen
kann auch das Gemeinwesen ein Übernahmebegehren stellen (vgl. Art. 47e
Abs. 2 kEntG). Das Begehren um formelle Enteignung kann so lange gestellt
werden, als die Geltendmachung eines Entschädigungsanspruches wegen
materieller Enteignung möglich ist (Art. 47e Abs. 3 kEntG).

    Im Falle der materiellen Enteignung ist die Entschädigung gemäss
Art. 47i kEntG vom Zeitpunkt an, an dem sie erstmals schriftlich geltend
gemacht worden ist, zu 5% zu verzinsen, Bei formeller Enteignung wird die
Entschädigung nach Art. 43 kEntG nach 30 Tagen seit ihrer rechtskräftigen
Feststellung fällig und ist, sofern keine vorzeitige Besitzergreifung
stattgefunden hat, von diesem Zeitpunkt an zu 5% zu verzinsen.

Erwägung 3

    3.- Das Obergericht vertritt die Auffassung, die "Übernahme" im Sinne
von Art. 6 BauG sei im Gegensatz zur "Ausdehnung" gemäss Art. 47e kEntG ein
selbständiges Institut des kantonalen Rechts, das ausschliesslich den für
die formelle Enteignung geltenden kantonalen Entschädigungsvorschriften
unterstehe, unabhängig davon, zu welcher Eigentumsbeschränkung die der
Übernahme eines Grundstücks vorangehende Umzonung führt. Dieser Meinung
ist nicht zu folgen.

    a) Führen Planungen gemäss Raumplanungsgesetz
zu Eigentumsbeschränkungen, die einer Enteignung gleichkommen,
so steht den betroffenen Eigentümern nach Art. 5 Abs. 2 RPG ein
bundesrechtlicher Anspruch auf volle Entschädigung zu. Zu ersetzen ist
danach der Minderwert des Grundstücks, der durch den enteignungsähnlichen
Eingriff entsteht. Dagegen gewährt Art. 5 Abs. 2 RPG - im Gegensatz zu den
bundesrechtlichen Bestimmungen über die formelle Enteignung (vgl. Art. 12
f. EntG) - keinen Anspruch auf Ausdehnung der materiellen Enteignung. Es
bleibt vielmehr dem kantonalen Gesetzgeber überlassen, ob er ein solches
Ausdehnungs-, Übernahme- oder sogenanntes Heimschlagsrecht vorsehen will,
sei es auf einen enteignungsähnlichen, sei es auf einen weniger weit
gehenden Eingriff hin. Die Schaffung eines kantonalen Heimschlagsrechtes
ändert jedoch grundsätzlich nichts daran, dass der Entschädigungsanspruch,
der sich aus Art. 5 Abs. 2 RPG ergibt, ein bundesrechtlicher ist und
durch kantonale Bestimmungen nicht geschmälert werden darf. Einzig dann,
wenn der Heimschlag aufgrund des kantonalen Rechts auf eine planerische
Massnahme hin gewährt wird, die zu keiner materiellen Enteignung führt
und somit nicht unter Art. 5 Abs. 2 RPG fällt, ist der Richter nicht
an die bundesrechtliche Garantie gebunden und darf die Entschädigung
ausschliesslich nach den kantonalen Vorschriften bemessen werden. Dagegen
bedeutet die Tatsache, dass der Heimschlag auch für nicht enteignungsgleich
wirkende Eingriffe zur Verfügung steht, allein noch nicht, dass dieser
ein selbständiges Institut des kantonalen Rechts sei und nie Folge einer
Planungsmassnahme im Sinne des RPG sein könne. Insofern ist die bisherige
Rechtsprechung (vgl. insbesondere Urteil vom 17. Februar 1982, publ.
in ZBl 83/1982 S. 207 ff.) zu präzisieren.

    b) Wird Bauland einer Zone für öffentliche Bauten und Anlagen
zugewiesen, so läuft dies regelmässig auf eine materielle Enteignung hinaus
(vgl. BGE 112 Ib 494 f. E. 10b, 109 Ib 262 f. E. 2a, 108 Ib 337 f.). Im
vorliegenden Fall ist unbestritten, dass die Parzelle Nr. 1238 vor der
Umzonung zum Baugebiet gehörte. Das Obergericht stellt im angefochtenen
Entscheid selbst fest, dass das Grundstück seit 1968 in der Wohnzone
mit hoher Ausnützung lag, im wesentlichen erschlossen sei und bereits ein
Quartierplan vorliege. Auch aus dem vereinbarten Übernahmepreis ergibt sich
die Baulandqualität des fraglichen Bodens. Steht damit fest, dass durch
die Umteilung des Grundstücks Nr. 1238 in die Zone für öffentliche Bauten
und Anlagen eine materielle Enteignung bewirkt wurde, so steht insoweit
der Grundeigentümerin ein bundesrechtlicher Entschädigungsanspruch zu,
der grundsätzlich auch die Verzinsung des Minderwert-Ersatzes mitumfasst.
Abweichende kantonalrechtliche Bestimmungen können nur insofern Anwendung
finden, als die der materiellen Enteignung nachfolgende formelle
Expropriation in Form der Übernahme und die Entschädigung für diese in
Frage steht.

    Die Schaffhauser Regelung lässt sich übrigens durch entsprechende
Auslegung und Anwendung durchaus mit diesen Grundsätzen vereinbaren. Es
steht ausser Zweifel, dass im vorliegenden Fall nicht nur die
Voraussetzungen für eine Übernahme nach Art. 6 BauG, sondern auch
jene für eine Ausdehnung im Sinne von Art. 47e kEntG erfüllt sind -
wenn es auch hier nicht Sache des Bundesgerichts sein kann, die Anteile
der Entschädigung für die materielle bzw. für die formelle Enteignung
zu bestimmen. Demnach sind auf den Entschädigungsbetrag, der für die
sich aus der Umzonung ergebenden materielle Enteignung geschuldet wird,
die Bestimmungen für die materielle Enteignung anzuwenden, während die
Geltung der Vorschriften über die formelle Enteignung auf die Bemessung
der Entschädigung für den landwirtschaftlichen Restwert beschränkt bleiben
muss. Selbst wenn der kantonale Gesetzgeber - wie das Obergericht geltend
macht - keine derartige Aufteilung beabsichtigte, hat sie der Richter
aufgrund des zwingenden Bundesrechts vorzunehmen.

Erwägung 4

    4.- Nach bundesgerichtlicher Praxis steht dem Grundeigentümer,
der durch eine materielle Enteignung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 RPG
betroffen wird, grundsätzlich von dem Tage an ein Anspruch auf Verzinsung
der Entschädigung zu, an dem er unmissverständlich um Vergütung für
den Eingriff ersucht, frühestens aber ab Entstehen der Forderung bei
Inkrafttreten der Eigentumsbeschränkung (BGE 113 Ib 33, 112 Ib 511 f. E. 4,
109 Ib 262 ff. E. 2). Immerhin sind Ausnahmefälle denkbar, in denen sich
die Verzinsung der Entschädigung nicht oder nur beschränkt rechtfertigen
liesse, so etwa, wenn das umgezonte Grundstück bereits überbaut ist und
bis zur Übernahme durch das Gemeinwesen weiterhin einen dem Baulandwert
entsprechenden Ertrag abwirft (vgl. BGE 112 Ib 511 E. 4). Dagegen erweist
sich der Einwand der Stadt Schaffhausen, das hier umstrittene Grundstück
habe bis zur Eigentumsübertragung landwirtschaftlich genutzt werden
können, schon deshalb nicht als stichhaltig, weil nach dem Gesagten nur die
Entschädigung für die materielle Enteignung, das heisst nur die Vergütung
für den Verlust der Baulandqualität vom Tage des Entschädigungsbegehrens an
verzinst werden muss, während sich die Verzinsung des Übernahmepreises für
den landwirtschaftlichen Restwert nach Art. 43 kEntG richtet. Ebensowenig
ist dem Obergericht zu folgen, das die Zinspflicht unter anderem aus der
Überlegung verneint, dass zwar der Grundeigentümerin mit der Umzonung
des Grundstücks tatsächlich die Baufreiheit und damit eine wesentliche
Nutzungsmöglichkeit entzogen worden sei, diese jedoch nicht dargelegt
habe, dass eine Überbauung mit einiger Wahrscheinlichkeit noch vor der
Übernahme durch das Gemeinwesen stattgefunden hätte. Das Obergericht
scheint zu übersehen, dass das fragliche Grundstück vor der Zuteilung
zur Zone für öffentliche Anlagen einen Baulandwert aufwies, dass dieser
Baulandwert durch die Umzonung verlorenging bzw. an das Gemeinwesen
abgetreten wurde und dass das Grundstück von diesem Zeitpunkt an nur
landwirtschaftlich genutzt werden konnte und bloss die Preisänderungen
für landwirtschaftlichen Boden mitmachte (BGE 112 Ib 495). Das genügt
für die Zusprechung eines Schadenszinses. Der vom Obergericht verlangte
zusätzliche Nachweis, dass der Baulandwert ohne die planerische Massnahme
in allernächster Zeit, noch vor dem Übernahmezeitpunkt, realisiert worden
wäre, liefe darauf hinaus, strengere Voraussetzungen an den Begriff der
materiellen Enteignung selbst zu stellen, der aber von den Kantonen weder
erweitert noch eingeschränkt werden darf (vgl. BGE 110 Ib 31 f. E. 3).

    Was schliesslich die in Art. 47i kEntG vorgesehene Höhe des Zinsfusses
von 5% anbelangt, so ist damit eine Lösung getroffen worden, die
zumindest zur Zeit dem bundesrechtlichen Anspruch auf volle Entschädigung
genügt. Allerdings gilt auch in dieser Hinsicht der Vorbehalt, dass in
Sonderfällen, in denen der durch den Nutzungsverlust eingetretene Schaden
nachgewiesenermassen grösser oder kleiner sein sollte, der Zinssatz
angepasst oder ein zusätzlicher Schaden vergütet werden müsste.