Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 114 IB 125



114 Ib 125

18. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
vom 17. Juni 1988 i.S. Erika Oggier-Kummer und Mitbeteiligte gegen
Munizipalgemeinde Bitsch und Justiz-, Polizei- und Militärdepartement
des Kantons Wallis (Verwaltungsgerichtsbeschwerden) Regeste

    Bau einer Gemeindeschiessanlage; Bewilligungsverfahren.

    1. Zulässigkeit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde (E. 2).

    2. Die Prüfung der Frage, ob sich eine Örtlichkeit in
schiesspolizeilicher Hinsicht für eine Schiessanlage eigne, hat im Rahmen
der gesamthaften Beurteilung des Bauprojektes im Baubewilligungsverfahren,
gegebenenfalls bei der umfassenden Interessenabwägung nach Art. 24 Abs. 1
lit. b RPG zu erfolgen (E. 4).

Sachverhalt

    A.- Die Gemeinde Bitsch beabsichtigt, einen neuen Gemeindeschiessstand
für Schiessübungen auf 300 m Distanz zu erstellen. Gemäss dem Beschluss des
Staatsrates des Kantons Wallis vom 16. Februar 1977 über die Schiessvereine
und die Aufsicht des Schiesswesens veröffentlichte die Gemeinde im
Amtsblatt Nr. 7 vom 15. Februar 1985 die vom zuständigen eidgenössischen
Schiessoffizier als geeignet bezeichnete Schusslinie. Gegen den geplanten
Schiessbetrieb gingen in der Folge mehrere Einsprachen ein. Der Gemeinderat
überwies diese dem kantonalen Justiz-, Polizei- und Militärdepartement mit
dem Antrag, die Schusslinie zu genehmigen und die Einsprachen abzuweisen.

    Mit Verfügung vom 7. Oktober 1987 wies der Stellvertreter des
Vorstehers des Justiz-, Polizei- und Militärdepartementes des Kantons
Wallis die Einsprachen ab, soweit er auf sie eintrat, und genehmigte die
Schusslinie der Munizipalgemeinde Bitsch. Die Verfügung enthält unter
Hinweis auf Art. 26 der eidgenössischen Verordnung über das Schiesswesen
ausser Dienst vom 29. November 1935 (SR 512.31) die Rechtsmittelbelehrung,
dass sie innert 30 Tagen an das Eidgenössische Militärdepartement
weitergezogen werden könne. Hievon machten Erika Oggier-Kummer und
Mitbeteiligte Gebrauch. Das Eidgenössische Militärdepartement gelangte
hierauf mit Schreiben vom 8. Januar 1988 an das Bundesamt für Justiz, da
es seine Zuständigkeit für die Beurteilung der Beschwerden verneinte. Es
handle sich - so die Ansicht des Departements - nicht um Beschwerden im
Sinne von Art. 26 der Verordnung über das Schiesswesen ausser Dienst. Diese
Bestimmung beziehe sich auf "Anstände betreffend Anweisung und Benützung
von Schiessplätzen"; ein solcher Streit stehe indessen hier nicht zur
Diskussion.

    Das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement eröffnete hierauf
mit dem Bundesgericht einen Meinungsaustausch über die Frage, wer zur
Beurteilung der Beschwerden zuständig sei. Es wies darauf hin, dass die
Erstellung des Schiessplatzes, der in der Landwirtschaftszone errichtet
werden solle, eine Ausnahmebewilligung nach Art. 24 des Bundesgesetzes
über die Raumplanung vom 22. Juni 1979 (RPG) benötige. Mit dem Hinweis
auf BGE 112 Ib 39 ff. vertrat es die Auffassung, dass das Bundesgericht
zuständig sei. Mit Antwort vom 10. März 1988 schloss sich der Präsident
der I. öffentlichrechtlichen Abteilung dieser Auffassung an.

    Das Bundesgericht nimmt die Eingaben als Verwaltungsgerichtsbeschwerden
entgegen und heisst diese gut, soweit es darauf eintritt.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Die projektierte Gemeindeschiessanlage muss von der Gemeinde
gemäss Art. 32 des Bundesgesetzes über die Militärorganisation vom 12.
April 1907 für die obligatorischen Schiessübungen unentgeltlich zur
Verfügung gestellt werden. Nötigenfalls kann für deren Erstellung das
eidgenössische Enteignungsrecht bewilligt werden. Wie in der angefochtenen
Verfügung zutreffend dargelegt wird, untersteht die Anlage der kantonalen
Bauhoheit, d.h. sie bedarf einer Baubewilligung der Gemeinde und des
Kantons gemäss der kantonalen Bauverordnung vom 5. Januar 1983. Im
entsprechenden Verfahren ist zu prüfen, ob die Anlage den einschlägigen
Vorschriften des eidgenössischen und kantonalen Rechts entspricht.

    a) Wie in dem zwischen dem Eidgenössischen Justiz- und
Polizeidepartement und dem Bundesgericht durchgeführten Meinungsaustausch
festgestellt wurde, stellen Streitfragen über die Zulässigkeit neuer
Schiessanlagen keine "Anstände betreffend Anweisung und Benützung von
Schiessplätzen" im Sinne von Art. 26 der Verordnung über das Schiesswesen
ausser Dienst dar. Das Eidgenössische Militärdepartement ist daher zur
Beurteilung der Beschwerden nicht zuständig.

    b) Die Zuständigkeit des Bundesrates zur Beschwerdebeurteilung wäre
gegeben, wenn die Verwaltungsgerichtsbeschwerde aus einem der in den
Art. 99 bis 101 OG genannten Gründe unzulässig wäre. Dies trifft nicht
zu. Entgegen der vom Bundesrat in einem nicht publizierten Entscheid
vom 26. August 1987 in Sachen E. und Mitbeteiligte c. Justiz-, Polizei-
und Militärdepartement des Kantons Wallis getroffenen Annahme kann nicht
von einer Planverfügung im Sinne von Art. 99 lit. c OG gesprochen werden,
wenden sich doch die Einsprecher, indem sie sich gegen die Genehmigung
der Schusslinie richten, gegen die ihnen für das Überschiessrecht
bzw. für die Beeinträchtigung des nachbarrechtlichen Abwehranspruches
drohende Enteignung. Auch geht es nicht um die Erteilung einer Bau-
oder Betriebsbewilligung für technische Anlagen oder für Fahrzeuge im
Sinne von Art. 99 lit. e OG, da mit der Genehmigung der Schusslinie
keine Baubewilligung verbunden ist. Es ergibt sich hieraus -
wie im Meinungsaustausch zwischen dem Eidgenössischen Justiz- und
Polizeidepartement und dem Bundesgericht festgestellt wurde -, dass
das Bundesgericht zur Beurteilung der Beschwerden zuständig ist. Auf
die rechtzeitig eingereichten Beschwerden ist demgemäss grundsätzlich
einzutreten.

Erwägung 3

    3.- Die Beschwerdeführer erheben als erstes den Vorwurf der formellen
Rechtsverweigerung, weil das im Beschluss des Staatsrates vom 16.
Februar 1977 über die Schiessvereine und die Aufsicht des Schiesswesens
für die Anerkennung einer Schusslinie vorgesehene Verfahren nicht
richtig durchgeführt worden sei. Sie hätten aus diesem Grunde keine volle
Akteneinsicht erhalten, namentlich hätten sie auch nicht in ausreichendem
Masse zur Frage der Lärmbelästigung Stellung nehmen können.

    Das Justiz-, Polizei- und Militärdepartement anerkennt, dass das
Verfahren nicht genau gemäss dem in Art. 10 ff. des Staatsratsbeschlusses
vorgesehenen Verfahren durchgeführt worden sei, ist jedoch der Meinung,
die Einsprecher hätten deswegen keinen Rechtsnachteil erlitten. Dieser
Auffassung kann kaum gefolgt werden, ergibt sich doch aus den Akten,
dass nicht nur am 12. September 1984 - somit vor der am 15. Februar 1985
erfolgten Auflage des Schusslinienplanes - Lärmmessungen durchgeführt
wurden, sondern auch noch während der Hängigkeit des Rekursverfahrens vor
dem Justiz-, Polizei- und Militärdepartement am 29. August 1986. Es ging
dabei um eine Lärmanalyse im Sinne einer Beweiserhebung. Diese hätte den
Einsprechern zur Stellungnahme zugestellt werden müssen (BGE 104 Ia 71
E. 3b mit Hinweisen). Doch kann die Frage offengelassen werden, ob die
Beschwerden bereits aus diesem Grunde gutzuheissen sind, ergibt sich
doch aus den nachfolgenden Erwägungen, dass die angefochtene Verfügung
aus verfahrensrechtlichen Gründen nicht haltbar ist, gegen Bundesrecht
verstösst und daher aufgehoben werden muss.

Erwägung 4

    4.- Wie der angefochtene Entscheid zutreffend festhält, bedarf die
Errichtung einer kommunalen Schiessanlage einer Baubewilligung, die
in dem in der kantonalen Bauverordnung vom 5. Januar 1983 geregelten
Verfahren zu erteilen ist. In diesem Verfahren werden die für den
Entscheid wesentlichen planungs- und baurechtlichen Fragen, zu denen auch
die Belange des Immissionsschutzes zählen, beurteilt (BGE 112 Ib 39 ff.,
insbesondere 46 ff., E. 4 betreffend die durch den Schiessbetrieb erzeugten
Lärmimmissionen). Der angefochtene Entscheid geht demgegenüber davon
aus, bei der Genehmigung der Schusslinie durch das kantonale Justiz-,
Polizei- und Militärdepartement handle es sich um eine selbständige
Sonderbewilligung im Sinne von Art. 37 der Bauverordnung. Dieser Auffassung
kann nicht gefolgt werden.

    a) Bereits die in Art. 37 Abs. 1 der Bauverordnung aufgeführten
Beispiele von Spezialbewilligungen - Konzessionen, Patente etc. -
weisen darauf hin, dass sich diese Bewilligungen nicht auf Teilfragen
eines Bauvorhabens, welche notwendigerweise für die Beurteilung der
baurechtlichen Zulässigkeit abgeklärt werden müssen, beziehen können;
andernfalls würde in unsachgemässer Weise Zusammengehörendes in
Teilbereiche getrennt, die nur im Rahmen der gesamthaften Beurteilung
des Vorhabens richtig geprüft werden können. Gemäss dem angefochtenen
Entscheid erstreckt sich die Beurteilung der Schusslinie namentlich
auf schiesspolizeiliche Fragen. Zu diesen Fragen zählt jedoch auch die
Lärmbelastung, welche der Schiessbetrieb auslöst. Deren Beurteilung setzt
notwendigerweise die Kenntnis des Projektes voraus, da sie entscheidend
von der baulichen Gestaltung des Schiessstandes, von dessen Grösse sowie
von der Anzahl der Schiesstage abhängt.

    b) Es trifft zu, dass der angeführte Beschluss des Staatsrates vom 16.
Februar 1977 über die Schiessvereine und die Aufsicht des Schiesswesens
davon ausgeht, dass die Schusslinie vom Militärdepartement in dem in
Art. 10 ff. vorgesehenen Verfahren festgelegt wird. Doch stellt diese
Festlegung - wie dargelegt - keine mit Beschwerde an das Eidgenössische
Militärdepartement anfechtbare Verfügung dar. Sie hat sich vielmehr
richtigerweise in das Baubewilligungsverfahren einzufügen, für welches sie
eine Grundlage für die gesamthafte Beurteilung des Projektes bildet. Nur
ein solches Vorgehen vermag den Anforderungen des nach Erlass des genannten
Staatsratsbeschlusses in Kraft getretenen Bundesrechts zu entsprechen.

    c) Seit Inkrafttreten des Bundesgesetzes über die Raumplanung
am 1. Januar 1980 verlangt das Bundesrecht eine Baubewilligung für
Gemeindeschiessanlagen (Art. 22 RPG). Werden solche Anlagen ausserhalb
der Bauzone erstellt, bedürfen sie einer Ausnahmebewilligung gemäss
Art. 24 RPG. Voraussetzung der Bewilligung bildet nicht nur, dass
ein Standort ausserhalb der Bauzonen erforderlich ist, sondern auch,
dass keine überwiegenden Interessen entgegenstehen. Ob dies zutrifft,
kann nur aufgrund einer umfassenden Interessenabwägung beurteilt werden,
welche die schiesspolizeilichen Sicherheitsanforderungen einzubeziehen
hat. Dabei ist auch zu prüfen, ob die Anlage den umweltschutzrechtlichen
Belangen gemäss dem am 1. Januar 1985 in Kraft getretenen Bundesgesetz
über den Umweltschutz Rechnung trägt, wie dies das Bundesgericht bereits
im angeführten Fall BGE 112 Ib 39 ff. festgestellt hat. Die Abklärungen
für die Beurteilung der zu erwartenden Lärmbelastung haben im einzelnen den
Anforderungen der Lärmschutzverordnung vom 15. Dezember 1986 zu entsprechen
(Anhang 7, Belastungsgrenzwerte für den Lärm von Schiessanlagen).

    d) Im vorliegenden Falle weist das Justiz-, Polizei- und
Militärdepartement in seiner Vernehmlassung vom 29. April 1988 zutreffend
darauf hin, dass die angefochtene Verfügung kein Entscheid einer letzten
kantonalen Instanz im Sinne von Art. 34 RPG darstelle, wenn die Festlegung
der Schusslinie nicht als selbständig anfechtbarer Entscheid im Sinne
von Art. 26 der Verordnung über das Schiesswesen ausser Dienst betrachtet
werden könne. Es ergibt sich hieraus jedoch nicht die Unzulässigkeit der
Beschwerden, da die Verfügung als letztinstanzlicher kantonaler Entscheid
erlassen wurde. Da dies nicht angeht, weil die schiesspolizeilichen
Anforderungen in die gesamthafte planungs- und baurechtliche Beurteilung
des Vorhabens einbezogen werden müssen, ist der angefochtene Entscheid
vielmehr aufzuheben.

    e) Aus diesem Ergebnis darf nicht gefolgert werden, dass eine
kantonale Regelung, welche vorsieht, dass die Behörden des Kantons einen
Grundsatzentscheid über die Eignung einer Örtlichkeit als Schiessanlage
zu fällen haben, unzulässig sei. Hingegen hat ein solcher Entscheid unter
Vorbehalt des Baubewilligungsverfahrens, in welchem die Betroffenen ihre
Rechte in umfassender Weise wahren können, zu ergehen. Über allfällige
Einsprachen hat somit im Kanton Wallis gemäss der Bauverordnung
die kantonale Baukommission unter Vorbehalt der Beschwerde an den
Staatsrat und an das kantonale Verwaltungsgericht zu entscheiden. Gegen
den letztinstanzlichen kantonalen Rechtsmittelentscheid kann alsdann,
sofern eine Bewilligung nach Art. 24 RPG erteilt wurde, die eidgenössische
Verwaltungsgerichtsbeschwerde ergriffen werden.

    f) Da die angefochtene Verfügung aus den dargelegten Gründen aufgehoben
werden muss, ist auf die in den Beschwerden erhobenen Rügen betreffend der
Lärmbelastung und der mangelnden Eignung des Geländes für den Schiessstand
nicht einzutreten. Die entsprechenden Rügen sind zunächst im kantonalen
Baubewilligungsverfahren zu prüfen.