Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 114 IA 111



114 Ia 111

19. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 17.
Juni 1988 i.S. Lüscher gegen Staatsanwaltschaft und Kantonsgericht des
Kantons Freiburg (staatsrechtliche Beschwerde) Regeste

    Art. 4 BV, gesetzliche Grundlage; Sportlagerobligatorium (Art. 1
Abs. 2 VO Turnen und Sport).

    Die Verpflichtung zur Teilnahme an Sportlagern (Art. 1 Abs. 2 VO
Turnen und Sport) geht über die Zielsetzung eines ausreichenden Turn-
und Sportunterrichts (Art. 2 BG Turnen und Sport) hinaus, und genügt
daher als Grundlage für eine Bestrafung wegen Schulversäumnis nicht.

Sachverhalt

    A.- Bernhard Lüscher wurde am 9. Juni 1987 vom Oberamtmann des
Seebezirks zu einer Busse von Fr. 60.-- verurteilt, weil sein Sohn
Christian Lüscher dem obligatorisch erklärten Skilager der Schule Kerzers
vom 16. bis zum 21. Februar 1987 fernblieb.

    Eine Strafkassationsbeschwerde wies das Kantonsgericht des Kantons
Freiburg mit Urteil vom 26. Oktober 1987 ab.

    Mit Eingabe vom 7. Januar 1988 erhebt Bernhard Lüscher fristgerecht
staatsrechtliche Beschwerde. Das Bundesgericht heisst diese gut aus
folgenden

Auszug aus den Erwägungen:

                         Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Nach Art. 5 Abs. 2 des freiburgischen Staatsratsbeschlusses vom
29. September 1975 betreffend die Schulversäumnisse von Schülern, die
der Schulpflicht unterstellt sind, können Eltern eines Schülers, die für
eine ungerechtfertigte Abwesenheit von der Schule verantwortlich sind,
mit einer Busse bestraft werden. Streitig ist vorliegend einzig, ob das
Kantonsgericht ohne Verstoss gegen die Bundesverfassung annehmen konnte,
das Skilager, an dem der Sohn des Beschwerdeführers nicht teilgenommen
hatte, unterliege dem Schulobligatorium.

Erwägung 2

    2.- Das Kantonsgericht erblickt die gesetzliche Grundlage für ein
Sportlagerobligatorium im Bundesrecht.

    a) Unter dem Titel "Obligatorischer Turn- und Sportunterricht an Volks-
und Mittelschulen" sieht Art. 1 der vom Bundesrat erlassenen Verordnung zum
Bundesgesetz über die Förderung von Turnen und Sport vom 26. Juni 1972 (VO
Turnen und Sport; SR 415.01) vor, dass an den Volks- und Mittelschulen in
der Woche mindestens drei Stunden Turn- und Sportunterricht zu erteilen ist
(Abs. 1) und zudem Sporthalbtage, Sporttage und Sportlager durchgeführt
werden sollen (Abs. 2).

    Art. 1 Abs. 2 VO Turnen und Sport verlangt von den Kantonen - anders
als beim wöchentlichen Turn- und Sportunterricht - die Durchführung
von Sportlagern nicht zwingend. Sportlager "sollen", müssen aber nicht
veranstaltet werden. Werden allerdings Sportlager durchgeführt, so sind
sie für die Schüler obligatorisch. Dies ergibt sich aus der systematischen
Stellung der Bestimmung unter dem Titel "Obligatorischer Turn- und
Sportunterricht an Volks- und Mittelschulen". Hätte der Bundesrat die
Teilnahme freiwillig erklären wollen, wäre die entsprechende Bestimmung
unter dem Titel "Freiwilliger Schulsport" (Art. 6-8 VO Turnen und Sport)
aufgeführt worden.

    b) Der Beschwerdeführer macht allerdings geltend, die VO Turnen und
Sport, die sich auf das Bundesgesetz über die Förderung von Turnen und
Sport vom 17. März 1972 (BG Turnen und Sport; SR 415.0) stützt, gehe
- sofern sie ein Sportlagerobligatorium vorsehe - über den Rahmen des
Gesetzes hinaus.

    Nach Art. 2 BG Turnen und Sport sorgen die Kantone für ausreichenden
Turn- und Sportunterricht (Abs. 1), wobei dieser an allen Volks-,
Mittel- und Berufsschulen einschliesslich Seminaren und Lehramtsschulen
obligatorisch ist (Abs. 2). Art. 16 Abs. 2 des Gesetzes beauftragt den
Bundesrat mit dem Erlass der erforderlichen Ausführungsvorschriften.

    Mit dieser Regelung wollte der Gesetzgeber erklärtermassen "aus
Gründen der Flexibilität" die Zahl der zu unterrichtenden Stunden der
bundesrätlichen Verordnung vorbehalten. Gedacht wurde dabei an den
wöchentlichen Turnunterricht, wobei vom Bundesrat in Aussicht gestellt
wurde, diesen auf drei Stunden festzulegen (BBl 1971 II 796). In der
parlamentarischen Beratung wurde denn auch positiv vermerkt, dass der
Gesetzesentwurf auf Obligatorien weitgehend verzichte (Voten Bommer
und Bräm: Amtl.Bull. 1972 N 1623, 1627); vom Berichterstatter der
nationalrätlichen Kommission wurde bestätigt, dass ein obligatorischer
Turnunterricht von drei Stunden je Woche vorgesehen sei (Amtl.Bull. 1972
N 1621). Daraus folgt, dass der Bundesrat nicht ermächtigt werden sollte,
beliebigen Turn- und Sportunterricht obligatorisch zu erklären. Vielmehr
hat er in der Verordnung nach der gesetzgeberischen Ordnung lediglich
näher zu umschreiben, was unter "ausreichendem" Turn- und Sportunterricht
zu verstehen ist. Massgebend ist hiefür der Aspekt der Volksgesundheit,
deren Gefährdung durch die heutige Lebensweise Anlass zur bundesrechtlichen
Regelung war (BBl 1971 II 790). Die Verpflichtung zur Teilnahme an
Sportlagern, zusätzlich zu den in der Verordnung des Bundesrates
festgesetzten und in der parlamentarischen Beratung als ausreichend
erachteten drei wöchentlichen Turnstunden, geht über die gesetzliche
Zielsetzung hinaus. Mithin reicht Art. 1 Abs. 2 VO Turnen und Sport
als Grundlage nicht aus, um das Fernbleiben von einem durch den Kanton
Freiburg durchgeführten Sportlager mit einer Busse zu ahnden (keine Strafe
ohne Gesetz).

    c) Die Bundesgesetzgebung bezweckt die Förderung von Turnen und
Sport. Daraus ergibt sich, dass nicht eine abschliessende Regelung
getroffen wurde, den Kantonen vielmehr unbenommen ist, Turnen und Sport
weitergehend zu fördern als dies vom Bund verlangt wird. Soweit damit
ein Sportlagerobligatorium verbunden sein soll, bedarf es dazu einer
Grundlage im kantonalen Recht.

    Das Kantonsgericht stützt seine Auffassung, wonach Sportlager für
die Schüler obligatorisch seien, allein auf Bundesrecht und macht nicht
geltend, das freiburgische Recht sehe ein Obligatorium vor. Damit ist
die staatsrechtliche Beschwerde gutzuheissen, und das angefochtene Urteil
aufzuheben.