Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 114 IA 93



114 Ia 93

15. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 29. Februar 1988
i.S. X. AG gegen Y. und Obergericht des Kantons Luzern (staatsrechtliche
Beschwerde) Regeste

    Art. 88 OG; Voraussetzungen der Beschwerdelegitimation der
zivilprozessualen Nebenparteien, insbesondere des Nebenintervenienten.

Sachverhalt

    A.- Mit Vertrag vom 30. April 1979 mietete Y. von den Eheleuten
Z. einen Schweinemaststall für zehn Jahre. Schon kurz nach Mietantritt
rügte Y. Mängel der Mietsache, welchen er Gesundheitsschädigungen
seiner Tiere zuschrieb, und ersuchte um deren Behebung, insbesondere
im Bereich der von der X. AG eingebauten Lüftungsanlage. Ab der
zweiten Halbjahresrate stellte Y. überdies unter Berufung auf seine
Beanstandungen die Mietpreiszahlungen ein. Versuche der Vermieter,
die Anlage zu sanieren, blieben erfolglos.

    Das Ehepaar Z. klagte gegen Y. auf Zahlung der ausstehenden
Mietzinse. Der Beklagte machte widerklageweise eine Schadenersatzforderung
geltend. Mit Urteil vom 23. November 1984 hiess das Amtsgericht Luzern-Land
die Klage vollumfänglich und die Widerklage teilweise gut. Die im
Appellationsverfahren vor Obergericht den Klägern als Nebenintervenientin
beigetretene X. AG focht das Urteil des Obergerichts des Kantons Luzern
vom 7. Januar 1987 mit kantonaler Nichtigkeitsbeschwerde an.

    Gegen den Entscheid des Obergerichts über die Nichtigkeitsbeschwerde
reichte die X. AG beim Bundesgericht eine staatsrechtliche Beschwerde
wegen Verletzung von Art. 4 BV ein.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Gemäss Art. 88 OG steht das Recht zur Beschwerdeführung Bürgern
und Korporationen bezüglich solcher Rechtsverletzungen zu, die sie
durch allgemein verbindliche oder sie persönlich treffende Erlasse und
Verfügungen erlitten haben. Die staatsrechtliche Beschwerde ist ein
Rechtsbehelf zum Schutz der Träger verfassungsmässiger Rechte gegen die
Übergriffe der Staatsgewalt; allein diesen Trägern steht sie zur Verfügung
(BGE 112 Ia 363). Die Legitimation zur staatsrechtlichen Beschwerde
bestimmt sich dabei ausschliesslich nach Art. 88 OG. Der Umstand, dass
ein Beschwerdeführer im kantonalen Verfahren Parteistellung hatte, ist
nicht entscheidend (BGE 112 Ia 89 mit Hinweisen).

    a) Zur Verfassungsbeschwerde ist legitimiert, wer durch den
angefochtenen Hoheitsakt beschwert ist, das heisst persönlich einen
Nachteil erlitten hat. Im Bereiche des Privatrechts trifft dies vorab auf
denjenigen zu, der durch das angefochtene Urteil zu einem Tun, Unterlassen
oder Dulden verhalten, dem ein Recht entzogen oder dessen gegen einen
Dritten gerichteter Anspruch als unzulässig erklärt, ganz oder teilweise
abgewiesen wird (KÄLIN, Das Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde,
S. 228).

    In seiner jüngeren Rechtsprechung hat das Bundesgericht allerdings
die Legitimationsvoraussetzungen gelockert und ist von der Auffassung
abgerückt, nur der Träger des in Frage stehenden subjektiven Rechts sei
zur staatsrechtlichen Beschwerde wegen dessen Verletzung legitimiert. Es
hat angenommen, jemand könne in seiner Rechtsstellung durch einen
kantonalen Hoheitsakt auch dann beeinträchtigt sein, wenn dieser sich
nicht unmittelbar, sondern bloss mittelbar gegen ihn richte (BGE 105 Ia
46 mit Hinweisen). Dies setzt indessen unabdingbar voraus, dass beim
Beschwerdeführer, der nicht Träger des in Frage stehenden subjektive
Rechtes ist, eine unmittelbare Beeinträchtigung seiner rechtlich
geschützten Interessen eintritt, dass die Belastung des subjektiven
Rechtsträgers auch ihn rechtlich beschwert. Ist dies nicht der Fall, fehlt
die Voraussetzung der rechtlichen Betroffenheit. So hat beispielsweise das
Bundesgericht die Legitimation eines mittelbar aus einer baupolizeilichen
Verfügung betroffenen Unternehmers, welcher Regressansprüche des
Bestellers und Grundeigentümers für die Massnahmekosten zu befürchten
hatte, mit der Begründung abgelehnt, die daherige - privatrechtliche
- Auseinandersetzung werde durch die verwaltungsrechtliche Anordnung
rechtlich nicht präjudiziert (BGE 108 Ia 285 f.).

    b) Diese Grundsätze sind auch für die Beschwerdebefugnis einer
zivilprozessualen Nebenpartei massgebend. Auch hier beurteilt sich die
Legitimation ausschliesslich nach Bundesrecht. Auf die Parteistellung
im kantonalen Verfahren kommt nichts an, es sei denn, es werde eine
willkürliche Verletzung von Verfahrensvorschriften gerügt, die der
Nebenpartei nach kantonalem Prozessrecht zustehen (BGE 112 Ia 367
E. 6a). Davon abgesehen steht der Nebenpartei die Verfassungsbeschwerde nur
offen, wenn der gegen die unterstützte Hauptpartei ergangene Entscheid auch
ihre Rechtsstellung unmittelbar beeinträchtigt. Nach der Rechtsprechung des
Bundesgerichts trifft dies für den Litisdenunzianten dann zu, wenn ihm im
Regressprozess diejenigen Einreden verschlossen sind, welche bereits im
ersten Verfahren hätten erhoben werden können, nicht dagegen dann, wenn
das erste Urteil ihm im nachfolgenden Verfahren nicht rechtsverbindlich
entgegengehalten werden kann (BGE 107 Ia 180 f.). Gleiches hat für den
Intervenienten zu gelten.

    Nach Lehre und Rechtsprechung beurteilt sich die Frage, ob einem Urteil
auch Wirkungen gegenüber dem Streitberufenen - mit oder ohne Intervention
- zukomme, nach dem massgebenden materiellen Recht (BGE 107 Ia 179 f.,
90 II 407 ff.). Für den Bereich des Bundesprivatrechts hat sich dabei die
Auffassung durchgesetzt, es bestehe ein allgemeiner Grundsatz, dass ein
gegen den Streitverkünder ergangenes ungünstiges Urteil dann auch gegen den
Streitberufenen wirke, wenn dieser auf Grund seines Rechtsverhältnisses zum
Streitverkünder oder nach den Grundsätzen von Treu und Glauben verpflichtet
war, die Hauptpartei im Prozess zu unterstützen, vorausgesetzt, die
Streitverkündung sei rechtzeitig erfolgt und der ungünstige Prozessausgang
sei nicht durch den Streitverkünder verschuldet worden (BGE 90 II 408 f.,
vgl. auch VOGEL, Grundriss des Zivilprozessrechts, S. 98 Rz. 89).

    Im vorliegenden Verfahren wird von keiner Seite geltend gemacht, die
Voraussetzungen einer Urteilswirkung auf die Nebenintervenientin seien im
beschriebenen Sinne nicht erfüllt, insbesondere sei die Streitverkündung zu
spät erfolgt oder der negative Prozessausgang von den Klägern verschuldet
worden. Daraus folgt nach dem Gesagten, dass die Beschwerdeführerin als
Nebenintervenientin durch das angefochtene Urteil rechtlich unmittelbar
beeinträchtigt wird und damit zur Erhebung der staatsrechtlichen Beschwerde
legitimiert ist.