Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 114 IA 335



114 Ia 335

56. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 10.
November 1988 i.S. Erbengemeinschaft G. gegen Munizipalgemeinde Romanshorn,
Baudepartement und Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau (staatsrechtliche
Beschwerde) Regeste

    Art. 22ter BV, Zone für öffentliche Bauten und Anlagen, öffentliches
Interesse, Art. 21 Abs. 2 RPG.

    1. Der betroffene Eigentümer ist befugt, bei einer erheblichen
Veränderung der Verhältnisse eine Überprüfung der Planfestsetzung zu
verlangen (E. 1).

    2. Der Wegfall des Interesses des Kantons an einer Zone für öffentliche
Bauten und Anlagen schliesst deren Zulässigkeit nicht aus, wenn die
Gemeinde ein genügendes Interesse für ihre öffentlichen Bedürfnisse
ausweist (E. 2b).

    3. Das auf weite Sicht für Sportanlagen benötigte Land darf
mit einer Zone für öffentliche Bauten und Anlagen entsprechend den
Planungsgrundsätzen gesichert werden (E. 2c), doch muss der Bedarf genügend
ausgewiesen und die Errichtung der Anlagen mit einiger Sicherheit zu
erwarten sein (E. 2d).

Sachverhalt

    A.- Die Erbengemeinschaft G. ist Eigentümerin der ungefähr 13
000 m2 umfassenden Parzelle Nr. 828 im Gebiet "Untere Weitenzelg"
in Romanshorn. Diese Liegenschaft bildet Teil einer grösseren Zone für
öffentliche Bauten und Anlagen (Reservezone), welche im Zonenplan von 1975,
dessen Rechtskraft im Jahre 1979 eintrat, festgesetzt worden war. Bei der
Teilrevision des Zonenplanes von 1986 beantragte die Erbengemeinschaft
G. mit Einsprache und Beschwerde die Umzonung ihrer Parzelle in eine
mehrgeschossige Wohnzone, nachdem sie bereits zuvor mit entsprechenden
Begehren an den Gemeinderat Romanshorn und den Regierungsrat des Kantons
Thurgau gelangt waren. Sowohl die Gemeinde und das kantonale Baudepartement
als auch das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau lehnten jedoch ihre
Begehren ab, im wesentlichen mit der Begründung, die Liegenschaft werde
gemäss der Sportstättenplanung der Gemeinde für Sportanlagen benötigt,
was aufgrund des Bedarfes mit genügender Sicherheit feststehe.

    Gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts vom 5. Juli 1988
gelangte die Erbengemeinschaft G. mit staatsrechtlicher Beschwerde an
das Bundesgericht. Sie ist der Meinung, die Zone für öffentliche Bauten
und Anlagen verstosse gegen die gemäss Art. 22ter BV gewährleistete
Eigentumsgarantie. Zwar anerkennt sie, dass sich die Festsetzung
dieser Zone auf eine genügende gesetzliche Grundlage und an sich auch
auf ausreichende öffentliche Interessen zu stützen vermag. Sie rügt
jedoch eine geradezu willkürliche Interessenabwägung zwischen den
öffentlichen und ihren privaten Interessen. Die Zone sei ursprünglich
für Kantonsschulbauten vorgesehen gewesen, von welchen man seit 1972
gesprochen habe. Seit 1984 stehe fest, dass das Grundstück vom Kanton nicht
benötigt werde, doch bestünde seit dreizehn Jahren auch die Absicht, auf
der Parzelle Nr. 828 Sportstätten zu errichten. Den Bürgern seien jedoch
keine Detailpläne vorgelegt worden. Ein so vages öffentliches Interesse,
welches die Beschwerdeführer jahrelang an einer baulichen Nutzung ihres
Landes hindere, überwiege das private Interesse nicht.

    Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab

Auszug aus den Erwägungen:

                  aus folgenden Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Die Beschwerdeführer sind als Eigentümer der Parzelle Nr.  828,
deren Antrag auf Umzonung in eine mehrgeschossige Wohnzone letztinstanzlich
mit dem angefochtenen Entscheid des Verwaltungsgerichtes abgewiesen wurde,
zur staatsrechtlichen Beschwerde wegen Verletzung ihrer verfassungsmässigen
Rechte legitimiert. Die von ihnen beantragte Zone für öffentliche Bauten
und Anlagen ist zwar bereits im Jahre 1979 in Rechtskraft erwachsen. Doch
sind die Beschwerdeführer der Meinung, die Verhältnisse hätten sich
erheblich geändert, da seit 1984 feststehe, dass ihre Liegenschaft nicht
für Anlagen der Kantonsschule benötigt werde. Als Eigentümer sind die
Beschwerdeführer befugt, bei einer erheblichen Änderung der Verhältnisse
eine Überprüfung der Planfestsetzung zu verlangen (Art. 21 Abs. 2 des
Bundesgesetzes über die Raumplanung vom 22. Juni 1979 [RPG]). Auf ihre
staatsrechtliche Beschwerde gegen die Ablehnung ihres bei der Teilrevision
des Zonenplanes im Jahre 1986 angemeldeten Umzonungsbegehrens ist demgemäss
einzutreten.

Erwägung 2

    2.- Die Zone für öffentliche Bauten und Anlagen führt zu einer
öffentlichrechtlichen Eigentumsbeschränkung, die mit der Eigentumsgarantie
vereinbar ist, wenn sie sich auf eine klare gesetzliche Grundlage stützt,
im überwiegenden öffentlichen Interesse liegt, verhältnismässig ist und
voll entschädigt wird, sofern sie einer Enteignung gleichkommt (BGE 113
Ia 132 E. 7, 364 E. 2, 111 Ia 26 f. E. 3, 96 E. 2 je mit Hinweisen). Die
gesetzliche Grundlage ist nicht bestritten. Desgleichen anerkennen
die Beschwerdeführer, dass an sich ein öffentliches Interesse an der
Festsetzung einer Zone für öffentliche Bauten und Anlagen besteht. Sie
verneinen jedoch ein ausreichend konkretisiertes öffentliches Interesse
für die Inanspruchnahme ihrer Parzelle Nr. 828. Nach dem Wegfall des
Interesses des Kantons für die Inanspruchnahme ihrer Liegenschaft für
Anlagen der Kantonsschule sei das geltend gemachte Interesse der Gemeinde
für Sportanlagen zu vage; es vermöge daher ihr privates Interesse an
einer baulichen Nutzung ihrer Liegenschaft nicht zu überwiegen.

    a) Ob eine Eigentumsbeschränkung im öffentlichen Interesse liegt und
ob dieses das entgegenstehende private Interesse überwiegt, prüft das
Bundesgericht grundsätzlich frei. Es auferlegt sich jedoch Zurückhaltung,
soweit die Beurteilung von einer Würdigung der örtlichen Verhältnisse
abhängt, welche die kantonalen Behörden besser kennen und überblicken
als das Bundesgericht (BGE 113 Ia 33 E. 2, 112 Ia 316 f. E. 3b; 110 Ia
172 E. 7b aa, je mit Hinweisen).

    b) Die Beschwerdeführer stellen nicht in Abrede, dass sich im Gebiet
"Untere Weitenzelg" in unmittelbarer Nähe ihrer Liegenschaft sowohl
Schulbauten als auch Sportanlagen befinden. Bei der von der Gemeinde im
Jahre 1975 eingeleiteten Totalrevision des Zonenplanes stand noch nicht
fest, ob die Parzelle der Beschwerdeführer vom Kanton für Bauten und
Anlagen der Kantonsschule beansprucht werde. Seit 1984 besteht Klarheit
darüber, dass dies nicht zutrifft. Es war jedoch stets auch von einer
allfälligen Inanspruchnahme für Sportanlagen der Gemeinde die Rede. Wie
die Beschwerdeführer selbst darlegen, werde doch schon seit dreizehn
Jahren hiervon gesprochen. Der Wegfall des Interesses des Kantons
an einem Liegenschaftserwerb steht dem geltend gemachten Interesse
der Gemeinde nicht entgegen. Dass sich Interessen des übergeordneten
Gemeinwesens mit Interessen der Gemeinde überschneiden können, ist
keineswegs aussergewöhnlich. Der Wegfall des einen Interesses ändert
an der Zulässigkeit der Eigentumsbeschränkung nichts, sofern das zweite
Interesse genügend ausgewiesen ist.

    c) Dass ein öffentliches Werk, für welches die Zone für öffentliche
Bauten und Anlagen festgesetzt wird, erst nach Jahren realisiert wird,
schliesst das öffentliche Interesse an der Landsicherung nicht aus. Es
entspricht vielmehr der Aufgabe der Raumplanung, auf weite Sicht die
zweckmässige Nutzung des Bodens festzulegen, um zu einer den Bedürfnissen
der Bevölkerung entsprechenden Gestaltung der Siedlungen zu gelangen
(Art. 22quater BV; Art. 1 und 3 RPG). Insbesondere sollen für die
öffentlichen oder im öffentlichen Interesse liegenden Bauten und Anlagen
sachgerechte Standorte bestimmt werden. Dabei ist darauf zu achten,
dass Einrichtungen wie Schulen und Freizeitanlagen für die Bevölkerung
gut erreichbar sind (Art. 3 Abs. 4 RPG).

    Die Beschwerdeführer ziehen aus den von ihnen angeführten
Bundesgerichtsentscheiden 88 I 295 f., 94 I 136 ff. und 102 Ia 369 ff.
unzutreffende Folgerungen. Die bundesgerichtliche Rechtsprechung hat
seit jeher anerkannt, dass das Gemeinwesen die für öffentliche Anlagen
benötigten Flächen auf weite Sicht mit entsprechenden Zonenfestsetzungen
sichern darf. Im Entscheid 88 I 295 f. hat es festgestellt, dass eine
Gemeinde die Flächen, welche sie für Spielplätze, Promenaden, Parkplätze
und für grössere Veranstaltungen benötigt, nach dem voraussichtlichen
Bevölkerungswachstum der nächsten 30 Jahre berechnen darf (S. 296). Wenn
das Raumplanungsgesetz in Art. 15 die Festsetzung der Bauzonen u.a. nach
dem voraussichtlichen Bedarf der kommenden fünfzehn Jahre verlangt,
so heisst dies nicht, dass die zu planenden öffentlichen Bauten und
Anlagen nicht nach den Bedürfnissen einer längeren Periode bemessen
werden dürfen. Art. 18 RPG erlaubt den Kantonen ausdrücklich, weitere
Nutzungszonen vorzusehen und Vorschriften aufzustellen über Gebiete, in
denen eine bestimmte Nutzung erst später zugelassen wird. Reservezonen
oder Zonen zweiter Etappe stellen solche Zonen dar. Man beachte, dass das
Bundesrecht für die künftige Erweiterung eines bestehenden öffentlichen
Werkes sogar die Enteignung von Land erlaubt, das innert 25 Jahren zu
diesem Zwecke verwendet werden muss (Art. 102 Abs. 1 lit. b EntG). Dass
im vorliegenden Falle gemäss der Darstellung der Beschwerdeführer seit
1972 vom Landbedarf für die Kantonsschule und seit dreizehn Jahren vom
Bedarf für Sportstätten geredet wird, obschon bis heute die entsprechenden
Anlagen noch nicht realisiert wurden, steht daher der Festsetzung der
Zone für öffentliche Bauten und Anlagen (Reservezone) nicht entgegen.

    d) Voraussetzung zur Festsetzung einer Zone für öffentliche Bauten
und Anlagen ist freilich, dass das geltend gemachte zukünftige Bedürfnis
genügend konkretisiert ist. Das Bedürfnis ist vom Gemeinwesen so genau wie
möglich anzugeben, und die Errichtung der öffentlichen Baute bzw. Anlage
muss mit einiger Sicherheit zu erwarten sein (BGE 94 I 136 E. 7b; 102 Ia
369 f. E. 3; nicht publ. Urteil des Bundesgerichts vom 16. Dezember 1987,
P., wo gesagt wird, das Bedürfnis sei "mit der grösstmöglichen Genauigkeit"
anzugeben). Als unzulässig müsste die Schaffung von Zonen für öffentliche
Bauten und Anlagen bezeichnet werden, wenn diese Zonenfestsetzung einzig
ein Vorwand dafür wäre, dass sich das Gemeinwesen ausgedehnte Landflächen
sichern wollte, um über eine möglichst grosse Handlungsfreiheit für die
raumplanerische Gestaltung des Gemeindegebietes zu verfügen (BGE 88 I
295). Steht jedoch aufgrund sorgfältiger Analysen und Prognosen, welche
gemäss den heute anerkannten Methoden der Raumplanung durchgeführt werden
(siehe hiezu MARTIN LENDI/HANS ELSASSER, Raumplanung in der Schweiz,
eine Einführung, 2. Aufl. 1986, insbesondere S. 243 ff.), fest, dass
der geltend gemachte Landbedarf für bestimmte öffentliche Bedürfnisse
ausgewiesen ist, so ist die Festsetzung der Zone für öffentliche Bauten
und Anlagen nicht zu beanstanden.

    e) Im vorliegenden Fall ergibt sich entgegen der Auffassung der
Beschwerdeführer aus den Akten mit genügender Deutlichkeit, dass die
von der Gemeinde Romanshorn durchgeführte Sportstättenplanung den
gesetzlichen Anforderungen, welche an die Raumplanung zu stellen sind,
entspricht. Zu verweisen ist namentlich auf den Bericht des Sportamtes
des Kantons Thurgau vom 25. Juni 1985. Die vom Sportamt vorgenommene
Überprüfung der von der Gemeinde bereits im Jahre 1975 durchgeführten
Sportstättenplanung gelangte zur Bestätigung der richtigen Bemessung des
Gesamtflächenbedarfs sowie auch zur Feststellung, dass diese Fläche mit
den zur Verfügung stehenden Grundstücken nicht vollumfänglich erreicht
wird. Die Gemeinde hat in der Folge ihre Sportstättenplanung für die
Ortsplanungsrevision 1987 überarbeitet und dabei sowohl die vorhandenen
als auch die noch fehlenden Anlagen möglichst genau genannt. Dass diese
Anlagen vorzugsweise in Zentren zusammengefasst werden sollen, liegt
auf der Hand. Das Gebiet "Untere Weitenzelg" eignet sich diesbezüglich
besonders gut, da es zentral gelegen ist und somit dem raumplanerischen
Grundsatz entspricht, dass entsprechende Einrichtungen für die Bevölkerung
gut erreichbar sein sollen (Art. 3 Abs. 4 lit. b RPG).