Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 114 IA 50



114 Ia 50

10. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
vom 16. März 1988 i.S. G. und B. gegen Oberrichter X. und Y. sowie
Staatsanwaltschaft und Obergericht (I. Strafkammer) des Kantons Zürich
(staatsrechtliche Beschwerde). Regeste

    Art. 58 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK; Personalunion von
Überweisungsrichter und erkennendem Strafrichter.

    1. Tragweite des Anspruchs auf den verfassungsmässigen Richter,
insbesondere auf einen unparteiischen, unbefangenen und unvoreingenommenen
Richter nach Art. 58 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK (E. 3b); Bedeutung
dieser Garantien in einem demokratischen Rechtsstaat (E. 3c).

    2. Zulässigkeit der sog. Vorbefassung im allgemeinen und Kriterien
der Beurteilung (E. 3d).

    3. Personelle Identität bzw. personelle Trennung von
Überweisungsrichter und erkennendem Strafrichter im allgemeinen; Hinweise
auf die Regelung in den Strafprozessordnungen und die Rechtsprechung
(E. 4).

    4. Die personelle Trennung von Überweisungsrichter und Strafrichter
nach der zürcherischen Strafprozessordnung: Der erstinstanzliche
Strafrichter am Obergericht, der vorher als Mitglied der Anklagekammer
die Anklage zugelassen und den Angeschuldigten überwiesen hat, genügt den
Anforderungen von Art. 58 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK nicht (E. 5).

Sachverhalt

    A.- Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich erhob im Jahre 1983 in
einer umfangreichen Strafsache gegen G. und B. Anklage. Die Anklagekammer
des Obergerichts des Kantons Zürich liess die Anklage mit einem Beschluss
aus dem Jahre 1984 gestützt auf § 165 und § 166 StPO zu und überwies die
Beschuldigten dem Obergericht des Kantons Zürich zur erstinstanzlichen
Beurteilung. An diesem Zulassungsentscheid wirkten u.a. die Oberrichter
X. und Y. mit.

    Nach einer vorgängigen Beweiserhebung und einer ersten Hauptverhandlung
im Jahre 1985 wurden die Akten der Staatsanwaltschaft zu weiteren
Beweiserhebungen zurückgewiesen. Mit den ergänzten Akten hielt die
Staatsanwaltschaft an ihrer Anklage fest.

    Im Hinblick auf die neue Hauptverhandlung vor der I. Strafkammer
des Obergerichts stellten die beiden Angeklagten G. und B. das
Gesuch um Ausschluss der Oberrichter X. und Y. Sie erachteten diese
beiden Oberrichter wegen ihrer früheren Mitwirkung am Zulassungs- und
Überweisungsentscheid nicht mehr als unvoreingenommen.

    Unter Ausschluss der für die Hauptverhandlung vorgesehenen
Richter wies die I. Strafkammer des Obergerichts das Ausschluss-
bzw. Ablehnungsbegehren ab. Die Strafkammer prüfte, ob § 95 Abs. 2 GVG,
wonach die in der Anklagekammer mitwirkenden Richter vom obergerichtlichen
Verfahren nicht ausgeschlossen sind, vor Art. 58 Abs. 1 BV und Art. 6
Ziff. 1 EMRK standhalte, und bejahte dies für den vorliegenden Fall.

    Gegen diesen Entscheid der I. Strafkammer des Obergerichts reichten
G. und B. beim Bundesgericht staatsrechtliche Beschwerden ein. Sie machen
eine Verletzung von Art. 58 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK geltend.

    Das Bundesgericht heisst die Beschwerden gut.

Auszug aus den Erwägungen:

                  Auszug aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- a) § 95 Abs. 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes des Kantons Zürich
vom 13. Juni 1976 (GVG) bestimmt, dass ein Richter, der an einem Entscheid
der Anklagekammer des Obergerichts beteiligt war, von der Mitwirkung
u.a. beim Obergericht nicht ausgeschlossen ist. Die Beschwerdeführer
machen in ihren Beschwerden geltend, diese Bestimmung verstosse in ihrem
Fall gegen die Garantie auf einen unparteiischen und unbefangenen Richter,
wie sie sich aus Art. 58 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK ergebe. Damit
verlangen sie eine inzidente Überprüfung von § 95 Abs. 2 GVG auf seine
Verfassungs- und Konventionsmässigkeit hin. Dies ist im staatsrechtlichen
Beschwerdeverfahren zulässig; die Rüge, § 95 Abs. 2 GVG widerspreche
der Bundesverfassung und der Menschenrechtskonvention, kann bei der
Anfechtung eines diese Norm anwendenden Entscheides vorgebracht werden. Die
vorfrageweise Feststellung der Verfassungs- und Konventionswidrigkeit
der fraglichen Norm führt indessen nicht zu deren Aufhebung, sondern
hat lediglich zur Folge, dass die Vorschrift auf den Beschwerdeführer
nicht angewendet und der gestützt auf sie ergangene Entscheid aufgehoben
wird (BGE 113 Ia 70, 112 Ia 112 und 159, 111 Ia 82, 185 f. und 242 f.,
mit Hinweisen).

    b) Soweit mit einer staatsrechtlichen Beschwerde eine Verletzung des
Anspruchs auf den verfassungs- und konventionsmässigen Richter geltend
gemacht wird, überprüft das Bundesgericht die Auslegung und Anwendung
des kantonalen Gesetzesrechts lediglich unter dem Gesichtswinkel der
Willkür. Mit freier Kognition prüft es indessen, ob die als vertretbar
erkannte Auslegung des kantonalen Prozessrechts mit den Garantien nach
Art. 58 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK vereinbar ist (BGE 112 Ia 292 E. 2a,
EuGRZ 1986 S. 670 E. 2b, mit Hinweisen).

    Im vorliegenden Fall rügen die Beschwerdeführer im Hauptpunkt keine
unrichtige Auslegung und Anwendung des kantonalen Rechts. Die vorliegenden
Beschwerden sind daher ausschliesslich unter dem Gesichtswinkel der
Bundesverfassung und der Konvention zu prüfen. Soweit die Beschwerdeführer
darüber hinaus eine Verletzung von Art. 4 BV geltend machen, kommt dieser
Rüge keine selbständige Bedeutung zu; sie weisen in dieser Hinsicht
lediglich auf Umstände hin, die auch im Rahmen von Art. 58 BV und von
Art. 6 Ziff. 1 EMRK zu berücksichtigen sind.

Erwägung 3

    3.- Zur Hauptsache machen die Beschwerdeführer geltend, die
beiden abgelehnten Oberrichter seien wegen ihrer früheren Mitwirkung
im Anklagezulassungsverfahren im Hinblick auf die Strafsache selbst
nicht mehr unvoreingenommen und genügten daher den Garantien auf einen
unbefangenen Richter nicht. Sie berufen sich hierfür auf Art. 58 Abs. 1
BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK.

    a) Es steht im vorliegenden Fall ausser Zweifel, dass Art. 58
Abs. 1 BV auf das obergerichtliche Verfahren Anwendung findet und es
sich in der Sache um eine strafrechtliche Angelegenheit im Sinne von
Art. 6 Ziff. 1 EMRK handelt (BGE 112 Ia 292 E. 2b, EuGRZ 1986 S. 671
E. b, mit Hinweisen). Es geht bei der vorliegenden Beschwerde von der
angerufenen Verfassungs- und Konventionsbestimmung ausschliesslich um
den Teilgehalt des Anspruchs auf einen unparteiischen und unbefangenen
Richter. In dieser Hinsicht decken sich Gehalt und Grundanliegen sowie die
Methode der Betrachtung nach der Bundesverfassung und der Konvention. Die
Beschwerden sind daher unter dem gemeinsamen Gesichtswinkel von Art. 58
Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK sowie unter Berücksichtigung der sich
aus den betroffenen Normbereichen ergebenden Besonderheiten zu behandeln
(EuGRZ 1986 S. 672 E. 3c, vgl. auch BGE 112 Ia E. b, mit Hinweisen).

    b) Vorerst gilt es, den Gehalt und die Tragweite der betroffenen
Verfassungs- und Konventionsnorm nachzuzeichnen.

    Die Organisation der Rechtspflege und des gerichtlichen Verfahrens
ist grundsätzlich Sache des kantonalen Prozessrechts (Art. 64 Abs. 3
und Art. 64bis Abs. 2 BV). Die Bundesverfassung schreibt den Kantonen
nicht eine bestimmte Gerichtsorganisation oder ein bestimmtes Verfahren
vor. Aus dem bundesrechtlichen Anspruch auf den verfassungsmässigen Richter
und der Garantie nach Art. 6 Ziff. 1 EMRK ergeben sich indessen gewisse
Minimalanforderungen an das kantonale Verfahren (BGE 112 Ia 292 E. 3, EuGRZ
1986 S. 670 E. 3a, mit Hinweisen). Die Verfassungsbestimmung verbietet
zum einen Ausnahmegerichte und die Bestellung von ad hoc oder ad personam
berufenen Richtern und verlangt damit - zum Zwecke der Verhinderung
jeglicher Manipulation - eine durch Rechtssatz bestimmte Gerichts- und
Verfahrungsordnung; desgleichen verlangt Art. 6 Ziff. 1 EMRK, dass das
Gericht auf einem generell-abstrakten Erlass beruht, um die in einer
demokratischen Gesellschaft erforderliche Unabhängigkeit zu garantieren
(EuGRZ 1986 S. 670 E. 3a und S. 671 E. b, mit Hinweisen auf Praxis und
Doktrin). Zum andern ergibt sich aus Art. 58 Abs. 1 BV ein Anspruch auf
einen unabhängigen und unparteiischen Richter. Es soll damit garantiert
werden, dass keine Umstände, welche ausserhalb des Prozesses liegen, in
sachwidriger Weise zugunsten oder zulasten einer Partei auf das Urteil
einwirken; es soll mit andern Worten verhindert werden, dass jemand als
Richter tätig wird, der unter solchen Einflüssen steht und deshalb kein
"rechter Mittler" (BGE 33 I 146) mehr sein kann (BGE 112 Ia 292 f., EuGRZ
1986 S. 671 E. a, mit Hinweisen). Dies bedeutet Unabhängigkeit des Richters
von den andern Staatsgewalten wie der Exekutive und der Legislative
sowie von den Parteien (EuGRZ 1986 S. 671 E. a, mit Hinweisen). Aus
Art. 58 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK ergibt sich ferner ein
Anspruch auf einen unparteiischen Richter. Unparteilichkeit bedeutet
nach der Auffassung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte
das Fehlen von Voreingenommenheit und Parteinahme (Urteil i.S. Piersack
vom 1. Oktober 1982, Publications de la Cour européenne des droits de
l'homme, Série A, Vol. 53, Ziff. 30 = EuGRZ 1985 S. 301 ff. (303)). Im
kantonalen Verfahrensrecht wird der Anspruch auf einen unparteiischen
und unbefangenen Richter durch die Regeln über den Ausstand und die
Ablehnung von Gerichtspersonen konkretisiert. Darüber hinaus hat der
Einzelne direkt gestützt auf Art. 58 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK
einen Anspruch darauf, dass seine Sache von einem unvoreingenommenen
Richter beurteilt wird, der Gewähr für eine unparteiische Beurteilung
der Streitsache bietet; erscheint ein Richter als befangen, so kann
unmittelbar aufgrund der Verfassungs- und Konventionsbestimmung dessen
Ausstand oder Ausschluss verlangt werden (BGE 112 Ia 293, EuGRZ 1986
S. 671, mit Hinweisen). Befangenheit ist nach der bundesgerichtlichen
Rechtsprechung anzunehmen, wenn Umstände vorliegen, die geeignet sind,
Misstrauen in die Unparteilichkeit eines Richters zu erwecken. Bei der
Befangenheit handelt es sich allerdings um einen innern Zustand, der nur
schwer bewiesen werden kann. Es braucht daher für die Ablehnung eines
Richters nicht nachgewiesen zu werden, dass dieser tatsächlich befangen
ist. Es genügt vielmehr, wenn Umstände vorliegen, die den Anschein
der Befangenheit und die Gefahr der Voreingenommenheit zu begründen
vermögen. Solche Umstände können entweder in einem bestimmten Verhalten
des betreffenden Richters oder in gewissen äusseren Gegebenheiten, wozu
auch verfahrensorganisatorische Aspekte gehören, begründet sein. Bei der
Beurteilung des Anscheins der Befangenheit und der Gewichtung solcher
Umstände kann allerdings nicht auf das subjektive Empfinden einer
Partei abgestellt werden. Das Misstrauen in den Richter muss vielmehr
in objektiver Weise als begründet erscheinen (BGE 112 Ia 293, EuGRZ
1986 S. 671 E. a, mit Hinweisen). In ähnlicher Weise unterscheiden die
Organe der Europäischen Menschenrechtskonvention bei der Beurteilung der
Unparteilichkeit einerseits zwischen einem subjektiven Ansatz, unter dem
geprüft wird, was ein Richter in seinem Innersten in einem bestimmten Fall
dachte, und einem objektiven Ansatz andererseits, wonach zu untersuchen
ist, ob der Richter hinreichende Gewähr bietet, um jeden berechtigten
Zweifel an seiner Unparteilichkeit auszuschliessen. Während die persönliche
Unbefangenheit des Richters vermutet wird, sind bei der Beurteilung der
Unvoreingenommenheit unter objektivem Gesichtspunkt auch die äussern
Umstände sowie Fragen funktioneller Natur und der innern Organisation
des Verfahrens von Bedeutung. In dieser Hinsicht kann schon dem blossen
Anschein der Befangenheit Gewicht zukommen (BGE 112 Ia 294, EuGRZ 1986
S. 671, mit Hinweisen auf die Strassburger Praxis sowie die Doktrin;
vgl. zudem Bericht der Europäischen Kommission für Menschenrechte i.S.
Hauschildt vom 16. Juli 1987, Ziff. 94 ff.).

    c) Die Garantien von Art. 58 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK
können einerseits als Konkretisierung und Ergänzung des Grundsatzes
der Gewaltenteilung verstanden werden; sie verhindern insbesondere
ein Übergreifen der exekutiven auf die richterliche Gewalt (JÖRG PAUL
MÜLLER/STEFAN MÜLLER, Grundrechte - Besonderer Teil, Bern 1985, S. 271;
ALFRED KÖLZ, Kommentar BV, N. 31 zu Art. 58). Andererseits sollen Art. 58
Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK zu der für einen korrekten und fairen
Prozess notwendigen Offenheit des Verfahrens im Einzelfall beitragen und
damit letztlich ein gerechtes Urteil ermöglichen. Offenheit des Verfahrens
und Möglichkeit eines gerechten Urteils werden aber gefährdet, wenn
ausserhalb des Prozesses liegende Umstände in sachwidriger Weise auf das
Verfahren einwirken; so kann tatsächliche Befangenheit (bzw. subjektive
Befangenheit in der Terminologie der Strassburger Organe) unmittelbar
zu einer sachfremden Beeinflussung, zu einem unfairen Prozess für die
Parteien und damit im Einzelfall zu einem dem Gleichbehandlungsgrundsatz
und dem Willkürverbot widersprechenden Urteil führen (vgl. JOACHIM
RIEDEL, Das Postulat der Unparteilichkeit des Richters - Befangenheit
und Parteilichkeit - im deutschen Verfassungs- und Verfahrensrecht,
Berlin 1980, S. 13 ff. und 209 ff.; GUNTHER ARZT, Der befangene
Strafrichter, Tübingen 1969, S. 14). Auch soweit ein Richter allein wegen
des Anscheins der Voreingenommenheit soll abgelehnt und ausgeschlossen
werden können, wollen Verfassung und Konvention ein faires und auch aus
der (objektivierten) Sicht der Parteien offenes Verfahren garantieren. Der
amtende Richter soll ein "echter Mittler" sein, und der "Rechtsuchende soll
sich beim Richter im Recht geborgen fühlen" (STEFAN TRECHSEL, Gericht und
Richter nach der EMRK, in: Gedächtnisschrift für Peter Noll, Zürich 1984,
S. 393). Neben dem Schutz der Prozessparteien dient dies dem Vertrauen
der Betroffenen in das rechtsstaatliche konkrete Justizverfahren und
ermöglicht ihnen die innere Anerkennung des Gerichtsurteils (vgl. Urteil
des Zürcher Kassationsgerichts, in: ZR 62/1963 Nr. 2 S. 6; RIEDEL, aaO,
S. 209 f.; ARZT, aaO, S. 19). Aus der Sicht der Rechtsgemeinschaft
geht es schliesslich um das Vertrauen in das gerichtliche Verfahren
und letztlich die Legitimation von Gerichten in einem demokratischen
Rechtsstaat überhaupt (vgl. BGE 112 Ia 294 E. b, EuGRZ 1986 S. 671 E. b;
Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte i.S. De Cubber
vom 26. Oktober 1984, Publications de la Cour européenne des droits de
l'homme, Série A, Vol. 86, Ziff. 26 = EuGRZ 1985 S. 407 ff. (S. 409);
Urteil Piersack, Ziff. 30; Urteil i.S. Sramek vom 22. Oktober 1984,
Série A, Vol. 84, Ziff. 42 = EuGRZ 1985 S. 336 ff. (S. 340); Bericht der
Europäischen Kommission für Menschenrechte i.S. Ben Yaacoub vom 7. Mai
1985, in: Publications de la Cour européenne des droits de l'homme, Série
A, Vol. 127, Ziff. 96; RIEDEL, aaO, S. 210). Angesichts der Tragweite des
Anspruchs auf einen unparteiischen, unbefangenen und unvoreingenommenen
Richter betont denn der Gerichtshof, dass sich eine einengende Auslegung
von Art. 6 Ziff. 1 EMRK mit dem Ziel dieser Konventionsbestimmung nicht
vereinbaren lasse (Urteil De Cubber, Ziff. 30; Bericht i.S. Ben Yaacoub,
Ziff. 97; Urteil i.S. Delcourt vom 17. Januar 1970, Publications de la
Cour européenne des droits de l'homme, Série A, Vol. 11, Ziff. 25).

    d) Eine gewisse Besorgnis der Voreingenommenheit und damit Misstrauen
in das Gericht kann bei den Parteien immer dann entstehen, wenn einzelne
Richter bereits in einem früheren Zeitpunkt in amtlicher (richterlicher
oder nichtrichterlicher) Funktion mit der konkreten Streitsache schon
einmal zu tun hatten. In diesen, als sog. Vorbefassung bezeichneten
Fällen (vgl. RIEDEL, aaO, S. 152 ff.; ARZT, aaO, S. 61 ff.) stellt sich
das Problem, ob sich der Richter durch seine Mitwirkung an früheren
Entscheidungen in bezug auf einzelne Fragen bereits in einem Masse
festgelegt hat, die ihn nun nicht mehr als unvoreingenommen und demnach
das Verfahren nicht mehr als offen erscheinen lassen (vgl. ROLF GEISER,
Über den Ausstand des Richters im schweizerischen Zivilprozessrecht,
Diss. Zürich 1957, S. 48 ff.; RAINER HAMM, Der gesetzliche Richter
und die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit, Diss. Berlin,
Frankfurt a.M. 1973, S. 162 ff.). Wegen der früheren Mitwirkung kann
"Betriebsblindheit" in dem Sinne befürchtet werden, dass der Richter
im späteren Verfahren seine Erwartungen in seine Fragen projiziere, die
Antworten auf diese Fragen im Sinne seiner Erwartungen interpretiere und
vor allem Fragen nicht sehe, die der unbefangene Richter sehen und stellen
würde (ARZT, aaO, S. 65 f.). In der Mitwirkung ein und desselben Richters
in mehreren Verfahrensstadien kann ferner ein Unterlaufen der gesetzlich -
eventuell zur Sicherung der Unvoreingenommenheit - vorgesehenen Zuweisung
verschiedener Funktionen an unterschiedliche Organe erblickt und ein
Grund der Befangenheit gesehen werden (Bericht Hauschildt, Ziff. 106;
TRECHSEL, aaO, S. 397).

    Die Konstellationen der sog. Vorbefassung sind sehr vielfältig. Zur
Veranschaulichung soll im folgenden auf einige Beispiele hingewiesen
werden, ohne sie einer verfassungsrechtlichen Prüfung zu unterziehen. - Auf
der einen Seite wird es als zulässig oder wenig problematisch betrachtet,
dass ein Gerichtspräsident oder ein Richter schon vor dem Sachentscheid
prozessuale Anordnungen trifft oder Gesuche um vorsorgliche Massnahmen
oder unentgeltliche Rechtspflege behandelt (vgl. Art. 90 ff. und Art. 150
ff. OG). Ein Richter darf vorerst als Eheschutzrichter amten und hernach
über die Scheidung derselben Parteien befinden (unveröffentlichtes
Urteil i.S. Ültschi vom 11. November 1986; vgl. zu einer weitern
Konstellation GEISER, aaO, S. 52 f.). Kein Verfassungsverstoss wurde im
Umstand erblickt, dass im Zusammenhang mit einer Güterzusammenlegung die
gleiche Person vorerst bei der Bonitierung der Grundstücke und später
beim Entscheid über die Neuzuteilung mitwirkte (BGE 91 I 404 f.). Ist ein
unterinstanzliches Urteil im Rechtsmittelverfahren aufgehoben worden, so
gilt der Richter im neuen unterinstanzlichen Verfahren nicht wegen seiner
früheren Mitwirkung als befangen (BGE 113 Ia 408 E. 2; unveröffentlichtes
Urteil i.S. Keller vom 5. August 1987; GEISER, aaO, S. 49 f.; Urteil des
Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte i.S. Ringeisen vom 16. Juli
1971, Publications de la Cour européenne des droits de l'homme, Série A,
Vol. 13, Ziff. 97; JOCHEN ABR. FROWEIN/WOLFGANG PEUKERT, EMRK-Kommentar,
Kehl/Strassburg/Arlington 1985, N. 94 zu Art. 6). Das Bundesgericht
hat es als mit Art. 58 Abs. 1 BV vereinbar erklärt, dass dieselben
Richter den Sachentscheid treffen und über Revisionsbegehren befinden
(BGE 113 Ia 62, 107 Ia 18 f., ZBl 80/1979 S. 537 f.). Auf dem Gebiet des
Strafverfahrens wurden Richter, welche vorerst die Untersuchungsführung
und die Aufrechterhaltung der Haft überprüften, vom spätern Entscheid
der Anklagekammer über die Überweisung/Einstellung (SJ 1980 S. 273
ff.) bzw. vom spätern Entscheid der Appellationsinstanz in der Sache selbst
nicht ausgeschlossen (ZWR 1981 S. 405); keinen Ausschlussgrund erblickte
das Bundesgericht in der personellen Identität von Haftrekursrichter
und Berufungsrichter (unveröffentlichtes Urteil vom 14. Mai 1980
i.S. Gosswiler, S. 6). In weitern Fällen haben das Bundesgericht und der
Europäische Gerichtshof die Mitwirkung derselben Richter in gleiche Fragen
betreffenden Verfahren als verfassungs- und konventionsmässig erachtet
(vgl. Urteil des Bundesgerichts in: ZWR 1983 S. 151 ff.; Urteil des
Gerichtshofes i.S. Gillow vom 24. November 1986, Publications de la Cour
européenne des droits de l'homme, Série A, Vol. 109, Ziff. 72 f.). - Auf
der andern Seite wäre es mit der Verfassungs- und Konventionsgarantie auf
einen unvoreingenommenen Richter kaum vereinbar, dass ein Richter einer
untern Instanz nach seiner Wahl in die obere Instanz oder als Ersatzrichter
am Rechtsmittelverfahren in derselben Sache mitwirkt (vgl. Art. 22 Abs. 1
lit. b OG; Urteile des Bundesgerichts, in: SJ 1980 S. 277 f. und ZWR 1981
S. 409; GEISER, aaO, S. 48). Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung
darf der gesetzliche oder vertragliche Konkursverwalter im Prozess der
von ihm vertretenen Konkursmasse das Richteramt nicht ausüben (BGE 33
I 148). Als unzulässig hat es das Bundesgericht erklärt, dass der die
Strafuntersuchung führende Untersuchungsrichter später als Strafrichter
amtet (BGE 113 Ia 73 E. 2, 112 Ia 290, EuGRZ 1986 S. 670; Urteil De Cubber;
anders noch BGE 104 Ia 271). Derjenige Strafrichter, der früher bei der
Anklage erhebenden Staatsanwaltschaft eine bestimmte Stellung innehatte,
wurde als voreingenommen bezeichnet (Urteil Piersack; anders noch BGE
38 I 91). Das Bundesgericht hat es schliesslich offengelassen, ob der
eine Einstellungsverfügung genehmigende Staatsanwalt über den gegen die
Einstellung gerichteten Rekurs entscheiden dürfe (unveröffentlichtes
Urteil i.S. Suter vom 10. September 1986; vgl. BGE 112 Ia 142).

    Die Vielfalt dieser Beispiele zeigt, dass die Fälle der Vorbefassung
unter dem Gesichtswinkel von Art. 58 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK kaum
systematisiert werden können (vgl. im übrigen die Systematik bei RIEDEL,
aaO, S. 152 ff.; ARZT, aaO, S. 61 ff.; GEISER, aaO, S. 48 ff.). Es kann
wohl auch nicht gesagt werden, verfassungsrechtlich sei eine Vorbefassung
generell zulässig oder generell unzulässig; eine allgemeine Aussage, in
welchen einzelnen Fällen ein Richter, der sich in einem früheren Zeitpunkt
bereits mit der Angelegenheit beschäftigt hat und demnach Vorkenntnisse
besitzt, den Anforderungen von Art. 58 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1
EMRK genügt, ist nicht möglich (vgl. BGE 104 Ia 273 E. 3; Urteile des
Bundesgerichts, in: SJ 1980 S. 277 f. und ZWR 1981 S. 409; vgl. ferner
Bericht Hauschildt, Ziff. 111). Für die Beurteilung eines konkreten Falles
ergeben sich indessen aus Sinn und Gehalt der hier betroffenen Verfassungs-
und Konventionsgarantie Kriterien. So ist generell zu fordern, dass
das Verfahren in bezug auf den konkreten Sachverhalt und die konkret zu
entscheidenden Rechtsfragen trotz der Vorbefassung eines Richters als offen
und nicht vorbestimmt erscheint. Hierfür mag darauf abgestellt werden,
unter welchen tatsächlichen und verfahrensrechtlichen Umständen sich der
Richter im früheren Zeitpunkt mit der Sache befasste bzw. sich später
zu befassen hat. Es kann in Betracht fallen, welche Fragen in den beiden
Verfahrensabschnitten zu entscheiden sind und inwiefern sie sich ähnlich
sind oder miteinander zusammenhängen. Zu beachten ist ferner der Umfang
des Entscheidungsspielraums bei der Beurteilung der sich in den beiden
Abschnitten stellenden Rechtsfragen. Und schliesslich kann es auf die
Bedeutung der Entscheidungen auf den Fortgang des Verfahrens ankommen. -
Auf der andern Seite kann für die verfassungsrechtliche Beurteilung der
Vorbefassung auf verschiedene Punkte nicht abgestellt werden. So ist
es nicht ausschlaggebend, dass der abgelehnte Richter nicht allein,
sondern in einem Richterkollegium mitwirkt (vgl. BGE 112 Ia 301 f.,
EuGRZ 1986 S. 674; Urteil De Cubber, Ziff. 29). Die Möglichkeit, das
Urteil bei einer ordentlichen Rechtsmittelinstanz anzufechten, vermag
am allfälligen Mangel in der Besetzung der Richterbank nichts zu ändern
(BGE 113 Ia 75 f., 112 Ia 302 E. b, EuGRZ 1986 S. 674; Urteil De Cubber,
Ziff. 33; MIEHSLER/VOGLER, Internationaler Kommentar zur Europäischen
Menschenrechtskonvention, N. 307 zu Art. 6). Es ist auch nicht allein
entscheidend, ob es sich um ein Zivil- oder um ein Strafverfahren
handelt (RIEDEL, aaO, S. 199 f.; in der Begründung anders BGE 113 Ia 65;
zur Publikation bestimmtes Urteil vom 17. November 1987 i.S. Firma A.,
E. 2). Schliesslich kommt dem Spannungsverhältnis zwischen dem (primär)
gesetzlichen Richter und dem Anspruch auf Ausstand (BGE 112 Ia 293 und
303 f., EuGRZ 1986 S. 671 E. a und S. 675 E. d, mit Hinweisen) im Rahmen
einer (abstrakten oder konkreten) Normkontrolle keine Bedeutung zu.

    Aufgrund dieser Überlegungen sind im folgenden die vorliegenden
Beschwerden zu prüfen, mit denen eine ganz bestimmte Form der Vorbefassung
als verfassungs- und konventionswidrig gerügt wird.

Erwägung 4

    4.- Die Beschwerdeführer werfen mit ihren Beschwerden die Frage auf,
ob es unter dem Gesichtswinkel von Art. 58 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1
EMRK zulässig sei, dass die in der Anklagekammer mitwirkenden Oberrichter
vorerst die Anklage der Staatsanwaltschaft zulassen und die Angeschuldigten
dem zuständigen Gericht überweisen und hernach in der erstinstanzlich
zuständigen I. Strafkammer des Obergerichts die Strafsache materiell
beurteilen.

    a) Das Bundesgericht hat die Frage der verfassungsrechtlichen
Zulässigkeit der Personalunion von überweisendem Richter und in der
Sache selbst urteilendem Richter in einem Entscheid aus dem Jahre 1987
ausdrücklich offengelassen (BGE 113 Ia 73 E. 3). Es wies darin auf
Urteile, die entweder vor der im Jahre 1986 vorgenommenen Änderung der
Rechtsprechung zur Personalunion von Untersuchungsrichter und erkennendem
Richter ergangen oder aber lediglich unter dem Gesichtswinkel von
Art. 4 BV getroffen worden sind oder schliesslich nicht genau die hier
zu beurteilende Frage betreffen, und führte ferner Entscheidungen der
Strassburger Menschenrechtsorgane an. Es wies ferner darauf hin, dass
die Frage der Befangenheit des Sachrichters nicht nur nach dem konkret
getroffenen Überweisungsbeschluss der Anklagekammer, sondern auch aufgrund
von deren Befugnissen nach der anwendbaren Verfahrensordnung zu prüfen sei.

    Im - vom Resultat her überholten - Entscheid BGE 104 Ia 271 aus dem
Jahre 1978 zur Personalunion von Untersuchungsrichter und Sachrichter nach
dem bernischen Strafverfahren hatte das Bundesgericht noch ausgeführt,
mit der Überweisung werde lediglich festgestellt, dass die formellen
Voraussetzungen für die Begründung des Prozessrechtsverhältnisses gegeben
seien; dies sei der Fall, wenn der Angeschuldigte einer strafbaren Handlung
hinreichend verdächtig erscheine. Indem die Behörde die Überweisung
ablehne, stelle sie fest, dass die Voraussetzungen für eine Fortsetzung des
Strafverfahrens nicht gegeben sind; die Überweisungsbehörde entscheide in
diesem Falle bloss darüber, dass die gerichtliche Beurteilung ohne jeden
Zweifel zu einem Freispruch führen würde. Die summarische Prüfung bedeute
indessen keine Vorwegnahme des Endurteils, weil im Überweisungsverfahren
kein Entscheid über das Bestehen des Strafanspruchs gefällt werde. Aus
diesen Gründen könne der Sachrichter nicht allein wegen seiner Mitwirkung
an der Überweisung abgelehnt werden (BGE 104 Ia 276; vgl. auch die
Urteile des Bundesgerichts, in: SJ 1980 S. 278, ZWR 1981 S. 410).

    b) Nach den in der Schweiz geltenden Strafprozessordnungen folgt dem
Abschluss des Vorverfahrens im allgemeinen das sog. Zwischenverfahren, in
dem die Anklage einer Kontrolle unterzogen und geprüft wird, ob genügend
Anlass zur Durchführung der Hauptverhandlung besteht (ROBERT HAUSER,
Kurzlehrbuch des schweizerischen Strafprozessrechts, 2. Auflage 1984,
S. 223). Es führt entweder zur Einstellung oder aber zu einer Anklage. Es
dient einerseits dem Schutz des Beschuldigten vor ungerechtfertigter,
diffamierender Versetzung in den Anklagezustand und andererseits zur
Entlastung der Gerichte von Anklagen, die höchstwahrscheinlich zu einem
Freispruch führen (HAUSER, aaO, S. 229). Dieses Zwischenverfahren
ist entsprechend der anwendbaren Verfahrungsordnung unterschiedlich
ausgestaltet. Demnach ist auch die Frage, ob eine Amtsperson an diesem
Zwischenverfahren und am Hauptverfahren mitwirkt, unterschiedlich
geregelt. Ein summarischer Überblick über die in der Schweiz geltenden
Grundsätze zeigt folgendes Bild.

    In einer ersten Gruppe befinden sich Verfahrensordnungen, nach denen
eine strikte personelle Trennung zwischen einer Anklagezulassungs- oder
Überweisungsbehörde einerseits und dem mit der Sache befassten Gericht
andererseits besteht. So hat beispielsweise im Bundesstrafprozess die
Anklagekammer des Bundesgerichts eine vom Bundesanwalt erhobene Anklage
zu prüfen und die Sache etwa dem Bundesstrafgericht zu überweisen
(Art. 125 ff. BStP); das Bundesstrafgericht ist von der Anklagekammer
personell getrennt (Art. 12 Abs. 1 lit. d OG). In einer zweiten Gruppe
besteht die personelle Trennung grundsätzlich ebenfalls. Sie kann aber
insofern durchbrochen werden, als etwa im Falle einer auf Beschwerde
hin von einem kantonalen Gericht aufgehobenen Einstellungsverfügung im
Rechtsmittelverfahren zum Teil dieselben Richter über die Strafsache
selbst entscheiden. In einer dritten Gruppe wird der Entscheid über die
Anklagezulassung und die Überweisung einerseits und der Entscheid in
der Sache selbst zwar unterschiedlichen Organen zugeordnet, ohne dass
aber eine personelle Trennung garantiert wäre. So verhält es sich etwa
im Kanton Freiburg (vgl. BGE 113 Ia 72).

    In der schweizerischen Doktrin ist die Zulässigkeit der Personalunion
von überweisendem und erkennendem Richter kaum diskutiert worden. Einzelne
Autoren geben lediglich die gesetzlichen Bestimmungen wieder, während
andere etwa darauf hinweisen, dass ein Zulassungsentscheid das Endurteil
beeinflussen könne (vgl. GERHARD BUCHMANN, Das Zwischenverfahren im
schweizerischen Strafprozessrecht, Diss. Zürich 1936, S. 90 f.; ROLF
KÜNG-HOFER, Die Beschleunigung des Strafverfahrens unter Wahrung der
Rechtsstaatlichkeit, Diss. Bern 1984, S. 212 f.).

    c) Die Frage, ob der in der Anklagekammer die Anklage zulassende
Richter später die Strafsache auch materiell beurteilen dürfe,
ist in der zürcherischen Praxis und Gesetzgebung nicht immer
gleich behandelt worden. Unter der Herrschaft des vor 1976 geltenden
Gerichtsverfassungsgesetzes (aGVG) hat das Kassationsgericht des Kantons
Zürich im Jahre 1962 entschieden, dass eine solche Personalunion nach §
112 Abs. 1 Ziff. 3 aGVG unzulässig sei (publiziert in: ZR 62/1963 Nr. 2
S. 2 ff.; vgl. zum Wortlaut von § 112 aGVG WILLY HAUSER/ROBERT HAUSER,
Gerichtsverfassungsgesetz, 3. Auflage 1978). Das Kassationsgericht
führte darin aus, § 112 Ziff. 3 aGVG bezwecke, ein unbefangenes Urteil
der obern Instanz dadurch zu gewährleisten, dass alle Personen, die
sich schon in einer unteren Instanz mit der Sache befasst haben, von
der Mitwirkung in der Oberbehörde ausgeschlossen sein sollen. Dieser
Ausschlussgrund gelte nicht nur für den Fall, dass die obere Instanz
als eigentliche Rechtsmittelbehörde entscheide. Zweck der Vorschriften
über den Ausstand des Richters sei es, Situationen zu verhindern, in
denen eine Prozesspartei die Unbefangenheit des Richters auch nur in
Frage stellen könnte. Dieser Zweck sei von besonderer Bedeutung für den
Strafprozess. Es gelte, dem Verurteilten nach Möglichkeiten jeden Vorwand
zu nehmen, um das gegen ihn ergangene Urteil, als von einem auch nach
Auffassung des Gesetzgebers möglicherweise befangenen Richter ausgehend,
innerlich abzulehnen; einen solchen Vorwand aber habe der Verurteilte
solange, als die am "Verdachtsurteil" der Anklagekammer (§ 166 Abs. 2
StPO) mitwirkenden Richter auch an der endgültigen Beurteilung beteiligt
sind. Eine Minderheit des Gerichts begründete in diesem Urteil ihre
Minderheitsauffassung (ZR 62/1963 Nr. 2 S. 7 f.).

    Mit dem Gerichtsverfassungsgesetz von 1976 ist neu § 95 Abs. 2 GVG
aufgenommen worden, wonach derjenige Richter, der an einem Entscheid der
Anklagekammer beteiligt war, von der Mitwirkung beim Obergericht nicht
ausgeschlossen ist. - Den Materialien und Beratungen können die Gründe
hierfür kaum entnommen werden. Bereits in der Expertenkommission wurde
der erwähnte Entscheid des zürcherischen Kassationsgerichts - soweit
ersichtlich ohne vertiefte Diskussion - kritisiert, und es wurde eine
ausdrückliche Bestimmung vorgeschlagen, wonach die gleichzeitige Mitwirkung
in der Anklagekammer und im Obergericht zulässig sein soll. Dieser
Vorschlag ist im Antrag des Regierungsrates an das Parlament übernommen
worden (Amtsblatt 1971/II, Textteil, S. 1765 ff., insbes. S. 1849
und 1970), erfuhr in der parlamentarischen Kommission keine Änderung
(vgl. Amtsblatt 1974/I, Textteil, S. 457 ff. insbes. S. 547), wurde vom
Parlament diskussionslos akzeptiert (Protokoll des Kantonsrates 1971-1975,
Band VII, S. 7773 ff., insbes. S. 7793) und führte zur definitiven,
vom Volk angenommenen Abstimmungsvorlage (vgl. Amtsblatt 1975/II,
Textteil, S. 1629 ff. (insbes. S. 1725 und 1772) und 1976/I, Textteil,
S. 479 ff. (insbes. S. 572 und 620)). Die Materialien zeigen gesamthaft,
dass in erster Linie praktische Überlegungen ausschlaggebend waren, bewusst
von der Praxis des Kassationsgerichts abzuweichen; der Regierungsrat wollte
unbegründete Ausstandsgründe ausmerzen, wo eine ernsthafte Gefährdung der
richterlichen Unparteilichkeit nicht ersichtlich sei (Amtsblatt 1971/II,
Textteil, S. 1970). - In Vorentwürfen einer Expertenkommission für eine
neue Strafprozessordnung (vom 11. Juli 1980) und für eine Änderung des
Gerichtsverfassungsgesetzes (vom 10. November 1981) wird vorgeschlagen,
die Anklagekammer des Obergerichts aufzuheben und die Vorprüfung der
Anklage dem Präsidenten des zuständigen Gerichts zu übertragen (vgl. zur
Revision GVG § 46-48 E-GVG und § 251 ff. E-StPO).

    d) Nach der Strafprozessordnung der Bundesrepublik Deutschland
(StPO/BRD) ist der eröffnende Richter von der Mitwirkung in der Sache
selbst nicht ausgeschlossen. Wegen der bewusst kasuistischen, abschliessend
aufzählenden Fassung der Ausschlussgründe nach § 23 StPO/BRD wird diese
Bestimmung eng ausgelegt. Daher wird im alleinigen Umstand der Identität
von eröffnendem und erkennendem Richter auch kein Ausstandsgrund im Sinne
von § 24 StPO/BRD erblickt (CLAUS ROXIN, Strafverfahrensrecht, 20. Auflage
1987, S. 41; THEODOR KLEINKNECHT/KARLHEINZ MEYER, Kurz-Kommentar zur
Strafprozessordnung, 38. Auflage 1987, N. 1 f. zu § 23 und N. 12
ff. zu § 24; LÖWE/ROSENBERG, Grosskommentar zur Strafprozessordnung,
24. Auflage 1984, N. 25 und 30 ff. zu § 24). Diese Lösung ist in der
Literatur umstritten. Es wird u.a. darauf hingewiesen, dass die Eröffnung
des Hauptverfahrens die wichtigste Vorentscheidung und Vorbeurteilung im
Hauptverfahren darstellt und beim Angeschuldigten am ehesten die Besorgnis
erwecken könne, der Richter, der ihn als hinreichend verdächtig befunden
habe, trete ihm nicht mehr unvoreingenommen entgegen. Es wird daher
gefordert, dass zumindest auf die vor 1924 geltende Regelung zurückgekehrt
wird, wonach der am Eröffnungsbeschluss als Berichterstatter mitwirkende
Richter vom Hauptverfahren ausgeschlossen war (vgl. LÖWE/ROSENBERG, aaO,
Entstehungsgeschichte und N. 20 vor § 22, Entstehungsgeschichte zu § 23,
N. 30 zu § 24; ARZT, aaO, S. 61 f. und S. 68; HAMM, aaO, S. 190 ff.).

    Nach der französischen Strafprozessordnung sind neben dem
Instruktionsrichter diejenigen Mitglieder der Chambre d'instruction
von der materiellen Beurteilung der Strafsache ausgeschlossen, welche
eine Strafsache dem Tribunal correctionnel oder dem Tribunal de police
überwiesen hat (Art. 50-52 StPO/F in der seit dem 1. März 1988 geltenden
Fassung; vgl. PIERRE ESCANDE, Du juge d'instruction, in: Juris-classeur
de procédure pénale, Art. 49-52 StPO/F, N. 32 ff.). In der Cour d'assises
dürfen nach Art. 253 StPO/F keine Richter amten, welche am Entscheid
über die Überweisung der Strafsache an dieses Gericht mitwirkten
(oder an Instruktionsmassnahmen oder Entscheiden bezüglich der Schuld
des Angeklagten beteiligt waren) (vgl. HENRI ANGEVIN, Cour d'assises,
in: Juris-classeur de procédure pénale, Art. 240-267 StPO/F, N. 100
ff.). Hingegen ist ein Richter der Chambre d'accusation, welche eine
Strafsache an das Tribunal correctionnel oder das Tribunal de police
überwiesen hat, von der materiellen Beurteilung im Appellationsverfahren
nicht ausgeschlossen (JEAN ROBERT, Cour d'appel en matière correctionnelle,
in: Juris-classeur de procédure pénale, Art. 496-520 StPO/F, N. 9).

    e) Von besonderer Bedeutung ist die Rechtsprechung der Organe
der Europäischen Menschenrechtskonvention. Nach den Urteilen des
Gerichtshofes i.S. Piersack und De Cubber (vgl. EuGRZ 1986 S. 672 f.) hat
die Kommission in ihrem Bericht im Falle Ben Yaacoub den Strafrichter
De Neve im Sinne von Art. 6 Ziff. 1 EMRK als nicht unvoreingenommen
betrachtet, weil er früher die Chambre du conseil präsidiert hatte und
diese einerseits die Untersuchungshaft mehrmals und zum Teil entgegen
der Auffassung des Untersuchungsrichters verlängert und andererseits die
Strafsache an das zuständige Gericht überwiesen hatte. Die Kommission
führte insbesondere aus, die Chambre du conseil verfüge über einen
weiten Entscheidungsspielraum und könne das Verfahren aus materiellen
Gründen einstellen oder aber den Angeschuldigten der Cour d'assises
oder, soweit sie mildernde Umstände als gegeben erachtet, dem Tribunal
correctionnel überweisen. Dem Überweisungsbeschluss, mit dem ein
begründeter Tatverdacht bejaht werde, komme eine grosse Bedeutung zu,
wenn derselbe Richter hernach über die Schuld des Angeklagten zu befinden
habe. Schliesslich könne der Angeschuldigte Misstrauen in den in der Sache
urteilenden Richter empfinden, wenn dieser die Untersuchungshaft mehrmals
verlängert habe (Ziff. 101 ff. des Kommissionsberichtes; vgl. auch die
Minderheitsauffassung; der Fall Ben Yaacoub ist infolge gütlicher Einigung
vom Gerichtshof mit Urteil vom 27. November 1987 abgeschrieben worden,
Publications de la Cour européenne des droits de l'homme, Série A,
Vol. 127).

    Schliesslich ist auf den vor dem Europäischen Gerichtshof anhängigen
Fall Hauschildt gegen Dänemark hinzuweisen (Bericht der Kommission vom
16. Juli 1987; vgl. zum Zulassungsentscheid EuGRZ 1987 S. 355 f.). In
diesem Falle bewilligte der Richter Larsen vom City Court (Kobenhavns
Byret) nach der dänischen Verfahrensordnung mehr als ein Dutzend mal
die Verlängerung der Untersuchungshaft und genehmigte auch mehrmals die
Einzelhaft des Beschwerdeführers; hernach wirkte er am erstinstanzlichen
Urteil des City Court mit. Ferner haben Richter vom High Court (Ostre
Landsret) über die Untersuchungshaft und das eingelegte Rechtsmittel
befunden. Die Kommission erblickte in diesen Umständen keine Verletzung
der Garantie auf einen unbefangenen Richter. Sie führte zur Begründung
aus, zwischen einem Schuldspruch im Sinne von Art. 5 Ziff. 1 lit. a EMRK
und einer auf einem hinreichenden Verdacht beruhenden Untersuchungshaft
nach Art. 5 Ziff. 1 lit. c EMRK könne unterschieden werden. Der Umstand
allein, dass ein Richter von einer Strafsache schon Vorkenntnisse habe,
lasse ihn nicht als voreingenommen erscheinen. Der betroffene Richter
habe in keiner Weise untersuchungsrichterliche Aufgaben vollzogen
und auch das Untersuchungsergebnis in keiner Weise gewürdigt. Er habe
vielmehr lediglich die Anträge auf Verlängerung der Haft beurteilt,
damit aber das Verfahren nicht in eigener Initiative um einen Schritt
weitergeführt und insbesondere, im Gegensatz zum Fall Ben Yaacoub, auch
keine Überweisung vorgenommen (Ziff. 90 ff. des Kommissionsberichtes;
vgl. auch die Minderheitsmeinung).

Erwägung 5

    5.- a) Oben ist ausgeführt worden, dass für die Beurteilung
der Unbefangenheit eines Richters, der in der gleichen Sache
bereits Entscheidungen getroffen hat, auf die tatsächlichen und
verfahrensrechtlichen Umstände und die konkret zu entscheidenden
Fragen abzustellen ist (oben E. 3d). Im Hinblick auf die von den
Beschwerdeführern erhobene Rüge rechtfertigt es sich daher, vorerst das
kantonale Verfahrensrecht darzustellen.

    Das Hauptverfahren wird durch Einreichung der Anklageschrift
eingeleitet (§ 161 des Gesetzes betreffend den Strafprozess,
StPO). Als Anklagebehörde amtet bei geschworenen- oder obergerichtlicher
Zuständigkeit die Staatsanwaltschaft (§ 72 GVG). Über die Zulassung der
Anklage entscheidet in Sachen des Geschworenen und des Obergerichts die
Anklagekammer des Obergerichts (§ 165 StPO). Die Anklagekammer teilt
die Anklageschrift sofort nach Eingang schriftlich dem Angeklagten und
seinem Verteidiger mit. Gleichzeitig setzt sie dem Angeklagten und seinem
Verteidiger Frist an zur Erhebung von Einwendungen und zur Erklärung, ob
der eingeklagte Sachverhalt und dessen rechtliche Würdigung in der Anklage
anerkannt werden oder nicht (§ 198 StPO). Die Zulassungsbehörde prüft die
Untersuchungsakten auf das Vorhandensein von Mängeln in der Form oder in
der Sache; sie prüft die Anklageschrift insbesondere auf ihren Inhalt,
die örtliche und sachliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts, die
Frage der Verjährung und der abgeurteilten Sache sowie allenfalls auf
das Vorliegen eines Strafantrages (§ 166 Abs. 1 StPO). Die Anklagekammer
prüft überdies, ob der Angeklagte eines strafbaren Verhaltens hinreichend
verdächtig erscheint (§ 166 Abs. 2 StPO. vgl. zu § 166 Abs. 1 und Abs. 2
StPO HAUSER/HAUSER, aaO, S. 138 f.). Die Anklagekammer kann die Anklage
entweder zulassen, sie einstweilen nicht zulassen und den Entscheid von
einer Vervollständigung der Untersuchung oder von der Behebung anderer
Mängel abhängig machen oder schliesslich die Zulassung der Anklage
verweigern (§ 167 StPO; vgl. HAUSER/HAUSER, aaO, S. 139 f.). Die gänzliche
oder teilweise Nichtzulassung der Anklage ist zu begründen, nicht aber
die einfache Zulassung (§ 168 StPO). Der Entscheid der Anklagekammer ist
lediglich im Rahmen von § 169 und § 170 StPO mit Rekurs anfechtbar. Bei
Zulassung der Anklage beschliesst die Anklagekammer die Überweisung
an das Geschworenengericht oder an das Obergericht nach Massgabe der
gesetzlichen Bestimmungen (§ 198a StPO). Das urteilende Gericht ist
nach § 170 StPO an den Entscheid der Zulassungsbehörde nicht gebunden;
es kann neben Schuldspruch oder Freispruch u.U. auch die Einstellung des
Verfahrens beschliessen (ZR 73/1974 Nr. 75 S. 188 E. I 7; HAUSER/HAUSER,
aaO, S. 140; HAUSER, aaO, S. 233).

    Der Anklagekammer kommen ferner gewisse Befugnisse im Rahmen des
untersuchungsrichterlichen Verfahrens, insbesondere in bezug auf die
Anordnung bzw. Verlängerung der Untersuchungshaft zu. Die erstmalige
Untersuchungshaft wird vom Untersuchungsrichter angeordnet (§ 49 StPO;
vgl. BGE 102 Ia 179). Dauert die Untersuchungshaft mehr als 14 Tage, ohne
dass schon Anklage erhoben werden konnte, so hat die Untersuchungsbehörde
im Falle geschworenen- oder obergerichtlicher Kompetenz beim Präsidenten
der Anklagekammer um Bewilligung der Fortdauer der Haft zu ersuchen; der
Entscheid des Präsidenten der Anklagekammer kann an die Anklagekammer
weitergezogen werden (§ 51 StPO). Nach Einreichung der Anklageschrift
entscheidet bei ober- oder geschworenengerichtlicher Zuständigkeit die
Anklagekammer über die Anordnung oder Verlängerung der Haft (§ 52 StPO).

    b) aa) Aus dem Umstand allein, dass sich der urteilende Richter in
einem früheren Zeitpunkt mit der Sache schon einmal befasste, kann, wie
oben dargelegt (E. 3d), grundsätzlich nicht schon auf Befangenheit oder
aber Unvoreingenommenheit geschlossen werden. Es kann daher nichts daraus
gefolgert werden, dass die abgelehnten Oberrichter überhaupt schon einmal
an einem beliebigen Entscheid der Anklagekammer in der gleichen Sache
mitgewirkt haben. Ebenso wenig entscheidend ist, dass die Anklagekammer
im Anklagezulassungsverfahren lediglich eine beschränkte und einstweilige
Prüfung vornimmt. Einstweilig bedeutet lediglich, dass das zuständige
Gericht durch den Zulassungsentscheid nicht gebunden ist, und beschränkte
Prüfung heisst, dass die Anklagekammer nicht alle für das Gericht
wesentlichen Fragen prüft bzw. diese nicht mit der gleichen Genauigkeit
untersucht. Es ist für die Problematik der Vorbefassung geradezu typisch,
dass in den verschiedenen Stadien nicht dieselben Fragen beurteilt und
diese mit unterschiedlicher Verbindlichkeit und Kognition geprüft werden.

    Die Anklagekammer wirkt, wie im angefochtenen Entscheid ausgeführt
wird, in keiner Weise an der Strafuntersuchung mit. Sie ist auch nicht an
der Anklageerhebung beteiligt und kann die Anklagebehörde insbesondere
nicht anweisen, Anklage wegen eines andern oder schwereren Deliktes
zu erheben (HAUSER/HAUSER, aaO, S. 137). Damit aber entfallen für den
vorliegenden Fall die Gründe, welche im Jahre 1986 zur Änderung der
Rechtsprechung in bezug auf die Personalunion von Untersuchungsrichter
und Sachrichter führten, nur zum Teil. Denn das Bundesgericht hat dem
Umstand, dass der Walliser Sachrichter vor dem Sachentscheid nicht nur die
Strafuntersuchung führte, sondern darüber hinaus auch an der Überweisung
der Strafsache mitwirkte, eine gewisse Bedeutung beigemessen (BGE 113
Ia 75).

    bb) In bezug darauf, welche Fragen die Anklagekammer im
Zulassungsverfahren einerseits und die Strafkammer in der Sache selbst
andererseits entscheidet und in welchem Verhältnis diese zueinander
stehen, ist einmal davon auszugehen, dass die Anklagekammer die
Untersuchungsakten auf Mängel in der Form oder der Sache überprüft und
beispielsweise untersucht, ob dem Angeklagten gewisse Verteidigungsrechte
gewährt worden sind. Sie klärt weiter ab, ob die Anklageschrift den
gesetzlichen Anforderungen entspricht. Formellrechtlich prüft sie
ferner, ob etwa Gerichtsbarkeit, Strafantrag, Verfolgungsermächtigung
und örtliche und sachliche Zuständigkeit gegeben seien und ob Verjährung
oder abgeurteilte Sache einer weitern Strafverfolgung entgegenstünden
(vgl. HAUSER/HAUSER, aaO, S. 138/139). Soweit demnach die Anklagekammer
im Zulassungsverfahren über den Gang der Untersuchung, die Form der
Anklageschrift oder formellrechtliche Probleme befindet, so stehen
diese Fragen nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit jenen, über die der
Strafrichter entscheidet. Trotz der Kenntnis des Dossiers erscheint der
Ausgang des Hauptverfahrens durchaus offen. Immerhin sind eine gewisse
Nähe der Fragen und damit ein gewisser Anschein der Voreingenommenheit
des Sachrichters dann nicht zum vornherein ausgeschlossen, wenn der
Beschuldigte im Zulassungsverfahren etwa eine schwierig zu beurteilende
Verjährungseinrede vorbringt und die Anklage dennoch zugelassen wird.

    In materieller Hinsicht befindet die Anklagekammer im
Zulassungsverfahren, ob der in der Anklageschrift enthaltene Sachverhalt
die angerufenen Straftatbestände zu erfüllen vermöge. Sie untersucht
nach § 166 Abs. 2 StPO, ob der Angeschuldigte eines strafbaren Verhaltens
hinreichend verdächtig erscheine. Diese Prüfung - welche über diejenige
bei der Anklagezulassung bei bezirksgerichtlicher Kompetenz hinausgeht
(vgl. HAUSER, aaO, S. 229; HAUSER/HAUSER, aaO, S. 139; ZR 62/1963 Nr. 2
S. 5) - schliesst in sich die Tatfrage, ob die Akten Anhaltspunkte
dafür geben, dass der Angeschuldigte die eingeklagte Tat wirklich
begangen habe, d.h. ob wirklich genügend Verdachtsgründe vorlägen
(ZR 59/1960 Nr. 80 S. 187; HAUSER/HAUSER, aaO, S. 139). Damit wird
im Anklagezulassungsverfahren u.a. eine sehr ähnliche Frage geprüft
wie im Hauptverfahren, nämlich ob der Angeschuldigte als Täter des ihm
vorgeworfenen Deliktes in Frage kommt. Der Strafrichter hat sich zwar im
Hauptverfahren von der definitiven Schuld des Angeklagten zu überzeugen,
während der Zulassungs- und Überweisungsrichter lediglich provisorisch
hinreichenden Tatverdacht bejaht. Die Terminologie ist indessen für
sich allein genommen nicht entscheidend. Es kommt vielmehr darauf an,
dass in beiden Verfahrensabschnitten eine ähnliche oder qualitativ
gleiche Frage geprüft wird. Diese Prüfung kann zudem aufgrund einer
umfassenden Würdigung des Untersuchungsergebnisses erfolgen. Dabei ist
nicht wesentlich, ob im Anklagezulassungs und Überweisungsverfahren
diese umfassende Würdigung tatsächlich vorgenommen wird; denn unter
dem Gesichtswinkel des Anscheins der Befangenheit kommt es in erster
Linie auf die zustehenden Kompetenzen und weniger darauf an, in welchem
Umfange davon Gebrauch gemacht worden ist (vgl. EuGRZ 1986 S. 674 E. c
am Ende, BGE 112 Ia 300 f.). Bereits im Umstand, dass damit in beiden
Verfahrensabschnitten über eine sehr ähnliche Frage aufgrund umfassender
Würdigung des Untersuchungsergebnisses entschieden wird, mag ein Grund
dafür erblickt werden, der Ausgang des Hauptverfahrens erscheine im Falle
der Mitwirkung derselben Richter nicht mehr als offen. Aus objektiver
Sicht kann befürchtet werden, der Strafrichter habe sich wegen seiner
früheren Mitwirkung bereits in einem Ausmasse eine Meinung gebildet,
die ihn nicht mehr als unvoreingenommen erscheinen lässt.

    cc) Die Besorgnis der Voreingenommenheit wird durch die Art des
Verfahrens nicht ausgeräumt. Der Anklagekammer kommt im Zulassungsverfahren
zum einen ein grosser Entscheidungsspielraum zu; sie kann die Anklage
aus materiellen Gründen zulassen, nicht zulassen oder auch nur vorläufig
nicht zulassen und den definitiven Entscheid von der Vervollständigung
der Untersuchung oder der Behebung von Mängeln abhängig machen (§ 167
StPO). Vor der Anklagekammer findet zum andern ein eigentliches förmliches,
nicht öffentliches Verfahren statt (vgl. HAUSER/ HAUSER, aaO, S. 136). Der
Beschuldigte kann zur Anklageschrift Stellung nehmen und Anträge, etwa auf
Nichtzulassung oder vorläufige Nichtzulassung stellen; im vorliegenden
Fall haben die Beschwerdeführer denn auch ausführliche Stellungnahmen
eingereicht. Nach der Verfahrensordnung ist über solche Einwendungen
sorgfältig zu befinden, und die Anklagekammer hat zu prüfen, ob die Anklage
trotz der Vorbringen zugelassen werden kann. Der Zulassungsentscheid
wird nicht begründet (§ 168 StPO). Das Verfahren zeigt somit, dass die
Richter der Anklagekammer mit grossem Entscheidungsspielraum und unter
Prüfung der Einwendungen des Angeschuldigten den hinreichenden Tatverdacht
bejahen und die Anklage zulassen. Bei dieser Sachlage erscheint der Ausgang
der Hauptverhandlung auch unter dem Gesichtswinkel des Verfahrens nicht
mehr als vollkommen offen, und es kann befürchtet werden, die Oberrichter
hätten sich bereits mit der Anklagezulassung eine Meinung über die Schuld
der Beschwerdeführer gemacht.

    dd) Schliesslich ist die Bedeutung des Zulassungsentscheides zu
beachten. Mit der Anklagezulassung wird die förmliche Versetzung in den
Anklagezustand und die Überweisung der Strafsache an das zuständige Gericht
verbunden. Damit ist von diesem Zeitpunkt an das Gericht mit der Sache
definitiv befasst. Mit dem Zulassungsentscheid bringt die Anklagekammer
demnach das Verfahren um einen entscheidenden Schritt voran. Er ist daher
auch nicht mit einer prozessleitenden Anordnung oder einem Entscheid
über einen Haftrekurs vergleichbar. Angesichts der Konsequenzen auf
den Fortgang des ganzen Verfahrens kommt dem Zulassungsentscheid unter
dem Gesichtswinkel von Art. 58 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK ein
erhebliches Gewicht zu.

    ee) Zusammenfassend ergibt sich somit, dass die Anklagekammer
im Zulassungsverfahren unter Berücksichtigung der Einwendungen der
Angeschuldigten mit grossem Entscheidungsspielraum eine ähnliche Frage
wie im Hauptverfahren beurteilt und einen für den Gang des Verfahrens
ausschlaggebenden Entscheid fällt. Besteht nun wie im vorliegenden
Fall teilweise personelle Identität zwischen dem Zulassungs- und
Überweisungsrichter einerseits und dem Sachrichter andererseits,
so erwecken die genannten Umstände die Besorgnis, dass sich der
Sachrichter bereits eine Meinung gebildet hat und demnach der Ausgang
des Hauptverfahrens vorbestimmt und somit nicht mehr offen ist. Der
Angeklagte kann mit Grund befürchten, der Sachrichter, der das
Untersuchungsergebnis bereits einmal überprüfte, unterziehe dieses
im Hauptverfahren nicht mehr einer unvoreingenommenen Prüfung. Die
Besorgnis der Befangenheit ist umso grösser, als der Richter wegen
seiner Vorkenntnisse im Richterkollegium ein verstärktes Gewicht ausüben
kann (vgl. BGE 112 Ia 301 f., EuGRZ 1986 S. 674; Urteil De Cubber,
Ziff. 29). Mit der personellen Identität von einzelnen Richtern wird zudem
die Verfahrensordnung, welche den Zulassungsentscheid und das Urteil
in der Sache selbst verschiedenen Organen zuordnet, gewissermassen
unterlaufen (vgl. Bericht i.S. Hauschildt, Ziff. 106; TRECHSEL, aaO
S. 397). Die genannten Umstände sind von einem derartigen Gewicht, dass
das Misstrauen in die Unbefangenheit des erkennenden Richters nicht nur aus
der Sicht der Angeschuldigten, sondern auch in objektiver Weise begründet
erscheint. Demnach genügen die abgelehnten Oberrichter, welche bereits am
Zulassungs- und Überweisungsentscheid mitwirkten, als erkennende Richter
den Anforderungen von Art. 58 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK nicht.

    ff) Im vorliegenden Fall die Besorgnis der Voreingenommenheit zu
bejahen, entspricht auch der jüngsten Entwicklung der Entscheidungen
der Strassburger Organe. Die Kommission hat im Falle Ben Yaacoub deshalb
Befangenheit des Richters angenommen, weil dieser die Untersuchungshaft
mehrmals verlängerte und an der Überweisung mitwirkte. In ausdrücklicher
Auseinandersetzung mit diesem Bericht schloss die Kommission im Falle
Hauschildt, dass der Haftrichter später als Sachrichter amten könne. Aus
dem Vergleich ergibt sich damit, dass es entscheidend auf die Mitwirkung
an der Überweisung ankommt. Die Befugnisse des Überweisungsrichters und
die Breite des Entscheidungsspielraumes im Falle Ben Yaacoub sind mit
denjenigen der Anklagekammer im vorliegenden Fall durchaus vergleichbar
(Bericht i.S. Ben Yaacoub, Ziff. 26-34 und 101-103). Für die Kommission war
schliesslich auch die Bedeutung des Überweisungsbeschlusses für den Gang
des Verfahrens sowie der Umstand entscheidend, dass der Überweisungsrichter
das Untersuchungsergebnis umfassend würdigen kann (Bericht Hauschildt,
Ziff. 112).

    gg) Das Bundesgericht hat in seinen Entscheiden aus dem Jahre 1986
zur Frage der Zulässigkeit der Personalunion von Untersuchungsrichter
und erkennendem Richter ausgeführt, dass das Problem der Befangenheit
nicht dadurch gelöst werden könne, dass der Angeklagte den Sachrichter im
Einzelfall unter erleichterten Voraussetzungen oder gar ohne Begründung
ablehnen dürfe. Denn damit bekäme der Angeklagte die Möglichkeit,
den zuständigen Richter selber mitzubestimmen oder ihn aus sachfremden
Gründen gewissermassen auszuwählen. Dies sei aber mit der Garantie auf
den primär gesetzlich bestimmten Richter unvereinbar (BGE 112 Ia 303
E. e, EuGRZ 1986 S. 674 E. d, mit Hinweisen; vgl. zum Verhältnis vom
gesetzlichen Richter zum Anspruch auf Ablehnung auch HAMM, aaO, S. 53
ff.). Die gleichen Erwägungen treffen auf den vorliegenden Fall zu.

    c) Aufgrund dieser Erwägungen erweist sich demnach eine personelle
Trennung von Zulassungs- bzw. Überweisungsrichter einerseits und dem
Sachrichter andererseits für das obergerichtliche Verfahren nach der
zürcherischen Strafprozessordnung als erforderlich. Die Vorschrift von §
95 Abs. 2 GVG kann demnach im vorliegenden Fall nicht angewendet werden.

    Mit dieser personellen Trennung zwischen dem Überweisungsverfahren und
der materiellen Beurteilung der Strafsache wird einerseits der Anspruch
auf einen unvoreingenommenen, unbefangenen und unparteiischen Sachrichter
im Hauptverfahren im Sinne von Art. 58 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK
garantiert. Zum andern wird das Zwischenverfahren, in dem eine Anklage
einer Prüfung unterzogen wird (vgl. oben E. 4b), aufgewertet und dem
Angeschuldigten in rechtsstaatlicher Weise ein effektiver Schutz gewährt,
nicht in ungerechtfertigter und diffamierender Weise in den Anklagezustand
versetzt und dem Gericht überwiesen zu werden.

    d) Im vorliegenden Fall braucht das Bundesgericht nicht darüber
zu befinden, wie es sich unter dem Gesichtswinkel von Verfassung und
Konvention verhielte, soweit bei bezirksgerichtlicher Zuständigkeit die
Anklage vom Bezirksgerichtspräsidenten zugelassen wird, soweit sich im
Zulassungsverfahren ausschliesslich sog. formelle Fragen stellen oder
soweit ein Geständnis des Angeschuldigten vorliegt. In den Erwägungen
ist zum einen auf das teilweise unterschiedliche Verfahren hingewiesen
worden; zum andern geht daraus aber auch hervor, dass nicht alleine
darauf abgestellt werden könne, in welchem Umfange von den gesetzlichen
Kompetenzen im Einzelfall tatsächlich Gebrauch gemacht worden ist.

Erwägung 6

    6.- Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich damit,
dass die abgelehnten Richter, welche bereits am Zulassungs- und
Überweisungsentscheid der Anklagekammer mitgewirkt haben, als erkennende
Richter im Hauptverfahren nicht die nötige Gewähr für eine unbefangene
und unvoreingenommene Beurteilung der Strafsache bieten. Die Rüge der
Verletzung von Art. 58 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK erweist sich
daher als begründet.

    Demnach sind die vorliegenden Beschwerden gutzuheissen, soweit darauf
eingetreten werden kann, und der angefochtene Entscheid der I. Strafkammer
des Obergerichts ist aufzuheben.