Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 113 V 341



113 V 341

54. Auszug aus dem Urteil vom 27. November 1987 i.S. Schweizerische
Unfallversicherungsanstalt gegen J. S.A. und J. S.A. gegen Schweizerische
Unfallversicherungsanstalt und Bundesamt für Sozialversicherung Regeste

    Art. 66 Abs. 1 lit. h UVG, Art. 79 UVV: Unterstellung eines
ungegliederten Betriebes.

    - Qualifizierung einer Warenhauskette als Handelsbetrieb im Sinne
von Art. 66 Abs. 1 lit. h UVG (Erw. 7); der Begriff "Handelsbetrieb"
ist nicht restriktiv auszulegen (Erw. 7c).

    - Die Betriebszentrale ist kein Betrieb im Sinne von Art. 66 UVG und
damit kein selbständiges Unterstellungsobjekt (Erw. 3b); die Führung
einer solchen Betriebszentrale gehört zum üblichen Tätigkeitsbereich
eines Handelsbetriebes der gegebenen Grössenordnung, weshalb im
unterstellungsrechtlichen Sinn ein ungegliederter Betrieb vorliegt
(Erw. 6).

    - Die Unterstellung unter die SUVA ergibt sich in casu auch aufgrund
der Tatsache, dass die Unternehmung in ihrer Betriebszentrale über einen
Gleisanschluss verfügt (Erw. 7d).

    - Das Personal des ganzen Betriebes - einschliesslich jenes der
Betriebszentrale - ist in casu obligatorisch bei der SUVA gegen Unfall
zu versichern (Erw. 7e).

Sachverhalt

    A.- Die Firma J. S.A. ist Teil des J.-Konzerns. Sie führt eine grosse
Warenhauskette, und daneben betreibt sie eine Reisebüroorganisation
sowie Restaurants. Ferner unterhält sie eine Betriebszentrale, welche
den Zentraleinkauf, das Regionallager sowie die Versand-, Werbe- und
Computerabteilung umfasst.

    Im Verlaufe der vergangenen Jahrzehnte wurden sukzessiv immer mehr
Betriebsteile der J. S.A. der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt
(SUVA) unterstellt, so unter anderem die 1969 eröffnete neue
Betriebszentrale.

    Mit Verfügung vom 30. Dezember 1983 unterstellte die SUVA auch den
eigentlichen Warenhausbetrieb der J. S.A. einschliesslich der dazugehörigen
Verwaltung mit Wirkung ab 1. Januar 1984 ihrem Tätigkeitsbereich. Die
unterstellten Betriebsteile wurden wie folgt umschrieben:

    Betriebsteil D: Handels- und Lagerbetrieb in der Schweiz inkl.
                   Nebenbetriebe wie Parkhäuser, Garage, Bodenlegerei,
                   diverse Werkstätten und Ateliers.

    Betriebsteil Z: Administrative Verwaltung inkl. Verkaufspersonal.

    Mit Entscheid vom 23. August 1984 lehnte die SUVA die von der
J. S.A. gegen die Verfügung vom 30. Dezember 1983 erhobene Einsprache ab.

    B.- Die J. S.A. beschwerte sich gegen diesen Einspracheentscheid
beim Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) und beantragte, es sei
festzustellen, dass sie bezüglich der obligatorischen Unfallversicherung
nicht in den Tätigkeitsbereich der SUVA falle. Die SUVA beantragte in
ihrer Vernehmlassung Abweisung der Beschwerde.

    Mit Entscheid vom 12. März 1986 modifizierte das Bundesamt in
teilweiser Gutheissung der Beschwerde die Verfügung der SUVA vom
30. Dezember 1983 insofern, als die Unterstellung des Stammhauses
und sämtlicher Filialbetriebe der J. S.A. unter die SUVA aufgehoben
wurde. Gleichzeitig wurden - entsprechend dem Vorschlag der SUVA mit
Wirkung ab 1. Januar 1987 - alle auf dem Areal der Betriebszentrale
untergebrachten Betriebsteile (Zentraleinkauf, Regionallager, Versand-,
Werbe- und Computerabteilung, Familienmarkt und allfällige weitere
Betriebsteile) der SUVA unterstellt.

    C.- Gegen den Entscheid des BSV vom 12. März 1986 erheben sowohl die
SUVA als auch die J. S.A. Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Die SUVA beantragt
in ihrer Verwaltungsgerichtsbeschwerde Aufhebung des vorinstanzlichen
Entscheides, während die J. S.A. in der Vernehmlassung auf deren Abweisung
schliesst. In ihrer Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt die J. S.A. das
vor der Vorinstanz gestellte Begehren erneuern. Die SUVA beantragt in
der Vernehmlassung Abweisung des Hauptbegehrens.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- a) (Begriff des Betriebes; vgl. BGE 113 V 332 Erw. 4a/b.)

    b) Im angefochtenen Entscheid des BSV wurde die Betriebszentrale, in
welcher rund 700 Angestellte beschäftigt sind und die den Zentraleinkauf,
das Regionallager sowie die Versand-, Werbe- und Computerabteilung
umfasst, im Hinblick auf die ihr im gesamten Konzern zukommende Bedeutung,
ihre Organisation und Grösse als Betrieb im Sinne von Art. 66 UVG und
damit als selbständiges Unterstellungsobjekt qualifiziert. Nach dem in
Erw. 3a Gesagten ist indessen entscheidend, dass die J. S.A. aufgrund
des Augenscheinprotokolls des BSV vom 29. Mai 1985 Arbeitgeberin des in
der Betriebszentrale tätigen Personals ist. Die Betriebszentrale kann
daher nicht als Betrieb im Sinne von Art. 66 UVG und mithin nicht als
selbständiges Unterstellungsobjekt betrachtet werden. Dies gilt auch
bezüglich des Zentraleinkaufs, welcher zwar durch die Gründung der
"Einkaufszentrale Gruppe J. AG" rechtlich verselbständigt wurde. Sollte
dieser Betriebsteil auch eigenes Personal beschäftigen, so wäre die
Unterstellungsfrage hiefür in einem neuen Verfahren gesondert zu prüfen.

Erwägung 4

    4.- / 5.- (Begriff des ungegliederten bzw. gegliederten, des gemischten
Betriebs, des Haupt- und Hilfs- bzw. Nebenbetriebs; vgl. BGE 113 V 333
Erw. 5 und 6.)

Erwägung 6

    6.- Die J. S.A. betreibt eine Warenhauskette und ist somit als
Handelsbetrieb gemäss Art. 66 Abs. 1 lit. h UVG zu qualifizieren
(vgl. dazu Erw. 7 hernach). Die Führung einer Betriebszentrale,
welche den Zentraleinkauf, das Regionallager, die Versand-, Werbe-
und Computerabteilung umfasst, gehört zum üblichen Tätigkeitsbereich
eines Handelsbetriebes der gegebenen Grössenordnung. Insofern liegt ein
einziger, zusammenhängender Tätigkeitsbereich vor mit der Folge, dass die
Unternehmung einen einheitlichen Betriebscharakter als Handelsbetrieb
aufweist. Im unterstellungsrechtlichen Sinn besteht daher entgegen der
dem angefochtenen Entscheid des BSV zugrundegelegten Auffassung keine
Gliederung zwischen den Warenhäusern einerseits und der Betriebszentrale
anderseits. Die J. S.A. stellt demnach einen ungegliederten Betrieb dar.

    An dieser Feststellung vermag die Tatsache nichts zu ändern,
dass die J. S.A. neben dem eigentlichen Handel mit Waren noch eine
Reisebüroorganisation sowie Restaurants unterhält. Diese Betriebsteile
fallen zwar nicht in den notwendigen Tätigkeitsbereich eines
Handelsbetriebes, können aber dem üblichen Tätigkeitsbereich eines
Handelsbetriebes in der Grössenordnung und mit der Diversifikation
der J. S.A. zugerechnet werden. Insbesondere heben sich die
erwähnten Betriebsteile nicht mit genügender Deutlichkeit vom
hauptsächlichen Tätigkeitsbereich der Unternehmung ab. Im vorliegenden
Unterstellungsverfahren wurden sie wohl aus diesem Grund weder von den
Parteien noch von der Vorinstanz ausdrücklich erwähnt.

Erwägung 7

    7.- a) Gemäss Art. 66 Abs. 1 lit. h UVG fallen "Handelsbetriebe,
die mit Hilfe von Maschinen schwere Waren in grosser Menge lagern",
in den Zuständigkeitsbereich der SUVA. Gestützt auf Art. 66 Abs. 2 1.
Halbsatz UVG hat der Bundesrat die Handelsbetriebe in Art. 79 UVV wie
folgt näher bezeichnet:

    Als schwere Waren im Sinne von Artikel 66 Absatz 1 Buchstabe h
   des Gesetzes gelten lose oder verpackte Güter von mindestens 50 kg
   Gewicht sowie Schüttgüter; Flüssigkeiten gelten als schwere Waren,
   wenn sie in

    Behältern gelagert werden, die zusammen mit dem Inhalt mindestens 50 kg
   wiegen (Abs. 1).

    Als grosse Menge gilt ein Gesamtgewicht von mindestens 20 Tonnen
   ständig gelagerter schwerer Ware (Abs. 2).

    Als Maschinen gelten insbesondere Aufzüge, Hubstapler, Krane,

    Seilwinden und Fördereinrichtungen (Abs. 3).

    b) Wie sich aus dem Augenscheinprotokoll des BSV vom 29. Mai 1985
ergibt, werden "von den 40'000 ... magazinierten Artikelpositionen
... 10 bis 15 Prozent in Posten von 100 bis 200 kg Gewicht auf Paletten
gelagert. Ihr Gesamtgewicht dürfte mehr als 20 Tonnen betragen ... Der
Warenfluss ist weitgehend automatisiert, wobei verschiedenartige
maschinelle Einrichtungen wie z.B. Förderstrecken und Elevatoren,
Elektrostapler, Packmaterial-Hängeförderer (usw.) ... zum Einsatz
gelangen". Somit stellt die J. S.A. einen Handelsbetrieb dar, der im
Sinne von Art. 66 Abs. 1 lit. h UVG in Verbindung mit Art. 79 UVV mit
Hilfe von Maschinen schwere Waren in grosser Menge lagert.

    c) Das BSV legte im angefochtenen Entscheid den Begriff
"Handelsbetrieb" unter Hinweis auf die entsprechende Regelung nach altem
Recht restriktiv aus. Gemäss Art. 60bis Ziff. 1 lit. c KUVG waren nur
Handelsunternehmungen der obligatorischen Versicherung zu unterstellen, die
u.a. mit betriebsgefährlichen Maschinen oder Einrichtungen arbeiteten. Dazu
gehörten nach Art. 17 Ziff. 2 der Verordnung I über die Unfallversicherung
solche Handelsunternehmungen, die "schwere Waren, wie Kohle, Holz, Metalle
oder Fabrikate aus solchen, oder Baumaterialien in grossen Mengen lagern
und sich zu deren Transport maschineller Einrichtungen, wie Aufzüge,
Kranen, Elevatoren und dgl., bedienen".

    Für eine solche Einschränkung des Begriffs des Handelsbetriebes
nach der Art der gelagerten Waren bestehen indessen im neuen Recht
aufgrund des - primär massgebenden (vgl. BGE 113 V 77 Erw. 3b, 112 V 171
Erw. 3a, 112 Ia 117 f., 112 II 4 und 170) - Wortlautes des Art. 66 Abs. 1
lit. h UVG und des diese Bestimmung konkretisierenden Art. 79 UVV keine
Anhaltspunkte. Es wäre ferner weder sachgerecht noch zweckmässig, für die
Frage der Unterstellung eines Handelsbetriebes unter die SUVA oder einen
andern Versicherer gemäss Art. 68 UVG aufgrund der Art der gelagerten
Waren differenzieren zu wollen. Die J. S.A. ist daher gestützt auf den
klaren Wortlaut von Art. 66 Abs. 1 lit. h UVG in Verbindung mit Art. 79
UVV der SUVA zu unterstellen.

    d) Dies ergibt sich ferner auch gemäss Art. 66 Abs. 1 lit. g UVG,
wonach Betriebe mit unmittelbarem Anschluss an das Transportgewerbe
obligatorisch der SUVA zu unterstellen sind. Nach Art. 78 lit. b UVV
gelten als Betriebe mit unmittelbarem Anschluss an das Transportgewerbe
im Sinne von Art. 66 Abs. 1 lit. g UVG Betriebe, die an ein Gleis einer
konzessionierten Eisenbahn angeschlossen sind und Güter direkt oder
über Gleisewagen ein- oder ausladen. Diese Voraussetzung trifft für
die J. S.A. zu. Die Versandabteilung der Betriebszentrale verfügt gemäss
Augenscheinprotokoll des BSV vom 29. Mai 1985 über einen zweigleisigen
Bahnanschluss, über den pro Tag etwa 8'000 Pakete zum Versand gebracht
werden.

    e) Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die J. S.A. einen
Handelsbetrieb im Sinne von Art. 66 Abs. 1 lit. h UVG mit einheitlichem
Betriebscharakter darstellt. Sie ist daher unterstellungsrechtlich als
ungegliederter Betrieb zu qualifizieren. Demzufolge ist das Personal
des ganzen Betriebs - einschliesslich jenem der Betriebszentrale
- obligatorisch bei der SUVA gegen Unfall zu versichern. Die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde der SUVA ist somit gutzuheissen und jene
der J. S.A. abzuweisen.