Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 114 IA 364



114 Ia 364

61. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
vom 16. Juni 1988 i.S. Politische Gemeinde Obfelden gegen X., Y. und
Regierungsrat des Kantons Zürich (staatsrechtliche Beschwerde) Regeste

    Gemeindeautonomie; kommunale Nutzungsplanung.

    Für das Festlegen der Bauzonen ist nicht einzig der Baulandbedarf
massgebend. Art. 15 lit. b RPG ist nicht für sich allein, sondern als
Entscheidungskriterium in Verbindung mit den weiteren Planungsgrundsätzen,
insbesondere den für die Nutzungsplanung massgebenden Art. 16 ff. RPG
anzuwenden.

    Die Absicht einer Gemeinde, durch die Ausscheidung von Reservezonen ihr
Wachstum besser zu steuern und damit zu bremsen, ist verfassungsrechtlich
haltbar.

Sachverhalt

    A.- Die Gemeindeversammlung Obfelden setzte mit Beschlüssen vom
28. Februar und 6. März 1985 die kommunale Nutzungsplanung fest. Dabei
wurden unter anderem die bisher in der Landhauszone L gelegenen
Grundstücke Kat.-Nrn. 2190 und 3075 von X. und Y. der Reservezone
zugewiesen. Der Gemeinderat Obfelden hatte der Gemeindeversammlung
vorgeschlagen, den nördlichen Teil der Parzelle Kat.-Nr. 2190 der
Einfamilienhauszone E1 und nur den südlichen Teil der Reservezone
zuzuteilen. Er wollte die Bauzonengrenze auf der letztgenannten Parzelle
in der Verlängerung der Südfassade des auf der Parzelle Kat.-Nr. 2191
stehenden, Z. gehörenden Wohnhauses ziehen. Ein von X. und Y. gegen die
von der Gemeindeversammlung beschlossene Planungsmassnahme erhobener
Rekurs wurde von der Baurekurskommission II des Kantons Zürich am 22.
Juli 1986 abgewiesen, soweit sie darauf eintrat. X. und Y. zogen
diesen Entscheid an den Regierungsrat des Kantons Zürich weiter,
welcher ihren Rekurs mit Entscheid vom 9. September 1987 guthiess. Er
hob die Beschlüsse der Gemeindeversammlung Obfelden vom 28. Februar und
6. März 1985 sowie den Entscheid der Baurekurskommission II vom 22. Juli
1986 auf, soweit sie die genannten Grundstücke der Reservezone zuwiesen
bzw. soweit der Kommissionsentscheid die Beschlüsse der Gemeindeversammlung
bestätigte. Gleichzeitig wurde die Gemeinde Obfelden eingeladen, die beiden
Grundstücke Kat.- Nrn. 2190 und 3075 einer geeigneten Bauzone zuzuweisen.

    Die Politische Gemeinde Obfelden, vertreten durch den Gemeinderat,
führt staatsrechtliche Beschwerde beim Bundesgericht und beantragt,
der Entscheid des Regierungsrates sei aufzuheben; die Beschlüsse der
Gemeindeversammlung Obfelden vom 28. Februar und 6. März 1985 seien
zu bestätigen.

    Das Bundesgericht heisst die Beschwerde im Sinne der Erwägungen
teilweise gut und hebt den angefochtenen Regierungsratsentscheid vom
9. September 1987 auf.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- b) Der bisherige Zonenplan der Gemeinde Obfelden enthält rund
140 ha Bauland, was bei einer Vollüberbauung Platz für rund 5800 Personen
bieten würde. Nach dem Bericht zum kommunalen Gesamtplan will die Gemeinde
indessen bis zum Jahre 2000 nur beschränkt, d.h. bis auf höchstens
4000-4500 Einwohner wachsen. Die Gemeinde musste daher die Bauzone
verkleinern, wollte sie dieses Ziel erreichen. Sie hat zu diesem Zweck
in verschiedenen Gebieten insgesamt 16,2 ha Land der Reservezone zugeteilt.

    Der Regierungsrat führt hiezu im angefochtenen Entscheid aus, die
von der Gemeinde geltend gemachte Redimensionierung zu grosser Bauzonen
liege grundsätzlich in einem erheblichen öffentlichen Interesse. Die
Bauzonen müssten Land umfassen, das sich für die Überbauung eigne und
voraussichtlich innert 15 Jahren benötigt und erschlossen werde (Art. 15
RPG). Derselbe Grundsatz sei in § 47 Abs. 2 des Zürcher Planungs-
und Baugesetzes vom 7. September 1975 (PBG) enthalten. Dessen Abs. 3
verpflichte die Gemeinden, bei der Festsetzung der Bauzonen darauf
zu achten, dass immer genügend Land für Wohnungen und Arbeitsplätze
eingezont sei. Die von der Fachstelle Wirtschaft und Bevölkerung des
Amtes für Raumplanung geführte Statistik ergebe für die Gemeinde Obfelden
folgende - hinsichtlich der neuen Zonenordnung und des Entscheides der
Baurekurskommission II über das Grundstück Kat.-Nr. 3480 bereinigte -
Wohnzonenverbrauchs- und Reservezahlen:

    "Wohnzonenverbrauch von 1977 mit Hälfte 1976: 4,5 ha; 1978: 3,0 ha;

    1979: 1,8 ha; 1980: 2,5 ha; 1981: 1,4 ha; 1982: 1,1 ha; 1983: 2,6 ha;

    1984: 0,9 ha; 1985: 1,1 ha; 1986: 0,2 ha. Dies ergibt einen Verbrauch
von

    19,1 ha in 10,5 Jahren, was einem durchschnittlichen Jahresverbrauch
von

    1,82 ha entspricht. Die Ende 1986 vorhandene Wohnzonenreserve von
   rund 29,57 ha dürfte somit rechnerisch für rund 16,2 Jahre ausreichen.

    Werden die ca. 1,37 ha der Grundstücke der Rekurrenten miteinbezogen,
   erhöht sich die Reservezeit auf rund 17 Jahre."

    Ginge es einzig darum, fuhrt der Regierungsrat weiter aus, die
geforderten gesetzlichen Wohnzonenreserven bereit zu stellen, müssten
aufgrund der dargestellten Daten die Grundstücke der Rekurrenten
nicht eingezont bleiben. In der bei einer Zonenänderung von Wohn- in
Reservezone erforderlichen Abwägung zwischen den sich gegenüberstehenden
privaten und öffentlichen Interessen falle jedoch ins Gewicht, dass die
Wohnzonenreserven nur knapp über dem gesetzlichen Mindestausmass lägen. Von
einem erheblichen öffentlichen Interesse an einer Redimensionierung der
Wohnzonen um die Fläche der Grundstücke der Rekurrenten könne dabei nicht
mehr gesprochen werden.

    Ein Blick auf den revidierten Zonenplan vom 28. Februar und 6. März
1985 zeigt, dass die Gemeinde - wie erwähnt - an verschiedenen Orten
Reservezonen ausgeschieden hat, um das von Art. 15 lit. b RPG vorgesehene
Dimensionierungsziel mit einer Reservezeit von 15 Jahren zu erreichen.
Allerdings kam sie dabei rechnerisch "nur" auf 16,2 Jahre. Mit den
ca. 1,37 ha der Grundstücke der Beschwerdegegner ergibt sich sogar eine
Reservezeit von 17 Jahren, womit sich die Bauzonengrösse noch mehr vom
zeitlichen Planungshorizont gemäss Art. 15 lit. b RPG entfernt. Hiergegen
setzt sich die Gemeinde zur Wehr.

    Die Grundstücke der Beschwerdegegner sind zwar groberschlossen,
was sich aus den Akten ergibt. An einer Feinerschliessung fehlt
es indessen. Hierzu wäre voraussichtlich die Durchführung eines
Quartierplanverfahrens nötig. Eine Abgrenzung zwischen Bauzonen-
und Nichtbauzonenland ist unter dem Gesichtspunkt der Lage der beiden
Grundstücke Nrn. 2190 und 3075 unter Einbezug derselben sowohl in die
Bauzone als auch in die Reservezone vertretbar. Aufgrund ihrer Lage
erscheinen beide Grenzziehungen sachlich haltbar. Der ausschlaggebende
Grund, der nach Ansicht des Regierungsrates für einen Einbezug der beiden
Parzellen in die Bauzone spricht, wird im angefochtenen Entscheid näher
dargelegt. Danach haben die Beschwerdegegner die Grundstücke 1972 erworben,
also zwei Jahre nach Genehmigung der Bauordnung, welche den betreffenden
Bereich einer Landhauszone zuwies. Unbestrittenermassen seien sie von
Anfang an um eine Überbauung des Landes bemüht gewesen. Der Gemeinderat
Obfelden habe verschiedentlich grundsätzlich positive Beschlüsse zu den
vorgelegten Projektierungsarbeiten erlassen und damit die Bauherrschaft zur
Weiterprojektierung veranlasst. Noch am 10. Oktober 1978 sei ein solcher
Beschluss ergangen, obwohl der Kantonsrat bereits am 10. Juli 1978 den
kantonalen Gesamtplan festgesetzt gehabt habe, gestützt auf welchen dem
Vorhaben erst am 3. Juli 1979 fehlende planungsrechtliche Baureife (§
234 PBG) entgegengehalten worden sei. In der Zwischenzeit, am 12. Dezember
1978, habe zwischen den Rekurrenten und dem Landverkäufer die Abrechnung
über die Restsumme des Kaufpreises für Land in der Landhauszone über
rund Fr. 340'000.-- stattgefunden, dies im Vertrauen darauf, dass gebaut
werden könne wie auf einem in derselben Zone, jedoch weit abgelegeneren
Grundstück, für das im Dezember 1977 eine später durch den Kanton
aufsichtsrechtlich aufgehobene Baubewilligung erteilt worden sei. Aufgrund
dieser Vorgeschichte sei von einem erheblichen konkreten Interesse der
Rekurrenten an der Belassung der Parzellen in der Bauzone auszugehen.

    Der Regierungsrat stützt seine Begründung unter anderem auf das Urteil
des Bundesgerichts vom 23. Dezember 1981 i.S. Gemeinde Marthalen ab (BGE
107 Ib 334 ff.). Es gilt indessen zu beachten, dass es in jenem Fall
primär Gründe der Rechtsgleichheit waren, die eine Wiedereinzonung von
durch die Gemeinde ausgezontem Land als geboten erscheinen liessen. Treu
und Glauben wurde als Grundlage für eine Wiedereinzonungspflicht dagegen
ausdrücklich verworfen, weil, wie im vorliegenden Fall, keine verbindliche
Zusicherung für einen Anspruch auf Belassung des Landes in der Bauzone
vorlag. Immerhin fügte das Bundesgericht in jenem Entscheid bei, angesichts
der ausgearbeiteten Überbauungsprojekte, die nicht zuletzt wegen der
inzwischen erfolgten strassenmässigen Erschliessung aufgeschoben worden
seien, sei durch die Vorgeschichte ein erhebliches konkretes Interesse
an der Belassung der Parzellen in der Bauzone ausgewiesen.

Erwägung 4

    4.- Für das Festlegen der Bauzonen ist nicht allein Art. 15 RPG
massgebend. Die Bauzonenausscheidung hat wie alle Raumplanung eine
auf die erwünschte Entwicklung des Landes ausgerichtete Ordnung der
Besiedlung zu verwirklichen (Art. 22quater Abs. 1 BV). Sie stellt eine
Gestaltungsaufgabe dar und unterliegt einer gesamthaften Abwägung und
Abstimmung aller räumlich wesentlichen Gesichtspunkte und Interessen
(Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 RPG; BGE 113 Ib 230/231 E. 2c; BGE 107 Ia
37 ff.). Dabei ist festzustellen, dass Massnahmen, die geeignet sind,
das Entstehen überdimensionierter Bauzonen zu verhindern, grundsätzlich
im öffentlichen Interesse liegen. Im Einzelfall kann das öffentliche
Interesse freilich nur durchgesetzt werden, wenn es bei der Abwägung die
entgegenstehenden Interessen privater Eigentümer an der ungehinderten
Ausnutzung ihrer Grundstücke überwiegt. Das rein finanzielle Interesse der
Eigentümer an einer möglichst gewinnbringenden Verwertung ihres Landes hat
aber in der Regel vor dem öffentlichen Interesse zurückzutreten, und zwar
um so mehr, je grösser die bereits vorhandene Bauzone ist. Andernfalls
wäre eine sinnvolle Raumplanung nicht mehr möglich (BGE vom 27. Oktober
1982 in ZBl 84/1983, S. 318 f., E. 5a, mit Hinweis).

    Entsprechend kann der im vorliegenden Fall aufgrund einer
Flächenverbrauchsstatistik errechnete - und damit auf sachlich vertretbare
Weise ermittelte (s. BGE vom 27. Oktober 1982 in ZBl 84/1983, S. 319,
E. 5c) - Bedarf an Bauland für die nächsten 15 Jahre nicht der einzige
Gesichtspunkt sein, nach welchem sich eine Ortsplanung auszurichten
hat. Ein solcher Planungsautomatismus verstiesse gegen zahlreiche
bedeutsame Planungsgrundsätze des Raumplanungsgesetzes. Der Baulandbedarf
stellt zwar ein wichtiges Entscheidungskriterium dar. Daneben sind aber
immer auch weitere Planungsgrundsätze und Gesichtspunkte zu beachten.

    Art. 15 RPG und § 47 Abs. 2 PBG enthalten demnach keine absolut
aufzufassenden Planungsgrundsätze. Auch sie sind vielmehr - wie etwa
die in Art. 16 RPG für die Ausscheidung von Landwirtschaftszonen
und in Art. 17 RPG für Schutzzonen geltenden Grundsätze - nur als
relativ zu betrachten (vgl. BGE vom 13. Mai 1988 in BVR 1988, S. 333,
E. 2b). Sie stellen wie alle anderen Planungsgrundsätze Zielvorstellungen,
Wertungshilfen und Entscheidungskriterien dar, die bei der Schaffung und
der Revision von Nutzungsplänen zu beachten sind. Diese Grundsätze sind
nicht widerspruchsfrei zueinander, weshalb sie im einzelnen Anwendungsfall
gegeneinander abzuwägen sind. Somit kann der Baulandbedarf für sich alleine
keine Bauzonengrösse bestimmen. Das zeigt sich schon daran, dass es Fälle
gibt, wo für eine rein auf den Bedarf ausgerichtete Bauzonenplanung
objektiv zu wenig Land vorhanden ist, eine Bedarfsabdeckung also zum
vornherein unmöglich ist.

    Bei der erwähnten Interessenabwägung sind im vorliegenden Fall
als gewichtige Gesichtspunkte die Interessen der Gemeinde an einer
geordneten, nicht einzig vom Baulandbedarf diktierten Entwicklung sowie
die privaten Interessen der Grundeigentümer auf Belassung ihres Landes in
der Bauzone zu berücksichtigen. Dies hat der Regierungsrat nur zum Teil
in verfassungsrechtlich haltbarer Weise getan. Er hat die Interessen
der Privaten im Verhältnis zu den von der Gemeinde namhaft gemachten
zu hoch eingestuft. Aufgrund der Grösse der Bauzone, der geografischen
und erschliessungstechnischen Lage der fraglichen Grundstücke und des
Erschliessungs- und Überbauungsstandes im Gebiet Buechbärlihoger, aber auch
im Hinblick auf die planungsrechtliche Vorgeschichte dieses Landes und
damit auf die Interessen der privaten Beschwerdegegner am Einbezug ihres
Landes in die Bauzone erweist sich vielmehr einzig die ursprünglich vom
Gemeinderat vorgesehene Zonierung als angemessene Lösung. Diese Lösung
berücksichtigt die Absicht der Gemeinde, durch die Ausscheidung von
Reservezonen ihr Wachstum besser zu steuern und damit zu bremsen, was in
der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichts als verfassungsrechtlich
haltbar erachtet worden ist (nicht publ. Urteile vom 15. November 1984
i.S. Scuol, E. 3a, vom 20. Juni 1984 i.S. La Punt-Chamues-ch, E. 3b,
und vom 11. März 1981 i.S. Volketswil, E. 3c); zudem ergibt sie eine
etwas näher beim Planungsgrundsatz von Art. 15 lit. b RPG liegende
Bauzonengrösse als die vom Regierungsrat vorgesehene Variante, und
schliesslich berücksichtigt sie auch die Interessenlage der beiden
Grundeigentümer in angemessener Weise.

    Indem der Regierungsrat die Gemeinde nicht bloss zu einer den
aufgezeigten Verhältnissen angemessenen Vergrösserung der Bauzone an
geeigneter Stelle einlud, sondern die Einzonung der ganzen Fläche von
Parzelle Nr. 2190 und nebstdem die Einzonung von Parzelle Nr. 3075
verlangte, griff er zu weit in den Gestaltungsspielraum der Gemeinde
ein und setzte er sein Ermessen an die Stelle desjenigen der Gemeinde,
wodurch er deren Autonomie verletzte.