Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 114 IA 371



114 Ia 371

62. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 20.
Dezember 1988 i.S. Einwohnergemeinde Aesch gegen Einwohnergemeinde
der Stadt Basel und Regierungsrat des Kantons Basel-Landschaft
(staatsrechtliche Beschwerde) Regeste

    Gemeindeautonomie; Zonenplanänderung (Art. 15 RPG); Prüfungsbefugnis
der Genehmigungsbehörde, Interessenabwägung.

    1. Grundsätze (E. 2).

    2. Umfang der Rechtmässigkeitsprüfung bei der Genehmigung einer
kommunalen Zonenplanänderung (E. 4).

    3. Im Rahmen der bei Raumplanungsmassnahmen vorzunehmenden
umfassenden Interessenabwägung ist auch das Gebot der Erhaltung genügender
Fruchtfolgeflächen zu berücksichtigen (E. 5).

Sachverhalt

    A.- Zwischen den Gemeinden Aesch und Reinach, das heisst am Nordrand
des Siedlungsbereiches von Aesch, liegen die der Einwohnergemeinde der
Stadt Basel gehörenden Grundstücke Nrn. 1324, 1337 und 3100. Gemäss
Zonenplan der Gemeinde Aesch vom 24. Januar 1964 sind die Parzellen
Nrn. 1324 und 3100 der Gewerbezone G1 zugeteilt; das westlich angrenzende
Grundstück Nr. 1337 gehört zur Spezialzone "Heim für Gebrechliche".

    Im Rahmen einer Mutation des Zonenplanes beantragte der Gemeinderat
von Aesch, das Grundstück Nr. 1337 und einen Teil der Parzelle Nr. 1324 in
die Landwirtschaftszone zurückzuzonen sowie auf der Parzelle Nr. 3100 und
auf dem Rest der Parzelle Nr. 1324 die Gewerbezone G1 zu etappieren. Die
Gemeindeversammlung dagegen beschloss am 26. Mai 1986, nicht nur den
vom Gemeinderat vorgeschlagenen Teil, sondern die 8 ha umfassenden
Parzellen Nrn. 1324 und 3100 vollständig von der Gewerbezone G1 in die
Landwirtschaftszone umzuteilen.

    Eine dagegen eingereichte Einsprache der Einwohnergemeinde der Stadt
Basel hiess der Regierungsrat am 9. Februar 1988 in dem Sinne gut, als er
"der Rückzonung der Gewerbezone von Parzelle Nr. 3100 sowie der Rückzonung
einer grösseren Teilfläche der Gewerbezone von Parzelle Nr. 1324 in die
Landwirtschaftszone" die Genehmigung verweigerte.

    Das Bundesgericht heisst die gegen diesen Entscheid eingereichte
staatsrechtliche Beschwerde der Gemeinde Aesch gut.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- a) Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist eine
Gemeinde in einem Sachbereich autonom, wenn das kantonale Recht diesen
Bereich nicht abschliessend ordnet, sondern ihn ganz oder teilweise
der Gemeinde zur Regelung überlässt und ihr dabei eine relativ
erhebliche Entscheidungsfreiheit einräumt (BGE 113 Ia 206; 112 Ia 63
f.). Ist diese Voraussetzung erfüllt, so kann die Gemeinde von der
staatsrechtlichen Beschwerde Gebrauch machen, um zu erreichen, dass
die kantonale Rechtsmittel- oder Genehmigungsbehörde formell im Rahmen
ihrer Prüfungsbefugnis bleibt und materiell die kommunalen, kantonalen
oder bundesrechtlichen Normen, die den betreffenden Sachbereich ordnen,
in denen Autonomie besteht, richtig anwendet. Das Bundesgericht prüft
den Entscheid der kantonalen Behörde auf Willkür hin, soweit Gesetzes-
und Verordnungsrecht in Frage steht; mit freier Kognition entscheidet
es, wenn es sich um Verfassungsrecht des Bundes oder der Kantone handelt
(BGE 114 Ia 79 E. 4a; 113 Ia 206 E. 2b; 112 Ia 282).

    b) Mit dem angefochtenen Entscheid hat der Regierungsrat die von der
Gemeindeversammlung Aesch beschlossene Auszonung des Gebietes "Tschuppen",
mithin eine Änderung des Zonenplanes, nicht genehmigt. Die Gemeinden des
Kantons Basel-Landschaft sind nach den §§ 3 und 4 des Baugesetzes des
Kantons Basel-Landschaft vom 15. Juni 1967 (BauG) befugt, Bauvorschriften
und die für die Ortsplanung massgebenden Pläne mit den dazugehörigen
Reglementen zu erlassen. Sie sind somit, wie das Bundesgericht wiederholt
festgestellt hat, auf dem Gebiet des Bau- und Planungsrechtes, namentlich
hinsichtlich der Unterteilung in Bau- und Landwirtschaftszonen, autonom
(Entscheid des Bundesgerichtes vom 10. Dezember 1987 i.S. Einwohnergemeinde
Oberwil, publiziert in Pra. 77/1988 S. 817 E. 2b; 110 Ia 170; 108
Ia 36). Ob § 45 Abs. 2 KV den Gemeinden einen über das bisherige
Recht hinausgehenden Schutz gewährt, kann offengelassen werden, da die
Beschwerde, wie die folgenden Erwägungen ergeben, ohnehin gutzuheissen ist.
Die Gemeinde Aesch ist somit im erwähnten Sachbereich autonom; ihre Rügen,
der Regierungsrat habe im Rechtsmittel- und Genehmigungsverfahren ihre
Autonomie einerseits dadurch verletzt, dass er seine Prüfungsbefugnis
überschritten habe und andererseits dadurch, dass er bei der Anwendung der
kommunalen, kantonalen und bundesrechtlichen Normen in Willkür verfallen
sei und überdies kantonales Verfassungsrecht unrichtig ausgelegt oder
angewendet habe, sind zulässig.

Erwägung 4

    4.- a) Die Beschwerdeführerin rügt weiter, der Regierungsrat habe seine
Prüfungsbefugnis überschritten. Er dürfe nur eine Rechtmässigkeitskontrolle
ausüben, ausser bei regionalplanerischen Aspekten. Namentlich sei es ihm
verwehrt, sein eigenes Ermessen an die Stelle desjenigen der Gemeinde
zu setzen. Er habe ohne genügende sachliche Argumente rein politisch
entschieden.

    b) Der Regierungsrat des Kantons Basel-Landschaft überprüft die
Bauvorschriften "auf ihre Rechtmässigkeit. Vorbehalten bleibt die
Ermessenskontrolle aus Gründen der Regionalplanung" (§ 3 Abs. 2 BauG). In
den Rahmen der Rechtmässigkeitskontrolle gehören sowohl die Beurteilung des
Baulandbedarfes (Art. 15 lit. b des Bundesgesetzes über die Raumplanung vom
22. Juni 1979 [RPG]), der Voraussetzungen der Landwirtschaftszone (Art. 16
RPG) als auch der Abstimmung und Abwägung zwischen diesen Zonenansprüchen
(Art. 1 Abs. 1 Satz 2, Art. 2 Abs. 1 RPG; BGE 113 Ib 230). ...

Erwägung 5

    5.- a) Die Beschwerdeführerin rügt sodann eine Verletzung von
Art. 4 BV (Willkür). Sie macht geltend, der gesamte regierungsrätliche
Entscheid sei praktisch "standardisiert" und enthalte keinerlei
sachlich fundierte Argumente, welche den im Rahmen von Art. 3 RPG
getroffenen Planungsentscheid der Gemeinde Aesch entkräften könnten. Sie
verweist in diesem Zusammenhang auf verschiedene Planungsgrundsätze des
Raumplanungsgesetzes, an denen sich der Auszonungsbeschluss orientiere und
denen der Regierungsrat kein sachliches Argument entgegenhalte. Überdies
seien im angefochtenen Entscheid einseitig wirtschaftsfördernde Aspekte
in den Vordergrund gerückt worden, ohne den planerischen Zielsetzungen
bezüglich des Landschaftsschutzes und der Landwirtschaft gerecht zu
werden und ohne das grosse Defizit an Fruchtfolgeflächen im Kanton
Basel-Landschaft zu berücksichtigen.

    b) Bei der Erfüllung raumplanerischer Aufgaben haben die
Planungsbehörden die im positiven Recht normierten Ziele und Grundsätze
optimal zu berücksichtigen. Solche ergeben sich aus dem Bundesrecht
(insbesondere Art. 1 und 3 RPG, ferner Art. 15 ff. RPG) sowie aus dem
kantonalen Recht. Dabei muss eine umfassende Berücksichtigung und Abwägung
der verschiedenen Interessen vorgenommen werden. Die raumplanerische
Interessenabwägung beschränkt sich nicht nur auf die im Raumplanungsgesetz
erwähnten Interessen. Wie bereits Art. 1 Abs. 2 und Art. 3 RPG zeigen,
sind bei der Durchführung einer konkreten Planung alle Interessen,
seien es öffentliche oder private, zu beachten, welche aufgrund der
konkreten Umstände und des geltenden Rechts als massgebend erscheinen
(BGE 113 Ib 230 f. E. c; 107 Ib 37 f.). Die Bauzonenvorschrift von
Art. 15 RPG ist demnach nicht allein massgebend. Planungsmassnahmen
sind nur dann verfassungskonform, wenn neben den Kriterien der Eignung,
der Überbauung und des Bedarfes auch die anderen, für den konkreten Fall
massgebenden Gesichtspunkte bei der Interessenabwägung berücksichtigt
werden. Die Raumplanung bezweckt nicht nur die geordnete Besiedlung des
Landes sowie die Erhaltung genügender Kulturflächen, sondern sie steht
auch im Dienste anderer öffentlicher Interessen (BGE 113 Ia 461 f. E. 5a).

    c) Nebst einem Hinweis auf die genügende Erschliessung des
fraglichen Gebietes führt der Regierungsrat zur Begründung seines
Nichtgenehmigungsentscheides aus, im Bezirk Arlesheim falle der Anteil
freier Gewerbe-/Industriezonen im Vergleich zu den freien Wohnzonen bereits
heute kleiner aus. Durch die Rückzonung von zusätzlich ca. 8 ha Land von
der Gewerbezone in die Landwirtschaftszone würde dieses Verhältnis noch
ungünstiger. Bei Rückzonungsfragen müsse den Gewerbe-/Industriezonen aus
raumplanerischer Sicht eine hohe Priorität eingeräumt werden. Die von der
Gemeinde Aesch vorgenommene Rückzonung widerspreche dem Planungsgrundsatz,
dass Wohn- und Arbeitsgebiet einander zweckmässig zuzuordnen und durch
das öffentliche Verkehrsnetz hinreichend zu erschliessen seien. Hinzu
komme, dass die Gewerbezone im Gebiet "Tschuppen" hervorragende
Lagevorteile besitze, bestehe doch heute schon ein Direktanschluss an die
Hochleistungsstrasse J18. Auch liege es an der Peripherie des Baugebietes
von Aesch; dies zeige, dass es sehr geeignetes Gewerbeland sei, weil die
anzunehmenden Lärmimmissionen das Wohngebiet nicht beeinträchtigen würden.
Weiter gelte es festzuhalten, dass die Erschliessung mit dem öffentlichen
Verkehrsmittel bereits heute gewährleistet sei, liege doch das Gewerbeland
direkt an der Tramlinie 11 der BLT.

    d) Wie weit diesen Erwägungen zu folgen ist, kann dahingestellt
bleiben. Sie genügen jedenfalls der vom Raumplanungsgesetz
geforderten umfassenden Interessenabwägung nicht, da sie unvollständig
sind. Insbesondere ist mit keinem Wort dargelegt, ob auch Interessen gegen
die Einzonung sprechen. So behandelt der angefochtene Entscheid die sich
aufdrängende Frage, ob die Grundstücke als Fruchtfolgefläche zu sichern
seien, überhaupt nicht. Das Bundesgericht hat diesem Gesichtspunkt in
seiner bisherigen Praxis stets das vom positiven Recht gebotene grosse
Gewicht beigemessen (vgl. unveröffentlichte Entscheide vom 15. Dezember
1988 i.S. Terrani c. Grosser Rat des Kantons Tessin, vom 28. Oktober
1988 i.S. Erbengemeinschaft Kläy c. Regierungsrat des Kantons Bern, vom
3. Juni 1988 i.S. Erbengemeinschaft Aostalli c. Grosser Rat des Kantons
Tessin, vom 13. Mai 1988 i.S. Kollektivgesellschaft Ramseier und Stucki
und Mit. c. Regierungsrat des Kantons Bern).

    Das Raumplanungsgesetz verlangt unter anderem, dass Bund, Kantone und
Gemeinden mit raumplanerischen Massnahmen die Bestrebungen zum Schutze
der natürlichen Lebensgrundlagen und zur Sicherung einer ausreichenden
Versorgungsbasis des Landes unterstützen (Art. 1 Abs. 2 lit. a und d
RPG) und dass sie darauf achten, der Landwirtschaft genügende Flächen
geeigneten Kulturlandes zu erhalten (Art. 3 Abs. 2 lit. a RPG). Besonders
zu schützen sind die Fruchtfolgeflächen (Art. 11 der Verordnung über die
Raumplanung vom 26. März 1986, RPV). Der Bund setzt deren Mindestumfang
in einem Sachplan fest (Art. 13 RPG; Art. 14 RPV). Die Kantone zeigen in
ihren Richtplänen die zum Schutze der Fruchtfolgeflächen erforderlichen
Massnahmen; sie haben diese festzustellen und dafür zu sorgen, dass sie in
den Nutzungsplänen den Landwirtschaftszonen zugeteilt werden (Art. 11-13
und 15 RPV). Der Bund legte am 6. Januar 1987 Richtwerte für den
Mindestumfang der Fruchtfolgeflächen fest. Daraufhin erhoben die Kantone
bis Ende 1987 Umfang, Lage und Qualität ihrer Fruchtfolgeflächen. Zur
Zeit wertet der Bund diese Erhebungen aus (Art. 12 und 13 RPV). Zur
vorsorglichen Sicherung dieser Fruchtfolgeflächen können die Kantone für
unerschlossene Gebiete in Bauzonen Planungszonen erlassen (Art. 27 RPG;
Art. 15 Abs. 2 RPV). Ebenso kann der Bundesrat vorübergehende Nutzungszonen
bestimmen (Art. 37 RPG; Art. 15 Abs. 3 RPV).

    Für den Kanton Basel-Landschaft hat der Bund einen Richtwert von
9500 ha als Mindestumfang der Fruchtfolgeflächen vorgegeben. Die bis
Ende 1987 abgelieferten Untersuchungsergebnisse des Kantons haben
8500 ha ergeben; es fehlen somit ca. 1000 ha, möglicherweise sind es
noch mehr. Daraus folgt, dass der Kanton Basel-Landschaft erhebliche
Anstrengungen zur Sicherung der Fruchtfolgeflächen unternehmen muss. Wie
der Augenschein unbestritten ergeben hat, ist das fragliche Gebiet für die
landwirtschaftliche Nutzung bestens geeignet, und es kommt somit für eine
Landwirtschaftszone und insbesondere als Fruchtfolgefläche in Frage. Bei
dieser Sachlage hätte der Regierungsrat das Problem der Fruchtfolgeflächen
in seiner Interessenabwägung berücksichtigen müssen. Insbesondere hätte er
darlegen müssen, wie er trotz der Nichtgenehmigung der streitigen Auszonung
die in seinem Kanton erforderlichen Fruchtfolgeflächen sichern kann und
aus welchem Grunde er im vorliegenden Fall darauf verzichten konnte,
die fraglichen 8 ha als Fruchtfolgeflächenland zu erhalten, handelt
es sich doch um eine beachtliche Fläche. Da sich der Regierungsrat
zu diesem Problem überhaupt nicht geäussert und somit nicht alle auf
dem Spiele stehenden Interessen abgewogen hat, verstösst sein Entscheid
gegen Art. 4 BV. Die Autonomiebeschwerde der Gemeinde Aesch ist in diesem
Punkt begründet; sie ist gutzuheissen, und der angefochtene Entscheid ist
aufzuheben. Der Regierungsrat wird über die Sache unter Berücksichtigung
aller Interessen, insbesondere des Problems der Fruchtfolgeflächen,
nochmals zu befinden haben.

    Wird die Beschwerde bereits aus diesem Grunde gutgeheissen, so erübrigt
es sich, auf die weiteren Rügen der Beschwerdeführerin einzutreten.