Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 113 V 71



113 V 71

12. Auszug aus dem Urteil vom 30. Januar 1987 i.S. W. gegen
Arbeitslosenkasse des Schweizerischen Metall- und Uhrenarbeiterverbandes
und Kantonale Rekurskommission für die Arbeitslosenversicherung, Zürich
Regeste

    Art. 45 Abs. 3 AlVV, Art. 30 Abs. 3 AVIG: Einstellung in der
Anspruchsberechtigung. Die Fristen in Art. 45 Abs. 3 Satz 2 AlVV
bzw. Art. 30 Abs. 3 Satz 4 AVIG beziehen sich auf die Vollstreckung
bereits verfügter Einstellungen. Sie stehen der nachträglichen Anordnung
einer Einstellung nicht entgegen.

Sachverhalt

    A.- Der Versicherte wurde am 25. März 1983 von seiner Arbeitgeberin
fristlos entlassen und besuchte vom 28. März bis 15. April 1983 die
Stempelkontrolle. Am 16. April 1983 trat er eine neue Stelle an.

    Die Arbeitslosenkasse des Schweizerischen Metall- und
Uhrenarbeiterverbandes richtete vorerst keine Arbeitslosenentschädigung
aus, da der Versicherte die fristlose Entlassung als ungerechtfertigt
betrachtete und eine Klage gegen die ehemalige Arbeitgeberin in Aussicht
stellte. Mitte September 1985 liess der Versicherte der Arbeitslosenkasse
mitteilen, er habe auf die Einleitung einer Klage gegen die Arbeitgeberin
verzichtet. Daraufhin stellte ihn die Arbeitslosenkasse mit Verfügung vom
30. September 1985 wegen selbstverschuldeter Arbeitslosigkeit ab 28. März
1983 für die Dauer von 14 Tagen in der Anspruchsberechtigung ein.

    B.- Die hiegegen erhobene Beschwerde wies die Kantonale
Rekurskommission für die Arbeitslosenversicherung, Zürich, mit Entscheid
vom 10. April 1986 ab.

    C.- Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt der Versicherte beantragen,
vorinstanzlicher Entscheid und Kassenverfügung seien unter Kosten- und
Entschädigungsfolge aufzuheben.

    Die Arbeitslosenkasse schliesst auf Abweisung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde, während das Bundesamt für Industrie,
Gewerbe und Arbeit (BIGA) auf eine Stellungnahme verzichtet.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- / 2.- / 3.- (Die Fallbeurteilung richtet sich nach der bis Ende
1983 in Kraft gewesenen arbeitslosenversicherungsrechtlichen Ordnung.
Die Nichtauszahlung der Arbeitslosenentschädigung erweist sich als richtig,
sei es dass mit der Arbeitslosenkasse selbstverschuldete Arbeitslosigkeit
wegen fristloser Entlassung und damit ein Grund für die Einstellung in der
Anspruchsberechtigung bejaht wird, sei es dass - für den Fall der Annahme
einer ungerechtfertigten Entlassung - der Verdienstausfall wegen Verzichts
auf die Durchsetzung von Lohnansprüchen nicht angerechnet werden kann.)

Erwägung 4

    4.- a) Zu prüfen ist, ob im vorliegenden Fall eine Einstellung
überhaupt noch zulässig war.

    Nach Art. 45 Abs. 3 Satz 2 AlVV werden die am Ende des Kalenderjahres
nicht bestandenen Einstellungstage auf das folgende Kalenderjahr
übertragen; nach Ablauf desselben fällt die Einstellung dahin. Es stellt
sich dabei insbesondere die Frage, ob die genannte Frist das Recht der
Arbeitslosenkasse bzw. der kantonalen Amtsstelle zur verfügungsweisen
Anordnung einer Einstellung, d.h. zur Geltendmachung des Sanktionsanspruchs
zeitlich begrenzt oder ob sie sich bloss auf die Vollstreckung einer
verfügten Einstellung bezieht (vgl. in diesem Zusammenhang BGE 111 V 95
zu Art. 16 Abs. 1 und 2 AHVG).

    b) Art. 45 Abs. 3 Satz 2 AlVV spricht von "nicht bestandenen
Einstellungstagen" und davon, dass die "Einstellung" dahinfalle. Daraus
geht unmissverständlich hervor, dass eine bereits verfügte Einstellung
vorausgesetzt wird. Die zeitliche Begrenzung in der erwähnten Bestimmung
beschlägt mithin nicht das Recht der Verwaltung, eine Einstellung
zu verfügen, sondern bloss die Vollstreckung einer Einstellung. Denn
"dahinfallen" kann nur eine verfügte Einstellung.

    In diesem Sinne hat das Eidg. Versicherungsgericht bereits im nicht
veröffentlichten Urteil B. vom 21. August 1984 zu Art. 45 Abs. 3 Satz 2
AlVV entschieden, indem es festgestellt hat, die Möglichkeit der Anordnung
einer Einstellung in der Anspruchsberechtigung sei zeitlich grundsätzlich
nicht befristet, weshalb eine solche Massnahme auch rückwirkend getroffen
werden könne; die Befristung betreffe nur das Recht der Verwaltung auf
Vollstreckung der Sanktion, so dass demzufolge bei Ablauf der Frist nach
Art. 45 Abs. 3 Satz 2 AlVV ein Vollzug nicht mehr möglich sei.

    Diese Grundsätze werden auch unter der Herrschaft des neuen Rechts
anzuwenden sein. Einerseits sagt Art. 30 Abs. 3 Satz 4 AVIG ebenfalls:
"Die Einstellung fällt dahin." Anderseits wollte der Gesetzgeber mit dem
Erlass des AVIG bei der Durchführung von Einstellungen keine grundlegenden
Neuerungen einführen; er beschränkte sich im wesentlichen darauf, den
Verfall von nicht bestandenen Einstellungstagen grosszügiger zu regeln
(BBl 1980 III 590), indem er die Verfallsfrist von bisher bis zu zwei
Jahren auf sechs Monate verkürzte.

    Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass es sich bei den in
Art. 45 Abs. 3 Satz 2 AlVV bzw. Art. 30 Abs. 3 Satz 4 AVIG genannten
Fristen um Vollstreckungsfristen handelt. Es geht um bereits verfügte
Einstellungen, die nach Ablauf der erwähnten Fristen nicht mehr "bestanden"
werden können mit der Folge, dass die Einstellung dahinfällt und der
Anspruch auf Vollstreckung mit dem unbenützten Ablauf der Frist infolge
Verwirkung untergeht (vgl. in diesem Zusammenhang BGE 112 V 7 Erw. 4c zu
Art. 82 AHVV).

    c) Der Beschwerdeführer besuchte vom 28. März bis zum 15. April
1983 die Stempelkontrolle. Für diese Zeitspanne wurde ihm keine
Arbeitslosenentschädigung ausbezahlt, da die Arbeitslosenkasse die
Taggelder im Hinblick auf die in Aussicht gestellte Klage gegen die
ehemalige Arbeitgeberin wegen fristloser Auflösung des Arbeitsverhältnisses
zurückbehielt. Dies bedeutet, dass der Beschwerdeführer die am
30. September 1985 nachträglich verfügte Einstellung von 14 Tagen in der
Anspruchsberechtigung ab 28. März 1983 in der fraglichen Stempelperiode
bereits bestanden hat und der Vollzug der Einstellung rechtzeitig erfolgt
ist. Die in Art. 45 Abs. 3 Satz 2 AlVV und in der übergangsrechtlichen
Bestimmung des Art. 131 Abs. 3 AVIV genannten Vollstreckungsfristen stehen
der nachträglich verfügten Einstellung somit nicht im Wege.