Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 113 V 212



113 V 212

34. Auszug aus dem Urteil vom 24. September 1987 i.S. Sch. gegen
Schweizerische Krankenkasse Helvetia und Versicherungsgericht des Kantons
Zürich Regeste

    Art. 12bis KUVG: Krankengeldversicherung mit aufgeschobenem
Leistungsbeginn. Die Kassen dürfen in ihren Statuten die Leistungsdauer
für die Krankengelder, welche die gesetzlichen Minima übersteigen,
in der Weise beschränken, dass die jeweilige Wartefrist auf die
Bezugsberechtigungsperiode von 720 Tagen gemäss Art. 12bis Abs. 3 KUVG
angerechnet wird.

Sachverhalt

    A.- Sch. war bei der Schweizerischen Krankenkasse Helvetia unter
anderem für ein Krankengeld von Fr. 70.-- mit einer Aufschubszeit von drei
Monaten versichert (Abteilung C) und bezog ab März 1984 Leistungen. Im
Dezember 1985 eröffnete ihm die Kasse, dass der maximale statutarische
Leistungsanspruch aus dieser Versicherungsabteilung - 630 Tage im Verlaufe
von 900 aufeinanderfolgenden Tagen (Art. 81 und 88 der Statuten) - am
14. Januar 1986 erschöpft sein werde. Auf dessen Begehren um Gewährung
des Krankengeldes während insgesamt 720 Tagen teilte sie ihm mit,
nach den Statuten sei die vom Versicherten gewählte Wartefrist auf die
Bezugsberechtigungsdauer anzurechnen, so dass ihm das Krankengeld nur
für die Dauer von 630 Tagen zu bezahlen sei. Am 27. Januar 1986 erliess
sie eine entsprechende Verfügung.

    B.- Die hiegegen erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht
des Kantons Zürich mit Entscheid vom 18. März 1986 ab.

    C.- Sch. führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, die
Kasse sei zu verpflichten, ihm das versicherte Krankengeld von Fr. 70.--
während insgesamt 720 Tagen auszurichten.

    Die Kasse und das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) beantragen
Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- a) In der Krankengeldversicherung haben die anerkannten
Krankenkassen bei vollständiger Arbeitsunfähigkeit ein tägliches
Krankengeld von mindestens zwei Franken auszurichten (Art. 12bis
Abs. 1 KUVG). Das Krankengeld ist für eine oder mehrere Krankheiten
während wenigstens 720 Tagen innerhalb von 900 aufeinanderfolgenden
Tagen auszuzahlen (Art. 12bis Abs. 3 KUVG). Bei statutengemässer
Krankheitsanzeige sind ärztliche Behandlung und Arznei von Anfang an,
das Krankengeld aber spätestens mit dem dritten Tage nach dem Tage der
Erkrankung (Wartefrist) zu gewähren (Art. 13 Abs. 2 KUVG). Der Bundesrat
setzt die Bedingungen fest, unter denen die Wartefrist für den Anspruch
auf Krankengeld verlängert werden kann (Art. 13 Abs. 3 KUVG). Der gestützt
hierauf vom Bundesrat erlassene Art. 28 Vo III zum KUVG (SR 832.140)
schreibt für ein Krankengeld mit einer Aufschubszeit bis zum 90. Tag vor,
dass dieses mindestens Fr. 12.-- zu betragen habe.

    b) Nach Art. 79 der Statuten der Schweizerischen Krankenkasse
Helvetia können sich die Mitglieder in der Versicherungsabteilung B für
ein Krankengeld von Fr. 2.-- bis Fr. 150.-- versichern. Die Leistungen
werden gemäss Art. 81 der Statuten während 720 Tagen im Verlaufe von 900
aufeinanderfolgenden Tagen ausgerichtet. Die Kasse führt ferner in der
Abteilung C eine Krankengeldversicherung mit aufgeschobenem Leistungsbeginn
(Art. 87 der Statuten). In dieser können Krankengelder von Fr. 10.--
bis Fr. 300.-- pro Tag mit Beginn der Leistungen nach 11 oder 21 Tagen
und nach 1 bis 6 sowie 9 oder 12 Monaten versichert werden. Gemäss
Art. 88 Abs. 1 in der bis 31. Dezember 1982 gültigen Fassung wurden die
Leistungen aus der Abteilung C während 720 Tagen im Verlaufe von 900
aufeinanderfolgenden Tagen gewährt. Anlässlich der Delegiertenversammlung
der Kasse vom 10. Oktober 1982 wurde beschlossen, Art. 88 Abs. 1 der
Statuten per 1. Januar 1983 neu folgenden Inhalt zu geben:

    "Die Leistungen der Abt. C werden während 720 im Verlaufe von 900
   aufeinanderfolgenden Tagen gewährt, wobei die gewählte Wartefrist im

    Sinne der Art. 45 und 87 auf die Dauer der Genussberechtigung
   angerechnet wird."

Erwägung 2

    2.- a) Im vorliegenden Fall stellt sich vorab die Frage, ob die
Versicherungsabteilung C der Krankenkasse Helvetia als gesetzliche
Grundversicherung oder als eine neben dieser betriebene Zusatzversicherung
zu qualifizieren ist. Diese Unterscheidung ist bedeutsam, weil die Kassen
nicht befugt sind, im Bereiche der Grundversicherungen den gesetzlichen
Leistungskatalog mittels statutarischer Bestimmung abzuändern. Aufgrund
der mit Art. 1 Abs. 2 Satz 2 KUVG gewährleisteten Autonomie sind sie
dagegen in der statutarischen Ausgestaltung der Zusatzversicherungen
grundsätzlich frei.

    b) Die Versicherungsabteilung B der Krankenkasse Helvetia
erfüllt die Voraussetzungen, die eine gesetzliche Grundversicherung im
Bereiche des Krankengelds zu erfüllen hat. Die Krankenkassen können im
Krankengeldbereich in der gesetzlichen Grundversicherung aber auch einen
aufgeschobenen Leistungsbeginn vorsehen, haben allerdings die vom Bundesrat
aufgestellten besondern Bedingungen zu erfüllen, wenn die Wartefrist
mehr als drei Tage betragen soll (Art. 13 Abs. 2 und 3 KUVG). Die
Versicherungsabteilung C entspricht diesem gesetzlichen Modell und genügt -
von der hier streitigen Leistungsdauer abgesehen - den Anforderungen, die
an eine gesetzliche Grundversicherung mit aufgeschobenem Leistungsbeginn
gestellt werden. Sie weist daher nicht den Charakter einer die gesetzliche
Grundversicherung ergänzenden Zusatzversicherung oder einer sonstwie
ausserhalb der gesetzlichen Grundversicherung stehenden Versicherung
auf. Vielmehr handelt es sich nach dem Gesagten lediglich um eine
Mischform zwischen einer Grundversicherung entsprechend den gesetzlichen
Mindestanforderungen und einem weitergehenden Versicherungsschutz.

Erwägung 3

    3.- a) Dennoch bedeutet das nicht, dass die Kasse im Rahmen
der Versicherungsabteilung C die gesetzliche Leistungsdauer gemäss
Art. 12bis Abs. 3 KUVG uneingeschränkt zu respektieren hätte. Das
KUVG gibt dem Kassenmitglied keinen Anspruch auf ein die gesetzliche
Mindestleistung übersteigendes Krankengeld (RSKV 1970 Nr. 80 S. 204
Erw. 1). Kann aufgrund entsprechender statutarischer Bestimmungen
innerhalb der Grundversicherung auch ein höheres Krankengeld versichert
werden, so steht den Kassen bezüglich dieser Mehrleistungen die gleiche
Gestaltungsfreiheit zu wie im Rahmen einer von der Grundversicherung
getrennt geführten Zusatzversicherung. Denn es wäre nicht ersichtlich,
weshalb ein unterschiedliches Mass an Autonomie geboten wäre, je nachdem,
ob das die gesetzlichen Pflichtleistungen übersteigende Krankengeld
organisatorisch Teil einer erweiterten Grundversicherung oder Gegenstand
einer Zusatzversicherung bildet.

    b) Es gehört zum wesentlichen Inhalt der Autonomie gemäss Art. 1 Abs. 2
Satz 2 KUVG, dass die Kassen grundsätzlich frei darüber befinden können,
ob und welche Leistungen sie über das Gesetz hinaus in einer statutarisch
erweiterten Grundversicherung oder in Zusatzversicherungen anbieten
wollen. Dies umfasst auch die Befugnis, die Dauer einer bestimmten Leistung
zu bestimmen. Die Gestaltungsfreiheit der Kassen ist allerdings nicht ohne
Schranken. Nach der Rechtsprechung haben die Kassen bei der Reglementierung
von Zusatzleistungen die allgemeinen Rechtsgrundsätze zu beachten, wie sie
sich aus dem allgemeinen Bundessozialversicherungsrecht und dem übrigen
Verwaltungsrecht sowie der Bundesverfassung ergeben. Insbesondere haben
sie sich an die wesentlichen Grundsätze der sozialen Krankenversicherung
zu halten, namentlich an die Grundsätze der Gegenseitigkeit, der
Verhältnismässigkeit und der Gleichbehandlung (BGE 111 V 139 Erw. 1a,
109 V 147 f., 108 V 258 Erw. 2 mit Hinweisen).

    c) Die Krankenkasse Helvetia war nach dem Gesagten berechtigt, die
Bezugsberechtigungsdauer für die über das Gesetz hinausgehenden Leistungen
nach ihrem Gutdünken festzulegen. Es gibt keine gesetzliche Bestimmung,
die sie verpflichtet hätte, sich hiebei nach der Regel des Art. 12bis
Abs. 3 KUVG zu richten. Ebensowenig besteht eine Norm, die der Kasse
ausdrücklich oder mittelbar verboten hätte, in der Versicherungsabteilung C
die übliche Bezugsberechtigungsdauer von 720 Tagen (Art. 12bis Abs. 3
KUVG und Art. 81 der Statuten) um die jeweiligen Aufschubszeit zu
kürzen. Diese Regelung verstösst schliesslich auch nicht gegen einen
der oben genannten allgemeinen Rechtsgrundsätze. Es liegt insbesondere
keine willkürliche Begrenzung der versicherten Leistungen vor. Die
vollumfängliche Beibehaltung einer Leistungsdauer von 720 Tagen innerhalb
von 900 aufeinanderfolgenden Tagen in der Krankengeldversicherung mit
aufgeschobenem Leistungsbeginn mag als wünschenswert erscheinen. Doch
kann nicht gesagt werden, dass sich die von der Kasse getroffene
Leistungsbegrenzung mit sachlichen Gründen schlechthin nicht vertreten
liesse.

Erwägung 4

    4.- a) Die oben getroffene Qualifikation der Versicherungsabteilung C
als gesetzliche Grundversicherung hat zur Folge, dass die Wartezeit nur
für das über die gesetzliche Pflichtleistung hinausgehende Krankengeld
an die übliche Bezugsberechtigungsdauer von 720 Tagen angerechnet werden
darf. Mit Bezug auf die Pflichtleistungen steht der Kasse im Rahmen dieser
Versicherungsabteilung kein Recht auf anspruchsvermindernde Änderungen
zu. Das nach dem Gesetz zu erbringende Mindestkrankengeld ist deshalb bei
dauernder Arbeitsunfähigkeit in jedem Fall, wie in Art. 12bis Abs. 3 KUVG
vorgeschrieben, während 720 innerhalb von 900 aufeinanderfolgenden Tagen
zu gewähren.

    b) Die Kasse trägt in der gesetzlichen Krankengeldversicherung mit
Aufschubszeit das Leistungsrisiko von der zurückgelegten Wartefrist an, und
dementsprechend beginnt die gesetzliche Leistungsdauer von 720 Tagen mit
dem Ende des Aufschubs zu laufen (so auch die BSV-Mitteilung in RSKV 1978
S. 71 Ziff. 4). Soweit in Art. 88 der Kassenstatuten durch die streitige
Anrechnung auch die für das gesetzliche Minimaltaggeld vorgeschriebene
Leistungsdauer verkürzt wird, erweist sich diese Bestimmung daher als
gesetzwidrig.

    c) Der Beschwerdeführer hat ab Beginn des Leistungsanspruchs bzw. der
massgebenden Bezugsberechtigungsperiode in der Versicherungsabteilung
C das gesetzliche (wie auch das darüber hinausgehende) Krankengeld nur
während 630 Tagen erhalten. Er hat deshalb noch Anspruch auf die Gewährung
des gesetzlichen Minimaltaggeldes für die Dauer von 90 Tagen. Das
Minimaltaggeld beträgt hier nicht Fr. 2.-- (Art. 12bis Abs. 1 KUVG),
sondern nach Massgabe von Art. 13 Abs. 3 KUVG in Verbindung mit Art. 28 Vo
III und abgeschlossener Versicherung Fr. 12.-- pro Tag. Der Restanspruch
des Beschwerdeführers beläuft sich demnach auf total Fr. 1'080.--.

    d) Das BSV scheint demgegenüber in Anlehnung an Art. 27 Abs. 2 Vo
III und RSKV 1970 Nr. 80 S. 204 Erw. 1 die Auffassung zu vertreten, die
Kasse komme ihrer Leistungspflicht genügend nach, wenn der Gesamtbetrag
der ausgerichteten Krankengelder, geteilt durch die Anzahl Bezugstage,
mindestens Fr. 2.-- betrage. Das ist jedoch mit Art. 12bis Abs. 3 KUVG
nicht vereinbar. In Art. 27 Abs. 2 Vo III wird als selbstverständlich
vorausgesetzt, dass das gesetzlich vorgeschriebene Krankengeld während der
Entschädigungsperiode von 720 (Kalender-)Tagen gemäss Art. 12bis Abs. 3
KUVG zu gewähren und diese konkret einzuhalten ist; Art. 27 Abs. 2 Vo III -
auf den vorliegenden Zusammenhang zugeschnitten - umschreibt lediglich,
unter welchen Bedingungen es gesetzlich zulässig ist, während den 720
Tagen innerhalb von 900 aufeinanderfolgenden Tagen nur den Erwerbsausfall
aus den innerhalb dieser 720 Tage liegenden Arbeitstagen zu entschädigen
(RSKV 1970 Nr. 80 S. 204 Erw. 1). Im vorliegenden Fall ist aber gerade
diese Entschädigungsperiode nicht voll eingehalten worden, indem das
Krankengeld nur während 630 Tagen ausbezahlt wurde, so dass das gesetzliche
Minimaltaggeld noch während 90 Tagen auszurichten ist.