Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 114 IA 466



114 Ia 466

73. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 16.
November 1988 i.S. Einwohnergemeinde Luterbach gegen Einwohnergemeinde
Deitingen, Vigier Cement AG und Regierungsrat des Kantons Solothurn
(staatsrechtliche Beschwerde) Regeste

    Art. 88 OG; Legitimation der Gemeinde zur Anfechtung der Genehmigung
der Nutzungsplanung der Nachbargemeinde.

    Die Genehmigung der Nutzungsplanung einer Gemeinde durch
den Regierungsrat präjudiziert aufgrund des Planabstimmungsgebots
(Art. 2 Abs. 1 RPG) in einem gewissen Umfang die Nutzungsplanung der
Nachbargemeinde und berührt sie damit in ihrer hoheitlichen Befugnis als
Trägerin der Nutzungsplanung. Die Nachbargemeinde ist daher zur Beschwerde
wegen Verletzung ihrer Gemeindeautonomie legitimiert (E. 1).

Sachverhalt

    A.- Einige Kilometer vom Kerngebiet der Solothurner Gemeinde
Deitingen entfernt liegt im Schnittpunkt der drei solothurnischen
Gemeinden Deitingen, Luterbach und Riedholz am rechten Aareufer auf
Deitinger Boden das Gebiet "Wilihof". Dort ist seit dem vergangenen
Jahrhundert die Vigier Cement AG angesiedelt. Damals entstand in Anlehnung
an einen schon bestehenden Herrensitz eine Industrieanlage, in der die
Vigier Cement AG während Jahrzehnten ein Zementwerk betrieb. Nach der
Verlegung der Zementproduktion nach Reuchenette verblieb im "Wilihof"
ein Gewerbe mit Lagerung und Umschlag von Futtermitteln, die Verwaltung
sowie ein Zwischenlager für Baumaterialien einer Tochtergesellschaft. An
den "Wilihof" grenzt am rechten Aareufer auf dem Gebiet der benachbarten
Gemeinde Luterbach eine ausgedehnte Industriezone. Etwa 500 m flussaufwärts
liegt auf dem linken Aareufer die Industriezone der Gemeinde Riedholz.

    Im Rahmen einer umfassenden Revision der Ortsplanung der
Einwohnergemeinde Deitingen legte der Gemeinderat Deitingen die Pläne
sowie das neue Bau- und Zonenreglement vom 28. Februar bis 29. März 1985
öffentlich auf. Der Teilzonen- und Gestaltungsplan "Wilihof" enthält die
Einzonung des ungefähr 3 ha umfassenden Gebietes in Industriezonen A,
B und C. Gegen den Teilzonen- und Gestaltungsplan "Wilihof" erhob die
benachbarte Einwohnergemeinde Luterbach Einsprache, die der Gemeinderat
Deitingen am 26. Februar 1986 abwies.

    Gegen den Einspracheentscheid gelangte die Gemeinde Luterbach
mit Beschwerde an den Regierungsrat des Kantons Solothurn. Im Zuge des
Beschwerde- und Genehmigungsverfahrens wurden verschiedene Verbesserungen
am Gestaltungsplan angebracht. Am 27. Oktober 1987 genehmigte der
Regierungsrat den Teilzonen- und Gestaltungsplan in der Fassung vom
21. Januar 1985/13. Februar 1986/7. Januar 1987 und wies gleichzeitig die
Beschwerde der Gemeinde Luterbach ab. Eine von der Gemeinde Luterbach
gegen diesen Entscheid erhobene staatsrechtliche Beschwerde weist das
Bundesgericht ab, soweit es auf sie eintreten kann.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Zunächst ist zu klären, ob die Beschwerdeführerin zur Erhebung
der staatsrechtlichen Beschwerde legitimiert ist. Diese Frage prüft das
Bundesgericht frei und von Amtes wegen (BGE 113 Ia 238 E. 2a, 249 E. 2,
je mit Hinweisen).

    a) Die Legitimation von Gemeinden zur staatsrechtlichen Beschwerde
wegen Verletzung ihrer Autonomie ist nach der bundesgerichtlichen
Rechtsprechung immer dann zu bejahen, wenn eine Gemeinde durch den
angefochtenen Entscheid in ihren hoheitlichen Befugnissen berührt wird. Ob
sie im betreffenden Bereich auch tatsächlich Autonomie geniesst, ist
nicht mehr eine Frage des Eintretens, sondern eine solche der materiellen
Beurteilung (BGE 114 Ia 76 E. 1 mit Hinweisen).

    Im vorliegenden Fall wäre somit auf die Beschwerde ohne weiteres
einzutreten, wenn die Beschwerdeführerin sich mit ihr gegen einen Entscheid
des Regierungsrats über ihre eigene Ortsplanung zur Wehr setzte. Die
Beschwerdeführerin wendet sich indessen mit ihrer staatsrechtlichen
Beschwerde nicht gegen einen ihre eigene Ortsplanung betreffenden
Genehmigungsbeschluss des Regierungsrats, sondern gegen einen die
Ortsplanung ihrer Nachbargemeinde betreffenden Genehmigungsbeschluss. Es
erhebt sich daher die Frage, ob die Beschwerdeführerin durch den
angefochtenen Entscheid in ihren eigenen hoheitlichen Befugnissen
berührt ist.

    b) Gemäss § 9 Abs. 1 des Baugesetzes des Kantons Solothurn vom
3. Dezember 1978 (BauG) ist die Ortsplanung Aufgabe der Gemeinden. Die
Beschwerdeführerin ist demnach zur Ausarbeitung einer Ortsplanung
sowohl berechtigt als auch verpflichtet; sie ist für den Sachbereich
der Ortsplanung Trägerin der staatlichen Planungshoheit. Art. 2 Abs. 1
RPG bestimmt, dass Bund, Kantone und Gemeinden ihre Planungen aufeinander
abzustimmen, d.h. insbesondere gegenseitige Behinderungen und Widersprüche
zwischen Planungen für benachbarte Gebiete vermeiden müssen (EJPD/BRP,
Erläuterungen zum Bundesgesetz über die Raumplanung, Bern 1981, Art. 2 N 4
i.V.m. Art. 1 N 18). Diese Abstimmungspflicht, die für das solothurnische
Recht in § 9 Abs. 4 lit. c BauG ausgeführt wird, hat zur Folge, dass
die vom Regierungsrat genehmigte Ortsplanung der Beschwerdegegnerin die
Ortsplanung der Beschwerdeführerin in einem gewissen Umfang präjudiziert,
da diese bei der Ausarbeitung ihrer eigenen Planung auf die genehmigte
Planung der benachbarten Beschwerdegegnerin Rücksicht nehmen muss. Damit
ist die Beschwerdeführerin durch den Genehmigungsbeschluss in ihrer
hoheitlichen Befugnis als Trägerin der Planungshoheit für die Ortsplanung
betroffen und zur staatsrechtlichen Beschwerde wegen Verletzung ihrer
Gemeindeautonomie legitimiert. Ob eine die Legitimation begründende
genügende Berührtheit auch dann gegeben wäre, wenn die Möglichkeit der
Präjudizierung der Planung einer nicht unmittelbar benachbarten Gemeinde
wegen der Entfernung zwischen den Gemeinden als wenig wahrscheinlich
erschiene, kann dabei offenbleiben, da die Territorien der Parteien des
vorliegenden Beschwerdeverfahrens unmittelbar aneinander grenzen.