Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 114 IA 341



114 Ia 341

57. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 25.
November 1988 i.S. M. und A. S. gegen Munizipalgemeinde Zermatt und
Verwaltungsgericht des Kantons Wallis (staatsrechtliche Beschwerde) Regeste

    Art. 22ter BV; Enteignung für den Ausbau und die Umwandlung einer
privaten zu einer öffentlichen Quartierstrasse.

    Das öffentliche Interesse an der Enteignung für eine Zufahrtsstrasse
ist zu verneinen, wenn diese nur zwei Parzellen erschliesst, weitere
Nachbargrundstücke unerschlossen bleiben und noch nicht bekannt ist, ob
das projektierte Wegstück überhaupt als Teil einer das gesamte Quartier
erschliessenden Strasse dienen könne.

Sachverhalt

    A.- Am 10. April 1984 ersuchte die Munizipalgemeinde Zermatt
den Staatsrat des Kantons Wallis, ihr das Recht zur Teilenteignung
verschiedener Parzellen in dem Sinne einzuräumen, dass diese Grundstücke
im Bereich des bereits bestehenden Weges mit einer Durchgangs-
und Durchfahrtsdienstbarkeit zugunsten der Öffentlichkeit belastet
werden könnten. M. und A. S. erhoben als Miteigentümer der Parzelle
Nr. 2252 gegen dieses Enteignungsbegehren Einsprache. Mit Verfügung
vom 27. November 1984 erklärte das kantonale Departement des Innern die
Errichtung eines öffentlichen Durchgangs- und Durchfahrtsrechtes auf der
privaten oberen Sunneggastrasse als Werk öffentlichen Nutzens und erteilte
der Gemeinde Zermatt das Recht, den hiezu notwendigen Boden auf dem
Enteignungswege mit einer öffentlichen Dienstbarkeit zu belasten. Gegen
diese Verfügung reichten M. und A. S. zunächst beim Staatsrat und
hierauf beim Verwaltungsgericht des Kantons Wallis Beschwerde ein. Das
Verwaltungsgericht wies die Beschwerde mit Entscheid vom 30. April 1987
ab, soweit es auf sie eintrat. M. und A. S. haben gegen diesen Entscheid
staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von Art. 4 und 22ter BV
erhoben, welche vom Bundesgericht gutgeheissen wird.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- a) Die Beschwerdeführer beklagen sich in erster Linie über
eine Verletzung der Eigentumsgarantie und machen geltend, an dem dem
Enteignungsbegehren zugrundeliegenden Projekt der oberen Sunneggastrasse
bestehe kein öffentliches Interesse. Durch die Strasse würden einzig
die Parzellen Nrn. 1714 und 1715 erschlossen, hingegen biete sie keine
Erschliessung für das umliegende Baugebiet. Ein öffentliches Interesse wäre
nur dann zu bejahen, wenn die Strasse so gelegt würde, dass sie bereits
jetzt schon möglichst viele Parzellen erreichte oder später zu weiteren
Parzellen hingeführt werden könnte, Wegen der Steilheit des Geländes sei
aber eine Weiterführung der Strasse zur Erschliessung der noch unüberbauten
Parzellen nicht möglich. Das fragliche Gebiet müsste daher durch eine aus
Richtung Süden oder Nordosten herführende Quartierstrasse erschlossen
werden. Jedenfalls sollte schon jetzt ein Gesamtplan ausgearbeitet und
vorgelegt werden, selbst wenn die Realisierung nur in Etappen vor sich
gehen könne.

    Diese Ausführungen werden von der Munizipalgemeinde Zermatt
bestritten. Der geplante Ausbau der oberen Sunneggastrasse sei als
Teilprojekt zu betrachten; eine Weiterführung dieses öffentlichen Weges
sei bei späterem Bedarf bautechnisch möglich. Im übrigen erschliesse
die obere Sunneggastrasse nicht nur die Parzellen Nrn. 1714 und 1715,
sondern ein gesamtes Quartier.

    b) Am Augenschein hat sich ergeben, dass der vorgesehene Ausbau und
die öffentliche Widmung der oberen Sunneggastrasse in der Tat jedenfalls
zur Zeit allein auf die Erschliessung der beiden Parzellen Nrn. 1714
und 1715 ausgerichtet ist. Der projektierte Weg führt an den bereits
bisher erschlossenen Parzellen Nrn. 1712 und 1713 vorbei zur Parzelle
Nr. 1714 und endet unvermittelt und ohne Kehrplatz auf der Parzelle
Nr. 1715, obschon der Zugang zum benachbarten Grundstück (Haus "Cervino")
ebenfalls über die Sunneggastrasse und die Parzelle Nr. 1715 führt, so
dass dieses weiterhin auf ein privatrechtliches Zugangs- und Zufahrtsrecht
angewiesen bleibt. Auch die östlich an die Parzelle Nr. 1715 anstossenden
Grundstücke Nrn. 1716 und 1717 werden von der Strasse nicht erreicht. Es
trifft daher nicht zu, dass die obere Sunneggastrasse so, wie sie heute
projektiert ist, ein ganzes Gebiet erschliessen würde. Sie entspricht
nicht einmal allen Erschliessungsbedürfnissen der in der ersten oder
zweiten Bautiefe liegenden Grundstücke. Bei Strassenbauten kann aber das
öffentliche Interesse nur bejaht werden, wenn es mehrere Grundstücke zu
erschliessen gilt oder die Erschliessung im Hinblick auf die Schaffung
einer grösseren Zahl von Wohnstätten erfolgt (BGE 98 Ia 48). Das heute
vorliegende Projekt ist daher durch kein öffentliches Interesse gedeckt,
soweit es für sich allein betrachtet wird.

    Nun ist wohl möglich, dass das umstrittene Strassenstück in Zukunft
so ergänzt würde, dass künftig tatsächlich die Erschliessung des ganzen
Quartiers, insbesondere auch der weiter östlich liegenden Parzellen, die
über keine Zufahrt oder nicht einmal über einen rechtlich gesicherten
Zugang verfügen, erreicht werden könnte. Über die weiteren Etappen
des Strassenbaus liegen aber weder Pläne noch offenbar irgendwelche
konkrete Vorstellungen seitens der Gemeinde vor. Nach bundesgerichtlicher
Rechtsprechung setzt jedoch der Ausbau einer bestehenden und später
weiterzuführenden Strasse gewisse Vorstellungen über das ganze
Strassenprojekt voraus (BGE 103 Ia 43 ff. E. 4). Insbesondere soll
vermieden werden, dass ein planloses Nebeneinander von Quartierstrassen
entsteht und sich letztlich die heute vorgesehene Stichstrasse nach dem Bau
einer dem Hang folgenden, die noch unüberbauten Parzellen erschliessenden
Quartierstrasse als überflüssig erweisen könnte (vgl. BGE 106 Ia 96
ff.). Ob sich das vorliegende Projekt als Teil einer Gesamtplanung auf
ein öffentliches Interesse stützen könne, ist daher mangels irgendwelcher
Planunterlagen noch offen. Ist aber zur Zeit ein öffentliches Interesse
an der Enteignung für den Ausbau der oberen Sunneggastrasse bzw. an einer
Belastung der Grundstücke mit einer öffentlichen Dienstbarkeit nicht
ausgewiesen, fehlt es an einer der notwendigen Voraussetzungen für die
vorgesehene Eigentumsbeschränkung. Die staatsrechtliche Beschwerde ist
aus diesem Grunde gutzuheissen. Auf die weiteren erhobenen Rügen braucht
unter diesen Umständen nicht mehr eingegangen zu werden.