Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 113 V 154



113 V 154

24. Urteil vom 30. Juni 1987 i.S. Kantonales Amt für Industrie, Gewerbe und
Arbeit, Bern, gegen N. und Versicherungsgericht des Kantons Bern Regeste

    Art. 30 Abs. 3 AVIG: Einstellung in der Anspruchsberechtigung. Für die
Bemessung der Einstellungsdauer spielt einzig der Grad des Verschuldens
eine Rolle, nicht aber die tatsächliche Dauer der Arbeitslosigkeit.

Sachverhalt

    A.- N. arbeitete seit 1981 als Hilfskontrolleur in einer
Maschinenfabrik mit einem Monatslohn von Fr. 2'750.--. Am 31. Januar
1986 kündigte er das Arbeitsverhältnis per Ende März 1986, weil die ihm
auf Anfang dieses Jahres gewährte Lohnerhöhung nach seiner Auffassung
zu gering ausgefallen sei. Da er keine neue Stelle fand, besuchte er ab
1. April 1986 beim Städtischen Arbeitsamt Burgdorf die Stempelkontrolle
und erhob ab diesem Zeitpunkt Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung. Er
stempelte regelmässig bis zum 25. April 1986, und am 28. April 1986 konnte
er eine neue Stelle bei einer Druckerei antreten.

    Mit Verfügung vom 22. April 1986 stellte ihn die Arbeitslosenkasse
des Kantons Bern (Zweigstelle Burgdorf-Emmental) wegen selbstverschuldeter
Arbeitslosigkeit ab 1. April 1986 für 25 Tage in der Anspruchsberechtigung
ein, weil er das Arbeitsverhältnis mit der Maschinenfabrik ohne die
Zusicherung einer anderen Stelle gekündigt habe.

    B.- Beschwerdeweise beantragte der Versicherte, die Einstellung in der
Anspruchsberechtigung sei aufzuheben; eventuell sei sie zu reduzieren. Das
Versicherungsgericht des Kantons Bern hiess die Beschwerde mit Entscheid
vom 20. August 1986 insofern gut, als es die Einstellungsdauer von 25
auf 19 Tage herabsetzte mit der Begründung, die Einstellungsdauer könne
nicht länger sein als die Dauer der Arbeitslosigkeit; im übrigen wies es
die Beschwerde ab.

    C.- Das kantonale Amt für Industrie, Gewerbe und Arbeit führt
Verwaltungsgerichtsbeschwerde und beantragt, es sei der vorinstanzliche
Entscheid aufzuheben und die angefochtene Verfügung zu bestätigen;
eventuell sei die Einstellungsdauer von 19 auf 22 Tage zu erhöhen.

    Die Vorinstanz beantragt Abweisung des Hauptantrages und
Gutheissung des Eventualantrages. Während sich der Versicherte zur
Verwaltungsgerichtsbeschwerde nicht hat vernehmen lassen, schliesst das
Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit auf deren Gutheissung.

Auszug aus den Erwägungen:

       Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Gemäss Art. 30 Abs. 1 lit. a AVIG ist der Versicherte in der
Anspruchsberechtigung einzustellen, wenn er durch eigenes Verschulden
arbeitslos ist. Die Arbeitslosigkeit gilt insbesondere dann als
selbstverschuldet, wenn der Versicherte das Arbeitsverhältnis von sich
aus aufgelöst hat, ohne dass ihm eine andere Stelle zugesichert war, es
sei denn, dass ihm das Verbleiben an der Arbeitsstelle nicht zugemutet
werden konnte (Art. 44 lit. b AVIV).

    Die Dauer der Einstellung bemisst sich nach dem Grad des Verschuldens
(Art. 30 Abs. 3 AVIG) und beträgt 1 bis 10 Tage bei leichtem, 11 bis
20 Tage bei mittelschwerem und 21 bis 40 Tage bei schwerem Verschulden
(Art. 45 Abs. 2 AVIV). Die Einstellung fällt binnen sechs Monaten nach
Beginn der Einstellungsfrist dahin (Art. 30 Abs. 3 letzter Satz AVIG).

Erwägung 2

    2.- Die Vorinstanz ging davon aus, dass der Versicherte einen
Anspruch auf 19 (recte: 22) Taggelder erworben habe. Es bestehe keine
sachliche Rechtfertigung, für die selbstverschuldete Arbeitslosigkeit
eine Einstellung in der Anspruchsberechtigung zu verfügen, die über
dem Schaden liege, welcher der Versicherung durch sein Verhalten
erwachsen sei. Dies würde zur unbilligen Konsequenz führen, dass
der Versicherte, falls er die am 28. April 1986 angetretene Stelle
bis Ende September 1986 ohne sein Verschulden verlieren sollte,
vorerst den Rest der verfügten Einstellungstage zu bestehen habe (Art.
30 Abs. 3 AVIG), obwohl ihm kein schuldhaftes Verhalten für die neu
eingetretene Arbeitslosigkeit vorgeworfen werden könne. Daher sei die
von der Kasse verfügte Einstellung auf die Dauer des Anspruches auf
Taggelder herabzusetzen. Denn nach Auffassung des kantonalen Richters
besteht neben der absoluten oberen Grenze der Einstellungsdauer, welche
gemäss Art. 30 Abs. 3 AVIG je Einstellungsgrund höchstens 40 Tage
beträgt, auch eine relative obere Grenze der Leistungskürzung. Nach
einem allgemeinen Rechtsgrundsatz habe nämlich der Versicherte bei
schuldhafter Herbeiführung des Versicherungsfalles höchstens den vollen
Schaden selber zu tragen. Hingegen gehe es nicht an, ihm gleichsam als
Sanktion weitere Versicherungsleistungen vorzuenthalten, welche in keinem
kausalen Zusammenhang mit dem ursprünglichen vermeidbaren Verhalten
ständen. Die Leistungsverweigerung wegen schuldhafter Herbeiführung des
Versicherungsfalles beruhe nicht auf pönalen Überlegungen, sondern es
gehe vielmehr darum, Beitragspflichtige und Steuerzahler, welche die
Sozialversicherung finanzieren, ganz oder teilweise zu entlasten, wenn
Versicherte durch ein qualifiziertes tadelnswertes Verhalten Schäden
verursachten.

Erwägung 3

    3.- Dieser Auffassung kann nicht beigepflichtet werden. Die Dauer der
Einstellung in der Anspruchsberechtigung bemisst sich gemäss Art. 30 Abs. 3
AVIG nach dem Grad des Verschuldens. Dabei ist die tatsächliche Dauer
der Arbeitslosigkeit für die Beurteilung des Verschuldens unerheblich,
weil sie zumindest bei intensiver Stellensuche der Einflussnahme durch
den Versicherten weitgehend entzogen ist. Bei Arbeitslosigkeit durch
eigenes Verschulden steht das zu beurteilende Verhalten des Versicherten,
welches zum Eintritt des Versicherungsfalles führt, in keinem kausalen
Zusammenhang zur Dauer der nachfolgenden Arbeitslosigkeit, setzt der
Versicherte doch die zum Eintritt der Arbeitslosigkeit führenden Gründe
zu einem Zeitpunkt, in dem er noch nicht wissen kann, wie lange die
Arbeitslosigkeit dauern und wie hoch der dadurch verursachte Schaden sein
wird. Würde die Dauer der Einstellung zumindest teilweise nach der Dauer
der eingetretenen Arbeitslosigkeit bemessen, wäre nicht mehr - wie durch
das Gesetz klar vorgeschrieben - allein das Verschulden des Versicherten
massgebend. Insbesondere würden jene Versicherten, die zufälligerweise
innert kürzester Frist erneut eine Arbeit aufnehmen können, erheblich
bessergestellt, obwohl ihr Verschulden am Eintritt der Arbeitslosigkeit
gleich oder eventuell sogar schwerer wiegen kann als bei denjenigen
Versicherten, die nicht kurzfristig eine neue Arbeit aufnehmen können.

    Sodann ergibt sich aus der gesetzlichen Regelung, wonach nicht
bestandene Einstellungstage binnen sechs Monaten nach Beginn der
Einstellungsfrist dahinfallen (Art. 30 Abs. 3 AVIG), dass die Dauer der
Einstellung in der Anspruchsberechtigung die Dauer der Arbeitslosigkeit
überschreiten kann. Wie sich der Botschaft des Bundesrates zu einem
neuen Bundesgesetz über die obligatorische Arbeitslosenversicherung
und die Insolvenzentschädigung vom 2. Juli 1980 entnehmen lässt,
wollte der Gesetzgeber das Problem des Verfalls noch nicht bestandener
Einstellungstage grosszügig regeln und die Arbeitsannahme gleichsam
belohnen, indem einem Versicherten, der vor Ablauf der Einstellungszeit
eine neue Stelle angenommen hat, die nicht bestandenen Einstellungstage
schon sechs Monate nach Beginn der Einstellungsfrist gestrichen werden
(BBl 1980 III 590). Der Gesetzgeber war sich der von der Vorinstanz
kritisierten Konsequenz offenbar bewusst, dass der Versicherte, der vor
Ablauf von sechs Monaten seit Beginn der Arbeitslosigkeit seine neue
Stelle unverschuldeterweise wieder verliert, noch den Rest der verfügten
Einstellungstage zu bestehen hat - unter der zu bejahenden Voraussetzung,
dass die Dauer der verschuldeten Arbeitslosigkeit bei der Bemessung
der Einstellungsdauer nicht mitberücksichtigt wird. Der Gesetzgeber
befürwortete ein Dahinfallen von Einstellungstagen klarerweise erst
nach Ablauf von sechs Monaten seit Beginn der Einstellungsfrist. Dass
sich aus der erwähnten Ordnung für die Versicherten Härtefälle ergeben
können, ist nicht zu verneinen, liegt aber in der Natur gesetzlicher,
der Rechtssicherheit dienender Fristen.

    Das nachträgliche Bestehen noch nicht verfallener Einstellungstage
beruht auch nicht auf pönalen Überlegungen, sondern es kommt damit
- nach einem zeitlichen Unterbruch - die angeordnete, dem Grad des
Verschuldens angemessene verwaltungsrechtliche Sanktion wieder zum
Tragen, welche bezweckt, der Gefahr missbräuchlicher Inanspruchnahme der
Arbeitslosenversicherung zu begegnen (BGE 112 V 332 Erw. 3c).

    In der Nichtberücksichtigung der Dauer der Arbeitslosigkeit bei
der Festsetzung der Einstellungsdauer liegt auch kein Verstoss gegen
den bei verwaltungsrechtlichen Sanktionen zu beachtenden Grundsatz der
Verhältnismässigkeit (vgl. BGE 108 V 252 Erw. 3a mit Hinweisen; BGE
111 V 320 Erw. 4; ARV 1987 Nr. 1 S. 39). Ferner würde die Konzeption
der Vorinstanz zur für die Praxis untragbaren Konsequenz führen, dass
in jedem Fall das Ende der Arbeitslosigkeit abgewartet werden müsste,
bis die Einstellungsdauer unter gebührender Berücksichtigung der Dauer
der Arbeitslosigkeit festgesetzt werden könnte. Dabei ist auch auf das
Interesse der Verwaltung hinzuweisen, die allenfalls umfangreichere
Abklärungen erfordernde Frage der Einstellung rasch zu beantworten und
gegebenenfalls zu verfügen.

    Bildet wie hier allein die Dauer der Einstellung in der
Anspruchsberechtigung (und nicht die Taggeldberechnung) Gegenstand
des Beschwerdeverfahrens, so ist auch nicht zu prüfen, wie sich die
zu bestehenden Einstellungstage auf die Anzahl der für eine bestimmte
Kontrollperiode auszurichtenden Taggelder auswirken (nicht veröffentlichtes
Urteil W. vom 3. Februar 1987). Massgebend ist, wie bereits gesagt,
gemäss Art. 30 Abs. 3 AVIG allein der Grad des Verschuldens, nicht
aber die tatsächliche Dauer der Arbeitslosigkeit. Eine Reduktion der
Einstellungsdauer im Sinne des vorinstanzlichen Entscheides ist somit
nicht zulässig.

Entscheid:

        Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

    In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird der Entscheid
des Versicherungsgerichts des Kantons Bern vom 20. August 1986 aufgehoben.